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Ein Absturz und seine Folgen: Kunstflug-Absturz mit Yak-52W in Arizona, USA
Was denkt jemand, der in einer absturzgeweihten Yak sitzt? „So gehst Du also in die Statistik ein, du Blödmann.“ Felix Gadow überlebte. Hier schildert er sein Erlebnis – und warum er beinahe dafür bestraft wurde, seinem Passagier das Leben gerettet zu haben
Im Jahr 2005, und zwar einen Tag vor Silvester, hatte ich ein Erlebnis der „dritten“ Art. Ich bin an diesem Tag bei einem Flug nördlich von Phoenix in Arizona mit einer Yak-52W abgestürzt. Wie mir die amerikanische Unfalluntersuchungsbehörde (NTSB) Mitte 2006 in einer kurzen E-Mail mitteilte, lag die wahrscheinliche Ursache für den Unfall im Bruch einer nachträglich eingebauten Flügelrippe, die sich in den Querruder-Umlenkhebel verklemmte und so das Ruder in einem Winkel von 60 Grad blockierte. Der Grund für den Bruch der Rippe war möglicherweise mangelhaftes Material oder auch ein Fehler bei der Vernietung der Rippe mit dem Hauptholm. Ich wurde jedenfalls von jeder Mitschuld am Unfall freigesprochen.
Soweit der formale Teil. Und nun zum technischen – und emotionalen. Der ist etwas umfangreicher. Zuerst zum Flugzeug: Die Yak war als Experimental zugelassen und hatte zwei Umbauten hinter sich. 2003 wurde die Anzahl der Rippen in den Flügeln fast verdoppelt und die Haube so modifiziert, dass man sie als ganze abwerfen konnte. Der erste Umbau war der Grund für die Eskapade, wie ich es jetzt gerne nenne, und der zweite rettete mir und meinem Passagier das Leben. Der Flieger aus Fleisch und Blut war zum Zeitpunkt des Unfalls 50 Jahre alt. Ich hatte rund 1700 Stunden als Pilot in Command auf mehr als 50 Mustern, davon etwa 350 Stunden Kunstflug. Seit Mitte 2005 besitze ich die amerikanische Berufspilotenlizenz und zudem eine Sondergenehmigung der US-Zivil- luftfahrtbehörde FAA für die Einweisungsberechtigung auf Yak-52.
Die Yak-52 war als Experimental zugelassen und hatte zwei Umbauten hinter sich
Auf dem Flugplatz von Deer Valley, am nördlichen Stadtrand von Phoenix, gibt es einige sehr große Flugschulen. Bei einer davon habe ich seit 1995 regelmäßig gechartert. Man kannte mich dort recht gut, und meine Erfahrung auf Christen Eagle II und Zlin 50 veranlasste die Manager zu einer Frage: ob ich nicht daran interessiert sei, bei Pilotenmangel kurzfristig zur Verfügung zu stehen, um eine Yak-52W zu fliegen. Sie würden mich zwar nicht dafür bezahlen, wohl aber alle Spesen tragen, einschließlich der Kosten für die Flüge in die Staaten. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Bis Dezember 2005 lud man mich dreimal ein. Zweimal lief alles sehr schön, beim dritten Mal wurde die Sache etwas heikel.
Der 30. Dezember war ein sehr angenehmer Freitag mit 20 Grad Celsius, leichtem Westwind und Sichten von Pol zu Pol. Am frühen Nachmittag bat man mich um einen Schnupperflug mit einem Fluggast. Es war sein Weihnachtsgeschenk. Der Mann, so um die 40, hatte vorher noch nie in einem Flugzeug der Allgemeinen Luftfahrt gesessen, geschweige denn in einem kunstflugtauglichen Ex-Militär-Trainer. Aber er wollte auf jeden Fall auch ein wenig Kunstflug erleben. Ich wies ihn etwa 45 Minuten ein. Gemäß den US-Vorschriften legten wir beide Fallschirme an; meinem Gast ging ich dabei zur Hand und stellte sicher, dass er richtig angeschnallt war. Danach bekam er noch ein gründliches Cockpit-Briefing. Nach unserem Start auf der „25L“ drehten wir nach Norden ab, um in einem reservierten Luftraum ein wenig Kunstflug durchzuführen. Nichts Aufregendes, mit Rücksicht auf die fliegerische Unbedarftheit meines „Co“. Ich dachte an „Sport Aerobatics“: ein Loop, eine Rolle, und wenn ihm nicht schlecht würde, vielleicht noch eine Kubanische Acht. Anschließend wollte ich ihm die Schönheit der Wüste zeigen, wie man sie nur aus der Luft erleben kann. Insbesondere in Arizona.
Nach unserem Start auf der „25L“ drehten wir nach Norden ab, um in einem reservierten Luftraum ein wenig Kunstflug durchzuführen
Daraus wurde dann allerdings nichts. Denn nach der ersten Linksrolle konnte ich die Drehung um die Längsachse nicht mehr ausleiten. Der Steuerknüppel ließ sich nicht mehr nach rechts bewegen. Und auch nicht nach links. Er war wie einbetoniert. Was mir dabei durch den Kopf ging, kann ich nur vage schildern. Denn alles lief ja viel, viel schneller ab, als ich es hier berichten kann. Zunächst hatte ich ein unbestimmtes „Ups-Gefühl“. Dann musste ich innerlich lachen. „Ja, genau! Einen Tag vor Silvester! Das ist genau das, was ich jetzt brauche!“ – Denkpause – mir dämmerte langsam, dass ich wohl abspringen muss. Eine normale Landung? Ausgeschlossen! Ich hing bis dato nur einmal an einem Rettungsschirm, als Segelflugschüler. Der Verein schrieb vor, dass man in der Ausbildung wenigstens einmal abgesprungen sein muss. Damit man im Ernstfall weniger Angst davor hat. Also wurden alle Schüler einmal aus einer Do 27 geschubst.
Nun denn, jetzt war es soweit. Aber dann kam der eigentliche Schock. Nicht wegen der Yak oder mir, sondern weil da ja noch jemand saß! Wie sollte ich meinen Passagier rausbekommen? Inzwischen drehten wir uns weiter. Vermutlich hielt er unsere Dauerrolle für eine gewöhnungsbedürftige Kunstflugeinlage. Jedenfalls glaube ich, dass er nichts ahnte und es einfach über sich ergehen ließ. Mehr instinktiv als gewollt habe ich – je nach Fluglage – immer ein wenig nachgedrückt oder gezogen (denn das Höhenruder funktionierte ja noch) beziehungsweise in Messerfluglage etwas Seitenruder in die eine oder andere Richtung gegeben. Die Rollrate war nicht übelerregend hoch – sie hat aber völlig gereicht, um mir Angst einzujagen. Die Sache wurde jetzt wirklich bedrohlich. „So gehst du also in die Statistik ein, du Blödmann.“ Das habe ich tatsächlich gedacht. Und: „Wie lange willst du das Spielchen denn noch spielen? Jetzt muss eine Entscheidung her. So oder so!“
Die Rollrate war nicht übelerregend hoch – sie hat aber völlig gereicht, um mir Angst einzujagen
Ich weiß auch noch genau, dass ich daran dachte, keine Zeit mehr für Erklärungen zu haben. Mein erster Gedanke war der, einfach nur selber rauszukommen, ganz egal, was mit dem „Typen vor mir“ passiert. Erst dann kam mir der Gedanke, dass das ziemlich ungerecht wäre. Ich wusste ja schließlich, was ich tun muss, um die Geschichte vielleicht doch noch zu überleben. Aber mein Passagier war völlig unfähig dazu, irgendetwas auf die Reihe zu kriegen! Dieses überwältigende Gefühl der Unfairness bewog mich dazu, im Flieger zu bleiben. Das war keine Heldentat, wahrscheinlich nur Instinkt, ich hatte eben Glück. Endlich hat es sich mal gelohnt, dass ich Felix heiße , lateinisch „der Glückliche“.
Zufriedenheit überkam mich. Nicht etwa wegen des „Heldenfaktors“, sondern weil eine Entscheidung gefallen war und ich das Gefühl hatte, mir keine weiteren Gedanken machen zu müssen. Dann erst fiel mir der Haubenumbau ein. Ohne weitere Erläuterungen forderte ich den Gast auf, sich abzuschnallen. Was er auch tat. Er dachte wohl, das sei ein netter Gag. Als wir aus der vierten oder fünften Rolle herauskamen, warf ich die Haube ab und drückte voll nach. Das katapultierte den Gast aus der Yak.
Yak-Umbauten: Ursache fürs Unglück – und für die Rettung
Was mit mir geschah, vermag ich nicht genau zu sagen. Manches habe ich mir von den ATC-Leuten erzählen lassen, manches aus der Klageschrift entnommen, die mein Fluggast später gegen mich verfasst hat. Aus der ging hervor, dass er annahm, das fortgesetzte Rollen sei Bestandteil des Kunstflug-Programms. Dann hörte er meine Anweisung, sich abzuschnallen. Nachdem er das getan hatte, gab’s einen Knall, die Haube flog weg und er hinterher. Unmittelbar danach verspürte er einen harten Ruck und fand sich am Fallschirm hängend wieder, an dem er „nach unten fiel“. Drei Stunden irrte der Mann durch die Wüste, bis ihn ein Hubschrauber aufgabelte. Er war verständlicherweise ziemlich verstört und desorientiert, aber körperlich unversehrt. Das hinderte ihn allerdings nicht daran, bereits zwei Tage später die Flugschule, die Firma, die die Umbauten an der Yak vorgenommen hatte, und natürlich mich auf jeweils 19 Millionen Dollar zu verklagen. Soviel zu meinem „geneigten“ Fluggast.
Über das, was nach seinem „Rausschmiss“ passierte, steht so viel fest: Laut ATC-Aufzeichnungen habe ich jedenfalls ein „Mayday“ abgesetzt und den Notsender aktiviert. Klar erinnern kann ich mich an meinen „Einschlag“ in den Boden. Dabei habe ich mir beide Beine angebrochen. Schön symmetrisch, auf jeder Seite viermal. Man hat mir erzählt, dass sich mein Schirm nur teilweise geöffnet habe, weil ich schon so niedrig war, als ich aus dem waidwunden Flieger sprang. Ich lag zirka 200 Meter vom Wrack entfernt. Zum Glück brach kein Feuer aus. Nicht mal zehn Minuten später kam ein Hubschrauber und brachte mich ins Krankenhaus (den Erfindern der ELT-Technologie muss ich unbedingt einen Dankesbrief schreiben). Das Wrack ließ man zunächst liegen. Wegen der Klagen musste es einen Monat später geborgen und der NTSB zur Verfügung gestellt werden.
Absprung aus der Yak-52
In den folgenden Wochen ging’s mir den Umständen entsprechend nicht schlecht. Die Brüche heilten gut, und auch seelisch verkraftete ich den Vorfall robust. Die FAA sagte mir gleich nach dem Unfall, ich käme nicht um eine psychologische Post-Stress-Therapie herum, wenn ich den CPL behalten wolle. Sollte ich zurück nach Deutschland müssen, könne ich diese drei, vier Behandlungen aber auch dort „absitzen“. In der Zwischenzeit hatte ich weder Albträume noch Depressionen oder Angstzustände. „Den Crash hast du verarbeitet“, dachte ich.
Von wegen: Nach ungefähr drei Monaten stellten sich Schlafstörungen ein. Meine Post-Stress-Geschichte entwickelte sich zu einem Psychokrieg zwischen mir, dem US-Militär, der FAA und dem Verband der amerikanischen Eigenbauer (EAA). In Deutschland fand ich keinen FAA-zugelassenen Luftfahrtpsychologen; so übertrug man dem US-Militär mein „de-stressing“. Um eine vor Unfähigkeit geradezu triefende Geschichte kurz zu machen: Hätte sich die EAA nicht so vehement für mich eingesetzt, wäre ich meine US-Lizenz jetzt wohl los. Denn im Verlauf der Behandlung hat mich das Militär sogar als einen Autisten bezeichnet, der in eine geschlossene Anstalt gehöre. Auf Drängen der EAA wurde Ende Juli ein Luftfahrtpsychologe aus England eingeflogen, der mich nach einem Gespräch von 30 Minuten sofort tauglich schrieb. Bis dahin hatte ich schon über 20 völlig überflüssige viertägige Sitzungen über mich ergehen lassen müssen. Von den angefallenen Kosten dafür ganz zu schweigen.
Ich habe nach dem üblichen Check-out-Ride eine Cessna 172R gechartert und die Wüste wieder aus der Luft genossen
Ende Oktober vergangenen Jahres saß ich in einer Linienmaschine nach Phoenix. Diesmal, um als Zeuge im Verfahren gegen die Flugschule auszusagen. Man hatte deren frühere Manager alle entlassen und musste die Regeln für die Flugzeugvercharterung komplett umkrempeln, um unter der verschärften Beobachtung durch die FAA zu bestehen. Leider fand ich unter den Angestellten kein einziges bekanntes Gesicht mehr wieder. Niemand schien sich an den Vorfall erinnern zu können. Oder zu wollen. Wie auch immer – ich habe nach dem üblichen Check-out-Ride eine Cessna 172R gechartert und die Wüste wieder aus der Luft genossen. Ich gehöre keiner Kirche an, aber glauben Sie mir, das war wie ein Geschenk Gottes! Erst seit dem geht es mir seelisch wieder wirklich gut.
Im ersten Verfahren wurde die Flugschule freigesprochen. Die entlassenen Manager müssen sich aber wahrscheinlich einer weiteren Klage stellen. Die FAA wirft ihnen vor, die Yak kommerziell verchartert zu haben, obwohl diese eben nur als Experimental zugelassen war. Der Versuch, die Klage auf mich zu schieben, misslang. Laut FAA war ich nicht dazu verpflichtet, jedes Mal zu hinterfragen, ob meine Fluggäste – von denen ich ja nichts erhielt – der Flugschule etwas bezahlt haben und wenn ja, wofür. So weit so gut. Seit dieser Eskapade bin ich wieder rund 70 Stunden geflogen. Zuletzt auf einer CJ6 Nanchang (eine chinesische Konstruktion, die auf der Yak-52-Vorgängerin Yak-18 basiert), vom Falcon Field aus, das liegt östlich von Phoenix. Das Einzige, was mich bis heute wirklich ärgert: Mein damaliger Fluggast hat sich nicht ein einziges Mal persönlich bei mir gemeldet, geschweige denn sich für die Rettung seines Lebens bedankt. Na ja, wenigstens habe ich dafür gesorgt, dass er mich noch verklagen konnte. In diesem Fall war das Glück aber – fairerweise – nicht auf seiner Seite.
Text: Felix Gadow, fliegermagazin 2/2007
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