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Durchstartmanöver
Misslungene Landungen nehmen in der Unfallstatistik einen der vorderen Plätze ein. Deshalb gibt es nur eine richtige Entscheidung, wenn’s mal nicht passt: Go around! Was ist beim Durchstarten zu beachten? Und wie kommt man schnell zur richtigen Entscheidung?
Hin und wieder ist im Endteil kurz vor dem Touchdown irgendwie der Wurm drin. Jeder Anfänger weiß, was dann zu tun ist: Durchstarten. Trotzdem fällt die Entscheidung häufig anders aus. Ein Grund ist womöglich, dass das Manöver bei den Zuschauern im Flugplatzcafé oft als wenig souverän ankommt. Das Gegenteil aber ist der Fall. Denn der Go around ist immer auch eine Entscheidung für die Sicherheit.
Nochmal um den Block
Abgesehen von Übungsanflügen werden Piloten meist durch kritische Situationen zum Abbruch des Landeanflugs gezwungen: Gegenstände oder Flugzeuge auf der Piste, überhöhte Anfluggeschwindigkeit, starke Seiten- oder Rückenwindkomponente, schlechte Sicht wegen tief stehender Sonne oder plötzlicher Wechsel der Landerichtung. Außerdem sind Böen im Endanflug oder eine schlechte Einteilung des Piloten häufig Ursache für einen Go around. Oft ist das Flugzeug dann in eine kritische Fluglage oder in eine versetzte Position zur Pistenachse und zum Gleitweg geraten. Obwohl der Go around meist dazu dient, eine kritische Situation zu entschärfen, kann das Manöver selbst zur Gefahr werden. Besonders wenn Hektik im Cockpit aufkommt, sind Fehler programmiert. Deshalb gilt: die Entscheidung zum Durchstarten besser zu früh als zu spät treffen. Ein stressfreier Ablauf erhöht die Sicherheit deutlich.
Wenn das Manöver erst in Ausschwebhöhe eingeleitet wird, bedeutet dies manchmal auch eine erhöhte Handlungsdichte. Selbst dann besteht aber kein Grund zur Panik, wenn die notwendigen Handgriffe wie gewohnt konzentriert ausgeführt werden. Das Flughandbuch ist Maß aller Dinge, aber allgemein gilt: Zuerst alle Leistungshebel nach vorn, also Vollgas setzen, Propverstellung auf kleinste Steigung, Gemischhebel auf reich. Die letzten beiden Punkte haken viele Piloten bereits vorsorglich im Landeanflug ab.
Anschließend je nach Handbuchempfehlung Klappen auf Stufe eins einfahren (wenn vorher voll ausgefahren) und die Geschwindigkeit für den besten Steigwinkel Vx einnehmen. Das eventuell vorhandene Einziehfahrwerk hat Zeit, bis eine positive Steigrate sicher und der Abstand zum Boden ausreichend ist. Ein kurzes Touchieren des Bodens ist nämlich beim Durchstarten manchmal unvermeidlich. Klappen voll einfahren, wenn die entsprechende Speed erreicht ist. Bei einem frühzeitig geplanten Durchstartmanöver (etwa bei einem ILS-Anflug in der Entscheidungshöhe) ist das Risiko jedoch sehr gering, in eine prekären Fluglage zu geraten.
S-Kurven nur im Notfall
Oft zwingt ein zu hoher Anflug zum Durchstarten. Wenn man trotz voll gesetzten Klappen und korrekter Anfluggeschwindigkeit kaum sinkt, könnte das Flugzeug in der Endanflugkurve in einen Thermikschlauch geraten sein. Durch Slippen ist ein passender Anflug oft noch zu schaffen, bei manchen Flugzeugen wird allerdings im Betriebshandbuch davon abgeraten, oder der Seitengleitflug ist sogar ganz verboten. Die überschüssige Höhe durch zügig geflogene S-Kurven abzubauen, ist nur bei einem akuten Notfall zulässig. Auch bei einem zu flachen Anflugpfad, der noch vor der Schwelle ins Gelände führen würde und nicht mehr gefahrlos zu korrigieren ist, kommt man durch einen Go around wieder in sichere Höhe. Dann kann der Pilot den Anflugwinkel beim zweiten Versuch passender planen oder im Zweifel frühzeitig korrigieren.
Sind vor der eigenen Maschine noch andere Flugzeuge im Endanflug, kann der Pilot die Situation entschärfen, indem er von der Anfluggrundlinie auf die „dead side“ außerhalb der Platzrunde wegkurvt und mit ausreichend Abstand parallel zur Piste durchstartet. Dabei ist der Flugbetrieb über und auf der Bahn gut zu beobachten. Der Turn sollte aber nicht in Steilkurven geflogen werden, flaches Abdrehen reicht aus und bannt die Stall-Gefahr bei erhöhter Schräglage. Seitlich über dem Pistenende geht man dann in den Steigflug über, auf diese Weise bleiben auch Flugzeuge, die ebenfalls durchgestartet sein könnten, in Sicht. Erst wenn die vorausfliegenden Maschinen in den Querabflug eindrehen, folgt man in sicherem Abstand.
Psychologische Faktoren
Gefährliche Situationen entwickeln sich teilweise auch aus eigentlich unproblematischen Anflügen, beispielsweise bei Wettbewerben. Besonders bei der Disziplin Ziellandung erliegen Teilnehmer solcher Veranstaltungen schon mal der Versuchung, ein gutes Abschneiden in der Konkurrenz höher zu bewerten als eine saubere Landung.
Manche Piloten verzichten im Eifer des Gefechts sogar in kritischen Situationen auf einen sicheren Go around, und setzen stattdessen in deutlich überzogenem Flugzustand möglichst nahe an der Schwelle hart auf. Psychologische Faktoren spielen dabei eine große Rolle: Durch die Angst vor einer vermeintlichen Blamage oder den Wunsch, zu den Besten zu gehören, bleiben vorausschauendes Handeln und Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer manchmal auf der Strecke. Eine erzwungene Landung kostet im günstigsten Fall ein Paar Reifen. Aber auch eingeknickte Bugräder oder sogar Kopfstände und Überschläge können die Folge sein. Besser ist im Zweifel immer der Go around. Seinen guten Ruf behält man damit allemal. Wer sich und andere dagegen aus sportlichem Ehrgeiz heraus gefährdet, hat hinterher wenig gute Argumente auf seiner Seite.
Beim Ausschweben ist höchste Vorsicht geboten
Vergleichsweise kritisch ist der Go around, wenn die Entscheidung zum Durchstarten erst beim Ausschweben kommt: Geringe Fahrt und Bodennähe verlangen sensible Steuerimpulse. Selbst in dieser kritischen Flugphase sollte die Flugzeugnase aber nicht zu weit über den Horizont gezogen werden, denn durch die beschleunigte Anstellung um die Querachse tritt der Stall früher ein als bei einem statischen Strömungsabriss. Ob beim Go around in Bodennähe Räder oder Klappen zuerst eingefahren werden sollten, kann je nach Muster variieren: Die Reihenfolge der Konfiguration ist in jedem Fall von der effektiveren Widerstandsreduktion abhängig.
Manche Landeklappen können mehr Widerstand verursachen als die Räder. Umgekehrt erzeugen manche Fahrwerksklappen beim Öffnen des Fahrwerkschachts vor dem Einziehen der Räder ihrerseits einen größeren Widerstand als die Flaps.Außer dem Standardszenario (zu hoch und zu schnell) sind auch zu tiefe Anflüge nahe an der Stallspeed problematisch. Besonders auf Pisten in hügeligem Gelände können Abwinde mit Leewirbeln zu weiterem Höhen- und Fahrtverlust führen. Ist man im Final zu langsam oder zu niedrig unterwegs, kann zwar mit Schleppgas und Höhenruder korrigiert werden. Im Extremfall sollte der Pilot die Landung aber abbrechen und einen neuen Anflug mit besserer Einteilung planen. Ein leicht überhöhter Anflug führt dann oberhalb des Wirbelkeils zur Aufsetzzone.
Früh entscheiden!
Bei Landungen auf kurzen Pisten, möglicherweise mit Hindernissen im Abflugbereich entlang der verlängerten Centerline muss die Entscheidung zum Go around sehr früh fallen. Zu große Verzögerung kann Hindernisberührung bedeuten und zu spätes Aufsetzen das Überschießen der Bahn. Selbst wenn in der Pistenverlängerung hohe Hindernisse zu überfliegen sind, sollte der Pilot aber nicht sofort den größtmöglichen Steigwinkel eingenehemen, sondern noch bis zum Erreichen der Vx (für maximales Steigen) im Bodeneffekt beschleunigt. Auch hier gilt, wenn das Handbuch nichts anderes sagt: manuell betriebene Landeklappen nicht ruckartig einfahren, sondern ähnlich wie bei elektrischen Systemen behutsam zunächst auf Startstellung (8 bis 10 Grad) setzen und bei sicherer Fahrt in 200 Fuß GND vollständig einfahren.
Beim Durchstarten werden die Antriebseffekte umso stärker wirksam. Die Ausbrechtendenz durch den abrupt einsetzenden Korkenziehereffekt und das Propeller-Rückdrehmoment (Torque) verlangt koordiniertes Gegensteuern mit dem Seitenruder. Beide Momente verstärken sich gegenseitig, sodass eine hängende Fläche gleichzeitig schneller Fahrt verliert. Dadurch ist der Stall hier zuerst erreicht, ein hastiger Querruderausschlag in Bodennähe kann den Strömungsabriß jetzt noch beschleunigen. Steht die Trimmung in dieser Situation darüber hinaus deutlich auf schwanzlastig, dann will sich das Flugzeug aufrichten, da bei full power der Propellerstrahl das Leitwerk ganz umströmt und das Höhenruder entsprechend beaufschlagt. Bei manchen Flugzeugen ist die Propellerachse um einige Grade nach vorne unten geneigt, was bei Leistungser-höhung – besonders bei Tiefdeckern – zu einer Nickbewegung führt und somit einem zu großen Anstellwinkel vorbeugt.
Unnötige Korrekturen vermeiden
Häufig reagieren Piloten bei schlampigen Anflügen auch mit überflüssigen Korrekturversuchen. Verfehlt der Pilot die Piste, so sollte er beim Durchstarten nicht wenige Meter über dem Boden versuchen, wieder über die Centerline zu kommen, sondern parallel zur Bahn geradeaus fliegen und erst in stabiler Fluglage in den Steigflug übergehen.
Besonders wichtig ist während des gesamten Durchstartmanövers, die Maschine bei jeder Bewegung gut im Griff zu haben. Gerade in Bodennähe kann schon der kleinste Kontrollverlust fatale Folgen haben. Böen, Wirbelschleppen, Seitenwind und durch thermische Ablösungen verursachte Wechsel der Windrichtung erfordern erhöhte Aufmerksamkeit. Nicht nur für VFR-Piloten gehört der Go around bei immer dichterem Verkehrsaufkommen zu den wichtigsten Manövern. Auch bei Instrumentenanflügen kann die Entscheidung, den Landeanflug abzubrechen, Crew und Passagiere vor einem Crash bewahren. Unter bestimmten Umständen, zum Beispiel, wenn die Runway in einer festgelegten Höhe nicht in Sicht ist, wird die Entscheidung sogar durch die Luftverkehrsordnung bestimmt. In solchen Fällen schreibt der Gesetzgeber unmissverständlich vor: Go around.
Text und Zeichnungen: Helmut Mauch; Illustrationen: Eric Kutschke fliegermagazin 11/2010
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