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Die Welt steht Kopf: Kunstflug mit der PC-7
Akroausbildung und Oldtimerfliegen – eigentlich ist das zweierlei. Aber es geht auch anders: Ein Schweizer Pilot hat seine Kunstflugberechtigung auf einem über 60 Jahre alten Militärtrainer erworben.
Auf einmal steht die Welt auf dem Kopf. Über mir der Bodensee, unter mir der blaue Himmel. Beim Blick zur Seite blitzt der Metallflügel des Pilatus P-3 auf (in der Schweiz sind die meisten Flugzeuge männlich). Auf seiner polierten Oberfläche spiegelt sich die Landschaft. Es ist ein Moment der Begeisterung und des Glücks, den ich bei meiner ersten Flugstunde auf dem Schweizer Oldtimer erlebe. Dabei war das noch vor wenigen Monaten überhaupt kein Thema für mich: Kunstflug.
Mit der Cessna 172 unseres Clubs bin ich seit Jahren glücklich und zufrieden unterwegs. Von Zürich aus kann ich problemlos zu einem Alpenrundflug aufbrechen oder einen Wochenendausflug ins benachbarte Ausland unternehmen. Loopings und Rollen habe ich mir immer gerne bei Airshows angeschaut. Bei einer derartigen Gelegenheit ergab sich dann aus einem spontanen Gespräch heraus die Möglichkeit, als Passagier an Bord eines privat betriebenen PC-7 mitzufliegen. Der in den späten siebziger Jahren entstandene Turboprop-Tandemsitzer wird auch heute noch als Ausbildungsflugzeug bei der Schweizer Luftwaffe eingesetzt. Am Flughafen St. Gallen-Altenrhein stellte sich dann heraus, dass es mehr als ein einfacher Passagierflug werden sollte: Zusammen mit einem zweiten PC-7 stand ein Akro-Training auf dem Programm. Also nicht einfach Loopings und Rollen. Sondern Loopings und Rollen in geschlossener Formation.
Kunstflug-Training: Der PC-7 reagiert direkt und geschmeidig
Nach einer halben Stunde ist das Training vorbei, und mein Pilot überlässt mir das Steuer. Über dem Walensee, südlich der Churfirsten, ermutigt er mich, ein paar Figuren zu fliegen. Er erklärt, ich fliege. Es ist eine Offenbarung, augenblicklich. Der PC-7 reagiert so direkt und geschmeidig – die reine Freude! Nicht alles klappt auf Anhieb. Aber alles fühlt sich gut an. Ich erlebe meine ersten Loopings, Rollen und Aufschwünge. Völlig begeistert und fasziniert übergebe ich das Steuer wieder an meinen Piloten und genieße den Rückflug nach Altenrhein.
Nach der Landung dann das unerwartete Angebot: »Wenn Du willst, darfst Du ihn fliegen.« Von der Cessna 172 auf den PC-7? Von einem gemütlichen Kolbenschüttler auf eine militärische Turboprop?
Piloten nd Fluginteressierte sollten unbedingt das Fliegermuseum Altenrhein besuchen
Ein paar Tagen später erliege ich der Verlockung, wohlwissend, dass der PC-7 ein Fernziel ist und vor mir ein langer Weg liegt. Zuerst geht es nämlich auf den Vorgänger des PC-7, den P-3. Das Exemplar, das ich fliegen werde, ist 61 Jahre alt. Es gehört zur Ausstellung des Fliegermuseums Altenrhein. Ein toller Ort übrigens für Piloten und Fluginteressierte – vom Schleudersitz bis zum ausgemusterten Mirage-Aufklärer findet man hier Zeitzeugen der Luftfahrt. Das Besondere in Altenrhein ist, dass die Maschinen auch geflogen werden: Hawker Hunter, de Havilland Venom und Vampire, Boeing Stearman und eben auch Pilatus P-3.
Verstellpropeller und Einziehfahrwerk sind Neuland für mich, und so steht zu Beginn meiner Akroausbildung die Einweisung auf das Muster an. Einen Tiefdecker fliege ich sonst auch nicht. Es geht also zurück auf die Schulbank. Ich klemme mich erstmal hinters Handbuch. Es könnte aus einem Antiquariat stammen: Die Schrift, die Sprache, die Zeichnungen – alles stammt aus einer vergangenen Epoche.
Flugschüler kann Nervösität nicht abschütteln und nimmt sie mit ins Cockpit
Mein Fluglehrer ist ein ehemaliger Kampfpilot der Schweizer Luftwaffe. Er fliegt noch regelmäßig den ausgemusterten Hunter auf Airhows und bei anderen Anlässen. Ob Düsenjäger oder Kolbenschüttler – das ist sekundär; seine Leidenschaft gehört dem Fliegen, und das überträgt sich auf mich als Schüler.
Dennoch kommt vor meinem ersten Flug mit dem P-3 Nervosität auf. Es ist sieben Jahre her, dass ich das letzte Mal als Schüler in einem Flugzeug saß. Seitdem bin ich in den Schweizer Alpen geflogen, habe Vereinsausflüge in Europa gemacht und Flugabenteuer in den USA erlebt. Am Steuer einer Cessna 172 fühle ich mich sicher und wohl. Aber der P-3 ist so anders! Ich kann meine Nervosität nicht abschütteln und nehme sie mit ins Cockpit.
Bei einem Stück Kuchen die einzelnen Flugphasen besprechen
Mein erster Flug führt nach Leutkirch im Allgäu. Im Anflug weiß ich nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Ich bin zu schnell und zu hoch. Wo ist nochmal der Schalter für die Klappen? Und wo muss schon wieder der Propeller-Hebel im Endanflug stehen? Ich bin überfordert. Ich drehe Platzrunden und sitze in einem Flugzeug, das derart anders ist als meine gewohnte Cessna, dass ich ins Rotieren komme.
Nach mehreren Platzrunden das erlösende Angebot vom Rücksitz: Mein Lehrer übernimmt. Ich halte meine Hände locker auf Gashebel und Knüppel und fühle mit. Full stop, Pause. Ich zweifle an mir selbst. Nach mehreren Jahren als Privatpilot bin ich diese Situation nicht mehr gewohnt. Doch mein Fluglehrer weiß mich aufzumuntern. Bei einem Stück Kuchen gehen wir die einzelnen Flugphasen noch mal durch. Als wir wieder in die Maschine steigen, fühle ich mich viel lockerer. Und sieh an, auf einmal klappen die Platzrunden. Es entsteht ein Rhythmus, der sich einprägt. Mir fällt ein Stein vom Herzen.
Zur Feier des Tages gibt es »etwas fürs Gemüt«, wie mein Fluglehrer sagt. Über dem Bodensee, vor der Landung in Altenrhein, drehen wir ein paar Loopings mit diesem bildschönen Flugzeug.
PC-7 war früher ein Jet-Trainer der Schweizer Luftwaffe
Was heute ein Oldtimer ist, wurde in den fünfziger Jahren nicht als Turngerät gebaut, sondern als Jet-Trainer der Schweizer Luftwaffe. Nach der Einführung von Kampfflugzeugen mit Strahltriebwerk wollte man für die Pilotenausbildung nicht mehr verschiedene Muster auf dem Weg zum Jet, sondern nur noch einen Flugzeugtyp für die gesamte Ausbildung. 1966 wurde der P-3 dann mit Turbine versehen und zum Prototyp des PC-7 umgebaut. Mit Kolbenmotor ist er gewissermaßen dessen kleiner Bruder. Sein Zweck bestand nicht darin, fürs Training von Showfiguren herzuhalten. Ein Immelmann beispielsweise war nie als ästhetische Darbietung gedacht, sondern als effektives Ausweichmanöver.
Der HB-RCJ hieß früher A-829. Mit dieser Immatrikulierung diente die Maschine der Schweizer Luftwaffe von 1958 bis 1995 als Schulungs- und Verbindungsflugzeug. Die Pilatus Flugzeugwerke hatten das Muster nach den Anforderungen der Armee entwickelt, weshalb es bezüglich Sichtverhältnissen sowie Start- und Landeeigenschaften den neuen Kampfflugzeugen (de Havilland Vampire und Venom) nahekam.
Auf 7000 Fuß wird das Kunstflugtraining angemeldet
Ursprünglich wollte Pilatus den P-3 mit einem 350 PS starken Boxermotor ausrüsten. Doch weil die gewünschten Aggregate aus Amerika nicht verfügbar waren und die Zeit drängte, wurden die Flugzeuge schließlich untermotorisiert ausgeliefert, mit einem nur noch 240 PS starken Lycoming, der in der Version G0-435-C2A2 allerdings eine Trockensumpfschmierung hat und deshalb kunstflugtauglich ist. Gerade die dürftige Power machte aus dem P-3 aber ein vorzügliches Trainingsgerät für die angehenden Jet-Piloten: Mit dem Handicap bei der Leistung erforderte das Akrobatik- und Luftkampftraining besonderes Geschick.
So ist das auch heute noch. Schon zu Beginn meiner Akroausbildung bekomme ich das zu spüren. Wenn mein Fluglehrer und ich mit dem P-3 an einem warmen Sommertag in Altenrhein abheben, stelle ich mich auf einen gemütlichen Steigflug ein. In der Regel erfolgt der Abflug nach Westen über den See. Dort drehe ich ab, um via Bregenz ins St. Galler Rheintal einzufliegen. Auf 7000 Fuß melde ich mich bei Zürich Information und kündige mein Kunstflugtraining an.
Für die meisten Figuren benötigt der P-3 eine Eintrittsgeschwindigkeit von 280 km/h. Im Horizontalflug schafft er das nicht. Um Fahrt aufzubauen, beginne ich Loop und Immelmann (Aufschwung) mit einem Sinkflug. Dabei orientiere ich mich an der schnurgeraden Bahnlinie neben dem Rhein. Sie ist meine Display-Achse. Bei Tempo 280 die Höhe merken, dann Steuerknüppel zum Bauch ziehen. Die g-Kräfte kommen. Beine und Bauch sind angespannt. Blick zur Seite, dann nach oben. Zug nachlassen. Am Scheitelpunkt Kontrollblick auf Höhe und Geschwindigkeit. Dann wieder Richtung Boden. Tempo aufbauen und ziehen. Wenn alles passt, liegt die Bahnlinie direkt vor meiner Nase: eine sofortige Bestätigung, dass ich die Display-Achse gehalten habe. Ein gutes Gefühl.
Aber es geht gleich weiter, denn beim Checkflug zum Abschluss der Kunstflugausbildung muss ich ein Programm zeigen, das es nun zu üben gilt. Dazu gehören Rolle, Fassrolle und Rückenflug. Trudeln muss dem Prüfer ebenfalls gezeigt werden, aber später gehört das Manöver nicht mehr zum P-3-Programm. Dafür wurde der Typ nicht gebaut.
Kunstflug: Die Perspektive ist und bleibt irritierend
Am meisten Mühe bereitet mir der Rückenflug. Kurzes Ziehen am Steuerknüppel, beherztes Reißen zur Seite, im richtigen Moment stoppen und den Knüppel nach vorne stoßen – es benötigt ein paar Versuche, bis der Ablauf sitzt. Und auch dann bleibt die Perspektive irritierend. Die beste Referenz ist in diesem Moment das Variometer. Wenn es neutral bleibt, halte ich die Höhe.
An einem schönen Frühlingstag steht schließlich mein Checkflug an. Nach den Lektionen mit meinem Fluglehrer fühle ich mich für die Aufgabe gerüstet. Die Figuren klappen, auch der Rückenflug.
Als ich wieder in Altenrhein lande, ist meine Freude riesig, nicht zuletzt, weil ich gleich danach meinen ersten Passagierflug absolviere. Meine Freundin wartet nämlich schon im Flughafencafé und wagt sich als erster Gast bei mir auf den Rücksitz. Wenn das kein Vertrauensbeweis ist!
Und so fliege ich seither den P-3, ein Stück Schweizer Luftfahrtgeschichte, das ich nach dem Flug wieder vorsichtig und ehrfürchtig zurückschiebe auf seinen Standplatz im Museum.
Text & Fotos: Michael Weinmann
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