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Crash beim Take-off: Cessna 414 in Linz – Vereisung und Überladung

Eine Cessna 414 rollt am österreichischen Flughafen Linz mit fünf Passagieren zum Start. Die Piloten geben Gas, die Maschine beschleunigt normal und hebt ab. Plötzlich überschlagen sich die Ereignisse

Von Redaktion

Es ist ein kalter Februartag, als die beiden Berufspiloten frühmorgens kurz vor sechs Uhr Ortszeit in Linz landen. Sie haben die Cessna-Zweimot gerade aus Wien-Schwechat überführt, um hier fünf Passagiere aufzunehmen. Ein ereignisloser Flug, bei dem lediglich Eis an der Flügelvorderkante für erhöhte Aktivität im Cockpit sorgte. Beide Crewmitglieder beobachteten dies mit ihren Taschenlampen, schätzten den Eisansatz aber als so gering ein, dass sie auf die pneumatische Enteisung der Boots vezichteten. Nach dem Boarding soll es weiter nach Stuttgart führen. Bevor er einsteigt, greift einer der beiden Piloten noch einmal an die Fläche und befühlt den Eisansatz, sieht aber keine Schwierigkeiten. Sein Kollege überprüft noch kurz das Querruder und schätzt den Eisansatz dort ebenfalls als unkritisch ein. Nach dem Engine-Check rollt die 414 zur „27“ und beschleunigt.

Bei 105 Knoten rotiert der Pilot. Unmittelbar nach dem Abheben registriert er einen hohen Anstellwinkel, dazu eine leichte Querlage nach links, verbunden mit Gieren in die gleiche Richtung. Um den Kurs zu halten, tritt er ins rechte Seitenruder, da er das Gieren als möglichen Leistungsabfall des linken Motors interpretiert. Auf seine Aufforderung hin fährt der Copilot ungewöhnlich früh das Fahrwerk ein – wohl um den Widerstand zu verringern. Spätestens jetzt läuft der Start völlig aus dem Ruder: Die Zweimot gewinnt keine Höhe, sondern schleppt sich im Bodeneffekt mit hohem Anstellwinkel die Runway entlang. Knapp 1000 Meter nach der Schwelle bekommen die linke Fahrwerksklappe und der linke Prop Bodenberührung. Trotzdem hoffen die Piloten noch auf ein Gelingen des Starts und lassen die Leistung stehen. Sekunden später touchiert auch der Schleifsporn am Heck den Boden, die Fahrt schrumpft. Zu allem Unglück streift noch der rechte Prop den Boden.

Linz: Die Cessna 414 schleppt sich im Bodeneffekt mit hohem Anstellwinkel die Runway entlang

Nun geht nichts mehr: Die Twin schlittert die Bahn entlang und kommt etwa eineinhalb Kilometer nach der Schwelle zum Stehen. Einen Moment herrscht Stille, dann folgt hektische Betriebsamkeit: Der am Einstieg sitzende Fluggast öffnet die Tür, er und alle Insassen verlassen benommen das Wrack. Einer der Passagiere bricht sich bei dem Unfall einen Lendenwirbel, die Cessna erleidet wirtschaftlichen Totalschaden. Warum aber kam die Maschine nicht richtig in die Luft? Die Unfallermittler konzentrierten sich schnell auf zwei Bereiche: Vereisung und Mass & Balance.

Sie stellen unmittelbar nach dem Crash beträchtlichen Eisansatz an der Twin fest. Das gefrorene Nass hat die Vorderkante des Profils im Bereich des Staupunkts für den Sinkflug „modifiziert“ und durch den verkleinerten Nasenradius die aerodynamischen Verhältnisse verschlechtert. Dadurch, so die Unfallermittler, sei es unwahrscheinlich, dass die Strömung an der Oberseite der Flügel nach dem Rotieren mit hohem Anstellwinkel habe anliegen können. Die Folge sei der sackflug-ähnliche Zustand im Bodeneffekt gewesen.

Zudem war die Twin laut den Experten um etwa acht Prozent überladen. Auch der Schwerpunkt lag nach ihren Berechnungen um knapp 37 Prozent außerhalb des erlaubten Bereichs. Die Maschine sei daher stark schwanzlastig gestartet; wegen des Eisansatzes in Kombination mit Überladung und unzulässigem Schwerpunkt kam die Zweimot nicht vom Boden. Als Absturzursachen nennen die Unfallermittler ein ganzes Bündel von Versäumnissen und Fehlern: mangelhafte Flugvorbereitung, Nichtbeachten des Flughandbuchs, Nichtentfernen der Vereisung an Fläche und Leitwerk, acht Prozent Überladung, Schwerpunktlage hinter dem zulässigen Bereich sowie Fehleinschätzung über den Zeitpunkt der Fahrwerksbetätigung. Der Pilot Flying, mit insgesamt über 2500 Stunden, davon 830 auf dem Unfallmuster recht erfahren, war mit diesem Ergebnis der Unfallermittler alles andere als einverstanden. In einem Anhang des offiziellen Unfallberichts legt er Wert auf die Feststellung, dass seiner Ansicht nach ein Fehler des linken Triebwerks aufgetreten sei.

Versäumnisse und Fehler: Überladen und mit Eisansatz an der Zweimot

Durch diesen Motor- oder Turboladerdefekt sei das Flugzeug ins Gieren nach links geraten. Um zu verhindern, dass sich die Twin bei der Landung jenseits der Runway überschlage, habe er seinen Copiloten angewiesen, das Fahrwerk einzufahren. Zum Vorwurf der Überladung gibt er an, dass der Winglocker-Tank – anders als von den Ermittlern eingeschätzt – leer gewesen sei. Deshalb sei die Höchstabflugmasse nicht überschritten worden, der Schwerpunkt habe sich nur „marginal außerhalb des Envelopes“ bewegt. Und auch zum Eisansatz hat der Pilot eine abweichende Meinung: Er besteht darauf, dass nach seinen Messungen sowie denen der Unfallforscher die größte Dicke des Eises sechs Millimeter an der Vorderkante des Tragflügels sowie am Höhen- und Seitenleitwerk betragen habe. Die Folgerung, dass diese seiner Ansicht nach „geringe“ Menge von glattem Eis an der Flügelvorderkante zu einer wesentlichen Veränderung der aerodynamischen Verhältnisse geführt habe, hält er deshalb für „unrichtig“.

Text: Jürgen Schelling, fliegermagazin 12/2006

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