Unfallakte

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Chaos beim ILS-Anflug: Unfall mit Cessna C 500 Citation

Fliegen erfordert zeitweise äußerste Konzentration. Zum Beispiel im IFR-Landeanflug, am Minimum, bei schlechter Sicht – und auf einem neuen Muster

Von Redaktion

Es gibt sicher nicht allzu viele Piloten, die am Steuer eines Bussiness-Jets kreuz und quer über den Globus gondeln. Die meisten von ihnen dürften Berufsflieger sein. Viele sind auch Geschäftsleute, die – oft singlehand – im eigenen oder gecharterten Jet zum nächsten Termin fliegen. Je komplizierter das Muster, desto umfangreicher die Anforderungen: Während man eine Cessna 150 in der Regel schon nach wenigen Flugstunden ganz gut im Griff hat, ist das Handling eines Business-Jets deutlich anspruchsvoller. Nicht umsonst werden komplexere Maschinen überwiegend im Zweierteam gemanagt. Vielleicht sollte sich gerade deshalb jemand, der vorhat, einen Business-Jet allein zu steuern, auch nach erfolgreichem Checkflug immer wieder selbstkritisch fragen: Wie fit bin ich auf diesem Muster eigentlich (noch)? Wie sieht’s mit den Basisverfahren und Systemkenntnissen aus? Viel fliegerisches Wissen gerät mit der Zeit in Vergessenheit. Training frischt das mühsam Erlernte wieder auf – in den meisten Fällen zumindest.

Einem spanischen Piloten half allerdings auch ein Instrumentenflug-Refresher nicht weiter. Das Ausbildungszentrum bescheinigte ihm nach der Schulung: „Trainee is below minimum standard level“. Das war für den Piloten jedoch kein Grund, nicht trotzdem loszufliegen. Er verunglückte mit seinem anspruchsvollen Fluggerät wenige Wochen später, wobei nicht nur grundlegende Instrumentenflug-Verfahren schief liefen … Anfang April 2003 startet der 54-Jährige mit zwei Geschäftsfreunden zu einem privaten IFR- Flug von Barcelona nach Zürich. Einer der beiden – selber Privatpilot – nutzt die Gelegenheit, um an Bord der Cessna C 500 Citation auf dem Copilotensitz mitzufliegen. Dabei kann er den Piloten bei der Cockpitarbeit unterstützen und sich vielleicht den einen oder anderen fliegerischen Kniff abgucken, so seine Überlegung. Schließlich hat der verantwortliche Pilot auf der linken Seite über 2000 Stunden Gesamtflugerfahrung. Nach Instrumenten fliegt er seit drei Jahren und hat dabei knapp 200 Stunden auf verschiedenen Mustern, vorwiegend kolbengetriebenen Zweimots gesammelt.

Anfang April 2003 startet der 54-Jährige privaten IFR-Flug von Barcelona nach Zürich

Der Citation-Jet ist jedoch noch recht neu für den PIC. 38 Flugstunden kann er seit Ausbildungsbeginn auf diesem Muster verbuchen. Zürich hatte er acht Monate zuvor bereits einmal angeflogen – auf seinem Checkflug für die Musterberechtigung der C 500. Danach pendelte der Hotelier auf dem Jet hauptsächlich in mediterranen Gefilden zwischen Barcelona und den Balearen. Nach den üblichen Flugvorbereitungen hebt der Zweistrahler um 10.00 Uhr vom Airport Barcelona ab und fliegt gemäß Flugplan Richtung Zürich. Bis 11.23 Uhr verläuft der Flug ohne besondere Zwischenfälle. Die Maschine befindet sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Züricher Luftraum, südwestlich des Schweizer Großflughafens. Sieben Minuten später wird der Pilot vom Züricher Lotsen aufgefordert, der Standardanflugroute BERSU 3E zu folgen und beim Wegpunkt EKRIT ins Holding einzufliegen. Als Estimated Approach Time bekommt die Besatzung 12.05 Uhr zugewiesen. Kurze Zeit später wird die Maschine zum Sinkflug auf Flugfläche 170 freigegeben.

Gegen 11.40 Uhr hört der befreundete „Copilot“ die ATIS von Zürich-Kloten ab. Demnach ist für den Anflug ein ILS auf die Piste 14 zu erwarten. Der Jet nähert sich derweil mit rund 220 Knoten dem Wegpunkt EKRIT. Kurz davor – so belegen die Aufzeichnungen des Cockpit Voice Recorders – entbrennt zwischen den beiden Männern eine Diskussion, wie korrekt ins Holding einzufliegen sei. Da es sich um ein Right-hand-Holding mit einem Inbound-Track von 67 Grad handelt und der Anflug laut Karte auf einem Kurs von 330 Grad erfolgt, muss die Maschine mit einem Parallel-Entry in die Warteschleife einfliegen. Nach dem Überflug des Wegpunkts kurvt der Jet wie vorgeschrieben zunächst nach links auf den Outbound-Kurs, dreht dann aber – während der Pilot seinem Sitznachbarn die korrekten Holdingverfahren erklärt – nach rechts (anstatt nach links).

Ein Radarplot belegt darüber hinaus große seitliche Abweichungen gegenüber dem veröffentlichten Verfahren und immer wieder Kursänderungen. Vermutlich wurde das Flugzeug zwar mit dem Autopiloten, jedoch im Heading Mode gesteuert, also durch Drehen des Headingbugs. Die automatische Kursführung des Nav-Mode, die das Flugzeug (bei richtiger Bedienung) immer genau auf dem vorgegebenen Track hält, war vermutlich nicht aufgeschaltet. Während der Pilot mit dem Briefing für den Anflug beginnt, wird die Maschine vom Lotsen auf Flugfläche 130 freigegeben. Immer wieder – beim Anflug von Großflughäfen keine Seltenheit – funkt ATC mit Fluganweisungen da- zwischen. Das Approach-Briefing verläuft stockend. Mehrmals wiederholt der Spanier den Anflugkurs „one three seven“ auf das ILS 14. Die Erwähnung des Minimums geht aus den Aufzeichnungen des Cockpit Voice Recorders nicht hervor. Das Briefing bleibt lückenhaft.

Um 11.53 Uhr ruft der Pilot Zürich Arrival und erhält Anweisung, die aktuelle ATIS abzuhören und zunächst noch in Flugfläche 130 im Holding zu bleiben. Bevor er sich erneut mit dem Anflugbriefing befasst, wiederholt der Spanier auf Anfrage seines Sitznachbarn, was der Controller gesagt hat. Etwa drei Minuten lang wird das Funkgespräch erklärt. Außerdem zeigt und erläutert der Pilot das zu erwartende Nav-Setting. Immer wieder kommen von der rechten Seite Fragen und Feststellungen, die mit dem eigentlichen Fluggeschehen wenig zu tun haben. Der Pilot antwortet zunehmend gereizt. Dann kommt noch der Funk dazu: Holding verlassen, weiter sinken auf Fläche 100, Heading 320 Grad, Speed auf 210 erhöhen – „40 Miles to touchdown“. Die Arbeitsbelastung im Cockpit steigt rapide. Jetzt soll der Co das DME vom Kloten-VOR rasten. Er verlangt seinerseits, vom Piloten nicht mehr angeschrien zu werden. Schließlich bittet der Lotse den Flugzeugführer, wenn er schon ATC-Meldungen falsch zurücklese, wenigstens sein Rufzeichen mitanzugeben.

Anflug auf Zürich: Die Arbeitsbelastung im Cockpit steigt rapide

Währenddessen nähert sich die Maschine der Anfluggrundlinie. Frequenzwechsel zu Zürich Final. Kurze Pause im Funk. Vielleicht eine Chance, das Durcheinander mit einem Konzentrationsschub wieder zu lichten. Was ist wichtig, was dringend? Dann ein neues „Problem“. Die Citation soll Flugfläche 60 beibehalten. Zwischen den beiden Piloten entsteht eine Auseinandersetzung, ob (!) und welches QNH gesetzt werden muss. Gereizte Ratlosigkeit im Cockpit. Im Funk eine Heading-, eine Speedanweisung. Dann die Freigabe auf 4000 Fuß mit einem QNH von 1021 hPa.

Um 12.04 Uhr wird die Citation auf einem Steuerkurs von 110 Grad auf das ILS der Piste 14 geführt. Die ILS-Freigabe liest der Pilot beim zweiten Mal sinngemäß richtig zurück – die Maschine rauscht derweil auf einem Heading von 110 Grad durch den Localizer. Sekunden später: „Confirm, you’re catching up the ILS?“ „Positive“, der Jet dreht nach rechts, die Richtung stimmt. Dafür ist jetzt die Höhe verkehrt. Der Lotse macht den Piloten darauf aufmerksam, dass er bereits auf 3600 Fuß sei, 4000 Fuß aber erst bei acht DME verlassen dürfe. Die Korrektur mündet darin, dass die Citation bei sieben DME über dem Gleitweg fliegt. Noch sechseinhalb Meilen bis zur Schwelle „14“. Aus dem Äther eine Warnung an den anfliegenden Verkehr: „All stations, runway visual range now 1400 meters, showers of snow coming overhead the field and the final …“

Um 12.04 Uhr wird die Citation auf einem Steuerkurs von 110 Grad auf das ILS der Piste 14 geführt

Einen Augenblick später fragt der Controller, ob die Citation jetzt auf dem ILS stabilisiert sei, was der Pilot bestätigt – 200 Fuß überm Gleitweg. Ein letzter Frequenzwechsel vor der Landung. In dieser Flugphase übernimmt der „Copilot“ die Einstellung der Sprechfunkfrequenzen. Er macht den Piloten darauf aufmerksam, dass jetzt wirklich exakt geradeaus (!) zu fliegen sei, da sich seitlich ein „2500 Meter (!) hoher Turm“ befände. Mit großer Wahrscheinlichkeit ist aber ein Hindernis gemeint, das bereits drei Meilen hinter der Maschine liegt und mit einem Turmsymbol und der Höhenangabe „2560 ft“ bezeichnet ist. Eine Antwort bleibt aus. Die Schwelle naht. Schließlich der Vorschlag von rechts, die Klappen voll auszufahren. Warum eigentlich nicht? Landefreigabe vom Lotsen. Bestätigung. Wo bin ich? Genau, die Checkliste: „Flaps full, gear down“, final checklist completed – oder?

Der Business-Jet nähert sich der Entscheidungshöhe von 1602 Fuß. Distanz zur Schwelle: wenige hundert Meter. Minimum. Keine Erdsicht, keine Lampen, kein Go-around. Der Co bittet darum, unbedingt den Autopiloten weiter fliegen zu lassen. Wenige Sekunden später ruft er: „Die Piste, dort … siehst du sie? Sehr gut, wir sind gut dran. Lass ihn, lass ihn, er soll absinken …“ Momente später zeichnet der CVR Geräusche eines auf der Grasnarbe schlitternden Flugzeugs auf. Vor dem Precision Approach Path Indicator (PAPI) der Piste 16 kommt die Maschine zum Stehen. Alle drei Insassen bleiben bis auf leichte Blessuren unverletzt. Unmittelbar nach dem Unfall gibt der Pilot zu Protokoll, dass er kurz vor der Landung Probleme mit der rechten Turbine gehabt habe. Untersuchungen ergeben, dass beide Triebwerke einwandfrei funktionierten.

Zum Zeitpunkt des Unfalls zog von Nordosten eine Schauerzelle mit starken Abwinden durch den Anflugbereich der „14“. Diese Scherwinde könnten zusätzlich zum Chaos im Cockpit dazu beigetragen haben, dass der Jet im Gras landete. Die Experten des Schweizer Büros für Flugunfalluntersuchungen haben diesen Unfall sehr ausführlich untersucht und beschrieben. Die Zusammenfassung der Ursachen fällt dagegen kurz und bündig aus:
1.) Der Pilot setzte den Anflug mit ungenügenden Sichtreferenzen unterm Minimum fort und machte keine Anstalten, ein Fehlanflugverfahren einzuleiten
2.) Er hatte nur ungenügende fliegerische Qualifikation auf dem Unfallmuster.
3.) Der Pilot wurde während des gesamten Anflugs und am Minimum von dem rechts mitfliegenden Mann abgelenkt.

fliegermagazin 4/2008

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