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Buschfliegen lernen
Die Flugschule FlyAdventure am Glenforsa Airfield bringt Piloten das nötige Handwerk bei, um mit einem Buschflugzeug in der freien Wildnis zu starten und zu landen. Nach dem fünftägigen Lehrgang sind auch Touren durch Alaska überhaupt kein Problem mehr
Wer sich auf die Wildnis vorbereiten will, muss nicht weit reisen – bis Glenforsa in Schottland genügt. Dort steht die Basis von FlyAdventure. Gegründet wurde die Flugschule von den beiden deutschen Piloten Henrik Polzer und Thomas Nellinger, die gleichermaßen Abenteurer und Naturliebhaber sind. Das wollte ich mir einmal näher ansehen.
In Glenforsa entsteht die neue Basis
Fünf Jahre lang hat Henrik in Alaska das Buschfliegen gelernt. Dann hatte er die Idee, das Konzept nach Europa zu bringen. Er überführte seine stark modifizierte Piper PA-18 Super Cub von Anchorage nach Schottland und verbrachte einen Sommer mit der Suche nach unberührten Gegenden, wo er landen konnte. In Schottland ist das nämlich überall dort mit einem Flugzeug erlaubt, wo der Grundstückbesitzer nichts dagegen hat. Mit seinem Geschäftspartner Thomas, Fluglehrer mit CPL-IR-, CFI- und CFII-Lizenzen, entstand die Basis an der wunderschönen Piste von Glenforsa auf der Isle of Mull im Nordwesten Schottlands.
Von dort aus fliegen sie heute – und dort steht auch das Hotel aus norwegischem Holz, in dem ihre Flugschüler eine Woche lang wohnen, sobald sie einen der begehrten Kursplätze gebucht haben. Das urige Hotel gehört Brendan und Allison Walsh, die in der Fliegerszene auch dafür bekannt sind, dass sie sich lange Zeit um die Sammlung historischer Flugzeuge des Pink-Floyd-Gitarristen David Gilmour gekümmert haben. Heute leiten sie den Flugplatz Glenforsa, und das zum Hotel gehörende Restaurant soll bald sogar einen Michelin-Stern erhalten. Die 730 Meter lange Rasenpiste wird – volles Klischee! – von Schafen kurzgehalten.
Die Isle of Mull ist auch per Linienflug zu erreichen
Wer nicht selbst per Flugzeug anreist, erreicht Glenforsa per Linienflug über Glasgow oder Edinburgh. Von dort gibt es einen Transfer – entweder ist man mit einer Piper in dreißig Minuten am Ziel oder man genießt die etwa vierstündige Auto- und Fährfahrt bis zum Quartier auf der Isle of Mull, einem Ort, der so gar keinen keinen Stress zu kennen scheint. Mit einer Mischung aus Fliegen und Sightseeing ist das Programm sowohl intensiv als auch erholsam.Gleich am ersten Morgen geht’s los mit einem Theoriekurs über die Besonderheiten des Fliegens von STOL-Flugzeugen (für „short take-off and landing“), über die Sicherheit und die Überlebensausrüstung. Allein schon die extrem modifizierte und für IFR-Flüge ausgestattete PA-18 ist ein Kapitel für sich!
Auf der Isle of Mull ist Stress ein Fremdwort
Henriks Super Cub wurde von Airframe Alaska gebaut, ihr Triebwerk leistet 170 PS, für die zahlreichen Umbauten waren 25 Ergänzende Musterzulassungen (STC) nötig. Sie ist ein Dreisitzer mit einem Leergewicht von 385 Kilogramm (im Gegensatz zu 453 Kilo bei einer normalen Super Cub). Durch das auf 997 Kilo erhöhte MTOM kann die N162AW das Eineinhalbfache ihres Eigengewichts tragen, die Zuladung liegt bei 612 Kilogramm. Mit vollen Tanks (257 Liter inklusive Belly-Pod) liegt ihre Endurance bei zehn Stunden. Im beheizbaren Rumpf der Spezial-Cub sind zwei Fächer für Gepäck, außerdem wurde er so angepasst, dass eine Person darin übernachten kann. Weitere Besonderheiten sind eine eingebaute Vorwärmung für den Motor sowie Vortex-Generatoren für Tragfläche und Leitwerk. Frisch zertifiziert ist das Alaskan Landing Gear von Beringer einschließlich neuer Bremsen. Wenn die gewaltigen Tundra-Räder nicht mehr weiterhelfen sollten, ist die Cub auch für den Betrieb auf Ski und Schwimmern zugelassen. All das macht die „Alpha Whisky“, die ihren Namen im Land des Single Malts völlig zu Recht trägt, zur perfekten Maschine, um dort hinzugelangen, wo die Erde noch nie von Asphalt bedeckt worden ist.
Geschwindigkeit ist beim Buschfliegen Nebensache
Gut – schnell geht das nicht, denn Geschwindigkeit zählt nicht zu den Stärken dieses Schlachtrosses. Aber dafür lässt sich die Schönheit der schottischen Landschaft umso länger aus den großen Panoramafenstern der Cub genießen. Wenn man das Glück hatte, beide Gegenden bereits kennengelernt zu haben, stellt man fest: Fliegerisch ist Schottland anspruchsvoller als Alaska (das dafür grandioser ist). Der Einfluss des Ozeans, die vielen Erhebungen, der Wind und die teils sehr unwirtliche Landschaft machen das Fliegen komplexer. Der Pilot lernt hier ein neues Universum kennen, gleichermaßen rau und schön.
Fliegen in Schottland ist aber nicht etwa ein „Alaska für Arme“, sondern ein gutes Training, falls man eines Tages den 49. US-Staat doch noch aus Pilotensicht kennenlernen will. Ein weiterer Vorteil: Die Grizzly-Bären haben den Weg nach Schottland noch nicht gefunden – ein Stressfaktor weniger. Mein erster Praxistag beginnt mit einer sehr dynamischen Wetterlage. Eine Warmfront zieht heran, der Wind weht mit 23 Knoten, in Böen mit 35, doch die Richtung passt, genau auf die Piste 26. Um uns herum fallen Regenschauer, doch sie sind klar abgezirkelt und lassen sich sehr gut umfliegen.
Schlechtes Wetter hält einen Buschpiloten nicht auf
Wenn das Wetter in Schottland schlecht ist – man sagt hier allerdings eher, es werde mehrmals täglich schön –, gibt es meist immer noch einen Weg oder ein Schlupfloch hindurch.Gas rein mit gesetzten Bremsen, das Heck hebt sich. Ich umfasse den Klappenhebel. Bremsen los! Sobald die Speed ansteigt, fahre ich die Klappen mit einer weichen Bewegung bis zur dritten Stufe aus, ohne einzurasten. Das bringt die Räder vom Boden. Wir bleiben im Bodeneffekt, nehmen weiter Fahrt auf, dann Klappen rein, trimmen, trimmen, trimmen … und wir haben nur 40 Meter gebraucht.
Ich sitze vorn, während Henrik und Thomas hinter mir aufpassen, dass ich ihren Anweisungen folge. Der Blick auf den Mull-Fjord ist herrlich! Erstes Tagesziel: die Insel Jura. Unter uns formen einzelne Inseln und Felsen die Küste. Diese herbe Gegend hat nur wenige Bewohner. Wir fliegen entlang der Scarba-Felsen, kommen am imposanten Corryvreckan-Strudel vorbei, genannt „der Schlund“, weil die Strömung dort so extrem ist. Bis zu zehn Meter hohe Wellen entstehen hier zuweilen. Jura, direkt vor uns, ist eine der wildesten Inseln der Inneren Hebriden. Der Name bedeutet Hirsch-insel, und Tiere sind hier in der Tat sehr häufig anzutreffen – in ganzen Herden auf den Hügeln. Hier hat George Orwell seinen Roman „1984“ geschrieben.
Landen am Strand – so geht’s!
Unser Ziel ist es, auf einem der kleinen versteckten Strände zu landen, die FlyAdventure ausfindig gemacht hat. Wir prüfen die Landezone … aha, Niedrigwasser, wie vorher gecheckt. Gibt es dort Tiere? Es ist in Schottland keinesfalls selten, am Strand auf Seehunde, Ziegen oder Schafe zu treffen. Gibt es an Land gespülte Gegenstände oder Felsen? Woher kommt der Wind? Hier gibt es keinen Windsack, keinen Flugleiter – wir müssen die Natur beobachten, Wind und Abdrift einschätzen, das Gekräusel auf der Wasseroberfläche. Die Natur selbst ist das Anflugblatt, und es will richtig gelesen werden. Vor der endgültigen Landung prüfen wir bei einem niedrigen Überflug und einem ersten Kontakt der Räder, wie fest der Sand ist. Achtung: Auf ein- und demselben Strand kann er sehr unterschiedlich beschaffen sein. Hier verändern sich die Pisten fast täglich, und Buschfliegen lernen heißt beobachten lernen und sich anpassen.
Im Cockpit zurücklehnen? Geht nicht, es gibt zu viel Arbeit. Zwischen steuern, Gas geben, trimmen sind noch viele andere Dinge zu tun, vor allem: Kopf nach draußen, beobachten, Bezugspunkte behalten, Hindernisse umgehen und ein wachsames Auge auf die Motorinstrumente haben. Vergaservorwärmung nicht vergessen! Zwischen frischer Temperatur und hoher Luftfeuchtigkeit kommt es schnell zu Vereisung. Der Strand ist frei, ich bin zur Landung entschlossen. Ab in den Endanflug. Ich habe 250 Meter Platz vor mir, Klappen auf Stufe zwei, das Flugzeug ist ausgetrimmt. Ich spiele mit dem Gas, gleiche Böen aus. Dann haben die riesigen Tundra-Reifen Kontakt. Jetzt nur nicht bremsen oder den Knüppel nach vorn drücken, sonst gräbt sich das Fahrwerk ein, oder wir machen einen Kopfstand. Nach 40 Metern steht die Maschine. Motor aus, Flugzeug gesichert.
Flugzeug oder doch ein Hubschrauber?
Ich steige aus, das Gesicht vom Wind umspielt und mit dem Gefühl, der einzige Mensch auf der Welt zu sein – oder doch auf dem Mars? Ein unglaublich gutes Gefühl von Leben, von Freiheit. Nach einem kurzen Abstecher zu einem Süßwasser-Loch, um die Räder von Sand und Salz zu befreien (Buschflieger nennen das Wheel Washing), wenden wir uns in Richtung Berge und nehmen es mit starkem Gegenwind auf.
Thomas erzählt mir, dass ihn ein Lotse schon mal via Funk erstaunt gefragt hat, ob er wirklich ein Flugzeug oder nicht doch ein Hubschrauber sei? So niedrig ist die Geschwindigkeit über Grund an manchen Tagen. Dennoch erreichen wir einen namenlosen, braunen und mit Torf überzogenen Gipfel. Henrik versucht mir zu beschreiben, an welcher Stelle er landen will. Wirklich schwierig, sie zu finden; zweifellos verlässt man bei solchen Vorhaben die Komfortzone und bewegt sich jenseits dessen, was man bisher gesehen und erlebt hat.
Buschfliegen bestimmt die Grenzen neu
Der Wind weht mit geschätzten 35 Knoten, zum Glück gleichmäßig. Das Flugzeug sinkt, berührt schon vor dem geplanten Landepunkt kurz den Boden. Wir nähern uns dem Punkt mit Schleppgas, Klappen auf dritter Stufe. Der Fahrtmesser zeigt nichts Verlässliches mehr an, Bodenkontakt bei irgendwas um die 20 Knoten. Nach weniger als sechs Metern steht die Maschine. Klappen rein, umtrimmen, Gas – und eine Spannweite weiter sind wir schon wieder in der Luft. Flugzeug oder Hubschrauber? Nach diesem Manöver komme ich in der Tat ins Grübeln.
Zwei Flugstunden später sind wir zurück in Glenforsa. Das FlyAdventure-Paket sieht zehn Flugstunden an fünf Tagen vor. Die täglichen zwei Stunden laugen einen wirklich schnell aus. Deshalb bereichert man den Rest des Tages mit Spaziergängen und touristischen Ausflügen: dunkle Schlösser, Tierbeobachtungen (Orcas, Seehunde, Delfine, Adler, Papageientaucher), Wanderungen (Ben More, Carsaig Arches, Cill an Ailein, Eas Fors Waterfall, MacKinnon’s Cave), Kajak-Touren oder eine Runde Golf, prähistorische archäologische Sehenswürdigkeiten wie der Standing Stone Circle – es gibt einfach so viele Möglichkeiten. Nicht zu vergessen: ein Besuch in der Whiskybrennerei von Tobermory. Auch kulinarisch kommt man auf seine Kosten, wobei es hilft, Fisch und Meeresfrüchte zu mögen. Die Jakobsmuscheln sind einfach göttlich.
Jährlich haben nur 12 Piloten die Chance Buschfliegen zu lernen
Auch wer nach dem Kurs in die Zivilisation zurückkehrt, wird merken, dass die neuen Erkenntnisse nachwirken. Unvorhergesehene Ereignisse meistert man souveräner und hat ein besseres Verständnis dafür, was ein Flugzeug oben hält. Ansonsten gilt für Buschpiloten wie für Whisky: Mit der Zeit werden sie besser. Das Paket, das FlyAdventure.uk anbietet, ist in dieser Form einmalig in Europa. Im Preis von 5000 Pfund sind sieben Tage Übernachtung im Hotel Glenforsa inklusive Frühstück enthalten, außerdem der Transfer zum und vom Flughafen per Auto sowie zehn Flugstunden mit der PA-18. Das Angebot eignet sich auch für einen Urlaub mit einer nichtfliegenden Begleitung. Die Plätze allerdings sind begrenzt: Pro Jahr haben nur zwölf Piloten die Chance, den Kurs in Glenforsa zu absolvieren.Henrik und Thomas werden übrigens auf der AERO 2019 mit ihrer „Alpha-Whisky“ und einem eigenen Stand (A4-504) vertreten sein.
Text & Fotos: Jean-Marie Urlacher fliegermagazin 04/2019
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