Unfallakte

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Bruchlandung im Zweimot: Piper PA 34-200 Seneca II kommt von der Bahn ab

Wenn der Motor ausfällt, muss jeder Handgriff sitzen. Während eines Prüfungsflugs für die Zweimot-Berechtigung geht das Notverfahren bei einem simulierten Triebwerksdefekt allerdings gründlich daneben

Von Redaktion

Warum brauchen manche Flugzeuge unbedingt zwei spritfressende und wartungsintensive Motoren? Twin-Piloten haben auf diese Frage eine überzeugende Antwort: Sicherheit. Tatsächlich ist ein zweiter Antrieb vor allem ein Backup für das wichtigste System eines Motorflugzeugs, das allerdings nur dann mehr Sicherheit bringt, wenn der Pilot im Notfall alles richtig macht. Ganz nebenbei ist auch der positive psychologische Effekt für Pilot und Passagiere nicht zu unterschätzen. Wenn man nun also ein Flugzeug mit dieser wunderbaren Zusatzversicherung hat, scheint es geradezu absurd, in einer kritischen Flugphase freiwillig darauf zu verzichten. Genau das aber passiert unter merkwürdigen Umständen bei einem Prüfungsflug für das Multi-Engine-Rating am bayerischen Flugplatz Straubing-Wallmühle.

Dort herrschen am 30. März 2007 ideale Prüfungsbedingungen: wolkenloser Himmel und eine kaum spürbare Brise von drei Knoten. Die zweimotorige Piper PA 34-200 Seneca II ist am Morgen im niederösterreichischen Bad Vöslau gestartet. An Bord des Tiefdeckers sitzt vorne links der Prüfling, neben ihm sein Fluglehrer als Pilot in Command (PIC). Dahinter sitzen der Prüfer und ein weiterer Pilot, der seine Prüfung für die Zweimot-Berechtigung auf dem Rückflug absolvieren soll. Auf dem Weg nach Straubing hat der 37-jährige Prüfling bereits den Hauptteil des praktischen Prüfungsprogramms geflogen. Auch einen simulierten Triebwerksausfall, mit asymmetrischem Zug im Einmotorenflug, hat er über dem Flugplatz Schärding-Suben schon hinter sich gebracht, jedoch ohne anschließende Landung.

Zweimot-Prüfung auf Piper PA 34-200 Seneca II

Die soll nun als Abschluss der Prüfung ebenfalls im Einmotorenflug mit simuliertem Triebwerksausfall in Straubing folgen. Etwa 35 Nautische Meilen vor dem Zielflugplatz meldet sich der Prüfling über Funk bei der Straubinger Flugleitung an. In der Platzrunde reduziert der Fluglehrer, wie beim simulierten Motorausfall üblich, die Leistung des rechten Triebwerks, wie er später zu Protokoll geben wird. Daraufhin leitet der Prüfling die Notverfahren ein und setzt den Anflug wie in der Ausbildung gelernt fort.

Nah am Wasser: Der Verkehrslandeplatz Straubing-Wallmühle, eingerahmt von Bagger- und Badeseen, ist ein wichtiges Zentrum für die Allgemeine Luftfahrt der Region (Foto: Flugplatz Straubing)

Bis zu diesem Zeitpunkt läuft alles nach Plan: Der Prüfling hat die Zweimot unter Kontrolle und arbeitet die Prüfungsaufgaben unaufgeregt und professionell ab. Als die Zweimot aber in den Queranflug eindreht, gibt der Fluglehrer nach Aussage des Prüflings die Anweisung, das rechte der beiden je 210 PS starken Continental-Triebwerke ganz stillzulegen. Von dieser Anweisung sei er überrascht gewesen, so der 37-Jährige, weshalb er zweimal nachgefragt habe, ob er den Motor tatsächlich vollständig abschalten solle. Dann führt er die Anweisung aus.

Als die Seneca in den Endanflug eindreht, steht der rechte Propeller still. Hinter der Schwelle zur Piste 10 setzt der Tiefdecker hart auf und beginnt zu springen. Dabei verliert die Maschine deutlich an Fahrt. Jetzt übernimmt der Fluglehrer die Steuerung. Der 56-Jährige schiebt die Bedienhebel beider Motoren nach vorn, um ein Durchstartmanöver einzuleiten. Offenbar ist ihm in diesem Moment nicht bewusst, dass er den Prüfling aufgefordert hatte, das rechte Triebwerk komplett abzuschalten. Durch die abrupte Leistungszunahme am linken Motor passiert, was passieren muss: Die Twin dreht sich um Hoch- und Querachse nach rechts, auf Höhe der Halbbahnmarkierung kommt sie von der Piste ab und kracht in einen Baggersee, der südlich an die Piste angrenzt. Dort versinkt die Piper im sieben Meter tiefen Wasser. Fluglehrer und Prüfer müssen, nachdem sie das Ufer erreicht haben, sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Die beiden Prüflinge kommen mit leichten Verletzungen davon.

Motor aus: Simulierter Triebwerksausfall in der Zweimot

Die Ermittler der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen (BFU) können anhand der Anflug- und Aufsetzgeschwindigkeit der PA-34 sowie der Konfiguration im Einmotorenflug schnell klären, warum das Durchstartmanöver misslungen war. Im Untersuchungsbericht heißt es dazu: „Als er (der Fluglehrer, Red.) zum Beschleunigen Vollgas gab, war die Vorwärtsgeschwindigkeit der Seneca beim Springen bereits unter die Vmc (Mindestfahrt für aerodynamische Steuerungsfähigkeit, Red.) zurückgegangen. Dadurch reichten die Ausschläge von Seiten- und Querruder nicht mehr aus, um der asymmetrisch wirkenden Zugkraft des unter Volllast drehenden linken Propellers entgegenzuwirken und das Flugzeug über der Bahn in eine stabile Steigfluglage zu bringen.“

Dauerbrenner: Die sechssitzige Piper Seneca (hier ein Modell V) wird seit 1971 produziert (Foto: Hersteller)

Warum blieb der Prüfer still? Andere Fragen, die sich den Ermittlern bei der Rekonstruktion des Unfallhergangs stellen, sind dagegen schwieriger zu klären. Kaum nachvollziehbar ist unter anderem, warum der PIC dem Prüfling überhaupt die Anweisung gab, das rechte Triebwerk stillzulegen. Es gibt noch immer Fluglehrer, die meinen, durch einen vollständigen Verzicht auf eines der Triebwerke wirke die Simulation eines Motorausfalls authentischer. Zwar ist das Abstellen eines Triebwerks zu Übungszwecken in den Ausbildungsrichtlinien und Prüfungsprogrammen weder ausgeschlossen noch untersagt. Klar ist aber, dass es durch den Verzicht auf spontane Leistungsreserven schnell zu einem echten Notfall kommen kann. Aus Sicherheitsgründen ist eine solche Simulation daher schlicht unvernünftig und gefährlich. Auch die Reaktion des Fluglehrers auf die harte Landung des Prüflings bleibt unverständlich. Schließlich musste ihm klar sein, dass die abrupte asymmetrische Zugkraft das Flugzeug beim Beschleunigen von der Bahn bringen würde.

Missglücktes Durchstartmanöver: Die PA-34 versinkt im Baggersee

Rätselhaft ist aber auch das Verhalten des Prüfers. Warum war er nicht eingeschritten, als der Fluglehrer dem Prüfling die Anweisung gab, das Triebwerk abzustellen? In seiner Aussage erklärt er, dass ein simuliert stillgelegtes Triebwerk immer im Leerlauf weiter verfügbar sein müsse. Wörtlich gibt er zu Protokoll: „Niemals wird bei mir ein Motor abgestellt, da das Risiko zu hoch ist.“ Nicht ohne Erstaunen finden die BFU-Ermittler des Rätsels Lösung im Cockpit der Seneca: Da in der Maschine nur zwei Headsets vorhanden waren, hatte der Prüfer offenbar zu Gunsten des Fluglehrers auf die Kopfhörer verzichtet – und damit auch darauf, der Kommunikation an Bord folgen und im Zweifel einschreiten zu können.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 5/2012

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