Unfallakte

Blockiertes Seitenruder: Cessna 152 prallt in Zaun einer Besuchertribüne

Rene Steuder besitzt eine Reims-Cessna 152 Aerobat, Baujahr 1970. Damit ein bisschen Geld reinkommt, läuft die Maschine im Charterbetrieb für eine Flugschule. Dort kommt es zu einem katastrophalen Zwischenfall .

Von Redaktion
Chancenlos: Das Seitenruder der Cessna 152 blockierte, es km zum Absturz . Foto: Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung.

Endlich raus aus dem Büro! Ich stehe mit einem Bier in der Küche und relaxe beim Kochen. In die entspannte Feierabendstimmung schrillt das Telefon. Am anderen Ende ein Mitarbeiter der Flugschule: „Hallo Herr Steuder, hier ist die AFIT-Verkehrsflieger Schule. Sitzen Sie? Ich habe eine schlechte Nachricht: Ihre Cessna 152 ist abgestürzt …“ Der Satz trifft mich wie ein Schlag. Ich brauche ein paar Sekunden, um mir der Bedeutung des Gehörten bewusst zu werden. „Und … die Besatzung … ist der was passiert?“ Nein, Gott sei Dank nicht, so die Antwort, die beiden Männer seien wohlauf. Ich muss mich erstmal setzen. Was war die Ursache? Ein technischer Defekt? Was, wenn ich in der Maschine gesessen wäre?

Fluglehrer Achim Wendt und sein Schüler Paulo Gomes steigen an diesem Augusttag in den Zweisitzer. Paulo hat gerade mal zehn Stunden auf seinem jungen Fliegerbuckel, heute soll es zu einem fremden Flughafen gehen, um dort Platzrunden zu üben. Doch bereits der Start in Hildesheim steht unter keinem guten Stern. Zwar fällt beiden beim Außencheck nichts besonderes auf, doch im Cockpit merken sie, dass das Intercom nicht richtig funktioniert. Ärgerlich, denn nun muss das Handmikro benutzt werden, hereinkommende Funksprüche knarzen aus dem Lautsprecher. Die schützenden Kopfhörer bleiben in der Tasche.

Problem in der Luft: Seitenruder der Cessna 152 ist blockiert

Schreiend verständigen sich die beiden während des Fluges – für Paulo ist das sehr stressig. Trotzdem will er vom Vorhaben nicht ablassen, zu groß ist die Vorfreude, endlich mal einen anderen Flughafen anzusteuern. Um ihn damit nicht zu überfordern, übernimmt Achim den Funk. Die erste Platzrunde am Ziel verläuft problemlos. Paulo ist zufrieden, dass sein erster Anflug auf einen für ihn fremden Flughafen so gut geklappt hat. Also nach dem Aufsetzen Gas rein und ab zum zweiten Versuch. Doch etwas stimmt nicht mit dem Hochdecker. Kaum in der Luft, schiebt die Maschine nach links. Im Gegenanflug verstärkt sich dieser Effekt.

Achim ermahnt ihn, nicht so heftig ins linke Seitenruder zu treten. Noch verschweigt Paulo, dass er gar nicht auf dem linken Pedal steht – bis im Queranflug zur Grasbahn die Maschine schließlich nach links ausbricht. „Nimm deinen Fuß aus dem Pedal!“, brüllt Achim. „Ich trete da nicht rein!“ verteidigt sich Paulo. Erst jetzt dämmert’s beiden: Hier braut sich gerade was Ungemütliches zusammen. Mit dem Kommando „I have controls“ übernimmt Achim die Cessna 152. In 1000 Fuß über Grund versucht er in den Endanflug einzudrehen – vergeblich. Egal wie er das Steuerhorn rührt, die Maschine gehorcht ihm nicht richtig. Und das Seitenruder kann er gleich vergessen: Die Pedale scheinen wie festgeschweißt.

Paulo muss mit ansehen, wie sein Fluglehrer mehr oder weniger vergeblich mit der Einmot kämpft. Angst hat er in diesem Moment keine. Achim schafft es schließlich, die Maschine slippend in den Endanflug zu drehen. Auf ihre Notlage müssen sie nicht aufmerksam machen. Die Towerbesatzung hat die Cessna 152, die da draußen so herumeiert, mittlerweile im Auge. Paulo hörte trotz der Lärmkulisse im Cockpit, dass die Jungs die Sirenen anwerfen. Nur noch 40 Meter bis zum Boden. Achim muss für die Landung die Geschwindigkeit deutlich reduzieren. Doch kaum zieht er den Gashebel zurück, dreht die Maschine noch weiter nach links, scheinbar magisch angezogen vom Tower, der bedrohlich nahe kommt.

Ungewöhnliche Situationen erfordern ungewöhnliche Maßnahmen: Um Gegendruck zum verklemmten Seitenruder aufzubauen, stemmt Achim mit seinem Ellenbogen die rechte Tür auf. Die Maschine reagiert sofort auf ihr neues „Ruder“ und lässt vom Tower ab. Und als ob die beiden nassgeschwitzten Männer nicht schon genug Probleme hätten, gesellt sich auch noch das Gequäke der Stallwarning zum Chaos im Cockpit. „Achtung, die Tankstelle!“ schreit Paulo. Achim ist offensichtlich derart damit beschäftigt, die Tür gegen den Fahrtwind zu pressen, dass ihm die Hindernisse am Boden entgehen. „Nach links, noch mehr nach links, an der Tankstelle vorbei“, dirigiert Paulo brüllend seinen Lehrer, dem der Wind gewaltig um die Nase pfeift. In drei bis vier Metern Höhe weichen sie der Tankstelle aus – Richtung Aussichtsplattform. Doch jetzt scheint auch die ausgehungerte Cessna genug zu haben und sackt mit 30 bis 35 Knoten in den Zaun der Besuchertribüne. Die Eisenkonstruktion schluckt einen Großteil der Aufschlagsenergie.

Cessna 152 abgestürzt: Maschine prallt in Zaun der Besuchertribüne

Stille im Cockpit. Ein leichtes Knarzen ist zu vernehmen, klirrend erkaltet der Motor. Achim und Paulo starren sich an und realisieren: Wir sind unten – unverletzt. Spritgeruch macht ihnen Beine. Obwohl beide daran gedacht hatten, den Brandhahn zu schließen. „Raus hier“, sagt Achim. Aus den Tragflächen tropfte Benzin. In sicherem Abstand warten sie auf die Feuerwehr. Hoffentlich fängt die Maschine nicht Feuer. Aus der Ferne künden Sirenen davon, dass die Brandbekämpfer alarmiert wurden. Mit Blaulicht legt sich der Feuerwehrwagen in die Kurve und rauscht an den Bruchpiloten vorbei. Die starren mit offenen Mündern dem Lkw hinterher – Abgasqualm eines in der Nähe startenden Hubschraubers lockt die Feuerwehrmänner auf eine falsche Fährte.

Als sie ihren Irrtum bemerken, scheinen sie sich zu erinnern, dass die Cessna, die da schepps im Zaun hängt, nicht unbedingt zum normalen Flughafeninventar gehört. Endlich am richtigen Ort angekommen, nehmen sie routiniert ihre Arbeit auf. Kleine Ursache, große Wirkung – das trifft hier auf die Unfallursache zu. Untersucher stellen fest, dass am Flugzeugheck vor Jahren ein Reparaturblech auf einen Riss unterhalb des Leitwerks aufgenietet wurde. Das Fatale dabei: Einige der Niete waren direkt in den Riss gesetzt worden. Das musste früher oder später reißen.

Mit Blaulicht legt sich der Feuerwehrwagen in die Kurve und rauscht an den Bruchpiloten vorbei

Wie es dazu kam, dass sich das Blech löste, konnte nicht mehr geklärt werden. Nahe liegende Vermutung: Jemand hatte bei einer Landung Tailstrike – wofür die abgeschliffene Befestigungsöse spricht – oder touchierte beim Hangarieren mit dem Heck eine Wand. Dadurch, so die Schlussfolgerung, wurde das Material zusätzlich geschwächt. Das Blech muss sich während des Übungsflugs von Achim und Paulo weiter gelöst haben, sodass sich eine „Tasche“ bildete. Anströmende Luft bog das Blech immer weiter auf, bis es schließlich das Seitenruder verklemmte. Laut Untersuchungsbericht hätte ein ungeübter Pilot den Flug nicht überlebt.

Wenige Stunden nach dem Crash saß Paulo schon wieder in einer Cessna und flog Platzrunden. Achim hatte ihm gesagt: „Wenn Du jetzt nicht gleich in eine andere Maschine steigst, dann fliegst Du nie!“ Paulo ist seit dem Crash beim Vorflugcheck besonders penibel. Jeder Niet, jeder Kratzer wird untersucht. Auf die Öse am Heck legt er besonderes Augenmerk. Sollten sich dort frische Abriebspuren zeigen, lässt er die Maschine stehen und nimmt eine andere. Die Mitarbeiter der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) hatten es bei diesem Crash übrigens nicht weit zum Einsatzort. Achim und Paulo wählten für die Platzrunden den Flughafen Braunschweig. Und dort ist die BFU beheimatet.

Text: Rene Steuder/Markus Wunderlich

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