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Außergewöhnlicher Gletscherunfall: Zusammenstoß von Piper PA-18 Super Cub in den Schweizer Alpen
Sie starten und landen dort, wo manchem Flieger die Luft ausgeht: Gletscherflugpiloten. Ihr Erlebnis ist unberührter, ewiger Schnee und Weite. Aber keine Einsamkeit. Denn dass sich zwei Gletscherflieger in die Quere kommen, ist gar nicht so unwahrscheinlich, wie man meinen möchte
Gletscherfliegen, das bedeutet nicht nur über einer faszinierenden Landschaft, sondern in ihr unterwegs zu sein. Zum Beispiel die majestätischen Eismassen im Wallis rund um den Gipfel Rosa-Blanche. Zwischen zwei bedeutenden Seitentälern (Val de Bagnes und Val d’Hérémence), die der Rhône von Süden her Wasser zuführen, verläuft ziemlich genau von Nordwest nach Südost ein Felskamm, der etwa auf halber Länge den Rosa-Blanche trägt. Dieser 3336 Meter hohe Berg, der bis zum Gipfel vergletschert ist, sendet nach Norden und Nordosten drei kleine Gletscher zutal (auch Rosa-Blanche-Gletscher genannt), die wegen ihrer Nähe zum Flugplatz Sion (Sitten) gerne für Aus- und Übungsflüge genutzt werden. Zwei von ihnen eignen sich aufgrund ihrer geringen Neigung gut für Skilandungen. Als genehmigter Gletscher-Außenlandeplatz hat der Rosa-Blanche auch touristische Bedeutung: Ein halbes Dutzend Skitouren führen vom Gipfel in die umliegenden Täler.
Doch um diese phantastische Welt per Flugzeug „betreten“ zu dürfen, ist eine aufwendige und anspruchsvolle Ausbildung nötig. Hohes technisches Niveau der Piloten ist unabdingbar. Wer die Qualifikation schließlich gemeistert hat, darf sich zurecht als Mitglied einer kleinen, besonders exklusiven Piloten-Gemeinde zählen. Das will auch ein 46-jähriger Schweizer Flugschüler. Am 18. Januar 2003 plant er mit seinem Lehrer einen Trip ins Gebirge. Der Aspirant ist seit 1977 PPL-Inhaber und 662 Stunden erfahren. Er steht kurz vor dem Abschluss seiner Ausbildung für Landungen im Gebirge. Und ist dabei in erfahrenen Händen: Der 44-jährige Ausbilder hat seit über zehn Jahren die Lehrberechtigung für Gebirgsflug in der Tasche. 30 bis 35 Piloten hat er nach eigenen Angaben in diesem Zeitraum für die Königsklasse der „Buschfliegerei“ ausgebildet. Gut 2063 Stunden stehen in seinem Flugbuch.
Piper PA-18 Super Cub, in der Schweiz für derartige Einsätze das meistverbreitete Flugzeug
Die beiden entscheiden sich für einen Prüfungstrainingsflug in die Westalpen. Tsanfleuron, Rosa-Blanche und Ebnefluh sind die Ziele für ihre Skilandungen. Auf der Ebnefluh soll der Schüler zudem ein Iglu bauen. Ihr Flugzeug: eine Piper PA-18 Super Cub, in der Schweiz für derartige Einsätze das meistverbreitete Flugzeug. Ohnehin eignen sich nur Spornradmaschinen als Gletscherflugzeug: Bei Frontski-Konstruktionen wäre die Gefahr des Überschlags viel zu groß. Um kurz nach zehn rollte die Super Cub in Bern zum Start. Bei herrlichem Wetter schnurrt die Maschine mit dem Callsign HB-ORK zum Tsanfleuron-Gletscher. Dort übt der Schüler sechs Starts und Landungen, weitere acht ohne Lehrer und zudem in Gesellschaft einer Maule, mit der er sich das eisige Landefeld teilt. Ohne Komplikationen.
Gegen halb zwölf bricht das Trainings-Duo auf zum Rosa-Blanche. Dort ist bereits eine andere Piper PA-18 150 eingetroffen, deren Pilot sich den Gletscher als Übungsfeld für ein Start- und Landetraining ausgesucht hat. Hier will der 45-Jährige seine ohnehin schon profunden Fertigkeiten in der hochalpinen Aviatik festigen: Der Schweizer hat 1978 mit dem Segelfliegen angefangen, später folgte Motorflug, seine Weiterbildung für Landungen im Gebirge schloss er 1994 ab. Über 1300 Stunden Flugerfahrung kann er vorweisen, davon 102 im Gebirge, in denen er 832 Landungen absolvierte. Ein Routinier also, der um die außergewöhnlichen Anforderungen weiß. Ein Passagier an Bord seiner HB-ORN soll heute auch in den Genuss des Gletscherfliegens kommen. Ihr Ziel, der Landeplatz Rosa-Blanche, zeichnet sich dadurch aus, dass auf dem oberen und unteren Teil des Gletschers Landungen möglich sind. Die Aufsetzrichtung verläuft an beiden Plätzen bergauf nach Süden, die Startrichtung bergab nach Norden.
Eine weitere Piper PA-18 ist bereits auf dem Gletscher
Als sich die „ORK“ dem Gletscher nähert, erkennen Schüler und Lehrer die andere Piper, die mit laufendem Motor auf dem Firnfeld steht. Beide Crews übermitteln ihre Absichten auf der offiziellen Gebirgsfrequenz 130,35. Rumpelnd und eine Schneefahne hinter sich herziehend nimmt die „ORN“ Fahrt auf, nachdem ihr Pilot für den Start den Gashebel nach vorne geschoben hat. Etwa zur gleichen Zeit dreht die „ORK“ in den Gegenanflug. Ordentlich gestaffelt wechseln sich beide PA-18 mit Start und Landung auf dem oberen Teil des Gletschers ab.
Ganz so, wie es die Regeln verlangen. Denn sobald mehrere Flugzeuge auf demselben Gebirgslandeplatz starten und landen, müssen sich deren Crews absprechen. Eigenverantwortung wird groß geschrieben. Koordination ist extrem wichtig, denn nur sie gewährleistet genügend Sicherheitsabstand zwischen den Flugzeugen. Piloten von startenden beziehungsweise anfliegenden und landenden Maschinen sollten sich gegenseitig im Auge behalten, lautet eine Vorgabe. Bestehen Zweifel über die Absichten eines startenden Flugzeugs, muss ein anfliegender Pilot abdrehen. Und umgekehrt sollte ein Flugzeug auf dem Gletscher bleiben, wenn seine Insassen nicht eindeutig die Absichten einer Maschine im Approach erkennen. Soviel zur Theorie. Doch hier auf dem Rosa-Blanche hebelt die Topographie die simplen Sicherheitsvorgaben aus: Wer den unteren Teil des Gletschers anfliegt, riskiert, ein Flugzeug, das am oberen Ende des Schneefeldes startet, aus den Augen zu verlieren.
Dieses Unglücksszenario scheint sich beim dritten Start der „ORK“ zusammenzubrauen. Denn der Pilot der „ORN“ hat sich entschieden, ab der dritten Landung auf dem unteren Teil des Landefelds aufzusetzen, also den Anflug zu verkürzen. Gleichzeitig kommt von oben die startende „ORK“, deren Pilot die andere Piper noch in der Luft wähnt – nichts ahnend, dass sie weiter unten bereits aufgesetzt hat. Zu diesem Zeitpunkt muss eine Kuppe den direkten Blickkontakt versperrt haben. Als sich die Piloten wieder sehen, steuern die Super Cubs schnurstracks aufeinander zu. Fürs Ausweichen ist es zu spät.
Beide Hochdecker kollidieren leicht seitlich versetzt mit der rechten Tragfläche
Wie schwer zwei Flugzeuge beim Zusammenstoß beschädigt werden, hängt von mehreren Faktoren ab: von der Eigengeschwindigkeit, der relativen Speed und natürlich davon, an welchen Stellen die Maschinen aufeinander prallen. Im vorliegenden Fall hat die „ORK“ die schlechteren Karten, weil sie schneller ist. Beide Hochdecker kollidieren leicht seitlich versetzt mit der rechten Tragfläche. Nur der geringen Fahrt haben es die Insassen der „ORN“ zu verdanken, dass ihre Maschine lediglich beschädigt ist und sie nicht verletzt werden. Anders die „ORK“: Deren Insassen tragen bei dem Zusammenstoß schwere Verletzungen davon, an ihrem Flugzeug werden beide Flächen abgerissen, kurzum: Die Maschine ist Schrott.
Die Experten des schweizerischen Büros für Flugunfalluntersuchung resümieren: Der Umstand, dass beide Piper gestaffelt auf dem Rosa- Blanche starteten und landeten, ließ die Crew der „ORK“ im Glauben, die „ORN“ befände sich noch irgendwo in der Platzrunde. Die Frage, ob der Pilot der „ORN“ den abgekürzten Anflug aufs untere Landefeld klar und deutlich durchgab, muss offen bleiben. Unter den gegebenen Umständen, so das Urteil der Untersucher, war die Abkürzung nicht angebracht: Die ursprüngliche Staffelung geriet dadurch durcheinander. Noch schlimmer wiegt, dass keiner der Piloten wusste, wo die Maschine des anderen gerade unterwegs war. Die Frage, warum beide ihre Vorhaben trotzdem fortsetzten, kann auch der Abschlussbericht nur unbeantwortet stehen lassen.
Text: Markus Wunderlich, fliegermagazin 3/2007
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