Unfallakte

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Ausbildung am Limit: VFR ohne Sicht – Absturz eines Robinson R44 Raven II

Ein Ausbilder will mit seinem Flugschüler Funknavigation üben und steigt mit einem Helikopter über die geschlossene Wolkendecke. Der Abstieg misslingt

Von Redaktion
Foto: Caterina Jahnke

Bei einem Hubschrauber-Ausbildungsflug Mitte November 2013 stehen für einen CPL-Flugschüler Funknavigationsübungen auf dem Stundenplan. Dazu starten der 31-Jährige und sein 48-jähriger Ausbilder um 11.47 Uhr vom baden-württembergischen Verkehrslandeplatz Donaueschingen (EDTD), wahrscheinlich um ins nur wenige Kilometer entfernte Neuhausen ob Eck zu fliegen.

Der Ausbildungsflug über die südlichen Höhenzüge der Schwäbische Alb ist nach Sichtflugregeln geplant. Doch das Novemberwetter passt nicht, es gibt eine tiefe Inversion mit Wolkenobergrenzen zwischen 2500 und 3000 Fuß AGL. Die Vorhersage des Flugwetterdienstes stuft das Gebiet unmissverständlich als X-Ray ein: Schlechte Aussichten für einen VFR-Flug, selbst für einen Hubschrauber, der durch seine besonderen Flugeigenschaften nur 800 Meter Sicht im Luftraum G braucht.

Ausbildungsflug des Robinson R44: Rascher Abstieg aus 5000 Fuß

Dennoch steigt der Raven steil in den Himmel auf; vermutlich ist die Sicht schnell nur noch marginal. Spätestens beim Durchbrechen der geschlossenen Wolkendecke in 600 Fuß AGL unterschreitet der Hubschrauber die vorgeschriebenen Minima für Sichtflüge. Oberhalb der Stratusbewölkung wartet wolkenloser Himmel auf die beiden Insassen, und sie beginnen mit ihrem Übungsprogramm in 6500 Fuß. Radaraufzeichnungen lassen in den nächsten rund 30 Minuten für VOR-Übungen typische Manöver erkennen, die Maschine sinkt dabei allmählich auf zirka 5000 Fuß AMSL.

Novemberwetter: Bild der Webcam am Flugplatz Neuhausen ob Eck, Minuten vor dem Absturz des Helikopters (Foto: BFU)

Dann wird das Navigationstraining offenbar beendet, und die Maschine sinkt auf einmal mit einer sehr hohen Rate von 1650 Fuß pro Minute. Dabei geht die Vorwärtsfahrt stark zurück. Das Manöver ähnelt einer Autorotation, dem Notverfahren eines Helikopters bei Triebwerksausfall. Spätere Untersuchungen zeigen indessen, dass der Kolbenmotor des R44 mit hoher Wahrscheinlichkeit keinen Defekt hatte – möglicherweise versuchen die Piloten, ein Loch in der geschlossenen Wolkendecke für einen raschen Abstieg zu nutzen, wofür eine abrupte Richtungsänderung spricht. Denkbar ist allerdings auch eine Notlandeübung.

VFR-Flug ohne Sicht: Ausbildungsflug mit katastophalem Ausgang

Der Heli leitet bei etwa 3500 Fuß und 30 Knoten einen engen Vollkreis nach rechts ein. Mit Ausleitung des Kreises stoppt der Sinkflug in 2900 Fuß Höhe AMSL. Bis zum Boden sind es noch ungefähr 600 Fuß – Kiefern und Buchen ragen an dieser Stelle teils über 25 Meter auf. Etwa zwanzig Sekunden lang hält der Pilot noch die Höhe, dann verschwindet die Maschine vom Radar. Mehrere Zeugen berichten später unabhängig voneinander, die Geräusche eines Hubschraubers nahe der tatsächlichen Position gehört zu haben. Keiner aber kann die Maschine in den tief hängenden Wolken sehen. Eine Frau vernimmt ein Geräusch, „als wenn man einen Karton in ein (sich drehendes) Fahrradspeichenrad hielte“ – dann sei es wieder ganz ruhig gewesen. An einen Absturz denkt niemand.

Erst in der folgenden Nacht gegen 3.15 Uhr wird der Such- und Rettungsdienst (SAR) alarmiert. Knapp drei Stunden später finden die Rettungsmannschaften das Wrack des R44 in einem Wald nahe einer Kreisstraße etwa zweieinhalb Kilometer südlich der Ortschaft Neuhausen. Flugschüler und Ausbilder sind bereits durch den Aufschlag tödlich verletzt worden – auch ein früheres Eintreffen der Rettungskräfte hätte den Insassen nicht mehr helfen können. Ein Notsignal des R44 ging beim SAR nicht ein: Beim Absturz wurde das Antennenkabel am ELT herausgerissen.

Trümmerfeld: Die Spuren an der Unfallstelle weisen auf einen steilen Einflug in den Wald mit hoher Sinkrate hin (Foto: BFU)

Die Ermittlungen der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) fokussieren sich auf die meteorologischen Bedingungen zur Flugzeit. Allerdings suchen die Experten auch nach einer technischen Ursache für den Absturz: Das einer Autorotation ähnliche Manöver, das der Pilot kurz vor dem Absturz flog, könnte ein Hinweis auf technische Probleme sein.


Untersuchung des Unfall-Helikopters R44: Kein Hinweis auf einen Defekt

Doch für alle denkbaren Szenarien wie Motorausfall, Verlust der Riemenspannung, Öldruckverlust am Triebwerk, Kraftstoffmangel, Ausfall des Heckrotors, Metallspäne im Haupt- oder Heckrotorgetriebe, Feuer oder starke Vibrationen und in der Folge Leistungsabfall finden sich keine belastbaren Hinweise. Zwar stellen die Ermittler ungleichmäßigen Verschleiß an drei Zylindern und eine stärkere Verkokung an den Auslassventilen fest, die zu Leistungseinbußen geführt haben könnten. Ein Triebwerksausfall wäre damit aber nicht begründbar. Schließlich bringen auch die Untersuchung des kompletten Riemens und der Warnleuchten im Cockpit keinen Hinweis auf einen möglichen Defekt, der eine Autorotation erforderlich gemacht hätte.

Bleibt die Frage nach den meteorologischen Bedingungen für einen Sichtflug, und hier gibt es nach den vorliegenden Informationen keine zwei Meinungen: Ein sicherer Flug nach VFR war unter den gegebenen Voraussetzungen nicht möglich. Bei der GAFOR-Gebietsvorhersage für die südliche Schwäbische Alb war diese Information vor dem Start des R44 abrufbar; die Daten der umliegenden Wetterstationen sowie Zeugenaussagen bestätigten diese Prognose. Zwar hatte der Fluglehrer Erfahrung mit Instrumentenflug (auf Flächenflugzeugen), seine Berechtigung war jedoch abgelaufen. Die BFU folgert, dass der Unfall mit großer Wahrscheinlichkeit auf Kontrollverlust bei marginalen Sichtflugbedingungen zurückzuführen sei.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 5/2015

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