Auf Kollisionskurs: Achtung, Fallschirmspringer
Bei einer militärischen Übung werden über einem Regionalflughafen in der Schweiz Fallschirmspringer abgesetzt. Zur gleichen Zeit fliegt eine Piper die Piste an. Ohne es zu wissen, gerät der Pilot auf Kollisionskurs mit den Springern.
Im Nahbereich von Flugplätzen ist das Risiko besonders groß, anderen Luftfahrzeugen zu nahe zu kommen. Wichtig sind deshalb ein guter Überblick und die Kommunikation über Funk. Mangelnde Ortskenntnis, Irrtümer, Missverständnisse und fehlende Absprachen können dagegen gefährliche Folgen haben, besonders wenn sehr unterschiedliche Verkehrsteilnehmer im Luftraum über dem Platz unterwegs sind. Dazu gehören auch Fallschirmspringer.
Auf dem Schweizer Regionalflugplatz Grenchen finden regelmäßig Absprungübungen des Schweizer Bundesheeres statt. Im Frühsommer 2016 kommt es dabei zu einem gefährlichen Irrtum. Hier kommen die Ergebnisse der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung.
Neben dem Flugverkehr finden sich auch Fallschirmspringer unter den Verkehrsteilnehmern
Am Morgen des 26. Juni treffen sich fünf Fallschirmaufklärer der Kompanie 17 des Schweizer Bundesheeres in Grenchen, um ein Briefing für das geplante Absprungtraining durchzuführen. Als Landezone wird dabei die Schwelle der Graspiste 07L bestimmt, eine von insgesamt vier Pisten. Die nördlichste davon ist die Grasbahn 07L, sie wird an diesem Tag als Landezone für die Springer reserviert, zudem ist die befestigte Asphaltbahn während der Landephase der Springer ebenfalls für den übrigen Flugverkehr gesperrt. Zwei weitere Graspisten liegen südlich der befestigten Asphaltpiste.
Kurz nach dem Briefing starten die Fallschirmaufklärer an Bord einer Pilatus PC-6 Porter, um mehrere Trainingssprünge in Thun, Reichenbach, Spiez und zuletzt in Grenchen durchzuführen. Um 12.59 Uhr UTC steht ein Tiefdecker vom Typ Piper PA-28 Archer II am Rollhalt der Asphaltbahn 07, bereit zum Start. Der Pilot will mehrere Platzrunden fliegen, um seinen Trainingsstand nach einer zweimonatigen Flugpause wieder aufzufrischen. Bereits am Vortag hat er den geplanten Flug vorbereitet. Fast zeitgleich zum Abheben der Piper meldet der PC-6-Pilot den bevorstehenden Absprung der Fallschirmaufklärer.
Landebahn gesperrt: Ziel der Fallschirmspringer ist die Schwelle der 07L
Um 13.05 Uhr setzt die PC-6 auf Flugfläche 120 über dem Flugplatz fünf Fallschirmaufklärer ab. Zur südlichen Graspiste ist zu dieser Zeit auch ein Segelflugzeug nahe dem Meldepunkt Bravo-Bravo 1 unterwegs. Der Flugverkehrsleiter weist den Segelflieger an, südlich der Grenze des Segelflugsektors zu bleiben, um nicht in die Landezone der Springer zu geraten. Die Piper ist inzwischen auf 3000 Fuß gestiegen und kurvt bereits in den Gegenanflug ein.
Auf Anweisung des Verkehrsleiters dreht der Pilot dort zunächst zwei Vollkreise nach links. Der Platzverkehrsleiter will auch ihn von der Landezone der Springer fernhalten, informiert den Piloten aber nicht über den Grund der Verzögerung. Er hat in dieser Phase nach dem Absprung der Fallschirmaufklärer alle Hände voll zu tun, um die Landezone freizuhalten, denn es sind noch weitere Maschinen in der Platzrunde, im Anflug und auf dem Rollfeld unterwegs.
Nach kurzer Zeit kann der Piper-Pilot den Gegenanflug fortsetzen, er muss jedoch mit dem Eindrehen in den Queranflug auf eine Freigabe vom Tower warten. Inzwischen ist auch die Absetzmaschine wieder in den Platzrundenverkehr eingeflogen und bekommt die Anweisung, sich hinter der Piper einzuordnen und einen Vollkreis zu fliegen. Nach der Freigabe für den Queranflug setzt die Piper ihren Anflug etwas außerhalb der äußeren Platzrunde fort. Der Pilot vermeidet dabei das Überfliegen der nahe gelegenen Ortschaften.
Langsame Annäherung: Die Piper wird angewiesen einen weiteren Vollkreis zu fliegen
Als dem Verkehrsleiter bewusst wird, dass sich die Fallschirmspringer ihrer Landezone deutlich langsamer nähern als erwartet, weist er den Piper-Piloten erneut an, einen Vollkreis nach links zu fliegen. Auch jetzt gibt er ihm keinen Hinweis für den Grund der Verzögerung: die anfliegenden Springer. Um 13.12 Uhr meldet der Piper-Pilot nahe dem Meldepunkt Whiskey 1, dass er den Vollkreis beendet hat. Der Verkehrsleiter antwortet: „Standby.“ Dies versteht der Pilot als Freigabe für das Final und geht in einen leichten Sinkflug auf die Asphaltpiste.
Da die Fallschirmspringer noch immer nicht gelandet sind, weist der Verkehrsleiter die Piper jetzt an, die südliche Graspiste 07R anzufliegen und dann aber durchzustarten, ohne aufzusetzen: Nässe auf großen Teilen der „07R“ macht eine Landung zu riskant.
Falsche Korrektur: Der Pilot steuert auf die Piste 07L zu
Der Pilot bestätigt die Anweisung des Verkehrsleiters, macht aber in diesem Moment einen Fehler: Er korrigiert seinen Kurs leicht nach links in der Annahme, damit die südliche Piste 07R anzusteuern. Tatsächlich dreht er aber so zur nördlichen Piste 07L – und damit direkt auf die Landezone der Fallschirmspringer zu. Nur Sekunden später, über dem Straßenkreisel vor der Schwelle der „07L“, bemerkt er seinen Irrtum und noch dazu die auf Gegenkurs anschwebenden Fallschirmspringer, über die er sich wundert: Üblicherweise liegt deren Landezone nördlich am Areal für Modellflugzeuge.
Dem Flugverkehrsleiter wird die jetzt kritische Situation bewusst, und er weist den Piloten sofort an, nach rechts abzudrehen. Die Piper startet durch und kurvt daraufhin über die Asphaltpiste leicht nach rechts, allerdings zunächst zögerlich: Der Pilot befürchtet, dass er nun der hinter ihm fliegenden Absetzmaschine möglicherweise in die Quere kommt. Doch dem ist nicht so, und seine Korrektur kommt buchstäblich in letzter Sekunde: Der Tiefdecker zischt weniger als 40 Meter rechts an den Springern vorbei.
Weniger als 40 Meter: Die Piper verfehlt die Springer nur knapp
Die Schweizer Untersuchungsstelle (SUST) führt in ihrem Bericht die Verwechslung der Pisten durch den Piloten als Ursache für den schweren Vorfall an. Beitragender Faktor war, dass der Platzverkehrsleiter seine Pläne, den anfliegenden Verkehr zu trennen, fortlaufend anpasste, ohne den Piper-Piloten darüber zu informieren.
Diesem bescheinigen sie indes umsichtiges Verhalten und eine gute situative Gesamtübersicht. Sein Irrtum sei wahrscheinlich durch die späte Anweisung, die Piste im Endanflug noch einmal zu wechseln, begünstigt worden.
Text: Samuel Pichlmaier, erstmals erschienen in fliegermagazin 03/2019
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