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Absturz der Schweizer Ju 52: Ausführliche Unfallanalyse

Im August 2018 ist eine historische Junkers Ju 52 bei einem Passierflug in den Schweizer Bergen abgestürzt, dabei kamen alle 20 Personen an Bord ums Leben. Der Abschlussbericht offenbart eklatante Pilotenfehler als Ursache.

Von Martin Schenkemeyer
Absturz der Schweizer Ju 52
Zertrümmert: Ohne ausreichende Höhe hat die Crew keine Chance mehr, den Absturz der Schweizer Ju 52 zu verhindern. Bild: Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle

Klassische Flugzeuge sind ein Hingucker – am Boden wie auch in der Luft. Einmal in einem Oldtimer mitzufliegen ist für viele Menschen ein ganz besonderes Erlebnis. Eine Schweizer Vereinigung hat sich auf solche Touren spezialisiert und gleich mehrere historische Passagierflugzeuge des Typs Junkers Ju 52 betrieben. Im Sommer 2018 kommt es allerdings zu einem tragischen Flugzeugabsturz.

Das fliegermagazin hat sich den Abschlussbericht der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) angeschaut und berichtet über den Absturz der Schweizer Ju52.

Absturz der Schweizer Ju 52: 17 Passagiere sind an Bord

Eine Junkers Ju 52 ist auf einem zweitägigen Erlebnisflug zwischen Dübendorf und Locarno unterwegs, nach Sichtflugregeln. Am 3. August hat die Maschine den ersten Teil der Reise schon hinter sich, tags darauf fliegt die dreiköpfige Besatzung zurück nach Dübendorf. Um 16.14 Uhr hebt die »Tante Ju« in Locarno mit 17 Passagieren an Bord ab, es ist sommerlich warm. Nach dem Start auf der Piste 26R steuern die beiden früheren Militär- und Airline-Piloten den Oldtimer aus dem Jahr 1939 zunächst gen Westen. Eine Umkehrkurve über dem Lago Maggiore führt via Bellinzona und Biasca ins Bleniotal, wobei die Ju stetig an Höhe gewinnt.

Gegen 16.55 Uhr beginnen die Piloten aus einer Höhe von 2833 Metern einen Sinkflug in einen Talkessel südwestlich des Piz Segnas (3099 Meter), zunächst in einer leichten Rechtskurve. Dabei wählt die erfahrene Besatzung entgegen aller Prinzipien des sicheren Gebirgsflugs einen Flugweg in Talmitte. Das Problem: Damit gibt es keine Option für eine sichere Umkehrkurve, weil auf beiden Seiten der Platz fehlt, und der vorausliegende Segnespass muss überflogen werden.

Die Piloten bemerken nicht, dass sie weiter sinken

Am Himmel stehen einige Quellwolken mit einer Untergrenze zwischen 2800 und 3400 Metern. Der Wind weht in der anfänglichen Flughöhe aus Nord bis Nordwest; im Zusammenhang mit der noch aktiven Thermik sorgt er im Talkessel für Turbulenzen. In 2750 Metern ist die Umgebungsluft zu diesem Zeitpunkt 13 Grad wärmer als die Standardatmosphäre, was einer Dichtehöhe von 3080 Metern entspricht. Die Sicht beträgt mehr als zehn Kilometer.

Querab des Martinslochs,  einem natürlichen Durchbruch des Gebirges, und inzwischen in einer Höhe von 2766 Metern angelangt, leitet die Crew in einem durch ein Abwindfeld ausgelösten Sinkflug eine Rechtskurve ein (Grafik rechts oben, Punkt F8) – mutmaßlich, um in Richtung des vorausliegenden Segnespasses zu steuern. Kurz darauf dreht die Ju nach links (zwischen Punkt F9 und F10). Dabei erhöht sich der Längslagewinkel (Pitch) auf rund 11 Grad, doch die Flugbahn beschreibt einen Winkel von minus 10 Grad. Geschwindigkeit über Grund: langsame 170 km/h.

Das Anheben der Flugzeugnase, um das Sinken im Abwindfeld zu kompensieren, dürfte dazu geführt haben, dass die Piloten nicht bemerken, dass sie weiter sinken. Nun fliegt die Maschine mit einem Anstellwinkel nah am kritischen Punkt, ab dem die Strömung abzureißen droht.

Die Ju 52 geht in einen spiralförmigen Sturzflug über

Momente später gelangt das Flugzeug in ein Aufwindfeld: Die vertikale Windrichtung ändert sich abrupt, und damit auch die Anströmung des Flügels. Verbunden mit dem hohen Anstellwinkel und der zu geringen Speed kommt es jetzt tatächlich zum Strömungsabriss. Das Flugzeug sinkt und rollt dabei nach links (Punkt F13). Auswertungen von Foto- und Videoaufnahmen der Passagiere zeigen später, dass ein Querruderausschlag nach rechts die Querneigung nach links nicht verringert. Vermutlich erkennt die Crew zu diesem Zeitpunkt nicht, dass sie sich in einem Sackflug-ähnlichen Flugzustand mit zumindest teilweise abgerissener Strömung befindet.

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Es sind nur noch 100 Meter Höhenüberschuss über dem Segnespass. Die Querneigung nach links vergrößert sich weiter, dann geht die Ju 52 in einen spiralförmigen Sturzflug über. Ein mutmaßlich noch begonnenes Ausleit- und Abfangmanöver kommt zu spät, beziehungsweise führt zu einer nochmaligen Überschreitung des kritischen Anstellwinkels durch eine erhöhte Beschleunigung (Accelerated Stall).

Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle übernimmt die Ermittlungen

Um 16.57 Uhr prallt das Flugzeug mit einer Geschwindigkeit von etwa 200 km/h nahezu senkrecht auf den Boden des Talkessels. Keiner der Insassen überlebt.

Die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle (SUST) beginnt mit den Ermittlungen, die im Dezember 2020 mit Veröffentlichung des finalen Berichts abgeschlossen werden. Den unmittelbaren Unfall führen sie  auf einen Kontrollverlust infolge eines Strömungsabrisses zurück. Doch die Ermittlungen bringen eine Fülle von Ungereimtheiten ans Tageslicht, die das Verhalten der Crew und auch den Flugbetrieb generell in einem schlechten Licht erscheinen lassen.

Vor Flugzeugabsturz der Schweizer JU 52: Fehler bei der Flugplanung

Schon lange vor dem Unfallflug wurden anscheinend elementare Fehler bei der Flugplanung gemacht. Die Massen- und Schwerpunktberechnung für den Unfallflug war fehlerhaft, Leistungsberechnungen für Start- und Landung sowie auch für den Reiseflug fehlten gänzlich. Ermittlungen ergaben, dass der Schwerpunkt der Ju 52 nicht zuletzt aufgrund von Fehlern in der Flugplanungssoftware außerhalb der hinteren Grenze lag. Dies verringerte die Stabilität um die Querachse – laut SUST ein direkt zum Unfall beitragender Faktor.

Das Martinsloch, eine Öffnung im Fels. Nur einen Augenblick später gerät die Ju 52 in einen spiralförmigen Sturzflug.

Weiterhin ermittelten die Unfalluntersucher durch Überprüfung alter Radardaten von 216 Flügen der Betreiber, dass die jeweiligen Crews bei über einem Drittel der Flüge zwischen April 2018 und dem Unfalltag eher riskante Routen durchs Gebirge wählten. So wurde der übliche Sicherheitsabstand zum Gelände oftmals nicht eingehalten und die Möglichkeit zur sicheren Umkehr in einem Tal mehrfach nicht berücksichtigt.

Piloten haten sich eine gefährliche Art des Fliegens angewöhnt

Die SUST schlussfolgert, dass sich die Piloten offensichtlich eine gefährliche Art des Fliegens angewöhnt hatten. Besonders auffällig waren dabei laut Untersuchungsbericht Besatzungen mit Ausbildung zum Militärpiloten, die 16 der insgesamt tätigen 27 Piloten absolviert hatten. Weder der Betreiber noch die Aufsichtsbehörden hätten die riskante Praxis erkannt, analysiert oder gar korrigiert, so die SUST.

Auch beim Crew Resource Management finden die Ermittler zahlreiche Schwachpunkte und kommen zum Ergebnis, dass das Sicherheitsmanagement der Organisation weitgehend wirkungslos gewesen sei.

Untersuchung des Wracks bringen technische Mängel ans Licht

Damit nicht genug, zeigen sich bei der Untersuchung des Wracks zahlreiche technische Mängel, etwa Schwingbrüche am linken Flügelholm oder die Verwendung nicht zertifizierter Ersatzteile. Zwar steht all das nicht mit dem Unfallhergang in Verbindung, doch kommt die SUST zu dem Schluss, dass das Unfallflugzeug weder formell noch materiell lufttüchtig war.

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Nicht sonderlich gut weg kommt schließlich auch das Bundesamt für Zivilluftfahrt der Schweiz (BAZL), dem als Aufsichtsbehörde die Ungereimtheiten, Nachlässigkeiten und Fehler beim Betrieb der Oldies bis zuletzt verborgen blieben.

Betreiber der Schweizer Ju-Flotte stellt 2019 den Betrieb ein

Acht Sicherheitsempfehlungen gibt die SUST mit ihrem Abschlussbericht an die Aufsichtsbehörden heraus, dazu sieben Sicherheitshinweise an den Betreiber der Ju-Flotte. Dieser stellte den Flugbetrieb im Frühjahr 2019 ein. Doch aufgeben will er nicht: Man möchte aus den Fehlern lernen und strebt in enger Zusammenarbeit mit den Behörden einen Neustart im Jahr 2023 an. Bis dahin sollen die drei verbliebenen Ju 52 generalüberholt und technisch neuwertig sein – und alle weiteren Punkte und
Sicherheitshinweise der SUST erfüllt.

Text: Martin Schenkemeyer

Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

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