Unfallakte

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Absturz beim Werkstattflug: Flight Design CT in Eggersdorf

Crashs wegen schlampiger Wartung, Materialermüdung oder überschrittener Nutzungsdauer – alles schon passiert. Aber ein Absturz aufgrund zu neuer Teile?

Von Redaktion

So könnte ein Traumjob aussehen: nagelneue Flugzeuge an Kunden ausliefern und vorher noch ein paar Runden drehen, um den einwandfreien technischen Zustand zu überprüfen. Nicht wie ein Testpilot also, der immer mit Risiken im Nacken fliegt und sich ständig auf unbekanntes Terrain begibt. Im Gegenteil: alles zertifiziert und sicherheitstechnisch auf dem neuesten Stand. Auch jahrelanger Verschleiß oder unsachgemäße Reparaturen, die vielleicht bei mancher Chartermaschine ungute Gefühle aufkommen lassen, sind ausgeschlossen.

Einen Job dieser Art hat der ukrainische Werkspilot, der am 13. September 2006 vom brandenburgischen Flugplatz Eggersdorf mit einer fabrikneuen CT starten will. Bei seiner Arbeit geht der 37-Jährige auch an diesem Spätsommertag eigentlich kein allzu großes Risiko ein. Der Himmel ist wolkenlos, die Sicht über zehn Kilometer weit. Um 12.20 Uhr hebt die CT von der Graspiste ab und nimmt Kurs in östliche Richtung. Um die Maschine vor der Auslieferung nochmal auf Herz und Nieren zu testen, will der Pilot über dem Gebiet zwischen der Bundestraße B1 und den nahe gelegenen Ortschaften Heinersdorf, Marxdorf und Jahnsfelde einige Manöver fliegen. Radaraufzeichnungen belegen, dass die CT nach Verlassen der Platzrunde sehr schnell unterwegs ist. Aus den Daten lässt sich für diesen Flugabschnitt später eine mittlere Geschwindigkeit von 287 Stundenkilometern über Grund errechnen.

Um 12.20 Uhr hebt die CT von der Graspiste ab und nimmt Kurs in östliche Richtung

Kurz nachdem der Pilot die Bundesstraße überquert hat, reißen die Radaraufzeichnungen ab. Die Antenne deckt in diesem Gebiet nur Flughöhen über 200 Fuß MSL ab. Zu diesem Zeitpunkt geht der Hochdecker urplötzlich in einen steilen Sinkflug über. Ein Zeuge beschreibt die ungewöhnliche Fluglage danach als „kopfüber“. Wenige Sekunden später wird die Situation noch dramatischer: Die Maschine kommt ins Trudeln. Drei- bis viermal dreht sich das UL um die Hochachse. Erst dann schafft es der Pilot, die Spiralbewegung auszuleiten. Zu spät. Um 12.30 Uhr, nur zehn Minuten nach dem Start, streift der Hochdecker die ersten Baumwipfel und stürzt Sekundenbruchteile später in ein Waldstück westlich von Jahnsfelde. Schwer verletzt wird der Pilot von herbeieilenden Rettungskräften aus dem Wrack gezogen. Wenige Stunden später stirbt er im Krankenhaus.

Die Unfallursache ist zunächst völlig rätselhaft: ein fabrikneues Flugzeug, kein Verschleiß, keine unerkannten Rangierschäden, keine Materialermüdung. Dazu ein erfahrener Pilot, mit dem UL-Muster bestens vertraut. Nach Angaben seines Arbeitgebers hatte der Ukrainer weit über 400 Stunden auf der CT in seinem Flugbuch stehen. Was war geschehen? Am Unglücksort stoßen die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BfU) auf einige rätselhafte Details, die erst durch akribische Puzzlearbeit ein vages Bild des Geschehens ans Licht bringen. Fragen werfen zunächst die Fundstellen von Funkgerät und Headset auf: Beide liegen etwa 250 Meter nördlich des Wracks im Wald.

Auch Bruchstücke der Dachverglasung des ULs finden sich 300 bis 380 Meter entfernt von der Absturzstelle. Die beiden Gepäckraumluken entdecken die Unfallermittler sogar 400 beziehungsweise 500 Meter nördlich des Wracks. Wie lässt sich die Lage all dieser Teile erklären, und wodurch wurde die CT überhaupt derart aus der Bahn geworfen? Den entscheidenden Hinweis liefert eine genauere Untersuchung der Höhen- und Trimmrudermechanik. Bei dem freitragenden Hochdecker ist das Höhenleitwerk als Pendelruder konzipiert, die gesamte Leitwerksfläche also schwenkbar. Dadurch bewirken schon geringe Ausschläge des Höhenruders große Bewegungen um die Querachse. Außerdem verläuft bei der Modellreihe des Unfallflugzeugs das Trimmruder des Höhenleitwerks über die gesamte Hinterkannte.

Eine vergleichsweise geringe Verstellung führt ebenfalls zu einer deutlich spürbaren Änderung der Längsneigung. Mittels einer dem Trimmhebel vorgespannten Spiralfeder sind jedoch besonders feinfühlige Einstellungen an der Trimmung möglich. Die Spannung der Feder ist durch verschiedene Trimmpositionen veränderbar. Versuche der Firma Flight Design haben gezeigt, dass eine fabrikneue Feder im Trimmsystem unter bestimmten Umständen blockieren kann. Diese Blockade löst sich dann schlagartig. Die Folge: Der Trimmhebel wird abrupt in Richtung kopflastig verschoben. Dieser Effekt lässt sich ausschließlich an einer neuen Feder beobachten, nach vier bis fünf Wiederholungen des Vorgangs ergibt sich aufgrund bleibender Verformungen kein extremer Lastsprung mehr.

Flight Design CT: überzogener Flugzustand und in der Folge in den Trudelsturz

Um einen kritischen Zustand bei einer neuen Feder zu erreichen, muss die Trimmung am Handrad langsam nach vorn auf die Position kopflastig gedreht werden. Genau dieses Verfahren wird beim Stückprüfflug angewendet, um die Wirksamkeit der Trimmung zu prüfen. Die abrupte Nickbewegung kurz vor dem Trudelsturz, die der Zeuge als „Kopfüber“-Flug bezeichnete, könnte auf jenen „Spannfeder-Effekt“ zurückzuführen sein. An der verunglückten Maschine war das Trimmsystem aber so stark zerstört, dass die Experten die mögliche Ursache nicht mehr nachweisen konnten.

Nachdem die Maschine in den steilen Flugzustand geraten war, nahm das Geschehen durch eine Verkettung weiterer unglücklicher Umstände seinen Lauf: Als Folge der plötzlichen Nickbewegung wurden Funkgerät und Headset, die lose auf dem Copilotensitz lagen, durch die negative Beschleunigung nach oben aus dem Cockpit geschleudert. Der durch das Loch eindringende Fahrtwind drückte dann vermutlich die Gepäckklappen aus dem Rumpf (aufgrund der hohen Fluggeschwindigkeit mit großer Kraft).

Anzunehmen ist außerdem, dass der Pilot wegen der steilen Fluglage die Maschine stark verzögerte. In Kombination mit dem deutlich erhöhten Luftwiderstand durch die geborstene Gepäckluke sowie das Loch im Kabinendach führte diese Reaktion vermutlich in einen überzogenen Flugzustand und in der Folge in den Trudelsturz. Zwar konnte der Ukrainer die CT wieder unter Kontrolle bringen, die Flughöhe war jedoch zu gering, um die Maschine sicher abzufangen. Wenige Meter mehr Sicherheitshöhe hätten dem Piloten womöglich das Leben gerettet.

Schließlich finden die BfU-Ermittler noch ein letztes Glied in der Verkettung unglücklicher Zufälle: Die CT war für einen französischen Kunden vorgesehen. Da ein Rettungssystem in Frankreich nicht vorgeschrieben ist, hatte der Käufer darauf verzichtet. Selbst in geringer Höhe aber wäre die Aufschlagenergie durch den Öffnungsstoß des Fallschirms deutlich abgebaut worden – mit entsprechend größeren Überlebenschancen für den Piloten.

Trimmung überarbeitet

Die Firma Flight Design hat auf die Ergebnisse der selbst angestellten Tests zur Ergründung der Unfallursache umgehend reagiert: Der UL-Hersteller baut inzwischen eine Teleskopführung in die Spannfeder des Trimmsystems ein. Der Effekt des Zurückschnappens wird dadurch verhindert. Die BfU hat aus diesem Grund auf eine Sicherheitsempfehlung verzichtet.

Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 11/2008

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