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Absetzbetrieb: Absturz einer Cessna Caravan bei der Landung
Ablenkung, Leichtsinn und fehlende Disziplin bei der Einhaltung von Regeln spielen bei Flugunfällen oft eine Rolle. Dem Piloten einer Cessna Caravan wurden alle drei Faktoren zum Verhängnis. Eine Unfallanalyse.
Der 32-jährige Inhaber einer Berufspilotenlizenz ist als Absetzpilot bei einem Luftfahrtunternehmen am Flugplatz Gransee (EDUG) in Brandenburg angestellt. Mit einer einmotorigen Turboprop vom Typ Cessna 208 Caravan befördert er auch an jenem Mittwoch im September 2019 Fallschirmspringer in die Luft. Das Wetter ist bestens dafür geeignet: Der 50 Kilometer südlich von Gransee gelegene Verkehrsflughafen Berlin-Tegel meldet Wind aus 220 Grad mit 11 Knoten und CAVOK-Bedingungen.
Um 14.48 Uhr startet der Berufspilot zu seinem vierten Absetzflug an diesem Tag. An Bord sind außer ihm insgesamt 15 Springer, die er in Flugfläche 130 südlich des Flugplatzes absetzt. Mit einer weiten Linkskurve und Geschwindigkeiten zwischen 180 und 200 Knoten über Grund stürzt sich der ungarische Pilot nun wieder zu Boden, um weitere Springer aufzunehmen. Das Variometer zeigt dabei eine Sinkrate von durchschnittlich 4000 Fuß pro Minute an. Beim Einkurven in den Endanflug auf die Betriebspiste 29 überschießt der Pilot die Anfluggrundlinie und versucht, dies anschließend mit einer hohen Querneigung zu korrigieren. Kurz darauf verliert er die Kontrolle, und der Hochdecker prallt mit hoher Geschwindigkeit auf den Boden auf. Für den Piloten kommt jede Hilfe zu spät.
Jenseits der Limits: Der Pilot überschritt die maximal zulässigen Geschwindigkeiten der Cessna Caravan
Bei der Untersuchung der Unfallursache analysierten die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) unter anderem die Radarspuren des Unfallflugs. Dabei fanden sie heraus, dass die Caravan unterhalb von 10000 Fuß mit Geschwindigkeiten von 180 bis 200 Knoten über Grund flog. Die maximal zulässige angezeigte Fluggeschwindigkeit beträgt laut Flughandbuch 175 Knoten. Die Manövergeschwindigkeit, bis zu der Ruder noch voll ausgeschlagen werden können, ohne dass die Maschine überlastet wird, beträgt 120 Knoten.
Die letzte vom Radar in 550 Fuß aufgezeichnete Geschwindigkeit über Grund lag bei 168 Knoten. Unter der Annahme, dass diese Geschwindigkeit bis zum Absturz beibehalten wurde, betrug die Querneigung beim Korrigieren des Endanflugkurses rechnerisch 53 Grad. Die Untersuchung der Spuren an der Unfallstelle ergab, dass der Absturz letztlich mit geringer Querneigung und Sinkrate erfolgte. Auch der Aufprallwinkel war klein. Daraus folgern die Ermittler, dass der Pilot kurz vor dem Aufprall bei hoher Geschwindigkeit ein Abfangmanöver eingeleitet hat, das aber den Absturz nicht mehr verhindern konnte.
Laut Betriebshandbuch solle der Pilot das Flugzeug an den Betriebsgrenzen bewegen
Neben den fliegerischen Aspekten gerieten die organisatorischen Verfahren und das Verhalten des Absetzpiloten in den Fokus der Unfalluntersucher. So stand im Betriebshandbuch (OM-C) des Luftfahrtunternehmens, dass alle Steig- und Sinkflüge aus wirtschaftlichen Gründen nahe, aber nicht außerhalb der Betriebsgrenzen des Flugzeugs erfolgen sollen. Hier wurde auch darauf hingewiesen, dass manches damit verbundene Manöver von Airline-Piloten möglicherweise als Kunstflug betrachtet werden würde, beim Absetzbetrieb aber normal sei. Wann und wie das Flugzeug für die Landung zu konfigurieren ist, war nicht festgelegt.
Die extremen Sinkflüge des Unfallpiloten deuten darauf hin, dass er die im OM-C beschriebenen Verfahrens- und Verhaltensweisen offenbar verinnerlicht hat. Er war seit dem Frühjahr 2019 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt und hatte in der Zeit bis zum Unfall 1000 Starts und Landungen in Gransee absolviert. Was Gelände und Flugzeug angeht, war er also äußerst erfahren. Er wohnte während der Sprungsaison am Flugplatz und war nach Aussagen des Flugbetriebsleiters auch nach langen Flugtagen oftmals bis tief in die Nacht mit der Flugzeugpflege beschäftigt.
Riskante Flugmanöver: Gegen den Piloten lagen vier Ordnungswidrigkeitsverfahren vor
Gegen den Piloten lagen vier Ordnungswidrigkeitsverfahren des Bundesaufsichtsamts für Flugsicherung vor, weil er wiederholt gegen luftrechtliche Vorschriften verstoßen hatte. Dazu gehörte das Absetzen von Springern im Luftraum E ohne Genehmigung sowie nicht genehmigte Sinkflüge im Luftraum C.
Der Flugbetriebsleiter gab an, dass er mehrfach mit dem Piloten über seine Verfehlungen gesprochen und ihm aufgezeigt habe, wie er sich in Zukunft verhalten solle. Um Ablenkung zu vermeiden, wurde ein Handyverbot während des Flugbetriebs eingeführt.
Mehrere Beschwerden: Der Flugbetriebsleiter hat mit dem Piloten mehrmals über seine Verfehlungen gesprochen
Kurz vor dem Unfall gab es ein weiteres Gespräch, da der Flugbetriebsleiter eine E-Mail vom Fallschirmsprungleiter, dem Tandemmaster und anderen Springern mit Beschwerden über den Piloten erhalten hatte. Die Verfasser kritisierten darin das nächtliche Arbeiten am Flugzeug und Kommunikationsschwierigkeiten mit dem Piloten hinsichtlich der Absetzflüge. Außerdem gaben sie an, dass seine Anflüge häufig wie die eines Kampfjets aussähen, der versuche, gegnerischen Raketen auszuweichen. Auch sei der Ungar wiederholt nahe an oder gar in gewitterartigen Wolken (CBs) geflogen, um im Steigflug zusätzlichen Auftrieb mitzunehmen. Alles in allem zeige der Pilot riskante Verhaltensweisen, die sie nicht länger hinnehmen wollten.
Der Flugbetriebsleiter gab außerdem an, dass der Pilot persönliche finanzielle und juristische Probleme hatte. Dennoch war angedacht, ihn auch in der folgenden Flugsaison wieder einzusetzen, sofern es keine weiteren Vorfälle und Beschwerden gäbe.
Verfahrensanweisung überarbeitet: Das Luftfahrtunternehmen hätte früher eingreifen sollen
Letztlich ist der Absturz laut BFU darauf zurückzuführen, dass der Anflug nicht stabilisiert war und die Geschwindigkeit bei dem riskanten, bodennahen Manöver außerhalb der Betriebsgrenzen des Flugzeugs lag. Die BFU kommt zu dem Schluss, dass das Luftfahrtunternehmen früher hätte eingreifen können, damit sich der zunehmend riskante Flugstil des Piloten nicht manifestiert. Als Konsequenz aus dem Unfall hat das Unternehmen seine im Betriebshandbuch beschriebenen Verfahrensweisen überarbeitet.
Text: Martin Schenkemeyer
Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.
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