Abflug von anspruchsvollen Plätzen: Unerfahrener Pilot stürzt mit Cessna 172 RG ab
Wenig Flugpraxis, Wind aus allen Richtungen und eine unbekannte Piste: Diese Kombination ist häufig Auslöser für gefährliche Situationen.
„Bei dem Wind lass ich dich nicht in die Luft“ – wer hat sich nicht schon über diesen lästigen Satz seines Fluglehrers geärgert und musste bei strahlendem Sonnenschein mit aufgetanktem und blitzblank geputztem Flieger am Boden bleiben. Trotz der neu gewonnenen fliegerischen Freiheit nach Scheinerhalt. Doch selbst als Charterkunde ist es ratsam, den Fluglehrer nach seiner Meinung zu fragen, auch wenn diese nicht zum eigenen Vorhaben passt. Gerade mit Passagieren im Schlepptau ist die Scham oft groß, Unsicherheit zu zeigen und Rat anzunehmen.
Im schweizerischen Kanton Fribourg kam es 2003 wohl auch deshalb zur Katastrophe. Am Morgen des 23. Juni startet der Pilot einer Cessna 172 RG in Grenchen und nimmt Kurs auf das nahe gelegene Langenthal. Dort will er drei Gäste – darunter seine Mutter – aufnehmen und anschließend weiter nach Gruyères am Nordrand der Voralpen fliegen.
Juni 2003: Unerfahrener Pilot stürzt mit seiner Cessna 172 RG ab
Um 9.28 Uhr hebt die Maschine in Grenchen bei strahlendem Sonnenschein ab und nimmt östlichen Kurs aufs Flugfeld Langenthal. Schon als die Cessna gut eine Stunde später von dort erneut startet, mittlerweile mit den Passagieren an Bord, machen sich beim Piloten Schwierigkeiten bemerkbar, das Flugzeug auf Höhe zu bringen. Ein Zeuge beobachtet, wie die Einmot kurz nach dem Start im Tiefflug über sein Haus rauscht und dann einen südlichen Kurs einschlägt. Dabei schafft’s der Hochdecker gerade so über die Baumwipfel des ansteigenden Geländes am Humberg. Zeugenaussagen zufolge ist die Cessna dabei auffallend langsam und hat einen hohen Anstellwinkel. Um 12.25 Uhr setzt die Maschine ein letztes Mal zur Landung an und geht auf der Graspiste von Gruyères runter.
Cessna 172 RG: Start in Grenchen mit Kurs auf das nahe gelegene Langenthal
Mit dem, was nun folgt, besiegelt der Pilot wohl sein eigenes Schicksal und das der drei Passagiere. Nachdem er um 13.30 Uhr seine Landegebühren bezahlt hat, wird er im Büro der Flugplatzverwaltung darauf hingewiesen, dass der Wind aufgefrischt habe und mit starken Böen quer zur Piste zu rechnen sei. Zudem zeigt das Thermometer inzwischen über 30 Grad Celsius an. Demnach wäre bereits am Start eine deutlich geringere Motorleistung als normal zu erwarten. Ein Fluglehrer, der im Nebenberuf für die Luftaufsicht in Gruyères arbeitet, kommt um 14.05 Uhr von einem Rundflug zurück und berichtet ebenfalls von starken Turbulenzen und einer spürbar niedrigeren Performance durch die hohen Temperaturen.
Als er den Cessna-Piloten auf die schwierigen Verhältnisse hinweist, kommt es zu einer Diskussion, durch die sich dieser aber nicht von seinem Vorhaben abbringen lässt, mit den drei Passagieren zu starten. Dabei scheint es dem Fluglehrer so, als habe sich der Cessna-Pilot nicht mit dem Platz und seinen Besonderheiten vertraut gemacht – später wird ermittelt werden, dass seine Flugpraxis gerade so ausreichte, um den Erhalt seines Scheins zu sichern. Insgesamt hat er es seit der Ausstellung seiner Privatpilotenlizenz im Juni 1994 auf nur 172 Flugstunden gebracht. In den vergangenen 90 Tagen saß er keine fünf Stunden als PIC hinterm Steuerhorn. Für die Cessna 172 waren sogar nur drei Stunden 40 in seinem Flugbuch eingetragen. Außerdem mangelt es dem Piloten an Erfahrung mit Graspisten. Und auch Gebirgsplätze ähnlich dem in Gruyères hat er in seiner Fliegerlaufbahn bisher nur zweimal angeflogen.
Um 14.20 Uhr startet er das Triebwerk der 172 und rollt zur Piste 17, die auf 2257 Fuß liegt. Schon während des Startlaufs driftet der Hochdecker plötzlich nach links ab, sodass er fast eine seitliche Pistenmarkierung streift. Kurz nachdem die Maschine schließlich südlich der Flugplatzgebäude abhebt, läuft sie erneut aus der Spur, und der Pilot muss die Flugbahn deutlich nach Westen korrigieren. Zeugen berichten später, dass das Fahrwerk während des Abflugs erst sehr spät einzogen wurde. Möglicherweise ist der Pilot durch die schwierigen Windverhältnisse hauptsächlich damit beschäftigt, die Maschine auf Kurs zu halten. Hinzu kommt, dass die Cessna durch die geringere Motorleistung und den stark böigen Seitenwind an Fahrt verliert. Offensichtlich reagiert der Pilot darauf mit einem erhöhten Anstellwinkel, um Höhe zu gewinnen. In der Folge verliert die Maschine immer mehr Fahrt und geht schließlich in einen steilen, unkontrollierten Sackflug über.
Die Cessna verliert immer mehr Fahrt und geht in einen steilen, unkontrollierten Sackflug über
Mit 19 Grad geneigter Flugbahn schlägt der Viersitzer in einem bewaldeten Ausläufer des Dent de Broc auf. Da der Hang gegenüber dem flachen Gelände mehr als 30 Grad ansteigt, ist der Aufprallwinkel so groß, dass die Maschine auf wenigen Metern abgebremst wird. Selbst bei geringer Fluggeschwindigkeit ist ein derartiger Aufschlag kaum überlebbar. Der unmittelbar folgende Brand verringert die Überlebenschancen der Insassen zusätzlich. Alle finden in der Cessna den Tod. Das Flugzeug verbrennt zu großen Teilen. Nur wenige Minuten nach dem Crash ist die Feuerwehr an der Unfallstelle und löscht den Brand innerhalb kurzer Zeit. Trotz der starken Zerstörung der Cessna kommen die Experten des schweizerischen Büros für Flugunfalluntersuchungen zu dem eindeutigen Ergebnis, dass kein technischer Defekt an der Maschine vorlag. Die Verformung des Propellers lässt auf eine hohe Motorleistung zum Zeitpunkt des Aufpralls schließen. Außerdem sind alle auftrieberzeugenden Flächen und sämtliche Ruder vorhanden.
Darüber hinaus stellen die Experten fest, dass die Cessna nicht überladen war und der Schwerpunkt innerhalb der vorgeschriebenen Grenzen lag. Theoretisch war die Motorleistung trotz der schwierigen Wind- und Temperaturverhältnisse ausreichend. Als Hauptursache für den Absturz wird im Bericht der Unfalluntersuchungsstelle letztlich die vom Piloten gewählte Fluglage mit einem deutlich zu hohen Anstellwinkel angegeben. Verschärfend haben sich dabei die hohe Temperatur und der stark böige Wind ausgewirkt. Aufgrund mangelnder Flugpraxis und geringer Erfahrung war der Pilot diesen Verhältnissen nicht gewachsen. Vermutlich wäre die Katastrophe mit etwas mehr Umsichtigkeit und dem Mut, auf die Erfahrung anderer zu hören, nicht passiert. Selbst der Pilot des Rettungshelikopters, der die Unfallstelle kurz nach dem Absturz überflogen hatte, berichtete von „sehr anspruchsvollen Windverhältnissen und starken Turbulenzen“ – bei denen man als unerfahrener Wochenendflieger wohl besser am Boden bleibt.
Sicherheitsempfehlungen für anspruchsvolle Flugplätze
- Für anspruchsvolle Plätze sollte überprüft werden, ob die Sichtanflugkarten entsprechende Warnhinweise enthalten sollten und ob diese Plätze in der ICAO-Karte speziell markiert werden müssten.
- Es ist außerdem zu überprüfen, für welche Flugplätze eine Einweisung mit Fluglehrer empfohlen oder vorgeschrieben werden sollte. Inzwischen hat man folgende Maßnahmen getroffen:
Seit dem Hitzesommer 2003 gibt Meteo-Schweiz eine Temperaturwarnung aus, wenn Temperaturen von 30 Grad oder mehr zu erwarten sind. Diese Warnung wird in der Flugwettervorhersage unter dem Punkt „Gefahren“ veröffentlicht.
Text: Samuel Pichlmaier
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