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Absturz mit Kunstflug-Doppeldecker Pitts S-2B
Wer ein Kunstflugzeug fliegt, braucht dazu eine Berechtigung – aus gutem Grund, wie dieser Flugunfall mit einer Pitts tragisch zeigt.
Wer ein Kunstflugzeug fliegt, der sollte die Grenzen seiner Maschine und auch seine eigenen besonders gut kennen. Ein Pitts-Pilot ignorierte offenbar beides und flog mit seinem Passagier ein ebenso mysteriöses wie halsbrecherisches Aerobatik-Programm – ohne die erforderliche Kunstflugberechtigung. Das Resultat ist ein tragischer Flugunfall.
Ein rassiger Doppeldecker glänzt am 20. Oktober 2002 im goldenen Licht der Herbstsonne. Pilot und Passagier bereiten sich auf einen verheißungsvollen Flug über das idyllische Kochertal und die Waldenburger Berge unweit der malerischen Kleinstadt Schwäbisch-Hall vor. Die ungetrübte Szene auf dem Flugplatz Weckrieden verrät nichts vom dramatischen Ende, das dieser Ausflug nehmen wird. Eigentlich beginnt die Geschichte schon mehr als ein halbes Jahr zuvor, weit weg von der schwäbischen Provinz, auf einem kleinen Flugplatz irgendwo in den USA. Im März 2002 übt ein deutscher Pilot dort einige Kunstflugmanöver. Die Flugschule wird später angeben, dass er in zwei Trainingsstunden weder eine ausreichende Ausbildung noch einen Abschluss erzielt habe.
Zurück in Deutschland will er aber so bald wie möglich mit der Kunstflugausbildung beginnen und meldet sich im September offiziell beim Stuttgarter Regierungspräsidium für den Erwerb der entsprechenden Berechtigung an. Bis zu jenem 20. Oktober wird er sein Vorhaben jedoch nicht mehr verwirklichen. Die Flugwettervorhersage meldet an diesem Tag CAVOK – perfekte Sichtflugbedingungen. Spontan wird ein Rundflug mit dem Pitts-Doppeldecker verabredet. Für den Passagier, ein guter Bekannter des Piloten, ist dies der erste Flug in einer Aerobatic-Maschine. Er hat keine fliegerische Ausbildung und steht Zeugenaussagen zufolge dynamischen Flugmanövern „eher zurückhaltend gegenüber“.
Spontaner Rundflug mit dem Pitts-Doppeldecker
Der Pilot gilt mit insgesamt 560 Flugstunden als erfahren. Auf der Pitts S-2B hat er davon jedoch nur knapp elf Stunden geflogen und 101 Landungen absolviert. Um 14.50 Uhr startet der Doppeldecker und nimmt Kurs auf den Ortsteil Gailenkirchen in westlicher Richtung des Platzes. Dahinter sind bereits die ersten Hügel der Waldenburger Berge in Sicht. Das satte Brummen des Lycoming-Triebwerks und die niedrige Flughöhe der Pitts machen einige Spaziergänger aufmerksam.
Deren Zeugenaussagen werden später die wesentlichen Anhaltspunkte zur Rekonstruktion des Flugverlaufs geben, da weder Radar noch andere Überwachungssysteme zur Klärung des folgenden Geschehens beitragen konnten. Über dem ansteigenden Gelände beginnt die Pitts mit einigen Aufsehen erregenden Manövern, die von den Beobachtern als Loopings, Rollbewegungen und Abkippen beschrieben werden. Dabei nähert sich der Doppeldecker von Süden her dem nahe gelegenen Eichelberg. Plötzlich stürzt die Maschine aus niedriger Höhe in einer unkontrollierten Trudelbewegung dem Bergwald entgegen. Der Pilot kann den Doppeldecker nicht abfangen, und Ausweichen in das tiefer gelegene Gnadental ist zu diesem Zeitpunkt ebenfalls nicht mehr möglich.
Die Pitts schlägt um 15.03 Uhr am südöstlichen Hang des Eichelbergs auf. Beide Insassen sind sofort tot. An der Unfallstelle bietet sich ein Bild des Grauens. Das Wrack liegt weit über das unwegsame Gelände verteilt, von dem kleinen, quirligen Doppeldecker ist nicht mehr viel zu erkennen. Beide rechten Tragflächen sowie das Höhenleitwerk wurden bei der Kollision mit den Bäumen vom Rumpf abgerissen. Die Feuerwehr muss die Leichen regelrecht aus den Trümmern herausschneiden. Im ebenfalls stark beschädigten Cockpit und am abgetrennten Höhenleitwerk finden sich erste Hinweise auf die Unfallursache: Der Hebel der Höhenrudertrimmung steht bis zum Anschlag auf „kopflastig“, das Trimmruder selbst ebenso. Die beiden gewichtigen Insassen haben sich offenbar nachteilig auf die Schwerpunktlage der Maschine ausgewirkt. Folge war eine starke Hecklastigkeit. Die Stellung des Trimmhebels bestätigt diese Annahme. Ein Blick ins Flughandbuch verrät, dass der Doppeldecker für eine maximale Abflugmasse von 771 Kilogramm im Normalbetrieb zugelassen ist.
Obwohl die Füllmenge des Rumpftanks sowie der Flächentanks nicht mehr exakt festgestellt werden konnte, berechneten die Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung für den Unglückszeitpunkt ein Übergewicht von drei bis acht Prozent, unter der Annahme von Kunstflugbetrieb sogar bis zu 18 Prozent über dem zulässigen Fluggewicht.
Den Zeugenaussagen war zu entnehmen, dass sich die Pitts während der kunstflugähnlichen Manöver auf das ansteigende Gelände des Eichelbergs zu bewegte und infolgedessen die Sicherheitshöhe von 350 Meter GND in der Ebene auf gerade mal 200 Meter an der Absturzstelle schrumpfte.
Überladen: Doppeldecker im Kunstflug
Nachforschungen führten die Untersucher auch in die USA: Dort flog die Pitts, bevor sie nach Deutschland überführt und neu zugelassen wurde. Sowohl die Schwerpunktbestimmung als auch die Wägung weichen bei der deutschen Zulassung deutlich von den zuletzt gültigen Messung in den USA ab, wobei sich die neueren Angaben jeweils ungünstiger auf die weiteren Berechnungen auswirken. In jedem Fall war die Pitts erheblich überladen: Pilot und Passagier brachten zusammen immerhin ein Gewicht von fast 200 Kilo auf die Waage. Als Folge war die maximal zulässige schwanzlastige Schwerpunktlage um zwei bis vier Zentimeter nach hinten verschoben. Wie sich aus den weiteren Nachforschungen ergab, bezieht sich der im Flughandbuch angegebene Höhenverlust für das Abfangen nach Überziehen von etwa 400 Fuß (122 Meter) nicht auf die deutschen Grenzwerte, sondern auf das in den USA gemessene Fluggewicht von nur 737 Kilo. Der Höhenverlust nach einem Stall wäre nach den deutschen Angaben also deutlich größer.
Legt man der Massenberechnung die Gewichtsangaben der deutschen Zulassung (771 Kilo) zugrunde und addiert ein Übergewicht von bis zu 18 Prozent bei dynamischen Flugmanövern, dann scheint eine verbleibende Sicherheitshöhe von 200 Meter GND in ansteigendem Gelände geradezu selbstmörderisch – ganz abgesehen von der deutlich erhöhten Mindestgeschwindigkeit. Der Eintrag für das reduzierte zulässige Gesamtgewicht bei Kunstflugbetrieb ist in der deutschen Zulassung übrigens auf mysteriöse Weise verlorengegangen.
Nicht vollständig geklärt werden konnte außerdem die Rolle des Passagiers, der auf seiner vorderen Sitzposition ebenfalls Zugriff zu allen wichtigen Steuerorganen hatte. Aufgrund der Zeugenaussagen, die eine Unsicherheit oder sogar Abneigung des Passagiers gegenüber den waghalsigen Manövern des Piloten vermuten lassen, ist nicht auszuschließen, dass er während der Kunstflugübungen im Cockpit Halt suchte und dabei den fatalen Trudelsturz mitverursachte.
Pilot: grobe Fahrlässigkeit und Selbstüberschätzung
Ein Indiz dafür ist die wenig Passagier-freundliche Ausstattung der Pitts: Die einzige Möglichkeit, vermeintlichen Halt zu finden, bietet der Steuerknüppel. Die pathologischen Untersuchungen ergaben dagegen, dass beim Passagier, anders als beim Pilot, keine
Brüche oder Blutergüsse am Handgelenk nachzuweisen waren. Er hatte demnach zumindest beim Aufschlag der Maschine seine Hände nicht am Knüppel. Doch selbst wenn er vor dem tödlichen Sturzflug aus Panik in die Steuerung eingegriffen hätte: Viel schwerer wiegt, dass ein erfahrener Pilot sich selbst und seinen Passagier ohne Not und vor allem ohne Kunstflugberechtigung durch grobe Fahrlässigkeit und Selbstüberschätzung so zu Tode bringen musste.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 5/2005
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