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Kontrollverlust im Schleppflug: UL Wild Thing wird in den Sturz gehoben
F-Schlepps gehören auf deutschen Segelflugplätzen zum gewohnten Bild. Eine Seilverbindung zwischen zwei Flugzeugen birgt aber auch Risiken – besonders wenn die Ausrüstung und der Trainingsstand nicht den Sicherheitsvorgaben entsprechen
Ein Schleppverband ist eine Art Zweckgemeinschaft. Motorpiloten und Segelflieger sind dabei für kurze Zeit eng miteinander verbunden, ja auf Gedeih und Verderb einander ausgeliefert. Jede Bewegung des einen hat Einfluss auf den anderen. Eine falsche Reaktion oder eine missglückte Kurskorrektur an einem Ende des Seils kann beide in den Abgrund ziehen. Im Notfall hilft nur eines: die Verbindung so schnell wie möglich zu trennen.
Ein Frühsommertag im Juni 2008. Auf dem thüringischen Flugplatz Bad Berka rollt um die Mittagszeit ein UL vom Typ Wild Thing mit einem Segelflugzeug im Schlepp zur Piste. Der UL-Pilot will den doppelsitzigen Bocian zum zweiten Mal an diesem Tag in die Luft bringen. Im Cockpit des Seglers sitzen ein 80-jähriger Fluglehrer und seine 49-jährige Schülerin, die von ihm eine Schleppeinweisung erhalten soll. Im Flugbuch des 80-Jährigen stehen fast 2000 Stunden. Bereits kurz nach dem Start wird der Schleppverband von bodennahen Turbulenzen durchgeschüttelt. Die Pilotin auf dem vorderen Sitz des Bocian hat Schwierigkeiten, die Maschine hinter der Wild Thing zu halten.
Kurz nach dem Start: Turbulenzen im F-Schlepp
Wenige Meter über dem Boden beginnt der Segler seitlich auszuscheren, auch den Steigwinkel kann die Flugschülerin nicht konstant halten. Mehrfach muss ihr Fluglehrer in die Steuerung eingreifen. Beide scheinen jedoch die vertikale Pendelbewegung nicht in den Griff zu bekommen. Der Segler schaukelt sich regelrecht auf. Dann kippt die Schleppmaschine plötzlich seitlich vornüber ab. Erst jetzt klinkt der Lehrer das Seil aus. Doch es ist bereits zu spät. Die Wild Thing stürzt nach Zeugenaussagen aus 150 bis 180 Metern dem Boden entgegen.
Die Höhe ist zu gering, um die Maschine noch abfangen zu können. Sie taumelt über einer Kläranlage und schrammt mit dem linken Flügel am Dach und der Außentreppe eines Schlammbeckens entlang. Schließlich kracht das UL gegen einen Silo-Turm des Klärwerks. Der Pilot wird durch den harten Aufschlag sofort getötet. Das Segelflugzeug kann ohne Schäden zum nahe gelegenen Flugplatz zurückkehren. Fluglehrer und Schülerin bleiben unverletzt. Das Geschehen in Bad Berka wirft gleich mehrere Fragen auf – nicht nur, was die Entscheidungen der beteiligten Piloten, sondern auch was die Sicherheitsvorschriften angeht: Warum startete der Schleppverband bei offensichtlich turbulentem Wind in Bodennähe, noch dazu zu einem Aus-bildungsflug? Unklar ist auch, weshalb weder der Fluglehrer noch der UL-Pilot rechtzeitig ausklinkten, als das Aufschaukeln des Segelflugzeugs nicht mehr kontrollierbar wurde.
Bericht des BFU: Mangelhafte Ausrüstung
Doch vor allem in Bezug auf die Ausrüstung drängen sich Fragen auf. Hätte beispielsweise das Schleppseil durch die Pendelbewegung nicht an der vorgeschriebenen Sollbruchstelle den Schleppzug trennen müssen? Die rasche und fatale Wirkung der Pendelbewegung des Seglers auf die Schleppmaschine nährt ebenfalls Spekulationen über die Einhaltung der Sicherheitsanweisungen. War das verwendete Schleppseil möglicherweise zu kurz? Tatsächlich stoßen die Experten der Bundestelle für Flugunfalluntersuchungen (BfU) bei ihren Ermittlungen auf schwere Versäumnisse und Unzulänglichkeiten. Im Ausbildungshandbuch des Luftsportverbands Thüringen sind verbindliche Anweisungen für den Schlepp- und Ausbildungsbetrieb festgelegt. In der Segelflug-Betriebsordnung ist unter Punkt 2.2.3 eine Schleppseillänge von 40 bis 60 Metern vorschrieben.
Das bei dem Unfall verwendete Seil war jedoch nur etwa 30 Meter lang. Im Handbuch der Wild Thing wird für den Schleppbetrieb ebenfalls eine Seillänge von mindestens 40 Metern verlangt. Außerdem ist eine Sollbruchstelle vorgeschrieben, die bei einer Kraft von 3000 Newton reißt. Auch dieser Sicherheitsstandard war bei der in Bad Berka verwendeten Ausrüstung nicht gegeben. Statt einer Sollbruchstelle wurde ein so genannter Sollbruchknoten angebracht. BfU-Untersuchungsleiter Roger Knoll hält diese Lösung für wenig verlässlich: „Das Märchen vom Sollbruchknoten ist immer noch in vielen Aeroclubs anzutreffen.“ Zwar sei die Reißfestigkeit eines Seils durch einen Knoten physikalisch geringer, so Knoll, allerdings gebe es keine schriftlichen Nachweise oder gar Testergebnisse über dessen praktische Wirkung beim F-Schlepp.
Fehlfunktion beim Ausklinken?
Rätselhaft bleibt auch, weshalb der UL-Pilot seine Maschine nicht früher vom Bocian trennte. Auch hier könnten Mängel an der Ausrüstung die Ursache gewesen sein: Die BfU-Experten fanden auf dem Gelände der Kläranlage ein geschweißtes Metallringpaar des Schleppseils aus den Beständen der ehemaligen Gesellschaft für Sport und Technik der DDR, das für den Schleppbetrieb als ungeeignet gilt. Schon einmal führten solche veralteten Ringe nachweislich zu einem Unfall. Damals veröffentlichte die BfU bereits eine Sicherheitsempfehlung gegen die Verwendung dieser Teile. Eine Fehlfunktion beim Ausklinken ist auch in diesem Fall nicht auszuschließen.
Dass der Schlepppilot sich bis zuletzt nicht aus dem Verband löste und auch der Fluglehrer zu spät den Griff zum Ausklinken zog, ist unter Umständen aber schlicht auf Überforderung zurückzuführen. Der letzte F-Schlepp des UL-Piloten lag zum Unfallzeitpunkt mehr als zwei Jahre zurück. Auch der Segelfluglehrer hatte von den geforderten fünf Schlepps in den letzten 24 Monaten nur drei absoviert. Beide waren somit nicht berechtigt, Flugzeugschlepps selbständig auszuführen.
Text: Samuel Pichlmaier, fliegermagazin 8/2010
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