Wüstenzauber in Piper Malibu: VFR durch Libyen
Schroffe Gebirge, endlose Sandmeere: Die Wüste Libyens ist atemberaubend – und fliegerisch eine echte Herausforderung. Vier Schweizer Crews haben den Ausflug in die Welt der Tuareg, Dromedare und Wasserpfeifen gewagt
Es gibt viele schöne Landschaften auf dieser Welt, aber etwas derartig Ungewöhnliches, Fremdes, Faszinierendes, sozusagen Süß-Saures wie die Wüste Libyens finden europäische Piloten so nah vor der eigenen Haustür kein zweites Mal. Und wer will für ein Wüstenerlebnis schon in die Takla-Makan fliegen? Wir sind vier Crews à zwei Personen, die diesen Ausflug gemeinsam wagen. Und einander ziemlich fremd: Vor dem Start hat es nur Kontakt via E-Mail und ein paar Telefonate gegeben. Das Vorhaben ist relativ gewagt: Piloten sind für gewöhnlich Erz-Individualisten, ihre Motivationen zu dieser Reise völlig unterschiedlich; und da soll in neun Tagen ein homogenes Team entstehen?
Um eins vorwegzunehmen – acht Menschen, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten, haben sich zu einer zwanglosen, toleranten Gemeinschaft entwickelt, die auch in schwierigen Situationen stets ruhigen Umgang miteinander pflegte. Das Ziel vereinte uns. Im Oktober ist das Wetter in der Wüste schön, die Temperaturen sind mild, Sandstürme selten, die Sichten gut, die Farben kontrastreich. Der Nachteil: Im Oktober sind die Alpen, die uns zunächst von der Wüste trennen, oft in Wolken. Wir wollen uns im italienischen Cagliari treffen, und da müssen wir alle erst mal hinkommen. Alle vier Flugzeuge sind schon am Freitag losgeflogen, um etwas Zeitreserve zu haben.
Das erste Treffen mit den anderen Piloten findet in Cagliari statt
Die VFR-Piloten können über das Rhônetal via Genf und Cannes das Mittelmeer erreichen. Als wir uns am Samstag in Cagliari das erste Mal in Augenschein nehmen, ist jeder gespannt. Mit was für Typen wird man wohl die nächsten intensiven Tage verbringen? Die Typologie (von Menschen und Maschinen) beantwortet sich wie folgt: Da wären Viktor Strausack, ein ehemaliger Militärpilot sowie pensionierter Swissair-Kapitän, und seine Freundin Sybille Kausche, Flugbegleiterin. Unterwegs mit einer „Wespe“, der Zenair Zodiac CH 601. Viktor kennt an dem Experimental jede Schraube mit Namen: „Hilde“, „Erna“ …
Dann wären da Franz und Daniel Draxler, Vater Franz Architekt, Sohn Daniel Elektroingenieur. Letzteren sieht man ihrem Flugzeug an: Die PA-48 Malibu glänzt mit allen erdenklichen elektronischen Goodies, die irgendwie ins Cockpit passten. Bauunternehmer Urs Villinger und sein Kumpel Hansjörg Jaeger sind mit einer Robin DR400 unterwegs, und das wirklich Besondere ist: Hansjörg, leidenschaftlicher Harley-Fahrer, ist vorher noch nie geflogen! Ergänzt wird diese reichlich exotische Mischung durch meine Frau Trude und mich. Wir beide treten den Wüsten-Trip ein wenig depressiv an, da unsere Cessna 185, mit der wir schon um die Welt geflogen sind (siehe fliegermagazin 3 und 4/04), zurzeit leider in Atlanta, USA, auf uns wartet.
Für die Reise müssen wir auf eine Rockwell Commander RC 114 umsteigen
Deshalb müssen wir mit einer Rockwell Commander RC 114 fremdgehen, die sich allerdings bestens bewährt. Am Sonntag geben wir den Flugplan für alle vier Flieger per Telefon über AIS Zürich auf; das ist Viktors Idee und geht weit schneller als es vor Ort möglich gewesen wäre. Sehr italienisch das Handling: teuer und kompliziert. Unzählige Ground Agents stehen zwischen uns und unseren Maschinen, alle äußerst beschäftigt und ununterbrochen in ein Funkgerät sprechend, obwohl außer uns vieren kein einziges Flugzeug zu sehen ist, das zu „handeln“ wäre. Irgendwann sind wir schließlich doch in der Luft.
Über Wasser nach Tunis VOR, an der Küste entlang bis Monastir, drei von uns müssen hier zum Tanken landen. Weiter über tunesische Olivenhaine, das römische Theater El-Djem und zur FARES-Intersection in Libyen. Tiefflug, VFR, kein Funkkontakt mit Tripolis Control, doch wir sind ja mit Flugplan unterwegs. Nalut kommt, das Hochplateau und die einsame Straße, die nach Darj und Ghadames führt. Die Wüste beginnt. Wir winken den wenigen Autos zu, die uns aus Süden entgegenkommen. 40 Nautische Meilen vor Ghadames empfangen wir Ghadames-Tower. Zwar sind wir sofort „cleared to land“, doch wir ziehen über der Altstadt von Ghadames und den nahen Dünen im Dreiländereck Libyen-Tunesien-Algerien noch einige Sightseeing-Kreise.
Ghadames – eine andere Welt
Ghadames ist kein Airport of Entry, darum wird alles etwas komplizierter. Das heißt vor allem: Warten. Tanken beim Militär aus einer riesigen Gummiblase, die grau, plump und leicht undicht in der Wüste liegt. Die „Wespe“ tankt nach Zähler 154 Liter, ihre Tanks fassen aber nur maximal 120 Liter – man einigt sich schließlich auf 54 Liter. Wir geben unsere Pässe ab, sehen keinen Zöllner, fahren in die Stadt. Die Atmosphäre zieht uns in ihren Bann, Landrover mit abenteuerlichen Aufbauten ziehen an uns vorbei, die ersten Wasserpfeifen – die andere Welt, hier ist sie.
Wir bleiben einen weiteren Tag in Ghadames, genießen das orientalische Kolorit. Die Altstadt von Ghadames, eine historisch bedeutsame und Unesco-geschützte Oase, wird unter kundiger Leitung besucht. Lunch in einem Palmgarten, frische Datteln ab Palme. Viktor versucht, dieselbe zu erklimmen, was sich als schwierig erweist. Siesta. Abends Ausflug in die Dünen für den totalen Sonnenuntergang.
Der Flug über die Wüste erfordert eine genaue Planung
Dinner in einem renovierten farbenprächtigen Altstadthaus, das ursprünglich für den Besuch von Ghaddafi vorgesehen war. Am Ende dieses Tages sind wir weit mehr erledigt als nach einem Zehn-Stunden-Flug, besprechen aber natürlich dennoch die Strecke für den nächsten Tag. Wir gleichen GPS-Koordinaten ab, legen Notlandeplätze fest, kaufen Wasservorräte. Wir werden auf 123,45 MHz funken und Positionreports mit Höhen, Distanzen und Radials abgeben. Immerhin geht es über 500 Kilometer Einsamkeit.
Gestartet wird gestaffelt nach Höchstgeschwindigkeit, die Schnellsten gehen als Letzte in die Luft. Was dann unter uns liegt, ist ein Potpourri aus Wüstenlandschaften: felsige Hochebenen, große Canyons, riesige Dünenberge, einsame, schier unendliche Dünenmeere. Tiefflug. Mit den aufholenden Flugzeugen gibt’s ein Fotoshooting. Meine Güte, wie sehen wir schön aus! Jedoch – wir haben es geahnt! – der Formationsflug ist aufgrund der Unterschiedlichkeit unserer Flugzeuge ziemlich anstrengend.
Trotz der unterschiedlichen Geschwindigkeiten gefällt jedem Piloten die Tour
Trotzdem hört man immer wieder Freudenrufe im Headset. Sogar die High-Flyer Daniel und Franz tummeln sich plötzlich auf 4000 Fuß. Dafür hat Tiefflug-Fanatiker Viktor in seiner Zodiac reichlich Gelegenheit, den vereinzelten Dromedaren zwischen den Dünen auszuweichen. Zur Linken taucht plötzlich das Akakusgebirge auf. Eine trutzig schwarze, schroffe Gebirgswand, die sich gegen das liebliche, gelbe Sandmeer rechts zu wehren scheint. Irgendwo dazwischen liegt Ghat, unser Ziel. Wir haben genug Benzin und fliegen noch eine Stunde in diesem „Steinhaufen“ herum. Ein Gebirge mit vielen Gesichtern.
Es ist beeindruckend – und gefährlich. Die Temperatur ist hoch, die Turbulenzen sind ausgeprägt und der Tiefflug delikat. Landung auf dem Wüstenplatz Ghat, Tanken aus der (diesmal nicht lecken) Avgas-Blase des Militärs und Einladung ins Büro des Airportmanagers, einem gut aussehenden Tuareg. Landegebühren total: 800 Dollar. Wie bitte? Okay, morgen werden wir darüber diskutieren, heute machen wir erst mal terrestrisch weiter. Eine Übernachtung im Zelt in den malerischen Dünen im Akakus ist angesagt. Leider bleibt es dabei: 200 US-Dollar pro Flugzeug. Unser Organisator Taher Aboulkassim hat auch auf wiederholte Anfragen nie eine verlässliche Auskunft über Landetaxen erhalten.
Die Wüste zeigt ihr wahres Gesicht
Nun lernen wir die wahren Verhältnisse kennen. Weite 500 Kilometer liegen vor uns, die Route führt via Mandaraseen im Erg Ubari nach Sabha. Jeder will noch kurz über das Akakusgebirge fliegen. Im Norden bildet die Straße von Ghat nach Sabha die Auffanglinie. Trude und ich verlieren uns ein wenig über den herrlichen Zacken, enden fast im Erg Murzuq. Hier ist die Wüste brutal, die nimmt sie an seine Seite und führt sie sicher um die Zellen herum. Auf der 123,45 kehrt wieder Entspannung ein – wir sind Zeugen einer ruhigen Kameradschaft geworden. 20 Minuten später türmt sich die schwarze Wolkenwand vor unserer Commander auf. Während wir uns drum herum und drunter durch kämpfen, hören wir im Funk die „Aahs!“ und „Oohs!“ der beiden vorausfliegenden Maschinen.
Solange wir noch buchstäblich im Dunst stochern, können wir damit wenig anfangen. Erst als wir das Gewitter hinter uns haben, verstehen wir die Freudenrufe von Viktor und Urs: Der heftige Regen hat den Sand dunkelrot gefärbt, die düsteren Wolken lassen vereinzelte Sonnenstrahlen hindurch, und die jetzt prall gefüllten, grünblauen Seen präsentieren sich fast irreal beleuchtet wie auf einer Opernbühne. Wir fahren seit 20 Jahren in die Wüste – doch sowas haben wir noch nie gesehen. Landung in Sabha. Alles nett, Avgas aus einem Lastwagen, schade, wir haben uns an die Gummiblasen gewöhnt. Landegebühren zusammen 900 Euro, sofort zahl- bar, keine Diskussion! Abendessen im unwettergepeitschten Sabha.
Wir entscheiden uns einen anderen Flugplatz anzusteuern
Um 23 Uhr hat jemand die glorreiche Idee, morgen nicht in Tripolis International zu landen, sondern auf dem alten US-Stützpunkt Mitiga, mitten in Tripolis, am Meer. Haha, unmöglich. Trotzdem Telefon mit der Civil Aviation Authority, den Herren der Landegebühren. Und die sagen ja. Einfach so! Also geben wir am Donnerstag einen Flugplan nach Mitiga auf. Ich weiß, dass wir die ersten GA-Flieger seit mindestens 100 Jahren sind, die eine Landegenehmigung für Mitiga erhalten haben. Das Wetter ist hinreißend. Ready for Departure. Halt – Urs winkt. Sein Funkgerät ist kaputt! Die Spezialisten machen sich an die Arbeit. Doch das Gerät bleibt stumm.
Wir beschließen, das Notfunkgerät zu aktivieren und mit der Robin im Verband zu fliegen, um in Tripolis keine Probleme zu bekommen. Der Überflug des römischen Ghirza wird gestrichen. Nicht erlaubt wurde uns leider, die epochale römische Stadt Leptis Magna zu überfliegen. Gemeinsamer Start, wir steigen auf 6000 Fuß, fliegen Kurs Nord bis zur Intersection KHOMS. Khoms liegt am Meer, Tripolis links davon, Leptis Magna rechts. Ich drehe nach links, da höre ich Viktors Stimme, die den Controller militärisch naiv um die Freigabe bittet, den alten Hafen von Khoms überfliegen zu dürfen. Ich trau’ meinen Ohren nicht: Clearance granted! Gibt’s das!
Wir bekommen die Erlaubnis eine römische Ausgrabung zu überfliegen
Das alte Khoms liegt neben Leptis Magna! Ich will sofort auch, darf ebenfalls. Der arme Urs kann knapp folgen. Und nun kommt der klassische Fotoflug über eine der schönsten römischen Ausgrabungen am Mittelmeer. Viktor fliegt 300 Fuß über Grund, wir sind in 800 Fuß unterwegs und Urs in 1200 Fuß. Die Archäologen werden sich um unsere Bilder balgen!
Sehr private Landung in Mitiga, einige ausgemusterte Jets stehen auf dem weiten Apron. Obwohl der Flugplatz und die Büros viel kleiner sind als beim großen Bruder „International“ im Süden, wird dennoch professionell gewartet. Die Fahrt in die Stadt folgt dem Strand, endet direkt am Grünen Platz, im Herzen von Tripolis. Am Abend nur noch Dinner beim Marokkaner und zur Verdauung eine Wasserpfeife bei der großen Moschee. Sogar Nichtraucher Franz versucht einen Zug, unter Husten zwar, aber mit vollendeter Würde. Freitag: Ruhetag. Flugzeuge auftanken, der Tankwagen ist von Tripolis International hierhergefahren.
Aufgrund des defekten Funks der Robin können wir keinen Formationsflug mehr machen
Nochmals Urs’ Funk checken, leider ohne Erfolg. Morgen werden wir keinen Formationsflug mehr machen – wir sind zu wenig erfahren. Die Robin wird auf 123,45 MHz hören und in der Nähe von Malta und Catania die dortigen Frequenzen rasten. Wir anderen werden die jeweiligen Controller vorab informieren.
Zur Erholung ein Besuch der Medina von Tripolis, das bedeutet eine kleine Reise ins orientalische Mittelalter. Abendessen in einem renovierten Medinahaus. Eine Spezialität der Tuareg wird serviert: in Darm und Magen eingenähte Reisbällchen. Wir sind kulinarische Banausen. Sibylle, Hansjörg und ich kämpfen heroisch gegen Übelkeit, Viktor muss plötzlich ganz dringend und genau jetzt seine Wasserpumpe reparieren, Franz übt sich in arabischer Konversation, und einzig Daniel langt zu, dass der Gastgeber seine helle Freude hat und der Abend gerettet ist. Morgen geht’s heimwärts.
Die Landegebühren sind verhandelbar!
Wir hatten es schon befürchtet: Die Rechnung ist exorbitant hoch, 1200 Dol- lar für alle. Diesmal wird verhandelt, der Endpreis liegt schließlich bei 800 Dollar. Die Aufgabe des Flugplans geht fast etwas zu leicht, das Wetter einzuholen ist dagegen unmöglich. Doch die Großwetterlage scheint gut. Wir starten gestaffelt, allgemeine Richtung Malta. Die lowlevel-süchtige Wespe zieht unter uns weg und das Ufer Siziliens taucht am Horizont auf – und damit die Wolken.
Wir arbeiten uns im Tiefflug zu unserem Ziel Catania durch. Dort dann eine unschöne Überraschung: Nein, no landing possible, man habe keinen Platz. Das steht aber nicht in unseren 30 Seiten Notams! Außerdem haben sie doch unseren Flugplan? No, no Flightplan! Das kann ja heiter werden. Reggio Calabria erbarmt sich schließlich unser, und wir befinden uns bereits im langen Queranflug, da hören wir die Robin auf FL 110. Sie sei on top und wisse nicht, wo runter.
Europa hat uns wieder!
Der Controller hört sie nicht, doch er sieht sie auf dem Schirm. Jetzt zeigt unsere Rockwell, dass sie wie eine Rakete steigen kann, der Controller hilft bei der Suche. Ein letztes Mal formieren wir uns und finden gemeinsam in der Wolkendecke das nötige Loch, um im Sonnenschein in Reggio Calabria zu landen.
Europa hat uns wieder. Das gute Abendessen und der Sassicaia wird von der Robin-Crew bezahlt. Wir haben in knapp zehn Tagen 3500 Nautische Meilen zurückgelegt und sind in unserer Rockwell mehr als 28 Stunden geflogen. Fazit: Man muss keine Scheu vor einem Flug haben, der die üblichen geographischen Grenzen überschreitet. Wenn auch manche Herausforderung zu meistern war: Unsere Lust auf Libyen ist ungebrochen, wir alle könnten die Reise sofort wiederholen. Und wer weiß: Vielleicht im nächsten Jahr?
Text: Reto Godly, Fotos: Trude Godly, fliegermagazin 2/2006
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