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UL-Reise ins Tessin und zur AERO Friedrichshafen
Silvia Buhr will von Berlin zur großen Luftfahrtmesse an den Bodensee fliegen, doch vorher zieht es sie ins Tessin. Mit etwas Glück ist dort schon im April Sommer
Samstagvormittag am Flugplatz Strausberg, 9. April 2011. Es ist recht frisch mit elf Grad Celsius; halb Sonne, halb Haufenwolken und ein steifer Wind aus Nordwest mit über 15 Knoten. Ich will zur AERO nach Friedrichshafen wie jedes Jahr, doch weil die Messe erst nächste Woche beginnt, möchte ich vorher in die Südschweiz, ins Tessin: Dort sollen ab morgen hochsommerliche Temperaturen herrschen. Weil dieses Jahr mehr als ein paar einzelne Frühlingssonnenstrahlen nicht drin waren, freu ich mich sehr auf den Trip – auch wenn der Wind eigentlich sagt: „Bleib hier!“
Die Remos ist beladen, ein paar leichte Taschen für ein paar kurze Tage. Start Piste 23 am frühen Vormittag, Wind deftig, genau von rechts. Doch als ich auf Kurs gehe, fange ich an, mich über den Wind zu freuen, denn nun habe ich ihn mit 20 Knoten im Rücken, und mit zunehmender Höhe wird er stärker. In FL 85 bläst Rückenwind mit 40 Knoten! Gut, dass ich jetzt nicht auf dem Rückflug bin, denke ich nebenbei. In weniger als drei Stunden werde ich am Bodensee sein – toll! Doch mit weiterem Südwestkurs nehmen die Wolken ab, und der Rückenwind auch.
Ich fliege ins Hochdruckgebiet ein und justiere alle 20 Minuten das QNH. Auf dem Weg liegt der Flughafen Nürnberg; nach Freigabe darf ich durch die Kontrollzone. Ich wusste gar nicht, dass hier so viele Airliner landen und starten. Etwas weiter bin ich auch schon an meinem Tagesziel angelangt, dem UL-Flugplatz Berg, 15 Nautische Meilen nördlich des Bodensees. Der Wind weht jetzt nur noch schwach aus Nord. Ich soll in den Gegenanflug Piste 03 fliegen, die nur 180 Meter lange Grasbahn versteckt sich allerdings gut. Doch dann hab ich sie im Blick. Im Endteil verfolgt mich eine Remos G3: der Platzinhaber, er wollte mich zur Landung geleiten. Was für ein Service!
Nach 2:50 Stunden Flugzeit steige ich aus und erfreue mich an 20 Grad warmer Luft. Der Empfang ist sehr herzlich, ich gehe ein paar Schritte über die Landewiese spazieren, und zum ersten Mal in diesem Jahr spüre ich warmen Wind und Frühlingssonne im Gesicht. Ich genieße das noch ein paar Minuten, dann lasse ich mir meine Unterkunft zeigen. Es ist ein kleines Gebäude: darin sind Tower, Schulungsraum und ein Schlafraum mit Waschbecken. Nur zur Toilette geht’s mit dem Fahrrad, das draußen parkt, ins Dorf gegenüber.
Ich werde mit selbstgebackenem Kuchen, Kaffee und einem Holunderbeer-Erfrischungsgetränk begrüßt. Für später ist sogar ein guter Rotwein in der Küche. Ich fühle mich äußerst wohl, sitze auf einer Bank draußen und verfalle sofort in Urlaubsstimmung. Irgendwie ist es immer so auf meinen Reisen: Große Ziele, doch schon an den Zwischenstopps ist es so schön, dass ich am liebsten ein paar Tage bleiben möchte. Zum Abendessen radle ich zur nah gelegenen Mühle. Ich sitze draußen bei immer noch warmen Temperaturen und habe seit langem nicht mehr so leckeren Fisch gegessen, Forelle aus eigener Zucht. Was geht’s mir gut!
Am nächsten Morgen gegen 9 Uhr holt mich der Platzinhaber Bernhard zum Frühstück ab. Einladung zum Bayerischen Frühstück in Baden-Württemberg, allerdings nahe der Landesgrenze! Weißwurst, Brötchen, Ei und vieles mehr mit Blick auf die Alpen. Ich habe noch nie so eine Gastfreundschaft erlebt! Hier am Flugplatz Berg könnte ich bis Mittwoch zur Messe bleiben – aber ich möchte ja noch weiter: Das Ziel ist Locarno am Lago Maggiore. Die Südschweiz, das Tessin. Knapp 200 Kilometer nur noch, aber durch die Schweizer Alpen.
Per Fax gebe ich den Flugplan auf, ein paar telefonische Rückfragen von der deutschen Flugsicherung, und es kann losgehen. Südkurs, dann am Bodensee vorbei und weiter bis Bregenz. Ich nehme Kontakt mit Zürich Information auf. Das Wetter ist schön, überall blauer Himmel. Ich fliege ins Rheinthal ein, vorerst immer den Fluss hoch, und die Berge sind jetzt ganz nah und werden mächtiger. Eigentlich bin ich hoch genug, doch die schneebedeckten Gipfel vor mir verleiteten mich zum weiteren Steigen.
Es ist mein mittlerweile 16. Flug durch die Berge, dennoch flößen mir die Schweizer Alpen viel mehr Respekt ein als die österreichischen. Doch das Wetter ist perfekt, die Remos liegt ganz ruhig in der Luft. Es ist, als wenn man im Wohnzimmer im Sessel sitzt, und links und rechts werden Riesen-Postkarten mit Alpenpanorama im Schritttempo vorbeigetragen. So habe ich das noch niemals erlebt, es ist wie ein Traum. Aber ich weiß auch: Wenn ich jetzt notlanden muss, bin ich im ewigen Eis.
Unter mir wird der San-Bernardino-Pass sichtbar, er hat eine Höhe von zirka 7000 Fuß MSL – bei dichter Bewölkung ist er oft die einzige Möglichkeit, den Alpenhauptkamm hier zu überqueren. Ich melde das Erreichen des Passes in 10 000 Fuß. Viele Berge hier sind immer noch höher als ich. Ich will schon Kontakt mit Locarno aufnehmen, doch ich bin noch zu sehr abgeschattet. Zürich entlässt mich trotzdem, also genieße ich eine Weile die wunderbare Art des Alleinseins über dem Dach der Alpen.
Mein erstes Etappenziel ist Locarno im Tessin
Hinter dem Pass entsteht ein lang gezogenes Tal, in das ich einfliege. Es ist wieder Grün zu sehen, und ich kann die einen oder anderen tausend Fuß abbauen. Das Tal macht einen Knick nach rechts, dahinter sehe ich in der Ferne einen gewaltigen See: Es ist der Lago Maggiore. Davor muss schon Locarno liegen! Sehr hohe Berge links und rechts, doch das Tal wird breiter und vor allem ganz flach. Ich bekomme jetzt Funkkontakt mit Locarno Tower. Nach meinem Erstanruf erreicht mich zur Begrüßung ein „Please use correct English language now!“ Was für eine Begrüßung – wird gemacht: „D-MAGX, Remos GX, VFR from EDNY with flightplan, eight miles north from your airfield in 5000 feet for landing.“ „We have an airport, not an airfield.“ Diese Schweizer!
Doch der Rest klappt nahezu reibungslos, schwacher Wind direkt auf der Bahn, das Fahrwerk berührt die Piste, und ich freue mich, hier zu sein. An der Parkposition angelangt öffne ich die Kabine. Draußen sind 30 Grad und Sonne – und das im April! Noch gestern in Strausberg fror ich bei zwölf Grad, und jetzt bin ich hier. Der Plan hat schon mal geklappt! Ich räume mein Gepäck zusammen und werde mit einem Wagen abgeholt. Der Abholer fragt nach meinem Piloten. „Hab keinen“, antworte ich einfach. Der nette Mann am Service sagt mir auf Deutsch, dass ich im Funk Englisch reden muss. Verstanden. Seine eigene Muttersprache ist Italienisch. Ich fülle die Zollerklärung aus; ein paar Fragen noch, dann kann ich meiner Wege gehen.
Für die nächsten drei Tage habe ich mir einen Smart gemietet, vor allem, um mir Locarno und Ascona anzusehen. Ging ich erst von zirka 50 Euro für eine Übernachtung im Hotel aus, schraube ich mein Limit rasch auf 100 Euro hoch – etwas andere Preise hier. Nach längerer Suche werde ich fündig: ein Hotel mit großem Zimmer und einer Aussicht, die jeden Preis rechtfertigt. Ich schaue über den See, den Hafen, den Ort und bis zu den hohen Alpengipfeln – in das Tal, aus welchem ich gekommen war. Passenderweise heißt das Hotel „Al Lago“.
Nach dem Auspacken gehe ich an den See. Baden ist etwas für Mutige, denn der See hatte sich noch nicht an die frühsommerlichen Temperaturen gewöhnt. Auch abends ist es immer noch heiß, als ich zum Abendessen nach Ascona gehe. Der Blick in die Speisekarten der Lokalitäten wirft die Frage auf: Schaffe ich das finanziell die nächsten drei Tage? Ich muss ja auch noch auf der Messe überleben! Preise in Franken, aber für eine normale Pizza umgerechnet 20 bis 30 Euro … Ich frage den Kellner, ob ich auch eine kleine kriegen kann. „Sie können klein oder groß nehmen – aber alles gleicher Preis.“ Ich genieße den Abend trotzdem.
Das Wetter bleibt in den nächsten Tagen traumhaft, allerdings mit 20 bis 25 Grad etwas kühler. Ich liege einen ganzen Tag lang am See, mache dann einen Ausflug ins Verzasca-Tal, in dem der Staudamm steht, der im James-Bond-Film „Goldeneye“ als Kulisse diente. Ich bin erwiesenermaßen schwindelfrei, doch beim Blick von der Kante bekomme ich weiche Knie. Verdammt, ist das tief! Weitere Ausflugsziele sind der Ort Lavertezzo mit seiner berühmten Steinbrücke. Das ganze Tal durchzieht ein ausgeschilderter Wanderweg, immer den Fluss entlang.
Am Ende des Tals liegt auf 3000 Fuß der abgeschiedene Ort Sognono mit seinen markanten Granithäusern. Eh ich mich versehe ist Mittwoch, ich will zurück durch die Alpen zur AERO nach Friedrichshafen. Keine Pizza mehr, ich möchte endlich mal wieder ein saftiges Steak für unter 15 Euro! Das Wetter sieht gut aus, alles Oscar bis Charlie. Ich gebe den Flugplan per Notebook auf, der Sprit sollte reichen. Ich habe einen Slot für die Landung und einen Spielraum von 15 Minuten; entsprechend plane ich Reserven ein. Bis EDNY sind es höchstens zwei Stunden, eher anderthalb – das passt.Start bei wolkenlosem Himmel und 23 Grad. Der Tower verlangt „outbound traffic“, das bedeutet: Steige soviel du willst, aber nicht in der Kontrollzone! Doch nach dem Start ist Steigen hier alles: Je höher man ist, desto besser. Vorsichtig frage ich den Herrn, der mir bei der Ankunft ausdrücklich die englische Sprache ans Herz gelegt hat: „Is my flightplan open? Please open my flightplan.“ Nach kurzer Pause kommt auf Deutsch zurück: „Das hab ich schon gemacht für Sie!“ Ich bin gerührt – wie lieb!
Wenige Minuten später meldet sich Zürich Information: „We have new important weather information for you – are you ready to copy?“ Es hätte so schön sein können. Das Wetter hat sich entlang meiner Route verschlechtert, man will mir ein anderes Tal empfehlen. Verstehe ich nicht! TAF, METAR und pc_met, alle haben gute Bedingungen vorausgesagt, und jetzt ist auf einmal alles ganz anders? Die Bewölkung und die Turbulenzen nehmen zu, ich bin nicht mehr weit vom San-Bernardino-Pass entfernt und 9000 Fuß hoch – ich entscheide mich dafür, es zu versuchen.
Plötzlich scheint es, als sei ich in einem Fahrstuhl nach unten gefangen. Ich gebe Vollgas, trotzdem sinkt die Maschine weiter, die Groundspeed fällt kurzzeitig auf nur noch 60 km/h. Ich schaue nach hinten: Im Zweifel kann ich jederzeit umkehren, der Platz ist nicht weit. Daher beschließe ich, weiterzufliegen, denn ich bin sicher, dass nach dem Überqueren des Passes das Saufen ein Ende hat. Bei 8000 Fuß angekommen hört das Sinken auf, ich quere den Pass mit 1000 Fuß Überhöhung und immerhin 90 km/h über Grund. Die kalte Luft aus dem Norden will hier über den Pass – ich will das auch, nur in anderer Richtung.
Ich ziehe die Gurte stramm und halte den Knüppel so locker in der Hand, wie es geht. Bloß keine heftigen Ruderausschläge jetzt. Ein paar Gegenstände bewegen sich wie von selbst durchs Cockpit: Vielleicht hätte ich vorher doch aufräumen sollen. Es wird spürbar kälter. Ölklappe zu, Vergaservorwärmung an – und Ausschau halten nach möglichen Stellen für eine Sicherheitsaußenlandung, falls sich das Wetter jetzt dramatisch verschlechtern sollte. Immerhin bin ich schon über dem oberen Rheintal. Bis zum Ziel kommt nur noch dieses eine Tal, das ist doch schon mal was. Ich gehe bis auf 2000 Fuß über Grund runter, der Motor wird wärmer. Ein Glück – die Turbulenzen lassen nach, die Bewölkung bleibt aber stark. Das Tal wird breiter, die Berge weichen zurück. Der Bodensee ist in Sicht, es ist so gut wie geschafft.
Der Luftraum über dem Bodensee ist wegen der AERO ziemlich dicht
Zürich Information meldet sich und will wissen, ob ich einen Helikopter mit Passagieren fliege: Der Luftraum über dem Bodensee ist wegen der AERO ziemlich dicht, und die Controller achten genau darauf, dass die Anflugverfahren eingehalten werden. Offenbar hat meine geringe Groundspeed die Radarlotsen stutzig gemacht. Ich verneine: „Negative, no helicopter, one person, ultralight Remos GX.“ Ich halte mich dann an die Zürcher Empfehlungen und habe schon bald den Flugplatz Friedrichshafen in Sicht.
Doch direkt anfliegen darf ich ihn nicht, vom Tower kommt die Anweisung: „Melden Sie als nächstes Weingarten“; ein Ort genau an der Nordost-Spitze der Kontrollzone von EDNY. So ganz schmeckt mir dieser Umweg nicht, doch meine Planung geht auf, und ich werde meinen Slot einhalten können. Am Meldepunkt angekommen erhalte ich die Freigabe zum Einflug in die Kontrollzone von Westen. Erneuter Wechsel auf eine andere Towerfrequenz. Ich hab meine Benzinanzeige im Blick: Noch zehn Liter und die Bahn in Sicht, das ist okay. Ich bin die Nummer drei nach einer landenden Maschine – hier ist erkennbar was los. „GX, links überholt Sie eine landende Dash 8, etwa 300 Fuß Entfernung in 8 Uhr.“ Verkehr nicht in Sicht, ich habe hinten kein Fenster! Dann die Landefreigabe für die „26R“ Gras. Na endlich, reicht auch für heute.
Bei der Landung überlege ich, warum ich beim nächsten Mal nicht am UL-Platz Berg bleibe, wo ich vor ein paar Tagen so gastfreundlich empfangen wurde. Der Komfort dort würde mir durchaus reichen, und es ist schließlich nur ein paar Kilometer von der Messe in Friedrichshafen entfernt. Aussteigen und wieder kalte Luft fühlen. Wäre ich in den Alpen umgekehrt, hätte ich es jetzt wärmer. Ich verzurre die Remos, lade meine Taschen aus und steige ich das Fahrzeug, das mich zum Terminal bringt. Überall stehen Flugzeuge, von klein bis ganz groß, bestimmt insgesamt über 500.
Alle wollen zur Messe, ich bin beeindruckt. Nicht so der Zollbeamte – er gähnt nur, schaut auf meine Taschen und lässt mich ziehen. Wenig später sitze ich im Taxi nach Langenargen, dort wartet ein kleines Zimmer auf mich. Abends blicke ich aus meinem Fenster über den Bodensee auf die scheinbar unüberwindbaren schneebedeckten Alpen, denen ich gerade noch so nahe gewesen bin. Der Stolz über das Geschaffte tröstet über die Größe des Zimmers hinweg – war ich doch eben noch in der unendlichen Weite der Gletscher und Berge.
Text und Fotos: Silvia Buhr, fliegermagazin 5/2012
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