Touch & Go Wrocław Szymanów – das Venedig Polens
Breslau hat mit ihrer bewegten und wechselvollen Geschichte viel zu bieten – nicht zuletzt den Flugplatz Szymanów.
Ganz gleich, aus welcher Richtung man sich Wrocław (Breslau) nähert, eine Landmarke weist immer den Weg: der Sky Tower. Ein 212 Meter hoher, stahlblau glänzender Büro- und Wohnturm und das zweithöchste Gebäude Polens. Es gibt im niederschlesischen Tiefland keinen vergleichbaren Blickfang.
Bei fliegenden Breslau-Besuchern ist der Flugplatz Szymanów (EPWS). Er ist etwa zehn Kilometer nördlich der Stadt gelegen und wegen seiner Lage und angenehm entspannten Atmosphäre besonders beliebt. Betrieben wird er vom Aeroklub Wrocławski, der 2017 gleich zwei Großereignisse an den Platz geholt hat. Im Mai den Sailplane Grand Prix und im Juli die Canopy Piloting Polish Open Meisterschaft. Eine auch »Swooping« genannte Fallschirm-Extremsportart.
Die beiden je hundert Meter breiten Grasbahnen sind für Flugzeuge bis 5,7 Tonnen zugelassen, wobei nach Möglichkeit meist die längere »14/32« genutzt wird. Wer mit SkyDemon navigiert, sollte sich übrigens nicht davon abschrecken lassen, dass die sonst so zuverlässige App Szymanów bloß als Segelflugplatz kennt.
Funken auf Englisch ist problemlos möglich
Wir haben uns telefonisch angekündigt. Funken auf Englisch ist problemlos möglich und der Empfang überaus freundlich. Bald nach der Landung begrüßt uns Marek Jóźwicki. Der agile, jugendlich wirkende Leiter des Aeroklubs sichert uns den erbetenen Hallenplatz zu und bestellt für uns ein Taxi in die Stadt. Es gibt auch direkt am Platz verschiedene günstige Unterkünfte, die vom einfachen Bett im Mehrbettzimmer bis zum Doppelzimmer mit Bad reichen. Da jedoch für den nächsten Tag Regen angesagt ist, ziehen wir es vor, im Zentrum zu wohnen und uns ganz der Erkundung Breslaus zu widmen.
Die Taxifahrt zur Altstadt dauert eine Viertelstunde und kostet etwa 40 Złoty (zirka 9,50 Euro). Man hätte am Flugplatz für 100 bis 150 Złoty pro Tag auch ein Auto mieten können, aber wir lassen uns chauffieren. Sobald wir die Oder überqueren und die ersten der zwölf Inseln im Stadtgebiet erblicken, wird klar, warum das von zahlreichen Kanälen durchzogene Breslau mit seinen über hundert Brücken den Beinamen »polnisches Venedig« trägt.
Von den Verheerungen, die diese wasserreiche Lage bei der so genannten Jahrhundertflut vor zwanzig Jahren verursachte, ist längst nichts mehr zu sehen. Als europäische Kulturhauptstadt 2016 hat sich Breslau noch einmal richtig herausgeputzt.
80 Prozent der Lokale können weiterempfohlen werden
Hunger und Neugier treiben uns zum einen Steinwurf vom Hotel entfernten Rynek. Dem wegen seiner Form »Ring« genannten Marktplatz, mit seinen zahlreichen Restaurants und Kneipen. Trotz der späten Stunde herrscht noch blühendes Leben: Touristen, Studenten, im Springbrunnen herumplanschende Kinder. Fast alle europäischen Sprachen sind zu hören, in vielen Restaurants sind die Speisekarten mehrsprachig.
Die Wahl fällt schwer, doch wir erinnern uns an Mareks Bemerkung, dass er in Breslau mindestens 80 Prozent der Lokale guten Gewissens empfehlen könne. So entscheiden wir uns für die traditionelle polnische Küche im »Pod Fredrą« gleich neben dem Alten Rathaus – wir werden nicht enttäuscht.
Vielleicht ist es eine Marotte, doch ich bilde mir ein, eine Stadt nicht zu kennen, wenn ich sie nicht in Ruhe von oben gesehen habe. So besteigen wir am nächsten Morgen den Doppelturm der Magdalenenkirche. Gerade als wir auf den schmalen Steg zwischen den Türmen hinaustreten, setzt der vorhergesagte Regen ein. Wind kommt auf, die Tropfen pfeifen schräg heran, im Nu sind wir durchnässt und treten den Rückzug an.
Breslauer Besonderheit: Bronzeskulpturen von Zwergen
Vom großen Ganzen wird der Blick nun erst einmal aufs Nahe, Kleine umgestellt, und so entdecken wir alsbald eine Breslauer Besonderheit: Überall in der Stadt sind, oft leicht zu übersehen, Bronzeskulpturen von Zwergen aufgestellt, die Schlafwandler, Motorradfahrer, Feuerwehrleute oder auch Sträflinge darstellen.
Das sieht auf den ersten Blick putzig aus, hat aber einen ernsten Hintergrund. Nach der Ausrufung des Kriegszustands durch die kommunistischen Machthaber wurde in Breslau 1981 die Oppositionsgruppe »Orange Alternative« gegründet, die mit Happenings und Kunstaktionen wirkte.
Mittlerweile gibt es in Breslau über 300 bronzene »Krasnale«
Die bekannteste und landesweit nachgeahmte bestand darin, jede übermalte Solidarność-Losung ihrerseits mit einem Zwerg, der eine Blume in der Hand hielt, zu übermalen. Mittlerweile gibt es in Breslau über 300 bronzene »Krasnale« (Polnisch für »Zwerge«), die an diese Akte bürgerlichen Ungehorsams erinnern.
Nach dem Mittagessen klart es auf, und ich entschädige mich für den entgangenen Panoramablick, indem ich den – zu meiner Freude noch deutlich höheren – Turm der Elisabethkirche erklimme. Von hier sieht man die sorgfältig wiederaufgebauten Bürgerhäuser am Rynek, das wuchtige gotische Rathaus, die barocke Universität, die prachtvollen Jugendstil-Kaufhäuser in den alten Einkaufsstraßen und noch vieles mehr. Was für eine Stadt!
Zu Sehenswürdigkeiten zählt die Markthalle von 1908
Im Lauf der Jahrhunderte gehörte sie zu Polen, zu Böhmen, zu Österreich, zu Preußen und zum Deutschen Reich. Nach dem Krieg wurde die Bevölkerung praktisch ausgetauscht . Die meisten der neuen Bewohner waren selbst Vertriebene und kamen aus der Lemberger Gegend, die Polen an Stalins Sowjetunion abtreten musste.
Zu den Sehenswürdigkeiten Breslaus zählt die Markthalle von 1908. Eines der weltweit ersten Gebäude aus Stahlbeton, das außen wie ein Bahnhof und innen wie eine Kirche aussieht. Von dort gelangt man zur Sandinsel und über eine weitere, von Liebenden mit Zehntausenden von Schlössern behängte Brücke zur Dominsel (Tumski Ostrów), deren idyllische Ruhe vom quirligen Rest der Stadt absticht.
Die Jahrhunderthalle – Meilenstein der Architektur
Mich zieht es zu einem anderen Wahrzeichen Breslaus und Meilenstein der Architektur des 20. Jahrhunderts, zur Jahrhunderthalle. An diesem Abend wird in dem monumentalen und doch eleganten Mehrzweckbau eine Oper aufgeführt. Eine willkommene Gelegenheit, ihn auch von innen zu sehen. Der Raumeindruck ist überwältigend! Über 65 Meter weit spannen sich die Bögen unter der Kuppel, was bei der Fertigstellung im Jahr 1913 rekordverdächtig war.
Wer zur Jahrhunderthalle will, kommt fast unvermeidlich am Plac Grunwaldzki, der früheren Kaiserstraße, vorbei. Dass hier ausschließlich moderne Bebauung existiert, liegt an einer der dramatischsten Episoden der Stadtgeschichte. »Wrocławski Manhattan« ist der Spitzname einer angrenzenden Großsiedlung. Als im Frühjahr 1945 sowjetische Truppen die Stadt einschlossen und vom Flugplatz Klein- Gandau abschnitten, ließ NS-Gauleiter Karl Hanke ein ganzes Stadtviertel dem Erdboden gleichmachen, um ein neues Flugfeld zu errichten.
Tausende von Zwangsarbeitern und Zivilisten starben beim Bau der 300 Meter breiten und über einen Kilometer langen Schneise. Militärisch blieb die Sache vollkommen bedeutungslos. Ein einziges Flugzeug landete noch und brachte eine neue Uniform für Hanke. Zudem wird berichtet, dass der Gauleiter sich von dort kurz vor dem Fall Breslaus mit einem Fieseler Storch absetzte.
Szymanów: Der Flugplatz existiert erst seit 1980
Zurück zu Szymanów. Der Flugplatz existiert erst seit 1980, als Klein-Gandau (Gądów Mały) am westlichen Stadtrand geschlossen wurde und die Flieger sich nach einer neuen Bleibe umsehen mussten. Zu beachten ist neben der südlich gelegenen Kontrollzone des Nikolaus-Kopernikus-Flughafens und einem kreisförmigen Sperrgebiet im Westen die in 2100 Fuß beginnenden TRA.
Dass der Flugplatz wie viele andere in Polen, an denen reger Flugbetrieb herrscht, mit einer ATZ geschützt ist, wird anfliegende Piloten nicht weiter stören. Sie müssen ohnehin Funkkontakt aufnehmen. Dann erfahren sie auch, wie es mit den Aktivitäten der Segelflieger und der Fallschirmspringer gerade aussieht.
Einziges kleines Manko: Es gibt am Flugplatz, soweit wir sehen konnten, nichts zu essen. Aber das lässt sich leicht verschmerzen, wenn man dafür sogar Tipps für Restaurants in Breslau kriegt.
Bild und Text: Gernot Krämer
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