REISEN

Spontaner Alpentrip: Im Gyrokopter von Mannheim nach Venedig

Ein Tragschrauber-Pilot träumt schon länger von einer Alpenüberquerung mit dem Gyrokopter. Mit einer Reisegruppe geht sein Traum in Erfüllung.

Von Redaktion
Ziel
Am Ziel! An einem Tag über die Alpen bis nach Venedig – das geht auch mit einem Tragschrauber. Foto: Kevin Krämer

„Langsam absteigen und unter 450 Fuß bleiben“, kommt die Ansage von unserer Tourleiterin Mona. Schon ein eigenartiges Gefühl, so tief. Doch in Italien müssen Basico-ULs, und dazu gehören auch unsere Tragschrauber, unterhalb von 500 Fuß bleiben. Unser eigentliches Ziel werden wir heute allerdings nicht mehr erreichen, wir sind spät dran: Vendig-Lido wird schon geschlossen sein, wenn wir ankommen. Was tun?

Jedesmal, wenn ich mit meinem Tragschrauber zur Wartung vom Saarland nach Mannheim geflogen bin, habe ich schon öfter darüber nachgedacht, längere Touren zu unternehmen. Vielleicht die Alpen überqueren! Mit meinem Gleitschirm fliege ich oft von Schlick (2230 Meter) und Elfer (1820 Meter) im Stubaital, mich fasziniert diese Region. Warum nicht mit dem Gyrokopter das Panorama erleben?

Alpenüberquerung mit dem Gyrokopter: Ein Traum wird wahr

Als ich das nächste Mal mit Mona Hörig telefoniere, die in Mannheim eine Tragschrauber-Flugschule betreibt, sagt sie ganz beiläufig, dass Anfang September eine Tour nach Venedig geplant sei, wenn das Wetter mitspielt. Ich sage ihr sofort zu!

FlugbegeistertFlugbegeistert
Flugbegeistert: Klaus Geissel fliegt nicht nur Tragschrauber, sondern auch Gleitschirm.

Drei Tage bevor es losgeht, ruft mich ein Kevin Krämer an und fragt, ob er bei mir mitfliegen könne. „Und mein Gepäck?“, frage ich zurück. Erst danach lasse ich mir erklären, wer er überhaupt ist: ein Fotograf und Kameramann. Mit seinem Kollegen David Matthei will er einen Film über Monas Flugschule drehen und Fotos schießen. Ums Gepäck soll ich mir keine Sorgen machen: Ein Begleitfahrzeug komme mit, dessen Fahrer Renaldo werde sich um alles Weitere kümmern. „Okay, Du kannst mit!“

Reges Treiben: In Mannheim treffen sich die Teilnehmer

Als ich einen Tag vor Tourbeginn von Saarlouis-Düren starte und am Treffpunkt in Mannheim am City-Airport eintreffe, herrscht vor Ort schon reges Treiben. Ich lerne die anderen Teilnehmer kennen: Rolf Kickhut und Barbara Salewski, Tobias Reinhart mit Ton-Mann David Matthei, Kevins Kollegen. Die beiden bitten mich, ihnen beim Rangieren der Tragschrauber zu helfen, denn im Hangar werden schon Aufnahmen gemacht. Wo es morgen genau hingeht und welche Route gewählt wird? Keine Ahnung, das wird sich bestimmt noch klären. Etwas später lerne ich Steffen Wolfinger kennen, der mit Mona Hörig mitfliegen wird. Unseren Begleitfahrer Renaldo bekomme ich erst kurz vorm Abflug zu sehen.

KennenlernenKennenlernen
Kennenlernen: Bald geht’s los! Barbara Salewski, Fluglehrer Steffen Wolfinger und Mona Hörig sowie Rolf Kickhut (von links) im Hangar in Mannheim.

Die Nacht im nahegelegen Hotel ist nicht sehr erholsam. Was wohl auf mich zukommt? Und wie wird alles ablaufen? Sehr früh klingelt der Wecker, und nach einem kurzen Frühstück bin ich auch schon zu Fuß bei meinem Tragschrauber auf dem Rhein-Neckar Flugplatz Mannheim. Hektik, Nervosität, Fotos und Filmaufnahmen mit und ohne Ausleuchtungsstrahler, Hin- und Hergeschiebe unserer Magni Orion M24 in der Halle und auf dem Vorfeld. Aber immer noch kein Briefing? Was ist das erste Etappenziel, wer fliegt als Erster, wie ist die Abflugreihenfolge? Auf einmal höre ich die Stimme von Mona: „So, lasst warmlaufen. Hier noch die Ausbildungs- und Übungsfrequenz, 123,425 MHz, damit wir im Funk sonst niemand stören. Ist jeder mit genügend Sprit versorgt?“

Nicht ganz einfach: Gemeinsam starten von Mannheim

Mona hat bereits für uns den Funk erledigt, alle hintereinander rollen wir über Taxiway Alpha und Delta zum Rollhalt 09. Der Tower vom City-Airport gibt uns die Startfreigabe. Nacheinander vorrotieren, Gas rein – los geht’s! Jetzt kehrt auch bei mir eine gewisse Ruhe ein, obwohl es nicht ganz einfach ist, alle Tragschrauber immer im Auge zu behalten.

LESEN SIE AUCH
Flugzeuge

UL-Pilot-Report: Magni Gyro M24 Orion

Auf unserer „Quasselfrequenz“ sagt uns Mona, dass wir zuerst Biberach an der Riß ansteuern. Wir gewöhnen uns an die beste Fluggeschwindigkeit, so zwischen 120 und 140 km/h in 3500 Fuß, ohne uns aus den Augen zu verlieren.

Zu Besuch bei den Großen: Im Tiefflug über den Airport Stuttgart

Auf dem Weg kommen wir am Airport Stuttgart vorbei. Zehn Nautische Meilen vor EDDS hören wir Mona nach einem tiefen Überflug unserer vier Tragschrauber fragen. Es klappt, aber mit 15 Minuten Verzögerung. Dazu sollen wir in einem Holding bleiben, bis wir gerufen werden. Als wir den Airport queren, sehen wir zwei Airliner am Rollhalt der Piste 25 stehen. Auf Höhe der Halbbahnmarkierung sollen wir nach links abdrehen – ein beeindruckendes Erlebnis für uns und unsere „Wolkenstaubsauger“.

Airport StuttgartAirport Stuttgart
Schönes Extra: Der Airport Stuttgart gibt der Gyro- Formation auf dem Weg nach Biberach die Freigabe für einen Überflug – die Airliner warten solange.

Bald darauf erreichen wir Biberach. Im Endanflug 100 km/h einstellen, ausschweben und entsprechenden Abstand zum Vordermann einhalten, damit alle reibungslos aneinander vorbeikommen. Bei schönstem Sonnenschein parken wir auf der Wiese und haben gleich viele begeisterte Zuschauer; einige von uns nutzen die Pause und holen sich etwas zu essen. Renaldo und das Begleitfahrzeug sind auch schon da.

Über den Gipfel oder durch das Tal: Jeder wählt seine eigene Strategie

Weiter geht’s, ins Allgäu und durchs Tal vorbei an Garmisch-Partenkirchen, die Alpen liegen nun vor uns. Über Funk diskutieren wir die beste Strategie: über die Gipfel oder durchs nächste Tal? Jeder wählt für sich das Passende aus, nach vierzig Minuten treffen wir wieder von selbst aufeinander. Mona hat bereits beim Flughafen Innsbruck den Durchflug der Kontrollzone klargemacht. Wir bekommen die Freigabe zum Queren in 6000 Fuß und halten Kurs auf den Brenner-Pass. Die Skisprungschanze auf dem Berg Isel wirkt wie eine kleine Kapelle. Jetzt werden die Berge immer höher. Dort das Wipptal, wo ich mich vor kurzem erst mit dem Auto von Innsbruck kommend und ins Stubaital orientierend verfahren habe.

AlpenrandAlpenrand
Fast geschafft: Der Südrand der Alpen ist erreicht, das Wetter meint es gut mit der Reisegruppe. Auch auf dem Rückweg wird es sonnig bleiben.

Lange Funkstille von allen: Jeder genießt das Alpenpanorama. Zu sehen ist jetzt auch die Zaisspitze (2220 Meter), das Kreuzjöchl (2651 Meter) und die Schneetalscharte (2917 Meter). Vorher war noch der Patscherkofel mit seinem markanten Sendemast und dem darunterliegenden Naturschutzgebiet im Blickfeld.

Wo sind die Taxiways? In Trient muss man genau hinschauen

Nächstes Ziel ist Trient, wir drehen die Platzfrequenz ein. Als wir uns nicht auf das richtige Tal einigen können, fliegen wir gemeinsam über die Gipfel hinweg. Trient in Sicht – großer Flugplatz, aber keine Taxiways? Doch, es gibt welche, aber man muss sehr genau hinsehen, um die im Vergleich zur Piste schmalen Rollwege auszumachen. Wir schweben geordnet hintereinander von sehr hoch kommend im Leerlauf auf die Landebahn zu. Nacheinander rollen wir zur Tankstelle, begleichen danach die Landegebühr. Traumwetter – alle sind überwältigt.

TrientTrient
Zwischenstopp: Tanken, tief durchatmen und kurz strecken, dann geht es auch schon weiter – kurze Pause in Trient.

Nach dem Start geht es in Richtung Bozen, auf dem Weg dorthin geht mein Passagier Kevin seiner Arbeit nach und fotografiert die anderen Maschinen. Als das Gelände flacher wird, sinken auch wir nach und nach. Es ist spät geworden, doch wir müssen uns noch einmal konzentrieren, um nicht in die Kontrollzone des Marco Polo Airports einzufliegen, Venedigs Flughafen. Für unser eigentliches Tagesziel, Vendig-Lido (LIPV), ist es bereits zu spät.

Ortskundig: Mona ist Vertriebspartnerin für Magni Gyro

Doch Mona weiß wie immer einen Ausweg, und als Vertriebspartnerin für Magni Gyro kennt sie sich gut aus in Italien. Sie kennt in der Nähe der Lagunenstadt eine kleine Graspiste, auf der wir ohne Funk und Anmeldung dicht hintereinander landen. Siehe da: Im Fliegerlokal ist eine Veranstaltung, und als sich die Gäste noch über die vier ausrollenden Flugobjekte bei untergehender Sonne im Abendlicht wundern, steht schon ein kräftiger Mann vor uns und begrüßt mit lauter Stimme unsere Tourleiterin.

Leider können wir uns nur ganz kurz draußen aufhalten, unzählige Stechmücken fallen über uns her. So schnell wie möglich machen wir uns auf den Weg in die Stadt. Ein Wassertaxi bringt uns zum Nachtquartier: Wir verteilen uns auf zwei an einem Anleger vertäute Motoryachten. Kurz duschen, Kevin hat uns noch einen roten Schlummertrunk besorgt, dann ab in die Kojen.

Athemberaubend: Venedig ist wie ein Museum unter freiem Himmel

Nach einer schwankenden Nacht – nicht wegen des Alkohols – weckt uns das bestellte Taxiboot sehr früh. Wir kehren zum Grasplatz zurück: Erst jetzt im Tageslicht erkennen wir, dass die Piste in Caposile (so heißt der Flugplatz) an beiden Seiten von Wassergräben flankiert wird. Wir wischen den Tau von unseren Tragschraubern, langsam werden alle munter.

KontainerschiffKontainerschiff
Gigantisch: An der Küste treffen die Piloten nicht nur auf elegante Kreuzfahrtschiffe, sondern auch auf wuchtige Container-Riesen.

Das Tagesprogramm: Zum Tanken wollen wir nach Venedig-Lido fliegen, doch vorher stehen noch Foto- und Filmaufnahmen an. Mona und Steffen sind bereits aufgebrochen, als die Motoren der anderen Maschinen noch warmlaufen. Über der Küste treffen wir uns wieder: stahlblaues Wasser, sehr schöne Strände und langsam dahingleitende Kreuzfahrtschiffe. Venedig, ein Museum unter freiem Himmel. Brücken, verwinkelte Gassen und der allgegenwärtige Canale Grande machen den besonderen Charme der schwimmenden Stadt aus.

Kurzer Aufenthalt: In geringer Höhe geht es zurück in die Berge

Landung in Lido, auftanken, dann geht es schon wieder in geringer Höhe in Richtung Berge. Bei über 30 Grad Celsius spürt man, dass die Maschinen arbeiten müssen, wenn man steigen will. Über Whatsapp halten wir Kontakt mit Renaldo im Begleitfahrzeug, der schon in Bozen ist. Er bestellt für uns schon mal Essen beim nächsten Stopp in Trient.

Die Luft wird jetzt kühler, das Steigen ist nicht mehr so mühsam. Weit vorm Brenner kommt uns in gleicher Höhe ein Pulk Gleitschirmpiloten entgegen. „Wo haben die denn ihren Motor?“, fragt mich Kevin verwundert, und ich kläre ihn auf über Thermik und was man damit anstellen kann. Von Blase zu Blase lassen sich durchaus Hunderte von Kilometern zurücklegen!

Viel Betrieb: Auftanken in Kemtpen-Durach

Wir dagegen landen auf dem heute sehr betriebsamen Grasplatz Kempten-Durach wieder in Deutschland. Schon weit vorher hören wir im Funk, dass dort schwer was los ist. Doch der Flugleiter bleibt gelassen: „Ja heit ist’s a mal sehr dick kommen.“ An der Tankstelle warten acht Flugzeuge vor uns. Zeit, um die Allgäuer Berge zu genießen. Kaum zu glauben: von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang nur super Wetter, dazu angenehmer, nicht zu starker Wind – einfach genial.

LESEN SIE AUCH
Wissen

Fünf schwierige Flugplätze: Welche Zusatzqualifikationen sind nötig?

Letzter Start vor der Rückkehr nach Mannheim. Vorrotieren bis 200 Umdrehungen, Vollgas, meine D-MHIW springt und hoppelt bei sehr tiefstehender Sonne und etwas unebener Grasbahn gefühlt sehr lange, bis sie fliegen will. Doch jetzt, ein weiterer Hüpfer – geht doch! Unsere Formation fliegt weiträumig um Stuttgart herum, keiner möchte mehr eine Extratour oder noch etwas „Besonderes sehen“. Nur noch nach Hause.

Funkstille: Alle sind nach der 16 stündigen Reise erschöpft

Langen Information sagt, dass man uns in Mannheim erwarte und der Platz bis 20 Uhr geöffnet sei. Es wird nicht mehr viel geredet, alle sind nur noch platt. Nach einem gemeinsamen Abendessen – auch Renaldo ist mit dem Begleitfahrzeug schon da – fährt jeder außer mir nach Hause. Für mich geht es erst am nächsten Tag nach Saarlouis-Düren zurück. Wir waren fast 16 Stunden in der Luft, haben sehr viel erlebt und auch voneinander gelernt.

Wichtige Erkenntnis für mich: Der Turbomotor des M24 kommt auch bei hohen Temperaturen selbst mit zwei Personen an Bord gut klar, und die gute Heizung in großer Höhe sowie die Frischluftzufuhr bei Hitze sind wirklich Gold wert. Es wird bestimmt nicht meine letzte Reise mit dem Gyro gewesen sein.

Text (Stand 2019): Klaus Geissler, Fotos: Kevin Krämer, Klaus Geissler

Schlagwörter
  • Gyrokopter
  • Magni Gyro
  • Alpenüberquerung
  • City Airport Mannheim
  • Venedig