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Mit der Cessna durch Osteuropa: Märchenschlösser und Indinanerlager

Der Flieger für den Urlaub ist gebucht, das Wetter gibt die Richtung vor – eher nach Süden, und besser Ost als West. Von Kyritz geht es nach Tschechien, dann weiter nach Ungarn.

Von Redaktion
Postkartenwürdig: Parlamentsgebäude in Budapest, im Vordergrund die Türme der Reformierten Kirche am Szilágyi-Deszö-Platz. Foto: Gernot Krämer

Verwundert reiben wir uns die Augen: Sind das wirklich Indianerzelte da unten? Und soll das dort ein Totempfahl sein? Die sonderbare Entdeckung auf einer böhmischen Waldlichtung ist aber bloß ein Vorgeschmack: Als wir nach der Landung in Pilsen mit den Rollkoffern um den Tower biegen, stehen wir vor einer zwanzig- bis dreißigköpfigen Gruppe von Squaws, federgeschmückten Indianerkindern und grillenden Familienvätern in Mokassins.

Indianerträume auszuleben hat in Tschechien eine bis in sozialistische Zeiten zurückreichende Tradition, wie ich erfahre – bei unseren Flügen im Land werden uns noch öfter in der Natur versteckte Wigwams auffallen. Ein schöner, unerwartet exotischer Auftakt für unseren allsommerlichen Fliegerurlaub – dieses Mal durch Osteuropa. 

Fliegerurlaub: Mit der Cessna durch Osteuropa fliegen

Am frühen Nachmittag sind wir, mein Freund Andrew Hoffmann und ich, in Kyritz nordwestlich von Berlin mit einer gecharterten Cessna 172 aufgebrochen. Über die Reiserichtung hat diesmal die zwei Tage vorher eingeholte ausführliche Wetterberatung entschieden: Skandinavien heben wir uns für ein anderes Mal auf – das Risiko, längere Zeit irgendwo festzusitzen, ist uns zu hoch. Auch das Baltikum, Benelux und Frankreich versprechen wenig Sommerliches. Die besten Bedingungen werden noch für die Adria vorhergesagt. Also auf nach Süden! 

Auf Tour!  Andrew Hoffmann (links) und Autor Gernot Krämer vor ihrer Cessna 172. Bild: testcopyright

Und nun stehen wir am Tagesziel Plzeň-Líně neben den grillenden Indianern und teilen uns in bewährter Weise die Aufgaben: Ich buche mit dem Tablet ein Hotel, Andrew bestellt ein Taxi, das gerade in dem Moment um die Ecke biegt, als die Bestätigung aufploppt. Eine knappe halbe Stunde später sind wir eingecheckt und machen uns auf, die Stadt zu entdecken. Auffallend die überdimensioniert wirkende Oper, der riesige Marktplatz und die drittgrößte Synagoge der Welt, aber auch die vielen lauschigen und grünen Ecken. Bei böhmischer Küche und natürlich einem kühlen Pilsener schließen wir den Rundgang ab. 

Wir folgen dem Wetter und fliegen nach Budapest

Nach dem Frühstück holen wir wieder eine Wetterberatung ein. Einem Flug ins slowenische Portorož scheint nichts entgegenzustehen, wenn wir uns nicht allzuviel Zeit lassen. Am Ende des Gesprächs mit dem Meteorologen frage ich noch, wie lange die von Westen aufziehende Kaltfront den Weiterflug von dort im schlimmsten Fall behindern könne. »Ach, Sie wollen weiter?« fragt der Wettermann überrascht. »Das wird in den nächsten zwei, drei Tagen schwierig.« Also alles auf Anfang. Wir geben die Adria auf und entscheiden uns, dem schönen Wetter nach Budapest zu folgen. Sollten die Ausläufer der Front morgen auch dort für Widrigkeiten sorgen, gibt es immerhin genug zu sehen, um sich über einen am Boden verbrachten Tag hinwegzutrösten. 

Abendstimmung  Unterwegs in Pilsen. Die Große Synagoge wurde in den neunziger Jahren umfassend restauriert, sie ist die drittgrößte der Welt.

Den Flugplan geben wir ins slowakische Trnava auf, wo wir uns am Steuer abwechseln wollen; nach dem Zwischenstopp geht es weiter zum General-Aviation-Flugplatz Budaörs. Praha FIS lässt uns auf geradem Kurs über die besonders reizvolle mittelböhmische Landschaft mit ihren sanft gewellten Feldern, alten Städten und Wäldern fliegen. Wir haben viel Zeit zu schauen, die zum 70 Kilometer langen Orlík-See aufgestaute Moldau fügt sich ausgesprochen malerisch ein. 

Panoramablick: Altstadt von Buda, Zitadelle und Burg

Am Funk in Trnava (LZTR) antwortet niemand, obwohl ganz offensichtlich Betrieb herrscht, also melden wir regelmäßig unsere Position und fädeln uns in die Platzrunde ein. Der weitläufige Grasplatz wirkt gepflegt, aber etwas einsam. Wir berappen die bar zu bezahlenden vier Euro Landegebühr (die Slowakei hat im Unterschied zu Tschechien den Euro eingeführt), plaudern mit ortsansässigen Piloten, schauen auf die Uhr, um die im Flugplan angegebene Departure Time nicht zu versäumen.

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Die knappe Stunde bis zum Tagesziel beginnt mit Tiefflug, denn im Bereich der TMA Bratislava müssen wir unter 1500 Fuß bleiben. Sobald die in Richtung Süden fließende Vah (Waag) in Sicht kommt, steigen wir und stoßen bei Süttő auf die Donau, die ungarische Grenze. Dann beginnt auch schon das Anflugprozedere auf Budaörs, das sich trotz der relativ hohen Verkehrsdichte als unkompliziert erweist. Weil die »27L« in Betrieb ist, bekommen wir rechter Hand einen Panoramablick auf Budapest geboten. Obwohl noch einige Kilometer entfernt, lassen sich die erhöht gelegene Altstadt von Buda, die Zitadelle und die Burg deutlich ausmachen. 

Erster internationaler Flughafen Ungarns liegt in Budaörs

In Budaörs – 1937 als erster internationaler Flughafens Ungarns eröffnet – bekommt man noch eine Vorstellung davon, wie Flugplätze in der Frühzeit der Verkehrsfliegerei ausgesehen haben. Die leicht eiförmige Gestalt des Flugfelds, die grundsätzlich Starts gegen den Wind ermöglichte, ist noch zu erkennen, und der einst größte Hangar Europas steht heute unter Denkmalschutz. Das gilt auch für das wunderschöne, teilrestaurierte Abfertigungsgebäude, aus dem der noch in Betrieb befindliche Tower wie eine U-Boot-Kanzel ragt.

Der Ausblick von oben ist fabelhaft, die Hitze in dem Glaskasten aber selbst am Abend noch enorm. Kein Wunder, dass der korpulente, nur mit einer Shorts bekleidete Flugleiter mit dem Handfunkgerät auf dem Flachdach herumläuft, um frische Luft zu schöpfen. Zum Ambiente passen die von der Goldtimer-Stiftung betriebenen historischen Flugzeuge, die man regelmäßig in der Luft sehen kann, darunter eine Lissunow Li-2 (sowjetischer Lizenzbau der DC-3) und ein Polikarpow-Doppeldecker. 

Schlechte Wetterlage: Wir bleiben weiterhin in Budapest

Nach dem Abendessen lassen wir uns auf die Fischerbastei fahren, um die Stadt im Lichterglanz zu sehen. Im Hotelzimmer mache ich den Fernseher an: Gerade wird von schweren Unwettern berichtet, jemand hält taubeneigroße Hagelkörner in die Kamera, die in Istrien niedergingen. Die hätten wir wohl auch abgekriegt, wären wir nach Portorož geflogen. 

Wie erwartet sind die Wetteraussichten am nächsten Tag in alle Himmelsrichtungen recht bescheiden, und wir beschließen, in Budapest zu bleiben. Nicht weit vom Hotel befindet sich der Városliget-Park, den wir als erstes ansteuern. Der Weg führt über den monumentalen Heldenplatz, wo – wie es der Zufall will – gerade die paramilitärische Magyar Gárda aufmarschiert ist, eine rechtsextreme Vereinigung, die 2009 verboten wurde, sich aber unter leicht geändertem Namen neu gegründet hat. Vor lauter krachledern auftretenden Uniformierten übersieht man leicht die Volksmusiker, die es vielleicht als Vorwand für die Anmeldung des Aufmarschs brauchte. Schwer vorstellbar, dass anderswo in Europa eine Quasi-Privatarmee derart einschüchternd auf einem öffentlichen Platz auftreten könnte. 

Die Altstadt Buda liegt auf einem Hügel

Glücklicherweise herrscht im wenige hundert Meter entfernten Park eine sommerlich-entspannte Atmosphäre, Familien schippern in praktischerweise gleich mit Sonnenschirmen ausgestatteten Booten auf dem großen Teich umher oder probieren die Leckereien beim koreanischen Food-Festival in Schloss Vajdahunyad. 

Donau-Insel  Nördlich von Budapest, bei Szentendre, teilt sich die Donau für einige Kilometer. Stadt und die gleichnamige Insel sind beliebte Reiseziele. 

Der Gebäudekomplex ist ein Kuriosum: Er wurde 1896 zum tausendjährigen Bestehen Ungarns zunächst aus Holz gebaut und sollte alle im Land vorkommenden historischen Baustile vereinen. Das Ergebnis ist eine eigentlich unmögliche Mischung, eine Art Disneyland-Schloss. Wegen des großen Zuspruchs, den es bei den Budapestern fand, wurde es nach den Feiern noch einmal neu aus Stein gebaut.

In den Gassen der beschaulichen Altstadt von Buda, die von Mauern geschützt auf einem Hügel liegt, hat man nicht den Eindruck, in einer Metropole mit 1,7 Millionen Einwohnern zu sein. Erst an der Matthiaskirche und der Fischerbastei wird es wieder trubelig. Der Blick übers Häusermeer und die majestätisch dahinströmende Donau ist famos. 

Der Flugplan wird über SkyDemon im Taxi aufgegeben

Der nächste Morgen beginnt wieder mit einem ausführlichen Wetterbriefing, bei dem wir wegen unseres begrenzten Zeitbudgets die weitere Entwicklung schon mitbedenken müssen. Im Süden bleibt es unerfreulich. Wir verständigen uns auf den Weiterflug ins südostpolnische Rzeszów, mit einer Zwischenlandung auf Europas höchstgelegenem Verkehrsflughafen Poprad in der Slowakei (2356 Fuß). Nach Abzug der erwarteten neuen Regenfront wollen wir aus Polen dann wieder Richtung Westen ins tschechische Olomouc, das ich schon lange auf meiner Liste habe. Den Flugplan gebe ich im Taxi über SkyDemon auf. Gerade als wir aussteigen, kommt ein Anruf aus Poprad: Freundlich aber bestimmt erklärt eine Dame, eine Landung dort sei wegen eines OSZE-Ministertreffens heute nicht möglich. Das hat vermutlich auch in einem NOTAM gestanden … 

Aufragend  Freier Blick zum Horizont, auf die Hohe Tatra. Der höchste Gipfel, die Gerlsdorfer Spitze, ragt 2655 Meter empor.

Statt nach Poprad gebe ich den neuen Flugplan ins 30 Kilometer südöstlich davon gelegene Spišska Nova Ves auf – ein sehr langer Grasplatz, den wir nach eineinviertel Stunden Flug erreichen. Die Strecke führt über den Nationalpark Slowakisches Paradies mit seinen Schluchten und Wasserfällen, noch beeindruckender ist aber der Anblick der schneebedeckten Hohe Tatra, des (flächenmäßig) kleinsten Hochgebirges der Welt. Schade, dass wir wieder nur auf der Durchreise sind, die Slowakei wäre einen längeren Aufenthalt wert.

Nach einer Stärkung im Flugplatzlokal nimmt Andrew wieder auf dem linken Sitz Platz. Wir überfliegen die riesige Burgruine Zips (Spiš), die dem Zipser Land – bis Kriegsende Siedlungsgebiet von Karpatendeutschen – den Namen gab, dann geht es über die Beskiden in nordöstlicher Richtung weiter nach Rzeszów (Scheschuff ausgesprochen, der erste Laut ist weich wie das G in »Genie«, betont wird auf der ersten Silbe). 

Über Nacht im Aviation Valley

Rzeszów-Jasionka ist ein Verkehrsflughafen im Dreiländereck Polen-Ukraine-Slowakei und liegt im sogenannten Aviation Valley, wo 90 Prozent der polnischen Luftfahrtindustrie angesiedelt sind. Dass die Gegend ein Forschungs- und Technologiezentrum ist, merkt man auch an den Firmenzentralen, an denen wir im Taxi vorbeikommen. Wir übernachten im Hotel Ambasadorski am Marktplatz, dem von etlichen Restaurants gesäumten Schmuckstück der Altstadt, und ich unternehme einen ausgedehnten Spaziergang am Ufer des Wisłok. Außerhalb des kleinen Zentrums macht Rzeszów, die Hauptstadt des Karpatenvorlands, einen etwas nüchternen Eindruck. 

Tag fünf von sechs des Fliegerurlaubs beschert uns kräftigen Gegenwind auf dem geplanten Westkurs ins mährische Olomouc (Olmütz). Beim Vorflugcheck auf dem weiten und fast leeren Vorfeld muss man alles festhalten, sonst ist es weg. Stoisch steht der Handling Agent mit flatternder Warnweste und keulenartig schwingendem Lederschlips neben uns. Aus unerfindlichen Gründen braucht der Tankwagen eine Ewigkeit, und als er endlich kommt, ist selbst der verlängerte Flugplan schon verfallen. Um Zeit zu sparen, verzichten wir auf eine Zwischenlandung, fliegen südlich an Krakau vorbei – schöne Erinnerung an einen früheren Fliegerurlaub –, erreichen bei Ostrava den tschechischen Luftraum und sehen bald darauf die Türme der Stadt. 

Olmütz ist noch ein echter Geheimtipp – nur wenige Touristen

Der Empfang in LKOL ist ausgesprochen freundlich, man bietet uns einen Hangarplatz an, hilft beim Rangieren, bestellt ein Taxi und gibt Tipps für Restaurants. Auch am Flugplatz selbst – früher eine sowjetische Hubschrauberbasis – gibt es ein Lokal, das einen netten Eindruck macht. Die Adelspaläste, Kirchen, prächtigen Barockbrunnen zeugen von der einstigen Bedeutung der Universitäts- und Bischofsstadt Olmütz an einer Schleife der March (Morava), des Flusses, der Mähren seinen Namen gab. 

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Wir verbringen einen lauen Sommerabend und einen sonnigen Vormittag in der Stadt, erkunden die Plätze, Gassen und Gärten und wundern uns über die herrliche Ruhe an diesem doch so sehenswerten Ort. Trotz der Hochsaison tummeln sich hier keine Menschenmassen wie in Karlsbad oder Český Krumlov (Böhmisch Krumau), ganz zu schweigen von Prag. Es ist eben noch fast ein Geheimtipp. 

Ein letzter Zwischenstopp in Vrachlabi am Riesengebirge

Als Mitbringsel käme Olmützer Quargel in Frage: ein Sauermilchkäse, der an Harzer erinnert. Wegen des würzigen Geruchs verzichte ich aber doch auf die Mitnahme im Cockpit. Dann wird die D-EDXH zum letzten Mal auf der Reise betankt, und wir nehmen zunächst Kurs auf Burg Bouzov, die wie ein Dornröschenschloss aussieht. Tatsächlich wurden dort einige der bekannten tschechischen Märchenfilme gedreht. Und wieder überfliegen wir Indianerlager. Wüsste ich es jetzt nicht besser, hätte ich wohl auch sie für Filmkulissen gehalten. 

Als Zwischenstation wählen wir Vrchlabi (Hohenelbe) am Riesengebirge. Dort ist gerade absolut nichts los, weder im Funk noch am Boden – die einzige menschliche Seele ist ein mähender Traktorfahrer, der von Weitem grüßt. Wir setzen uns auf eine Bank und verzehren unsere Butterbrote, dann fliegt Andrew uns nach Hause. Die Riesengebirgsgipfel – Schneekoppe, Reifträger, Hohes Rad – ziehen vorbei, auf deutscher Seite gefolgt vom Zittauer Gebirge, der Lausitz und dem Fläming. 

Urlaub mit einer Bedingung: Es muss ein neuer Ort sein

Rückblickend betrachtet hatten Andrew und ich noch fast keinen Fliegerurlaub, ohne mehr oder weniger weitreichende Konzessionen ans Wetter zu machen. Warum auch? Wir haben ja Urlaub, und den wollen wir möglichst dort verbringen, wo es gerade schön ist. Mit keinem Verkehrsmittel ist das leichter möglich als mit dem eigenen – oder gecharterten – Flugzeug. 

Wo wir am Ende landen, ist ein bißchen wie der Griff in eine Wundertüte. Ich habe immer nur eine Bedingung: Es muss ein neuer Ort sein.

Text & Autor: Gernot Krämer, erstmals erschienen in fliegermagazin 2/2021

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