REISEN

Mit der Boeing Stearman übers Watt und nach Rügen

Zwei Piloten aus den Niederlanden erfüllen sich einen Traum: Sie fliegen mit ihrer Boeing Stearman erst an die Nordsee, und dann in Richtung Osten weiter bis zu den Kreidefelsen.

Von Redaktion
Mit der Boeing Stearman nach Rügen
Warum in die Ferne schweifen? Nord- und Ostsee haben für Piloten eine ganze Menge zu bieten, wie hier die Kreidefelsen auf Rügen. Foto: Thomas Fassin

Schon länger hatten wir diese Idee: mit unserer Boeing Stearman, Baujahr 1940, über die Nordsee-Inseln die Küste entlang bis nach Rügen zu fliegen. Unsere Basis haben wir auf dem Flugplatz Stadtlohn im Münsterland, gleich hinter der niederländisch-deutschen Grenze. Im August machte ich mich zunächst allein auf den Weg nach Texel. Meine Familie kam mit dem Auto nach, zusammen machten wir erstmal eine Woche lang Inselurlaub.

Texel ist die größte der niederländischen Inseln, etwa 20 Kilometer lang und acht Kilometer breit. Der Flugplatz dort ist geradezu perfekt für einen Klassiker wie die Stearman: gekreuzte Graspisten, passend für alle Windrichtungen. Die freundlichen Inhaber und Flugleiter von Texel International Airport (EHTX), Mike und Ed de Bruin, hatten einen Hallenplatz für mich reserviert, und die Stearman diente sogar noch als Deko bei einer Veranstaltung für Drohnen. Mit dem Fahrrad kann man die Insel sehr gut erkunden, man kann durch die Dünen wandern oder per Schiff einen Ausflug zu den Seehundbänken machen – und die Restaurants an der Strandpromenade sind empfehlenswert.

Fliegerfreund Jaap Steinfoorn wird mit der Boeing Stearman abgeholt

Die Woche ging zu Ende, und ich flog weiter nach Hoogeveen, um meinen langjährigen Fliegerfreund Jaap Steinfoorn einzusammeln. Unser Trip nach Rügen beginnt!

Freiheit! Klassischer Doppeldecker, offenes Cockpit, die Nase im Wind – Jaap Steinfoorn (hinten) und Autor Thomas Fassin genießen ihren Fliegerurlaub im Sommer 2020.

Jaap ist ein pensionierter Transavia-Flugkapitän mit 29000 Flugstunden Erfahrung, in den letzten Jahren haben wir viele schöne Touren mit der Stearman unternommen. Die meisten Flüge machen wir, soweit möglich, auf der Sicherheitsmindesthöhe 500 Fuß. Wie beim Ballonfahren winkt man uns vom Boden aus zu, der alte Doppeldecker zieht einfach alle Blicke auf sich.

Wir fliegen hoch zu den Ostfriesischen Inseln und dann nach Heide-Büsum

Von Hoogeveen starten wir in Richtung Leer-Papenburg (EDWF), dort tanken wir voll. Unser Tagesziel ist Heide-Büsum, und unsere Route führt uns zuerst hoch zu den Ostfriesischen Inseln. Als wir die Nordseeküste erreichen, ist Niedrigwasser – die Strukturen im Watt sind ein besonderer Anblick. Wir drehen über Norderney in Richtung Osten, es folgen Baltrum, Langeoog, Spiekeroog und Wangerooge. Es ist Hochsommer, doch die Strände sind in weiten Teilen leer, die Pandemie macht sich auch aus der Luft bemerkbar.

LESEN SIE AUCH
Anflug von Nordwesten
Reisen

Flugplatz Wangerooge: „Moin“ geht hier rund um die Uhr

Über Nacht bleiben wir in Büsum, die Unterkunft haben wir kurzfristig gebucht: Wir wollen flexibel bleiben, denn man weiß nie genau, wie weit man kommen wird. Auch die Stearman bekommt einen Hangarplatz, dank Flugleiter Achim, der das organisiert hat. Vom Flugplatz fahren Jaap und ich mit Elektro-Bikes zum Hotel, eine historische Mühle mit Namen Margaretha. Schon lustig: Sie ist nach holländischem Vorbild gebaut, wir fühlen uns also fast wie zu Hause! Wir genießen dort ein großartiges Essen, dann sehen wir uns Büsum an.

Büsum war einst eine kleine Insel in der Nordsee

Früher war Büsum mal eine kleine Insel in der Nordsee, lernen wir. Sturmfluten, aber auch Landgewinnung haben das Bild des Orts über die Jahrhunderte immer wieder verändert. Heute ist Büsum mit 3500 Metern Strand und der künstlich angelegten Perlebucht ein beliebtes Ausflugs- und Urlaubsziel.

Abendrot über Büsum. In Corona-Zeiten ist der Betrieb an den beliebten Urlaubsorten eher mäßig.

Am nächsten Morgen fragt uns Flugleiter Achim, ob er eine Platzrunde mitfliegen kann. Gesagt, getan! Ich übernehme in der Zwischenzeit den Funk, und Jaap dreht eine Runde mit Achim. Für ihn ist es der erste Flug in einer Stearman – er hat es sehr genossen!

Unser nächstes Reiseziel ist der Flugplatz Pellworm (EDHP)

Wir brechen nach Pellworm (EDHP) auf: Vor längerer Zeit hatte ich im fliegermagazin gelesen, dass die Insel ein schönes Ausflugsziel sei. Es ist ein kurzer Flug von Büsum, wir haben uns vorher telefonisch angekündigt und werden schon erwartet. »Moin moin«, melden wir uns im Funk und erhalten die Landeinformationen. Leichter Seitenwind, kein weiterer Verkehr, wir dürfen uns die Landerichtung aussuchen.

Der »Tower« von Pellworm ist urig: eine Art Heuschober, in dem wir unsere fünf Euro Landegebühr berappen. So muss das Fliegen in alten Zeiten gewesen sein: einfach neben dem Bauernhof auf der Wiese landen. Auch hier können wir direkt am Platz Fahrräder mieten, wir radeln zum Hafen für einen guten Kaffee und Kuchen.

Nach dem Start zum Weiterflug drehen wir eine kleine Runde, um Pellworm noch einmal aus der Vogelperspektive zu bewundern. Dann steuern wir Kiel-Holtenau für einen Tankstopp an. EDHK ist für unseren Geschmack schon fast zu groß, ein echter Flugplatz eben – was für ein Unterschied zu den kleinen, charmanten Grasplätzen wie Texel oder Pellworm.

Mit der Boeing Stearman wollen wir keine großen Wasserflächen überqueren

Von Kiel fliegen wir weiter die Küste entlang über Wismar und Rostock. Mit der 80 Jahre alten Stearman möchten wir keine all zu großen Wasserflächen überqueren – eine Notlandung auf dem Wasser mit einem offenen Doppeldecker wäre sicherlich ein Alptraum. Außerdem sind Doppeldecker fliegende Widerstände und gleiten nicht sonderlich gut, um es vorsichtig auszudrücken – auch das muss man immer im Hinterkopf haben.

Runde Sache: Panoramablick auf den historischen Kern der Hansestadt Lübeck. Man erkennt gut, wie die Trave und der Stadtgraben das Zentrum umfließen.

Vor allem Rostock ist aus der Luft als Industrie- und Hafenstadt gut zu erkennen. In Wismar und Barth machen wir kurze Zwischenlandungen, dann geht es an diesem zweiten sonnigen Flugtag weiter nach Stralsund – eine beschauliche Hafenstadt, nicht weit entfernt von Rügen. Kurzfristig ist auf Rügen keine Unterkunft zu bekommen, doch Stralsund (EDBV) erweist sich als Alternative, die ich jedem empfehlen kann. Zum essen gehen wir in ein Restaurant am Hafen, direkt neben dem Dreimaster »Gorch Fock«, nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Schulschiff der Bundesmarine.

Der nächste Tag hält für mich einen der schönsten Stearman-Flüge bereit: Wir umrunden die Insel Rügen, entlang der Kreidefelsen und dem legendären Königs- stuhl, 1818 verewigt im bekannten Gemälde von Caspar David Friedrich. Doch was ist das? Als Überraschung segelt die Gorch Fock unter uns! Nein, das kann nicht sein: Sie ist heute ein reines Museumsschiff. Es ist ein anderer Traditionssegler, die Loth Loriën – doch die Täuschung ist perfekt, und kurz glauben wir tatsächlich, dem Fliegenden Holländer begegnet zu sein. Wir dagegen landen; auf dem Flugplatz Rügen (EDCG) werden wir herzlich empfangen.

Das Wetter spielt die nächsten Tage nicht mit

Die Wettervorhersagen für die kommenden Tage sind nicht so gut, und als wir den Rückweg antreten, schaffen wir es von Rügen immerhin schon bis nach Lübeck. Wieder ein Airport, mit den typischen Begleiterscheinungen: viel funken, was im offenen Cockpit nicht immer einfach ist, dazu Funkfrequenzen für Tower und Boden, dann ein »Folow-me«-Auto und der Kleinbus, um zum Terminal zu kommen. Immerhin steht die Stearman wieder trocken in einem Hangar.

Industrie & Gotik: Die riesige Halle der Wismarer Werft ist aus der Luft schon von weitem zu erkennen. In der Altstadt ragen die drei großen gotischen Kirchen als markante Bauwerke empor.

Der Flughafen Lübeck-Blankensee ist komplett neu gestaltet, man sieht die gewaltige Investition des neuen Inhabers. Am nächsten Tag sollen wieder die ersten Linienflüge stattfinden, nach München und Stuttgart – dagegen wird am Portal offenbar protestiert, es gibt dort eine Demo und viel Polizei.

Die dunklen Wolken kommen kurz vor Schluss

Am Abend machen wir in der Lübecker Altstadt Pläne für den nächsten Tag. Es soll Gewitter über Norddeutschland geben – leider genau dort, wo wir hinwollen. Wir beschließen, so früh wie möglich am Flughafen zu sein, um die aktuelle Lage zu beurteilen. Es zeigt sich, dass wir das schlechte Wetter umfliegen können. Und mit vollem Tank kämen wir sogar in einem Rutsch nach Hoogeveen zurück, immer vorausgesetzt, die Umwege halten sich in Grenzen.

Doch so viel Zeit muss noch sein: Wir drehen eine Runde über Lübeck, die Stadt an der Trave sieht auch von oben großartig aus. Dann passieren wir die Kontrollzone von Hamburg-Fuhlsbüttel süd- lich und nehmen Kurs auf Bremen. Das Wetter wird jetzt schlechter, den ersten Regenschauern können wir nicht entkommen. Die Wolkenuntergrenze liegt bei 3000 Fuß, glücklicherweise mit ausreichenden Lücken, sodass wir eine Weile über die Wolken steigen.

In 13 Flugstunden 1750 Kilometer mit der Boeing Stearman zurückgelegt

Unsere Kalkulation wird nun doch zu knapp, und so entschließen wir uns, zur Sicherheit einen Zwischenstopp in Damme einzulegen. Die richtige Entscheidung, denn nach dem Tanken und einer Verschnaufpause hat sich das Wetter so weit gebessert, dass wir heute doch noch bis Hoogeveen kommen werden. Dort verabschiedet sich Jaap von mir. Das war wieder einmal ein toller Trip! Wir haben in 13 wunderschönen Flugstunden 1750 Kilometer zurückgelegt. Bei der letzten Etappe, solo zurück nach Stadtlohn, lasse ich die zahlreichen neuen Eindrücke nachwirken.

Boeing Stearman Model 75 N2S-1: Daten und Fakten

Der historische Doppeldecker, mit dem die beiden Reisenden unterwegs waren, wurde 1940 gebaut und war noch bis Juli 1945 bei der U.S. Navy als Trainer im Einsatz. Bei der letzten umfassenden Restaurierung (2011 bis 2014) wurde die »N54WP« zum Dreisitzer umgebaut – so wie frühe Exemplare aus den zwanziger Jahren, die im vorderen Cockpit Platz für zwei nebeneinander sitzende (schmale) Passagiere hatten.

Boeing Stearman Model 75 N2S-1.

Je nach Zählweise wurden bis Produktionsende 1944 knapp 10 600 Exemplare des Model 75 gebaut; laut Boeing 8585 plus 2000 Stück in Form von Ersatzteilen. Heute sollen noch zirka 1500 Stearman weltweit in flugfähigem Zustand sein. Der Sternmotor der im Reisebericht geflogenen Maschine ist ein Original, ein Continental R-670-14 mit sieben Zylindern und 220 PS.

Der Holzprop von MT ist dagegen neu. Thomas Fassin erwarb die Boeing 2007 in San Diego in den USA als »Flying Project« und machte mit ihr Touren in Kalifornien. 2010 brachte er sie dann per Container in die Niederlande.

Text & Fotos: Thomas Fassin

Schlagwörter
  • Flugplatz
  • Flugplatz Texel
  • Boeing Stearman