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Mit dem Flugzeug quer durch Uruguay – ein Reisebericht
Lebensfreude am Boden, malerische Landschaften aus der Luft – in Uruguay zu reisen ist ein Genuss. Ein Trip durch den lateinamerikanischen Staat führt von Montevideo im Süden zum Gaucho-Festival nach Tacuarembó ganz im Norden.
„Ein Flugplatz für Kleinflugzeuge? Nein, so etwas gibt’s nicht in Montevideo.“ Mit großer Bestimmtheit verneinen sowohl der Stadtführer als auch der Hotelrezeptionist meine Frage. Aber ich gebe trotz minimaler Spanischkenntnisse nicht auf. In einer kleinen Reiseagentur komme ich schließlich weiter: Der alte Flugplatz von Montevideo liege außerhalb der Stadt und sei mit dem Bus der Linie 148 erreichbar.
In der Hoffnung, dort an einem Wochenende Privatpiloten anzutreffen, machen wir uns am nächsten Sonntag auf den Weg. Der Bus fährt und fährt, bis nur noch meine Freundin Beverley und ich drin sitzen. Der Busfahrer wundert sich und fragt, wo wir hinwollen. „Nach La Melilla“. Okay, das sei die Endstation. Unsere Uruguay Reise nimmt so langsam Fahrt auf.
Uruguay Reise: Unser Start ist in Montevideo
Nach einstündiger Fahrt vom Stadtzentrum sind wir an einem ziemlich großen Flugplatz, der auf den ersten Blick baufällig und verlassen wirkt. Kein Mensch weit und breit, nur die Feuerwehr scheint besetzt zu sein. Wir fragen uns mehr schlecht als recht auf Spanisch durch, bis wir das Gebäude des Aero Club del Uruguay entdecken. Carolina und Jorge begrüßen uns herzlich und können kaum glauben, dass zwei Frauen aus Deutschland und Botswana in Uruguay fliegen wollen. „Wohin? Nach Tacuarembó? Was wollt Ihr denn dort?“
Ich möchte unbedingt in diesen kleinen Ort im Norden des Landes, um das Festival der Gauchos zu besuchen, das dort traditionell jedes Jahr im März gefeiert wird. Für Jorge scheint das eine absurde Idee zu sein. Doch seine Begeisterung, sich mit einer Fliegerin aus dem fernen Europa austauschen zu können, bestimmt unsere Begegnung und wie sich später zeigt auch jeden weiteren Kontakt mit Piloten anderer Aeroclubs, die ich in den folgenden drei Wochen kennenlerne.
Sturmschäden: Vier Flugzeuge wurden durch den Einsturz des Hallendachs beschädigt
Jorge Radi ist der Erste Vorsitzende, Flugbetriebsleiter und Cheffluglehrer des ältesten Fliegerclubs im Land. Seine Tochter Carolina hilft ihm in organisatorischen Angelegenheiten und bei der Abrechnung. Bevor wir aber in die Details unseres beabsichtigten Trips einsteigen, zeigt uns Jorge die Katastrophe, die ein heftiger Sturm genau eine Woche zuvor angerichtet hat. Am selben Tag blieb der Hafen in Colonia del Sacramento gesperrt, weshalb ich auf der anderen Seite des Rio de la Plata in Argentinien festsaß. Doch was ist das schon gegen die vier Flugzeuge, die durch den Einsturz des Hallendachs beschädigt wurden! Die gesamte Flotte des Aeroclubs ist betroffen. Was nun? Womit sollen wir fliegen?
Jorge hat bereits eine betagte Cessna 150 der Flugschule nebenan ausgeliehen, um zumindest den Schulbetrieb aufrechterhalten zu können. Mit einer Mischung aus Englisch, Deutsch und Spanisch sowie mit Händen und Füßen können wir verständlich machen, dass meine Freundin nicht mitkommen würde, die zweisitzige Cessna also ausreicht. Und so verabreden Jorge und ich, in zwei Wochen gemeinsam zum Fiesta de la Patria Gaucho quer durchs Land zu fliegen.
Wunderschöne Küste: Rundreise durch Uruguay
Beverley und ich waren bis dahin die wunderschöne Küste Uruguays rauf und runter gereist, hatten alte spanische und portugiesische Festungen besucht und riesige Estancias: Farmen, auf denen Rinder und Pferde gehalten werden, wo aber auch immer mehr Öko-Tourismus stattfindet. Bei Piriápolis erkletterten wir den dritthöchsten Berg des Landes – na ja, sagen wir besser Hügel, denn der Cerro Pan de Azúcar, zu Deutsch Zuckerhut, hat nur 389 Meter. Dennoch bietet er eine herrliche Aussicht bis zum internationalen Flughafen von Punta del Este, dem Monaco Südamerikas.
Dort überragt ein Wolkenkratzer den nächsten, ganz atypisch für das Land; es gibt einen bombastischen Jachthafen und viele edle Restaurants. Unterwegs waren wir in Kunstgalerien, und zurück in Montevideo verbrachten wir einen Abend im bekannten Teatro Solís, wo wir staunend die Geschehnisse auf der Bühne verfolgten, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. Wir genossen hiesiges Rindfleisch in allen Variationen und versuchten so, den drei Millionen Einwohnern dabei zu helfen, ihre zwölf Millionen Rinder zu verzehren. Und schließlich trafen wir uns mit Freunden aus Botswana, die kürzlich nach Uruguay umgezogen waren.
Karneval in Montevideo: Viele Urlauber aus Nachbarländern kommen zu Besuch
Die bequemen Überlandbusse, die stets auf die Minute pünktlich fuhren, sowie die gut strukturierten Busbahnhöfe, Informations- und vor allem Online-Buchungsmöglichkeiten machten unsere Reise durchs Land unkompliziert und entspannt. Nur mit einer Sache hatten wir nicht gerechnet: dem Ansturm von Urlaubern aus den Nachbarländern zum Karneval. Montevideo ist nämlich nicht nur die Stadt des Tangos, mit Live-Musik an fast jeder Straßenecke, tanzenden Senioren mitten in der Altstadt am Samstagnachmittag und Bands in Bars und Restaurants. Die Hauptstadt Uruguays ist auch der Hot Spot für das bunte Karnevaltreiben.
Wir erlebten es hier genau so, wie man’s von Bildern aus Rio de Janeiro kennt, nur kleiner. Die Menschen tanzen und singen in ausgelassener Stimmung, sie scheinen vor Lebensfreude fast zu bersten. Schon vor der großen Parade am ersten Februar-Wochenende vernahmen wir in Monteviedeo, aber auch in kleineren Orten immer Candombe-Truppen beim Proben. Mit den durchdringenden Trommeln hatten sich früher meist Freunde unter den Afro-Südamerikanern zusammengerufen.
Reger Betrieb: Am Flugplatz ist das Leben zurückgekehrt
Nach all diesen Erlebnissen freue ich mich auf den zweiten Teil der Reise: dieses ungewöhnliche Land aus der Luft zu sehen und das Fiesta de la Patria Gaucha zu besuchen, das alljährliche Festival der einheimischen Cowboys. Zwei Tage vor dem geplanten Abflug nach Tacuarembó sind wir zurück in Montevideo. Beverley macht sich auf den Weg nach Peru, um mit ihrer Tochter Machu Picchu zu besichtigen, und ich nehme den Bus zum Flugplatz Angel Adami im Nordwesten der Stadt.
Das Leben im Aero Club del Uruguay scheint zurückgekehrt zu sein. Es ist Sonntag, die Schüler geben sich die Klinke in die Hand. Jorge hat kaum eine Pause zwischen den Schulflügen. Ich genieße die lockere Atmosphäre unter den Schülern, die wie so viele Uruguayer ihren Matetee überall hin mitnehmen und trinken. Jorge drückt mir zwischendurch die AIP und eine Sichtflugkarte in die Hand. Da die eher jungen Schüler relativ gutes Englisch sprechen, können sie mir bei vielen Fragen weiterhelfen. Sie sind auch sehr offen, mir von ihrem Land, ihren Zielen und Träumen zu erzählen. Wieder spüre ich die warme, aufgeschlossene Art der Leute, die mir bereits in anderen Teilen des Landes begegnet ist.
Für eine detaillierte Flugplanung hat Jorge keine Zeit. Das spielt aber auch keine Rolle, denn das Land ist relativ flach und das Wetter stabil. Jorge hat lediglich einen Tankstopp eingeplant und organisiert: Wir wollen nach Durazno, zum größten Militärplatz des Landes. Dort ist das Avgas günstiger als an den zivilen Plätzen, man muss sich nur telefonisch ankündigen und den Tanktermin vereinbaren.
Wie in Schleswig-Holstein: Wiesen und Felder wechseln sich ab
Am nächsten Morgen checken wir die NOTAMs, sprechen persönlich bei der Wetterberatung vor, geben einen Flugplan auf, der zum Einfliegen in Kontrollzonen ebenso erforderlich ist wie für den Ausflug, auch für Sichtflieger, und holen die Cessna aus der Halle. Mit der Checkliste auf Spanisch kann ich leider nichts anfangen, da muss Jorge mithelfen. Doch den Funk übernehme ich; die Lotsen sprechen Englisch. So ist die Kommunikation bis zum Verlassen der Kontrollzone einfach. Danach gebe ich die Handfunke meinem Begleiter – bei den spanischen Phrasen, die durch den Lautsprecher schnarren, kann ich nicht einmal erahnen, worum es geht.
Die Küste lassen wir schnell hinter uns, es geht schnurstracks gen Norden. Bei Canelones, einer noch jungen Weinanbauregion nahe der Hauptstadt, fallen mir die drei Pisten des Flugplatz auf. Wie in fast jedem Ort gibt es auch hier einen Aeroclub. Satte grüne Wiesen und Felder wechseln sich auf dem weiteren Weg nach Durazno ab. Und dann die Windräder! Ich komme mir vor wie in Schleswig-Holstein. Ab und zu eine Straße, ein Bauernhof, ein Dorf, ein See – wie wunderbar entspannt man hier fliegen kann! Überall gibt es Notlandeplätze.
Freundlicher Empfang: Jorge hat überall im Land seine Kontakte
In Durazno erwartet man uns bereits. Eine freundliche Dame in Uniform organisiert die Betankung und plaudert fröhlich mit ihrem Freund Jorge, der überall im Land seine Kontakte hat. Im Briefing Office gebe ich den nächsten Flugplan auf, und schon geht’s weiter nach Tacuarembó. Unterwegs freue ich mich über den Anblick eines riesigen Sees. Hier wird der Rio Negro gestaut, wodurch eine unfassbar große Wasserfläche entstand. Die Cumuluswölkchen spiegeln sich darin, das Farbenspiel ist äußerst romantisch und erinnert mich ans Okavango-Delta in Botswana, wo ich viele Jahre gelebt habe und geflogen bin. Nur die afrikanischen Tiere fehlen. Auch auf der FIS-Frequenz ist nichts los; Jorge meldet uns ab, als wir unser Ziel in Sicht haben, den Flughafen von Tacuarembó.
William Santos, ein Fliegerfreund von Jorge, holt uns ab. Ich habe lediglich das Hotel reserviert, ansonsten lasse ich alles auf mich zukommen. Als William uns mit dem Auto zum Grasplatz des hiesigen Aeroclubs bringt, erfahre ich, dass er nicht nur dessen Vorstandsvorsitzender ist, sondern seine Firma Santos Dumont Servicios Aéreos dort auch mehrere Agrarflugzeuge betreibt. Nach einem ausführlichen Rundgang durch die Hangars verabreden wir uns für den nächsten Tag, um über das Gelände des Gauchofestivals zu fliegen.
Begeisterter Flieger: William dreht mit uns eine Runde in seiner Piper J-3C
Gesagt, getan – mit einer Club-Cessna 172 zeigt uns William die Region aus der Luft. Anschließend lässt er es sich nicht nehmen, jeweils mit Jorge und mir eine Runde in seiner Piper J-3C zu drehen. Was für ein begeisteter Flieger! Unvergesslich bleibt das Erlebnis, in wenigen Metern Höhe einem Fluss zu folgen, was in der dünn besiedelten Gegend niemanden stört. Abends schaffen wir es gerade noch rechtzeitig, zur Eröffnung des Festivals am zentralen Marktplatz in der Stadt zu sein. Die Vertreter der Gauchogruppen, die mit ihren Pferden gekommen sind, werden mit traditionellen Tänzen begrüßt. Der Bürgermeister hält eine feierliche Rede, die Nationalhymne erklingt. Tradition und Herkunft werden hier hochgehalten.
Vor dem Rückflug am nächsten Tag gehen wir zu Fuß um die Laguna de las Lavanderas, wo wir die anlässlich des Festivals gebauten traditionellen Hütten der verschiedenen Gauchogruppen sehen. Nächstes Mal bleibe ich länger – die Wettbewerbe zu Pferd sollen einmalig sein.
Nächstes Mal bleibe ich länger: Beim Gauchofestival werden Tradition und Herkunft hochgehalten
Doch wir müssen zum Flughafen. Dort steht ein Wohnmobil mit deutschem Kennzeichen. Wie sich herausstellt, gehört es einem ehemaligen Hamburger Berufspiloten und seiner Frau. Auf ihrer Reise durch Südamerika haben sie einen Stopp eingelegt. Piloten tun das wohl weltweit gern an Flugplätzen.
Nach dem herzlichen Abschied von William nehmen wir Kurs gen Süden auf. Wieder legen wir in Durazno einen Tankstopp ein. Im Anflug auf Jorges Homebase Angel Adami ist rechts voraus der Cerro de Montevideo zu sehen, der Hügel am Meer, dem die Stadt ihren Namen verdankt, und zur Linken der Hafen, die Stadt und Küste, soweit das Auge reicht.
Beeindruckender Ausflug: Der Autor strebt den Lizenzerwerb in Uruguay an
Der Ausflug war so unkompliziert und beeindruckend, dass ich mir die Zeit nehme, um weitere Fliegerclubs durch Jorge und mit ihm kennen zu lernen. Unter anderem fliegen wir nach Colonia del Sacramento. Von dieser historischen Kleinstadt am Rio de la Plata gibt es Fährverbindungen nach Buenos Aires. Eine der Fähren muss ich schließlich nehmen, als mein Urlaub zu Ende geht. Jetzt lerne ich Spanisch, damit ich meine Lizenz in Uruguay validieren und dort auf eigene Faust weitere begeisterte Piloten kennenlernen kann.
Text & Fotos: Heike Schweigert, erstmals erschienen im fliegermagazin 02/2018
Mit CPL, Lehr- und Prüfberechtigung ausgestattet, zieht es Heike Schweigert seit fast 20 Jahren in die fliegerische weite Welt. Zunächst in die Buschfliegerei nach Botswana und später zum Wasserfliegen nach Norwegen. In den letzten fünf Jahren hat sie den südamerikanischen Kontinent von Uruguay aus erkundet. Ihre Spezialität ist neben der Flugschulung die Organisation und Durchführung internationaler Flugreisen. Für das fliegermagazin ist sie seit 2001 als freie Journalistin tätig.
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