Kurs Nord-Ost: Mit der Mooney nach Litauen und Lettland
Die Kurische Nehrung, Riga – was für wohlklingende Namen! Litauen und Lettland sind in der EU, das verspricht unkompliziertes Reisen. Doch wie kommt man durch russischen Luftraum ins Baltikum? Mit viel Geschick hat eine Mooney-Crew bereits 2020 unüberwindbar erscheinende Hürden genommen.
Der römische Staatsmann Cato ist uns in Erinnerung geblieben, weil er seine Reden stets mit dem Satz zu beenden pflegte: „Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Karthago zerstört werden muss“. Das Jahr 2020 wird uns auch deshalb in Erinnerung bleiben, weil Reiseberichte stets mit dem Satz beginnen: „Wegen Corona mussten wir unser geplantes Ziel aufgeben, stattdessen haben wir …“
In unserem Fall hieß das ursprüngliche Ziel Israel, doch der Balkan war epidemiologisch bis auf wenige Länder unsicher, und auch hinter anderen Vorhaben stand auf einmal ein großes Fragezeichen. Lediglich das Baltikum schien vom Coronavirus noch weitgehend verschont zu sein. Also haben wir umdisponiert und sind mit unserer Mooney von Donaueschingen aus in Richtung Nordost aufgebrochen.
Mit dem Flugzeug nach Litauen: Weiter Umweg über Land oder Wasser
Anklam in Mecklenburg-Vorpommern bietet sich als Ausgangspunkt für eine Reise ins Baltikum an. Nach einem sehr schönen, aber auch windigen Anflug werden wir am Stettiner Haff freundlich empfangen. Erst mal gilt es, die Maschine vollzutanken: Unser nächstes Ziel ist Palanga in Litauen, und da dort Avgas deutlich über drei Euro kostet, wollen wir ohne nachzutanken Lettland erreichen. In Anklam beziehen wir direkt am Platz in einer Pension Quartier für die Nacht. Der kommende Tag soll uns südlich an Danzig vorbei über Kaliningrad und die Kurische Nehrung nach Palanga bringen.
Im Voraus die Route, die wir nach IFR fliegen wollen, oft in meiner Flugplanungssoftware durchgespielt. Dabei war ich mir eigentlich sicher, dass sie so akzeptiert wird. Doch als ich den Flugplan dann aufgebe, erscheint die Meldung, dass eine vorherige Genehmigung erforderlich sei. Kaliningrad gehört als Exklave zu Russland und kann nicht ohne weiteres überflogen werden. Nun wird es spannend. Wir stehen vor der Wahl, einen großen Umweg über das Landesinnere Polens und Litauens zu fliegen oder eine erhebliche Strecke über Wasser außerhalb des russischen Luftraums.
Kaliningrad meiden: Wir fliegen die Wasserstrecke
Ein Anruf bei AIS Frankfurt bringt wenig Klarheit. Das Problem sei bekannt, allgemein werde geraten, den Luftraum über Kaliningrad zu meiden. Trotzdem erhalte ich zwei russische E-Mail-Adressen, um mein Anliegen direkt vorbringen zu können. Kurz vor drei Uhr nachts gibt es Neuigkeiten per Mail aus Moskau: Ein spezielles Formblatt gemäß russischer AIP werde benötigt. Das ist für uns in der kurzen Zeit nicht zu schaffen. Am nächsten Morgen rufe ich noch einmal AIS in Frankfurt an. Freundlicherweise unternimmt man dort einen erneuten Versuch, einen klassischen Flugplan per AFTN zu übermitteln. Das Ergebnis: „Rejected“!
Wir entscheiden uns für die Wasserstrecke und verlassen Anklam am frühen Morgen. Beim ersten polnischen Controller hake ich über Funk noch mal nach, ob es nicht doch eine Chance für die direkte Strecke gebe. Nach kurzem Koordinieren des Warschauer Lotsen erhalten wir ein „Direct“ in den russischen Luftraum! Kaliningrad Control empfängt uns ausgesprochen freundlich auf der Frequenz 123,70 MHz. In der Ferne können wir zu unserer Rechten die Kurische Nehrung erkennen, eine fast hundert Kilometer lange Halbinsel, die das Kurische Haff von der Ostsee trennt.
Segelflieger verbinden mit ihr eine glanzvolle Epoche: In den zwanziger Jahren wurden bei Rossitten, das damals zu Ostpreußen gehörte, im dynamischen Aufwind über den Dünen zahlreiche Dauerflugrekorde aufgestellt. Wir hingegen wollen auf diesem Leg unser Flugzeit nicht unnötig verlängern. Was zu Beginn des Flugs noch sehr kompliziert klang, ist nun zu unserer Freude mit Leichtigkeit möglich. Der Kaliningrader Lotse verabschiedet uns sogar mit einem „Tschüss“ – sehr schön!
Professioneller Empfang: Im Terminal besteht Mundschutzpflicht
Im Sinkflug über der Ostsee nähern wir uns dem litauischen Seebad Palanga, unserem Tagesziel. Nach einem Standard-ILS-Anflug landen wir bei kräftigem Seitenwind, 2:14 Stunden haben wir von Anklam hierher gebraucht. Drei Flughafenmitarbeiter empfangen uns, alles wirkt professionell, sie verzurren die Mooney für die kommende Nacht und begleiten uns ins Terminal. Selbstverständlich besteht dort Mundschutzpflicht, und unsere Temperatur wird gemessen.
Palanga hat nicht allzu viel zu bieten, weshalb wir mit einem Mietwagen in die zirka 20 Kilometer entfernte Hafenstadt Klaipėda fahren. Dort übernachten wir. Das Highlight der Region ist eindeutig die Kurische Nehrung, die seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs aus einem russischen und einem litauischen Teil besteht. Im Jahr 2000 wurde die schmale Landmasse, die beidseits der Grenze ein Nationalpark ist, zum Unesco-Weltkulturerbe erklärt.
Befahrbare Sandbank: Klaipėda bietet gut ausgebaute Straßen
Von Klaipėda aus nehmen wir die Autofähre zur Nehrung. Dünen, Hügel, Wälder – uns erwartet weit mehr als eine befahrbare Sandbank. Eine gut ausgebaute asphaltierte Straße führt über nahezu die gesamte Länge der Halbinsel, deren breiteste Stelle gerade mal 3,8 Kilometer misst. Die letzte Stadt auf litauischer Seite ist Nida. Hier hat man die Straße abgesperrt – dahinter beginnt Russland.
Zahlreiche Bademöglichkeiten, Cafés und Restaurants machen die Kurische Nehrung zu einem lohnenswerten Ausflugsziel. Für den Rückweg ist sicherheitshalber etwas mehr Zeit einzuplanen: Wenn die Tagesurlauber zurück aufs Festland wollen, kann es an der Fähre zu Wartezeiten kommen. Den Abend lassen wir in der äußerst belebten Altstadt von Klaipėda ausklingen. Die Stadt hat eine sehr bewegte Geschichte. Bis 1920 hieß sie Memel und war die nördlichste Stadt Deutschlands, in der Zwischenkriegszeit wurde sie Zentrum des Memellandes, ab 1945 gehörte sie zur Sowjetunion. Kurz vor deren Zerfall wurde Litauen 1990 unabhängig und Klaipėda zu einer freien Wirtschaftszone.
Wetterbriefing: Im Briefingraum erfassen wir alle relevanten Daten
Am nächsten Morgen verlassen wir Palanga in Richtung Nord-Ost. Doch zuvor müssen wir das in Litauen obligatorische Wetterbriefing durchführen. Eine Flughafenmitarbeiterin bringt uns nahe des Vorfelds in einen Briefingraum. Eine Software erfasst alle relevanten Daten des Flugs, für das Selbstbriefing stehen Computer bereit. Rund zwölf Euro werden für diesen Service berechnet, was jedoch nicht weiter tragisch ist, da sämtliche Gebühren am Flughafen moderat sind und angemessen erscheinen.
Knapp 120 Nautische Meilen und eine gute Mooney-Flugstunde liegen zwischen Palanga und Riga, dem Zeil der kürzesten Etappe unserer Reise. Riga hat als Hauptstadt Lettlands sowohl einen internationalen Flughafen als auch einen kleinen Platz für die General Aviation: Riga-Spilve. Für den entscheiden wir uns. Ihn anzufliegen erfordert einen Flugplan, und auf der Flugplatz-Website muss PPR beantragt werden. Dabei bestätigt man, sich mit den veröffentlichten Verfahren der Kontrollzone des internationalen Flughafens vertraut gemacht zu haben. Als Bestätigung erhält man eine Nummer, die im Flugplan einzutragen ist. Was sehr kompliziert klingen mag, ist in wenigen Minuten erledigt.
Zeit stehengeblieben: Das alte Terminal erinnert an sowjetische Zeiten
Im Anflug auf Riga werden wir vom Center-Lotsen und anschließend vom Tower-Lotsen durch die Kontrollzone bis kurz vor Riga-Spilve geführt. Mit Blindmeldungen auf der Air-to-air-Frequenz begeben wir uns ins Final auf die 1000 Meter lange Asphaltpiste. Am Boden scheint auf dem ehemals sowjetischen Flugplatz die Zeit stehen geblieben zu sein. Gleich nach dem Aussteigen fällt uns das alte Terminal auf. Es war bis in die späten achtziger Jahre in Betrieb und gilt architektonisch als Beispiel des Sozialistischen Klassizismus. Wir werden von einem älteren Fliegerkameraden begrüßt, tanken Avgas für gerade mal 1,60 Euro pro Liter und verzurren den Flieger. Ein rundum herzlicher Empfang!
Bereits im Vorfeld hatte ich mich informiert, wie man von dem etwas abgelegenen Flugplatz ins Stadtzentrum kommt. Mit der App „Bolt“ lassen sich Taxis innerhalb weniger Minuten fast auf den Meter genau bestellen, da der Fahrer angezeigt bekommt, wo der Kunde steht. Das funktioniert absolut zuverlässig und kostet erstaunlich wenig. Schon nach einer viertel Stunde Fahrt beziehen wir Quartier im Herzen Rigas.
Geniale App für die Mobilität am Boden: Mit „Bolt“ lassen sich Taxis in Sekundenschnelle bestellen
Die Stadt erkunden wir zu Fuß. Ein besonderer Anziehungspunkt ist der Zentralmarkt, der uns für die lokale Kultur typisch erscheint. Auf fünf Markthallen verteilt werden Spezialitäten aus Lettland angeboten, zum Beispiel Räucherfisch, Kaviar, Fleisch in allen Variationen und Honig. Wir lassen uns diese Gelegenheit nicht entgehen und greifen zu. Beschaulicher geht es im botanischen Garten der Universität zu. Pflanzenliebhaber können hier allerlei Gewächse bestaunen, und als Besonderheit gibt’s ein Schmetterlingshaus. Eine Liste der Sehenswürdigkeiten Rigas wäre lang. Erwähnt sei das Schwarzhäupterhaus aus dem 14. Jahrhundert, dessen Giebelfassade reich mit Skulpturen und Reliefs verziert ist – es dienste einst den Kaufleuten und der vorwiegend deutschen Bürgerschaft für Zusammenkünfte. Weitere Wahrzeichen der Stadt sind die Petrikirche, der Dom und das Freiheitsdenkmal aus den dreißiger Jahren, ein Symbol für die nationale Souveränität Lettlands.
Nach zwei Tagen Kulturprogramm zieht es uns in die wilde Landschaft der näheren Umgebung. Gleich vor den Toren der Hauptstadt machen wir im Badeort Jūrmala am Rigaischen Meerbusen Halt. Zu Fuß erkunden wir lange Sandstrände und ruhige Wälder. Mit Hilfe der erwähnten App „Bolt“ kann man per Taxi unkompliziert den Ort wechseln, an neue Ausgangspunkte für Wanderungen gelangen und sich abholen lassen.
Heimreise: ein Schild macht auf den Platzverkehr aufmerksam
Die Heimreise steht an. Unser Ziel ist der 550 Nautische Meilen entfernten Flugplatz Rechlin-Lärz – an der Müritz wollen wir einen beschaulichen Tag verbringen. In Riga-Spilve werden wir durch ein riesiges Schild auf die örtlichen Verfahren des Platzverkehrs hingewiesen, ergänzend zu unseren Unterlagen. Kurzfassung: Ohne Freigabe von Riga Tower sind nur Abflüge in Richtung Osten möglich. Am Rollhalt rufe ich den am Horizont sichtbaren Tower des internationalen Flughafens mit der Bitte um eine Clearance. „Call me back when airborne“, kommt als Antwort, und so starten wir mit angelegten Schwimmwesten in den verregneten Himmel. Mit Radar Vectors werden wir über die Stadt geführt und auf südwestlichem Kurs an den nächsten Lotsen übergeben. Wie beim Hinflug verlassen wir uns auf unser Verhandlungsgeschick mit Kaliningrad. Es klappt – nachdem wir bei Palanga das Festland verlassen haben, queren wir geführt vom Kaliningrader Lotsen problemlos den russischen Luftraum.
Trotz teilweise 35 Knoten Gegenwind erreichen wir die Mecklenburgische Seenplatte in weniger als vier Stunden Flugzeit. Bevor es an Deutschlands größten Binnensee geht, machen wir den Flieger für die Nacht fertig. Mein Vater klopft auf die noch warme Cowling der Mooney und sagt: „Guat gmacht klois Fliegerle“. Nach dem langen Flug über fünf Länder und die Ostsee sind wir erleichtert.
Mecklenburgische Seenplatte: Mit einem Ruderboot gehts ins Grüne
Vom Flugplatz Rechlin-Lärz lässt sich die Mecklenburgische Seenplatte hervorragend mit App2Drive erkunden. Wir mieten ein kleines Ruderboot und nähern uns auf einem der vielen kleinen Seen die Tier- und Pflanzenwelt. Am Ufer lassen wir den Tag bei deftiger mecklenburgischer Hausmannskost ausklingen, ehe es anderntags in den Südwesten der Republik geht, zurück nach Donaueschingen.
Nach einiger Zeit erhalten wir Nachricht aus Moskau. Gerade mal 11,10 US-Dollar werden pro Durchflug des russischen Luftraums in Rechnung gestellt. Ich freue mich, dass in der Fliegerei zunächst unüberwindbar erscheinende Grenzen mit guter Kommunikation und etwas Goodwill überwunden werden können.
Text & Fotos (2020): Lukas Straubinger
- Litauen
- Lettland
- Riga
- Riga-Spilve
- Mooney