Vom Nordkap nach Spitzbergen: Ultraleicht übers Meer
Nach Grönland, nach Kanada, zur Bäreninsel – jede dieser Touren galt mit einem Ultraleichtflugzeug als blanker Wahnsinn, bevor Harro Lorenz und seine Partner bewiesen haben, dass es geht. Ihr verwegenstes Unternehmen: tief in die Arktis hinein, 1000 Kilometer übers eisige Nordmeer nach Spitzbergen.
Es ist spät geworden, graues Licht umgibt die Piste am nördlichsten Vorposten Norwegens. Fast zwei Jahre ist es her, dass ich Rolf mit der Idee „Spitzbergen“ konfrontiert habe. Mein Blick gleitet über die Landebahnbefeuerung, die der nebligen Dämmerung etwas Farbe verleiht. Ob heute die Spätmaschine aus Hammerfest landet? Bei 500 Fuß Untergrenze? Meine Stimmung entspricht dem Wetter. Mir zittern die Knie, obwohl es hier im Tower von Honningsvåg angenehm warm ist. Thor, ein junger Controller, erörtert mit uns die letzten offenen Fragen. Um Details zu klären, spricht er mit Banak-Tower, der nächstgelegenen SAR-Basis.
Was wir dann hören, schlägt ein wie ein Blitz: Ultraleichte dürfen nicht nach Spitzbergen fliegen! Die Worte hallen in meinen Ohren nach, nur langsam erfasse ich ihre Bedeutung. Sollen all die Monate der Vorbereitung umsonst gewesen sein? Hat es nicht genügend Hürden gegeben? Aber uns liegt doch die Genehmigung der norwegischen Zivilluftfahrt-Behörde CAA vor! Was gilt jetzt?
Mit einem UL nach Spitzbergen fliegen – eine Herausforderung
Fieberhaft durchsuchen wir noch einmal die AIP zu Spitzbergen. Wir finden nichts. Thor telefoniert mit dem Tower von Longyearbyen (ENSB) auf Spitzbergen und kündigt zwei Deutsche im UL an. Wir spüren förmlich die Fassungslosigkeit am anderen Ende der Leitung. Er gibt mir den Hörer. Mir ist übel, und ich fühle meinen Puls in den Schläfen hämmern. „Hier spricht Svein Mella, Chef vom Tower in Longyear. Sie wollen hierher fliegen? Dafür brauchen Sie eine Genehmigung!“ Ich gebe ihm die Daten unserer Genehmigung, die muss er doch haben!
Der Tower auf Spitzbergen hat die Genehmigung gefunden
Zehn Minuten später hat er sie gefunden. Die Hoffnung kehrt zurück. „Aber Sie müssen Avgas im Voraus bestellen.“ Auch das haben wir getan! Nach ein paar Minuten hat er unser Fass identifiziert. In mir breitet sich wieder Optimismus aus. „Sie brauchen aber auch meine Genehmigung, um hier landen zu dürfen!“ Diese Worte treffen mich wie ein Hammer. Benommen erkläre ich, dass mir das so nicht bewusst sei, und streue Asche auf mein Haupt. Ich fühle, wie er mich zappeln lässt, meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt. Schließlich die Erlösung: „Ich erteile Ihnen grünes Licht für den Flug nach Spitzbergen.“ Wir besprechen noch ein paar Kleinigkeiten. Als ich auflege, fühle ich mich erledigt wie nach einem Marathonlauf, aber unendlich erleichtert. Jetzt haben alle zugestimmt: CAA, Zoll, Polizei und Avinor in Longyear. Über Funk meldet sich die Spätmaschine, eine Dash 8. Wegen schlechter Sicht muss sie auch heute wieder abdrehen.
Am nächsten Tag lichtet sich der Nebel ein wenig. Getankt haben wir bereits gestern in Hammerfest. Bevor wir die CT inspizieren, möchte ich letzte Klarheit haben: „Und wir wollen das jetzt durchziehen?“ frage ich Rolf. „Wenn Du die geringsten Zweifel hast, dann lassen wir’s“, entgegnet er prompt. Diese Antwort habe ich nun gar nicht erwartet. Bei jedem Flug in dieser Region habe ich Zweifel, und das finde ich normal. Es ist ein permanentes Abwägen zwischen Risiko und Gewinn bei einem derartigen Abenteuer. Das Risiko fliegt immer mit, auch wenn man technisch noch so gut vorbereitet ist. Dennoch sind wir uns schließlich einig: Wir fliegen. Zu Hause hatte ich unseren robusten Rotax 912 ULS bereits untersucht. Auch wenn uns der Motor bei all den Langstreckenflügen bisher nie im Stich gelassen hat, checke ich ihn penibel vor jedem Flug übers Meer.
Flugreise nach Spitzbergen: Es ist ein permanentes Abwägen zwischen Risiko und Gewinn
System für System gehe ich anhand der Liste durch: Elektrik, Benzinversorgung, Kühlwasserschläuche … Was ist das? Ein in extrem engem Bogen verlegter Kühlwasserschlauch hat Risse. Wie hatte ich das übersehen können? War ich nicht gewissenhaft genug gewesen oder einfach blind? Da sind sie wieder, die Zweifel. Was nun? Wo sollen wir hier am Nordkap einen Originalschlauch auftreiben? Eins steht fest: So können wir nicht fliegen. Einen Ersatzschlauch per Express anzufordern würde acht Tage dauern – inakzeptabel. Also keinen Originalschlauch nehmen? BRP-Rotax versteht unsere Notlage und gibt trotz Bedenken wichtige Hinweise für die Auswahl von Alternativmaterial. Nach mehrtägiger Suche werden wir endlich in einer Bootswerft fündig. Der Einbau gestaltet sich aufwendig, da die Ansaugkrümmer abgebaut werden müssen, um die Schlauchschellen mit unserem bescheidenen Werkzeug lösen zu können.
Von Rotax-Franz erhalten wir aus Bayern telefonisch wertvolle Hilfe zur Montage. Die Reparatur unter freiem Himmel scheint geglückt. Nach zwei Testflügen, nochmaligem Betanken und Beladen sind wir am Nachmittag des 12. August theoretisch abflugbereit. Auf den Flug nach Spitzbergen dürfen nur Notausrüstung und ein paar leichte Regensachen mit. Wechselwäsche, Werkzeug, sogar die Zahnbürsten bleiben hier. Sollten wir Longyearbyen erreichen, ist lediglich ein Kurzaufenthalt geplant. Im Ernstfall müssen wir sogar kurz vor dem Ziel abdrehen und nach Norwegen zurückfliegen können. Wir rufen den Meteorologen Torgeir Mørk in Longyear an. Es ist Sonntagabend, er fährt extra für uns zum Tower. Nach fast einstündiger Wetteranalyse wissen wir, dass es morgen zwar nicht berauschend schön, aber durchaus fliegbar sein wird. Daraufhin gibt Ailin Eek, die diensthabende Controllerin, unseren Flugplan auf. Spät erklimmen wir „unseren“ Hügel, wo wir schon voriges Jahr bei unserem Bäreninsel-Flug gezeltet hatten, und essen Mittag und Abendbrot zugleich.
Wenig Gepäck: In Longyerbyen ist nur ein Kurzaufenthalt geplant
Die Geschehnisse der letzten Tage haben uns ausgelaugt. Tief hängen schwarze Wolken über den schroffen Bergen und der Barentssee. Und morgen soll brauchbares Wetter sein …? Im Bewusstsein, den finalen Prozess in Gang gesetzt zu haben, verstärkt sich meine Aufregung. Doch das Wissen um die Einsatzfähigkeit der CT wirkt dagegen. Nach all den Flügen der letzten Jahre scheine ich diese Gefühle langsam zu beherrschen. Brutal klingelt der Wecker um fünf Uhr lokal. Windstille, die Sonne lacht vom blauen Himmel. Über der Barentssee zieht die Rückseite des Schlechtwettergebiets Richtung Norden ab. Nur wenige Momente bleiben, um diese Stimmung zu genießen, dann läuft alles straff ab, wie beim Militär: Anziehen, Frühstücken, Zelt räumen, die letzten Dinge im Flugzeug verstauen. Der Flugplan ist angenommen, Ailin gibt mir die NOTAMs für den gesamten Norden und die Wetterdaten.
Torgeir bestätigt die gestrigen Prognosen: Die Wahrscheinlichkeit von Nebel – unser größter Feind – in Longyear ist sehr gering. Ailin schenkt uns einen Schokoladenkuchen, den sie mit ihrer Tochter für unseren langen Flug gebacken hat. Wir sind gerührt über die herzliche Anteilnahme. Auch für sie ist es der erste Spitzbergen-Flug, den sie – aufgeregt – betreut. Nach unserem Abflug wird der Platz schließen. Falls wir umdrehen müssen, ist Ailin per Handy erreichbar. Das ist Service! Wir eilen zur CT, binden die Windeln um (eine Alternative gibt es nicht bei unserer „Verpackung“) und ziehen die Rettungsanzüge über. Ein letzter Vorflugcheck, Triebwerk anlassen. Im Funk hören wir, wie Ailin einer landenden Dash 8 von unserem Ziel berichtet. Unbeirrt gehen wir die weiteren Checklisten durch.
„Runway 08 is free!“ Wir bitten um die 26, um bergab starten zu können – zwei Knoten Rückenwind sind irrelevant. Um 5.57 Uhr UTC gibt Rolf Gas. Ich zähle die Pisten-Lampen und sage ihm die Fahrt an. Bei Lampe sieben oder 350 Meter sind wir bereits in der Luft.
Start Richtung Longyear: „Runway 08 is free!“
Wir drehen nach Norden, weg von den Felsen, auch wenn bei diesem Wind heute keine Turbulenzen zu erwarten sind. Am Nordkap kommt von Ailin ein letztes „Delta Mike Echo Lima Victor, good luck and have a nice flight!“ Dann nehmen wir Kurs Richtung Bäreninsel. Vor uns liegen 1000 Kilometer über die einsame, scheinbar unendliche Barentssee. In 3000 Fuß melden wir uns bei Bodø Control. 15 Minuten später erreichen wir die Rückseite der zerfallenden Front, die erste Entscheidung steht an: Obwohl uns Torgeir empfohlen hat, bis zur Bäreninsel unter den Wolken zu bleiben, beschließen wir dem siebten Sinn folgend, on top zu fliegen. Um Benzin zu sparen, bleiben wir immer nur knapp über den Wolken, die uns bis auf fast 5000 Fuß zwingen. Unglücklicherweise bildet sich auch über uns eine Wolkenschicht. Es wird eng, die Situation erinnert sehr an den Bäreninsel-Flug. Wir schwitzen, gut eine Stunde lang.
Dann leuchtet etwas westlich unseres Kurses wieder blauer Himmel, kurz darauf lichtet sich die obere Wolkendecke, und die geschlossene Schicht unter uns scheint nicht weiter anzusteigen. Glück gehabt! Um unsere Tanks gleichmäßig zu entleeren, schalten wir um. Das gefühlvolle Steigen hat nicht signifikant mehr Sprit gekostet, stellen wir erfreut fest. Wir rufen Bodø Oceanic. Keine Verbindung. Kurzerhand melde ich unsere Position über Sathandy. Gut, dass uns Sky Fox Berlin den Adapter zur Sathandy-Anbindung ans Intercom zur Verfügung gestellt hat. Die Gesprächsqualität ist um einiges besser als beim Bäreninsel-Flug. Im nächsten Telefonat gestehe ich unserem Meteorologen, dass wir on top fliegen. Seinen Analysen zufolge müssen wir noch höher rauf. In Longyear gibt es keine Änderung. Die Bäreninsel soll 600 Fuß overcast haben – Sichtkontakt unmöglich.
Sichtkontakt unmöglich: Wir nehmen direkt Kurs auf Spitzbergen
So nehmen wir direkt Kurs auf Spitzbergen, auch wenn das nur wenige Meilen einspart. Als wir Bodø Oceanic wieder über Funk erreichen, kündigt uns Torgeir eine entgegenkommende Coast-Guard-Maschine an. Um 8.30 Uhr UTC, östlich der Bäreninsel, antwortet eine Frau auf der Frequenz von Bjørnøya Radio – viel selbstbewusster als 2006. Sie gibt uns das QNH, meldet 400 Fuß overcast und übermittelt unsere Position nach Longyear. Uns wird klar: Unter den Wolken kämen wir nicht weiter! Die Weiterleitung hat geklappt: Wir hören, wie Coast Guard 23 Longyear unsere Position wiederholt. Ich initiiere eine Verbindung. Schweigen. Am Horizont taucht ein dunkler Streifen auf. In 5200 Fuß herrschen plus acht Grad Celsius. „Ultralight aircraft from Coast Guard“, werden wir auf der Towerfrequenz von Longyear gerufen: Wir sollen auf die zweite Frequenz wechseln. Nach dem Umschalten klappt der Kontakt erst eine Viertelstunde später. Die Coast-Guard-Maschine fliegt in Flight Level 100 Richtung Bäreninsel und will wissen, ob unser Transponder aktiv ist. „Active!“
Die Gelegenheit beim Schopf packend frage ich, ob die Küste Spitzbergens zu sehen sei. Das wird bestätigt: „It should not be a problem, maintain VFR inbound Longyear. If you fly across Hornsund mountain area, there is VMC, it should be possible to get below.“ Erleichtert bedanke ich mich.
In einem riesigen Wolkenloch taucht tiefblau die lange verborgene Barentssee auf. Gerade dieser Blick aufs Meer mit seiner scheinbaren Unendlichkeit und permanent wechselnden Färbung macht den Reiz und die Schönheit eines Flugs über die See aus. Hat Torgeir diesen Bereich zum Abstieg gemeint? Aber bis zum Südkap sind es noch gut 60 Nautische Meilen … Ich rufe ihn an: Wir sollen weiter on top bleiben, unter den Wolken befänden sich noch diverse Nebelbänke, in Longyear sei das Wetter gut. Wir erreichen den Nordrand des Wolkenlochs. Ein wenig rechts vom Kurs entdecke ich etwas nicht Identifizierbares. Bergspitzen? Rolf meint, es seien vielleicht doch Wolken … Außentemperatur plus drei Grad Celsius.
Ein wenig rechts vom Kurs entdecke ich etwas nicht Identifizierbares – Bergspitzen?
Gedankenverloren sauge ich die Stimmung tief in mich auf. Das Objekt unserer Beobachtung entpuppt sich als Land: zwei verschneite Bergspitzen, mit denen uns Spitzbergen begrüßt. Tatsächlich – wir kommen unserem Ziel näher! Ein Anruf reißt mich aus meinen Gedanken: „Delta Mike Echo Lima Victor, Coast Guard two three, we passed you!“ Gesehen haben wir sie nicht, aber ihr Radar hat unseren Transponder geweckt. Sehr langsam werden die Gipfel größer, ein Indiz dafür, wie klar die Luft ist und wie weit wir noch entfernt sind. Wir korrigieren unseren Kurs ein wenig in Richtung Berge, um der Westküste näher zu kommen. Erleichtert registrieren wir durchbrochene Wolkenzonen. Nach einer halben Stunde sind wir querab des Südkaps, wenig später geben die Wolkenlöcher den Blick auf die Kalbungsfront des ersten Gletschers frei: ein eisig schöner Anblick – Gänsehaut überkommt mich.
Flache Küstenbereiche, steile Felsen und Gletscher wechseln sich ab. Der Funkverkehr auf 119.25 ist recht heftig geworden, ein Helikopter gibt sein Flugziel durch: Kinnvika. Das klingt vertraut. Aber woher? Es scheint alles so unwirklich und weckt Erinnerungen an die wilde Schönheit Grönlands. Am Hornsund melde ich mich beim Tower. Während der nächsten Stunde folgen wir der Westküste in 800 bis 1400 Fuß. Immer wieder verschwindet die Küste hinter Nebelschleiern, die den märchenhaften Eindruck noch verstärken. Ich ziehe die Vergaservorwärmung. Eisberge treiben vor den Gletscherfronten, flache Küstenbereiche sind mit unzähligen aus Sibirien angeschwemmten Baumstämmen übersät. Die Temperatur ist leicht angestiegen und beträgt jetzt fünf Grad. Die Nebelschwaden sehen sehr unterkühlt aus … Da zuckt kurz der Motor und läuft irgendwie härter. Wieder Wasser im Sprit? Über eine Notlandung an Land brauchen wir gar nicht nachzudenken, wir würden zerschellen.
Der Motor zuckt: Über eine Notlandung ist nicht nachzudenken
Südlich vom Bellsund erfragt ENSB unsere Position. Nächster Kontakt am Eingang des Isfjords, beim NDB ISD. Nördlich des Sunds hängen die Nebelschwaden sehr dicht. Wir sinken auf 600 Fuß – im dunklen Grau sind die Konturen der Küste gerade so auszumachen. Um dem Dunst zu entkommen, drehe ich Richtung Meer. Wird uns der Weg nach Longyear doch noch abgeschnitten? Nach bangen Minuten reißt der Nebel schlagartig auf – wir sehen Kap Linné am Isfjord! Die Berggipfel liegen in Wolken, die Hänge wirken düster. Am NDB drehen wir in den Isfjord. Unter der geschlossenen tiefen Wolkendecke ist die Fernsicht fantastisch, etliche Nebenfjorde erstrahlen im Sonnenlicht. An der Südküste des Isfjords taucht die erste Siedlung auf, sie ist verlassen und gehört zu einer aufgegebenen russischen Kohlemine. „Enter TIZ and report airport in sight!“ ertönt die Towerstimme querab von Alpha. Einige Minuten schweben wir dicht an den Hängen entlang, bis sie plötzlich den Blick in den Adventsfjord freigeben. Zu unseren Füßen im Sonnenschein der Flugplatz.
Was für ein Kontrast zur nebligen Westküste! Erleichterung und Hochstimmung überkommen mich. Nur noch wenige Minuten trennen uns vom Ziel der monatelangen Vorbereitung. Wir sind Nummer zwei hinter einer anfliegenden 737. Im Gegenanflug erkennen wir Longyearbyen mit seinem Hafen. Die Boeing ist gelandet. Über dem Hafen drehen wir ins Final 28. Der Wind steht mit acht Knoten fast auf der Bahn. Wir müssen unsere Gefühle im Zaum halten und uns noch einmal voll konzentrieren. Rolf landet perfekt, backtrack und über Bravo runter von der Bahn. Nach uns schwebt Coast Guard 23 ein – galt ihre Mission unserem Flug? Am Rand des Vorfelds, 50 Meter vor der 737, bekommen wir eine Parkposition zugewiesen. Nett begrüßt uns der Marshall, dann begutachtet er sprachlos unsere CT – so etwas scheint ihm hier noch nicht begegnet zu sein. Als er die Sprache wiederfindet, bitten wir ihn um Gewichte und Seile.
Wir sind da: Rolf landet die CT perfekt
Angekommen! Wir können es noch nicht fassen. Die Last der letzten Tage fällt von uns ab. Es tut gut, nach fast sechs Stunden Flug endlich die Beine zu bewegen. Glücklich gratulieren wir uns. Feierlich lege ich Ailins Kuchen auf die Cowling, und bei arktischem Sonnenschein gönnen wir uns das erste Stück. Trotz Sonne ist es frisch; der Wind weht unangenehm. Nach dem Vertäuen der CT entledigen wir uns der verschwitzten Rettungsklamotten – was für eine Wohltat! Die 737 wird gerade wieder beladen. Auf dem Tower begrüßt uns Björn herzlich. Kopfschüttelnd betrachtet er unseren Flieger, der neben der Boeing winzig erscheint. Mit ein paar Eckdaten zu Maschine und Flug bringen wir ihn zum Staunen. Ein UL? Das gab es seines Wissens hier noch nie. Wow! (Später bestätigt Svein Mella, dass wir wirklich als Erste im UL nach Spitzbergen geflogen sind.)
Bei Kaffee und Keksen plaudern wir entspannt über das Leben in Spitzbergen. Mittendrin reißt uns das schon lange schweigende Funkgerät heraus.
Captain (737): „Scandinavien 243, how did this little toy in front of me come to Longyear? Did they assemble it here?“
Tower: „Negative Sir, they flew it from North Cape!“
Captain: „How long?“
Der Controller schaut uns fragend an. Tower: „Five hours and 46 minutes.“
Captain: „… äh … this is unbelievable!“
Ein wenig Stolz mischt sich unter das Glücksgefühl, hier am nördlichen Ende Europas in der Hohen Arktis angekommen zu sein. In Spitzbergen wollen wir natürlich auch fliegen. Doch leider verbieten die strengen Regeln private Lokalflüge; der Gouverneur erteilt unserem Ersuchen eine klare Absage.
Ein harter Schlag: Lokalflüge in Spitzbergen sind strengstens verboten
Auch Astrid Lund von der CAA sind die Hände gebunden, wie sie am Telefon versichert. Ein harter Schlag. Aber mit Trauer wollen wir unseren Aufenthalt nicht verderben und unternehmen kurzerhand eine mehrtägige Schiffstour in den Nordwesten Svalbards, um die arktische Landschaft ganz entspannt zu genießen. Nach neun Tagen – länger als geplant – müssen wir am 22. August den Hohen Norden verlassen, bevor die heranziehenden Tiefs aus Grönland den Rückweg versperren. Torgeir und Svein bedauern beim Abschied die Entscheidung des Gouverneurs. Bei der Triebwerksinspektion finden wir wie vermutet Wassertropfen im Vergaser. Gut, dass der zuverlässige 912 bisher souverän damit fertig wurde. Dem Adventsdalen Richtung Osten folgend lassen wir uns viel Zeit. Immer wieder schweift mein Blick nach Norden, meine Hand möchte die CT herumreißen. Ich habe es noch nicht verwunden, einmal im Leben hierher geflogen zu sein und den Traum eines Rundflugs nicht verwirklichen zu dürfen.
Schlechte Sicht: Auch beim dritten Vorbeiflug ist die Bäreninsel nicht zu sehen
An der Ostküste, jenseits des Storfjorden, erblicken wir Barentsöya und Edgeöya. Die Küste wirkt schroff und abgeschieden, ein Gletscher folgt dem anderen. Wir strapazieren unsere Foto- und Videotechnik. Am Südkap liegen bereits zwei überwältigende Flugstunden hinter uns. Ein letzter Funkspruch – wir nehmen endgültig Abschied und Kurs auf die Bäreninsel. Wenig später geht es wieder on top. Torgeir hat recht mit seiner Prognose: Auch bei unserem dritten Vorbeiflug ist die Bäreninsel nicht zu sehen. Umso überraschter sind wir, als uns Bjørnøya Radio nach fast eineinhalb Stunden über dem Wolkenmeer „broken“ in 2000 Fuß meldet. Unfassbar: durch die Wolkenlöcher erkennen wir die Insel! Wir sinken von 5500 auf 1500 Fuß.
Das Panorama ist beeindruckend: Diese geheimnisvolle unnahbare Insel zeigt sich uns in ihrer gesamten Ausdehnung, von der flachen mit unzähligen Seen bedeckten Nordhälfte bis hin zu den auf beinahe 500 Meter hochragenden Bergen im Süden. Wir erkennen die meteorologische Station mit ihrem Helikopter-Landeplatz. Der Westküste folgend erreichen wir das fast einladend wirkende Südkap, dessen Küste wir im Vorjahr nur schemenhaft erahnt haben. Glücklich über diese Zugabe schlüpfen wir durch ein Wolkenloch und fliegen noch gut zwei Stunden on top. Durchbrochene Wolken in der Nähe des Nordkaps erlauben uns abzusteigen; darunter regnet es leicht. Nach über 1000 Kilometern und sechseinhalb Stunden Flugzeit setzen wir sicher in Honningsvåg auf und werden in unserer Basis überaus herzlich begrüßt. Rolf verlässt mich aus gesundheitlichen Gründen leider am nächsten Tag mit einer Linienmaschine. Ailin berichtet, dass sie während unserer Abwesenheit die ganze Zeit schlechtes Wetter hatten, vor allem Nebel.
„Was macht Ihr als Nächstes?“ Eine häufig gestellte Frage in letzter Zeit
Bei Sturm bis 50 Knoten und Regen über der Finnmarksvidda habe ich mehrere Tage Zeit, das Erlebte zu verinnerlichen, die CT für den Rückflug klarzumachen und mich von den gastfreundlichen Menschen am Flugplatz Honningsvåg zu verabschieden. Über die Fliegerparadiese Finnland und Schweden geht es zurück. „Was macht Ihr als Nächstes?“ Eine häufig gestellte Frage in letzter Zeit. Die Herausforderungen, denen ich mich mit Rolf Bausewein und Siegmar Sprenger in den vergangenen Jahren mit der CT gestellt habe, sind gelebte geflogene Träume. Wir hatten alles auf unserer Seite: Wetter, Technik, Zeit, Gesundheit, Glück und Verständnis. Es waren einzigartige Abenteuer – mehr als eine Entschädigung für die harte Vorbereitung.
Harro Lorenz, 46, ist seit 1993 UL-Pilot. 2004 flog er mit Rolf Bausewein nach Grönland, 2005 mit Sigmar Sprenger nach Kanada, 2006 wieder mit Rolf Bausewein zur Bäreninsel – jeweils mit einer Flight Design CT. Von den Flügen nach Grönland sowie nach Kanada gibt es DVD-Filme. Der Film zum Spitzbergenflug ist in Vorbereitung. Infos unter www.lornav.de
Rolf Bausewein, 66, fliegt seit 1967. Er hat Lizenzen für Segel-, UL- und Motorflug erworben, dazu jeweils die Lehrberechtigung. In der DDR leitete er einen Stützpunkt der Gesellschaft für Sport und Technik. Mit Harro Lorenz besitzt er seit 2002 in Haltergemeinschaft eine CT.
Text: Harro Lorenz, Fotos: Harro Lorenz und Rolf Bausewein
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