Fliegerurlaub auf Baltrum und Helgoland
Einsteigen, abfliegen, ankommen und abschalten – und in der Brandung der Nordsee stehen. Das ist das Ziel für den Urlaub, den eine Familie an der norddeutschen Küste verbringen möchte.
Sommer 2020, und es steht fest: Meine Frau Andrea, unsere zweijährige Tochter Ella und ich möchten in den kommenden Tagen die kleinen Inseln an der Küste und in der deutschen Bucht erkunden – Baltrum und Helgoland.
Endlich Abflugtag! Ein kurzer Blick morgens um sechs Uhr aus dem Fenster: leichter Regen und eine aufziehende Kaltfront direkt vor der Haustür. Abwarten und am Flugplatz Tee trinken, denke ich mir. Das Wetter bessert sich zusehends, und das erneute Update des Flugwetters entlang der deutsch-niederländischen Grenze gen Norden stimmt mich zuversichtlich: Das geplante Routing ist durchführbar.
Fliegerurlaub auf Baltrum: Die A31 bildet den roten Pfaden zu den Inseln
Unser Heimatflughafen Stadtlohn im Münsterland liegt in der flachen westfälischen Bucht. Die Landschaft bietet Raum für Weitsicht und Horizont, so weit das Auge reicht. Den roten Faden zu „den Inseln“, wie man bei uns sagt, bildet hier die Autobahn 31. Sie erstreckt sich von Bottrop im Ruhrgebiet bis Emden in Ostfriesland.
Man glaubt es kaum, doch es gibt unterwegs einige interessante Sehenswürdigkeiten im Emsland. Markante Bauwerke sind das Atomkraftwerk Lingen sowie die insgesamt 31,8 Kilometer lange ehemalige Transrapid-Versuchsanlage. Etwas nördlich der kunstvoll geschwungenen Acht der Strecke liegt die Meyer-Werft in Papenburg an der Ems. Oft lohnen sich zwei bis drei Vollkreise, doch heute liegt nur ein nicht ganz so imposanter Teil-Blockbau eines Kreuzfahrtschiffs im Werfthafen. Die bis zu 344 Meter langen und 5200 Passagiere fassenden Kreuzfahrtriesen sind einfach gigantisch. Hier rätselt man oft, welchem Zweck der neueste und kunstvolle Decksaufbau wohl dienen mag? An Wochenenden und Ausschiffungstagen kann der Luftverkehr stark ansteigen, dann tummeln sich oben wie unten viele Schaulustige.
Profis im Anflug: Baltrum besitzt eine kürzere Profi-Platzrunde
Querab Emden lassen wir die A31 hinter uns, von 2200 Fuß beginnen wir den Sinkflug auf Baltrum, unserem ersten Ziel. Währenddessen schläft unsere Tochter Ella im Kindersitz seelenruhig, mit Gehörschutz und ihrem Kuschelhasen.
An der Küstenlinie kurz vor Baltrum erreichen wir die Platzrundenhöhe, 800 Fuß. Vorab hat sich im Funk eine Cessna 172 für den Gegenanflug der „27“ angemeldet. Wir schauen raus und suchen – nichts zu sehen. Wir drehen vor der Südplatzrunde ab in Richtung Westen, kurz danach zischt eine Cessna 172 im Gegenanflug 300 Fuß tiefer an uns vorbei. Sie ist in der engeren „Profi-Platzrunde“ unterwegs, die auf der Flugplatz-Website beschrieben ist. Präzise zirkelt sie diese kurze Runde ab und landet elegant hinter der Schwelle „27“.
Vorsicht geboten: Im Anflugbereich liegt ein Seevögel-Brutgebiet
Im Anflugbereich liegt ein Seevögel-Brutgebiet; Lachmöwen, Brandseeschwalben und andere gefiederte Kollegen sind im Süden und Osten der Insel zu beachten. Im Urlaubsmodus schweben wir in aller Ruhe, in ausreichender Höhe und ohne Seevogelverkehr mit 45 Knoten Groundspeed der Schwelle entgegen. Dank der 15 Knoten Gegenwind fühlt sich die 360 Meter kurze Landebahn unerwartet lang an.
Auf der Parkposition Nummer eins vor dem Tower-Container steht die Profi-Anflug-Cessna. Es ist, wie sollte es anders sein, die örtliche „172“ der FLN-Inselfliegerstation Baltrum. Betreiber des Sonderlandeplatzes sowie die örtliche Flugvermittlung ist die Baltrum Flug GbR, schon in zweiter Generation. Unsere PPR-Anmeldung bei Flugplatz-Chef Olaf Klün klappte auf Anhieb, und nun steige ich leicht verschwitzt, aber munter aus und helfe Andrea und Ella beim aussteigen. „Ted“, unsere Maschine (D-ETED), wird anschließend verzurrt und verpackt, inklusive Ruderverrieglung und Schutzhaube.
Wiedersehen mit alten Bekannten: Sören Voigt ist ein wahres Multitalent
Bevor wir uns mit vollbeladenem Bollerwagen auf den Weg zum Hotel machen, schaue ich kurz in den Tower-Container hinein. Er steht erhöht auf einem Wall, parallel südlich der Landebahn, dort sind auch die Abstellflächen. Das Betriebsgelände ist auf einer Salzwiese, dem Westheller. Bei Regenfällen, höheren Wasserständen oder Sturmflut heißt es hier naturgemäß Land unter.
Im Turm-Container treffen wir auf Sören Voigt – wie viele Baltrumer ist er ein wahres Multitalent und außerdem ein guter Gastgeber, wie wir es bereits einmal erleben konnten. Neben seinem Einsatz am Flugplatz führt er gemeinsam mit seiner Frau die Pension „Haus Katharine“. Morgens steht er in der Küche, wenig später sitzt er hinterm Tresen am Funkgerät für den Flugbetrieb. Von der guten Laune angesteckt, machen wir uns auf den kurzen Weg zur Hausnummer 80 des Strandhotels Wietjes, wo wir dieses Mal bleiben werden. Kurios: Die 314 Hausnummern sind hier chronologisch an die Erstvergabe des Bauplatzes gebunden.
Dörnröschen des Nordens: Baltrum ist die kleinste der ostfriesischen Inseln
Baltrum ist die kleinste der sieben bewohnten ostfriesischen Inseln, daher ihr Spitzname „Dornröschen des Nordens“. Sie ist etwa 5 Kilometer lang, 1,5 Kilometer breit und liegt genau in der Mitte zwischen Norderney und Langeoog. 500 Menschen leben hier, und in der Urlaubssaison gesellen sich bis zu 4000 hinzu. Autos und auch Straßennamen gibt es hier nicht. Alles ist gut per Pferdekutsche, mit dem Fahrrad, oder schlicht zu Fuß erreichbar. Unser Hotel liegt direkt am Strand, leicht zu finden. Wir nehmen noch die Eindrücke des Sonnenuntergangs an der Kurpromenade mit und fallen dann nach dem Abendessen erschöpft ins Bett.
Unseren ersten Urlaubstag genießen wir gemeinsam am Strand, im Schatten der Strandmuschel und der Sandburg. Wir erfreuen uns an dem bunten Treiben der Strandbesucher und Windsurfer. Am Abend reservieren wir einen Tisch im „Heimathafen Baltrum“, und bei Burger, Fischstäbchen und kühlen Getränken lassen wir den Abend auf der Terasse ausklingen.
Nur wenige Stunden: Baltrum kann man schnell zu Fuß umrunden
Die kleine Düneninsel hat erstaunlich viele Gesichter, obwohl die Inselumrundung entlang des Strands, der Dünen und Salzwiesen in wenigen Stunden zu Fuß machbar ist. Man ist sprichwörtlich „bald rum“, je nach Wasserstand und eigener Ausdauer. Wir bleiben zwei Nächte, dann machen wir uns auf den Weg nach Helgoland.
Vor dem Abflug rufe ich am Flugplatz Helgoland-Düne an und erfahre, dass ein lokaler Schauer abgeregnet ist und das Wetter aufklart. Wir checken Ted in aller Ruhe und legen unsere Schwimmwesten an. In der Platzrunde steigen wir auf 2000 Fuß und fliegen nördlich am Hauptstrand von Langeoog entlang. Die Inselflugplätze und das Bundesamt für Naturschutz empfehlen, wenn möglich mindestens 2000 Fuß über den Inseln und den Vogelschutzgebieten einzuhalten. Klingt einleuchtend: Wer möchte schon am Zielflugplatz Beschwerden entgegennehmen oder mit einem Vogelschwarm in der Luft Bekanntschaft machen?
Spielfilmpotenziel: Anflug auf Helgoland
Ab Spiekeroog nehmen wir Kurs auf den 47 Meter hohen Helgoländer Brandungspfeiler, die Lange Anna. Der Anflug auf die Landebahn 33 von Helgoland-Düne hat Spielfilmpotenzial. Die Kombination aus dem Anflug über dem Meer, mitunter starken und böigen Seewinden sowie Regenschauern können den Anflug erschweren. Mit etwas Vorbereitung und ruhiger Hand ist der Anflug für uns ein wunderbares Erlebnis. Kurz vorm Aufsetzen winken uns sonnenhungrige Badegäste am Strand zu. Im Zweifel gilt hier: Durchstarten ist immer eine Option, und wenn das keine Lösung sein sollte, sind Ausweich-Landeplätze wie Heide-Büsum oder Wangerooge auch tolle Ausflugsziele. Wir aber setzen kurz und bestimmt hinter der Schwelle der Piste 33 auf – geschafft!
Der beste Weg aus dem Flugplatzgebäude führt aus meiner Sicht durch das Restaurant „Runway 33“ oder zumindest zu einem Zwischenstopp im Flugplatz-Supermarkt. Bei strahlendem Sonnenschein und mit kühlen Getränken wandern wir quer über die Düne an den Südstrand. Die flache Nebeninsel Düne ist das heimliche Juwel. Mit etwas Glück – und Abstand – kann man vor allem im Winter die kleinen Babyrobben beobachten. Ausgewachsen werden die Tiere bis zu 300 Kilo schwer. Heute haben wir leider kein Glück. Mit der Katamaran Dünenfähre „Witte Kliff“ setzen wir zur Hauptinsel über. Je nach Wetterlage und Bedarf pendelt das Schiff im Hochsommer von 8 bis 23 Uhr im Halb- bis Stundentakt zwischen der Hauptinsel und der Düne.
Fuselfelsen: Auf Helgoland gibt es Hinweise auf zoll- und mehrwertsteuerfreies Einkaufen
Das Klischee des „Fuselfelsens“ hat Helgoland zwar längst abgelegt, doch Hinweise auf zoll- und mehrwertsteuerfreies Einkaufen finden wir dennoch. Gleich links der Eingangstür unseres Seehotels bietet ein Duty-Free-Shop seine Waren an, zur Rechten lockt die „Cohibar“ mit Drinks. Die etwa 1,7 Kilometer lange und 600 Meiter breite Insel hat natürlich mehr zu bieten als einen Tagesausflug für Spirituosen und Zigarren. Zu den 1500 InsulanerInnen gesellen sich über das ganze Jahr verteilt bis zu 400 000 Gäste. Die Insel unterteilt sich in Unter-, Mittel- und Oberland, die Geschichte als Seefestung, Seeräubernest und Militärstützpunkt ist bewegt. Und dass hier im Jahr 1947 die größte nichtnukleare Sprengung stattgefunden hat, kann man an den Kratern auf dem Oberland noch immer erahnen.
Ein Spaziergang mit fantastischen Ausblicken entlang des 2,8 Kilometer langen Rundwanderwegs auf dem Oberland ist Pflicht. Hier tritt man in die Fußstapfen von berühmten Physikern und Philosophen: Werner Heisenberg inspirierte sein Inselaufenthalt zur Theorie der Quantenmechanik, Hoffmann von Fallersleben dichtete hier das Deutschlandlied. Spätestens auf dem Oberland erkennt man: „Grün ist das Land, rot ist die Kant, weiß ist der Sand – das sind die Farben von Helgoland.“ Grün-Weiß-Rot, so wie die Farben der Helgoländer Flagge. Wir lassen den Abend in einem italienischen Restaurant auf dem Oberland mit Ausblick auf das Meer ausklingen. Ob horizontal oder vertikal – die Helgoland-Flagge hängt hier in jedem Fall richtig.
Historisches und Kurioses: Die bunten Hummerbuden erinnern an alte Zeiten
Auf dem Unterland an der Hafenstraße stehen die bunten Hummerbuden. Es sind Wiederaufbauten, sie erinnern an die Zeit der Helgoländer Fischer, ihre Schuppen und Werkstätten. Etwas weiter östlich entdecken wir während eines Spaziergangs bei Sonnenaufgang den Eingangsbereich des Helgoland-Museums. Hier liegt unter anderem eine etwas skurriles Arrangement bestehend aus einer Tall-Boy-Fliegerbombe, einem Lancaster-Propeller, einer verrosteten Kipp-Lore sowie einer Salut-Kanone. Im Innenhof sind Mini-Nachbauten der Hummerbuden ausgestellt. Das Museum bietet auch Führungen durch die Bunker an, die es auf der Insel gibt. Den Besuch des Museums, der Bunkergänge und des Schwimmbads „mare frisicum“ behalten wir für das nächste Mal im Hinterkopf.
Am Abreisetag beladen wir nach einem feinen Frühstück in der Pension „Haus Nickels“ unseren Bollerwagen. Der kleine Gepäckwagen hat etwas zugelegt in Form von feinem Inselsand in der Kleidung, zwei Whisky-Flaschen und diversen Teetassen. Beim Schlendern entlang der Promenade zieht uns der Musikpavillion an. Wir setzen uns einen Moment in die Sonne und den Seewind und lauschen den traditionellen Seemannsliedern. An der Landungsbrücke werfen wir einen letzten Blick auf die roten Klippen Helgolands.
Dünenfähre: Bis zu 50 Passagiere können im Börteboot Platz nehmen
Per traditionellem Helgoländer Börteboot aus Eichenholz setzen wir über zur Düne. Ein tolles Erlebnis für bis zu 50 Passagiere, ob als Dünenfähre oder bei Rundfahrten. Die wertvolle maritime Tradition der Helgoländer Dampferbörte ist seit 2018 Teil des immateriellen Kulturerbes in Deutschland. Bei strahlendem Sonnenschein legen wir ab. Nach wenigen Minuten bemerken wir eine Segelyacht, die unter Motor auf den Binnenhafen zusteuert. Die Schiffsführer der Börte schauen kurz verdutzt aus der Wäsche, dann rufen sie rüber: „Was macht ihr denn da?“ Die Crew der Yacht: „Wir wollen tanken!“ Darauf unser Schiffsführer: „Geht nicht, Baustelle. Kann man auch nachlesen. Man kann im Nordost-Hafen tanken.“ Die Situation erinnert mich an das ein oder andere Dusel-Szenario im fliegermagazin-Pilotenquiz – und an eigene (Planungs-)Fehler.
Auf dem Vorfeld angekommen legen wir wieder Schwimmwesten an. Erneut ist die Landebahn 33 in Betrieb. Das Vorfeld ist so voll belegt, dass wir nur über einen der beiden Rollwege ohne Flügelspitzenkontakt abrollen können. Nach dem Backtrack auf der „33“ starten wir mit ungefähr 10 Knoten Gegenwind. Der Abflug erfolgt hier über den Campingplatz und die Zelte, die in den Dünen stehen. Auf dem Rückflug entlastet uns der Autopilot.
Kurzer Heimweg: Nach nur 50 Minuten landen wir in Stadtlohn
Wir nehmen nahezu direkt Kurs auf unseren Heimatflugplatz Stadtlohn-Vreden und fliegen die Streckenabschnitte in 3500 Fuß bis FL 65. Bereits nach zirka 50 Minuten melden wir uns mit einem „Moin!“ auf der Frequenz von Stadtlohn zurück. Wir landen auf der „29“ und finden uns, eh wir uns versehen, wieder vor dem Hangar in heimischen Gefilden zurück.
Aussteigen, Ted putzen und einhallen. Zuhause und mit viel Sonne im Herzen blicken wir auf die vielen einzigartigen Begegnungen, wunderbaren Erlebnisse und die außergewöhnliche Gastfreundlichkeit zurück. Unsere Tochter fragt uns seither: „Wann fliegen wir wieder ans Meer?“
Text: Felix Demes, Fotos: Felix Demes, Andrea Demes
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