Buschfliegen: Mit der Cub durch Nordwest-Kanada
Wo ein Schotterstreifen zur Piste wird und Grizzly-Bären zum Frühstück vorbeischauen: Buschfliegen in Kanada zwischen Yukon und Eismeer.
Vor etwa 30 Jahren erwischte mich der „Northern Virus“. Damals schipperte ich im Indian Summer per Kanu den Yukon hinunter. Die herbe nördliche Landschaft in ihrem goldenen Herbstkleid ließ mich nicht mehr los. Ich hing fest, verlagerte aber meine Aktivitäten nach Alaska. Um meinen Aktionsradius zu vergrößern, lernte ich dann vor 16 Jahren Fliegen. In Alaska erwarb ich mir auf dem harten Weg des Selbstunterrichts das Buschflieger-Handwerk und lernte dabei das Land in größerem Umfang kennen (siehe auch fliegermagazin 4/99). Den Yukon und damit Kanada verlor ich aber nie aus den Augen. Bis es im Sommer 2004 endlich soweit war. Es sollte eine Reise ins Blaue werden.
Die Vorbereitungen waren recht einfach: Kartenmaterial und eine Lizenz zur Einfuhr meines Gewehrs besorgen und in Fairbanks, meiner Basis, Lebensmittel einkaufen. Endlich war der riesige Haufen Gepäck und Ausrüstung in meiner Cub verstaut, es konnte losgehen. Am 24. Juni hob ich gegen Mittag vollgetankt vom International Airport Fairbanks Richtung Osten ab und war nach zweieinhalb Stunden und bestem Wetter in Northway, der letzten Station in Alaska vor dem Einflug nach Kanada. Die Einreiseformalitäten sind erfrischend simpel: ein Anruf unter 1-888-CANPASS, Pass- und Waffennummer sowie die Absichten durchgeben – das ist alles. Nach der Ankunft in Kanada wählt man die gleiche Nummer und bestätigt, dass man angekommen ist.
Northway: die letzte Station in Alaska
Richtung Whitehorse war das Wetter gut, also ging es im Direktflug über die Berge. In den folgenden drei Stunden habe ich außer zwei alten Traktorspuren in den zum Teil von Buschbränden geschwärzten Bergen nichts Menschliches zu sehen bekommen. Bei einer Notlandung bist du hier wirklich ziemlich auf dich gestellt, denn selbst in 7500 Fuß MSL war kein Funkkontakt zum Flightservice oder sonst jemanden herzustellen, und das auf einer gut beflogenen Strecke. In Whitehorse „erledigte“ ich Zoll und Einwanderungsformalitäten wie erwähnt per Telefon. Ich bekam meine Visanummer, die ich selbst in meinen Pass eintrug, und für 50 Kanadische Dollar die Nummer meiner kanadischen Waffenlizenz – das war alles, das Land stand mir offen. Eigentlich hatte ich hier übernachten wollen, doch noch auf dem Vorfeld kam ich mit dem Piloten einer Cessna 172 ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass er und seine Frau Deutsche waren.
Stefan Voswinkel überredete mich, noch eine Stunde Flugzeit dranzuhängen und in Atlin, etwa 140 Kilometer weiter südlich, zu übernachten. Ich hab es nicht bereut: Dieser Flug war eine Steigerung all dessen, was ich bisher gesehen hatte. In abendlich klarer Luft, über uns blauer Himmel, links und rechts die messerscharfe Silhouette schwarzer Berge, folgten wir einem weiten, langgezogenen Tal mit blauen und türkisfarbenen Seen. Als wir in Atlin ankamen und in die Platzrunde einbogen, lagen vor uns rotglühend die Berge über dem türkisfarbenen Wasser des Lake Atlin. Am liebsten hätte ich in der Luft geparkt. Am nächsten Morgen beim Frühstück entpuppte sich Stefan als wahre Fundgrube. Vor dem 11. September hatte er ein eigenes Unternehmen, vercharterte Flugzeuge an deutsche Piloten und flog mit ihnen durch Nordwestkanada.
Entsprechend gut kannte er sich aus, und er war so nett, mir in eine Straßenkarte vom Yukon die wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Landes einzuzeichnen: von Tulsecqua am Taku River bis hin zu Inuvik am McKenzie-Delta im North-West Territory. Stefan empfahl mir einen kleinen Airstrip in Tulsecqua an der kanadisch-alaskanischen Grenze. Über dem Lake Atlin flog ich nach Süden, vor mir die aufragenden Rocky Mountains mit der glitzernden Gletscherwelt. Bei 30 Knoten Wind im Gebirge war die Fliegerei allerdings recht anspruchsvoll. An jeder Talecke musste ich immer mitdenken, wo die kleinen gemeinen Abwinde und Turbulenzen lauern könnten, um entsprechende Umwege zu nehmen, oder, wenn es anders nicht möglich war, sie stur zu durchfliegen. Doch ich kam an. Tulsecqua entpuppte sich als drei Häuser im Wald. Der Airstrip war schmal und zugewachsen, zudem voller Pfützen. Igitt!
Aber die Gravelbar (Schotterbank) davor war super. Also bin ich lieber auf der gelandet und habe vor hohen Cottonwood-Bäumen mein Zelt aufgeschlagen. Trotz des grandiosen Panoramas mit den steilen Felsbergen, den Gletschern und den hohen wuchtigen Bäumen entlang des Schotterstein-Flussbetts wollte ich hier keine Wurzeln schlagen. Bis zum Eismeer sind es immerhin 1250 Kilometer Luftlinie. Wieder in der Luft, ging’s im Tiefflug dahin. Jetzt schnüffelte ich herum und kundschaftete die Gegend aus. Bei Inklin – wieder nur ein paar Hütten – bin ich in das verkehrte Tal und damit voll in die hohen Berge eingeflogen. Ich habe es trotzdem drauf ankommen lassen. Meine Neugierde auf das „Hinter-der-Ecke“ war zu groß, wie immer. Die „Ecke“ endete in einem Talkessel, umgeben von hohen steil aufragenden Wänden, Berglehnen und Zinnen.
Die Rinnen dazwischen waren mit Gletschern ausgefüllt, zu deren Füßen kleine Bäche herausströmten; diese flossen wieder durch kleine Teiche. Es war eine Welt der Wunder. Hier war Ende. Doch zurückfliegen wollte ich nicht. Da die Wolken nicht auflagen, entschloss ich mich, über die Gipfel zu steigen. Mit einem großen Vollkreis pumpte ich mich in die Höhe. Gut, dass ich einen 180-PS-Motor unter der PA-18-Cowling habe! Vorsichtig näherte ich mich im spitzen Winkel einem scharfen Berggrat, jederzeit bereit, sofort in die Tiefe abzudrehen, sollte ich wider Erwarten auf böse Leefallen treffen. Als ich den Grat ins andere Tal querte, eröffnete sich mir auf der anderen Seite ein sagenhafter Anblick. Etwa 4000 Fuß tiefer im Tal konnte ich die dunklen Tannen malerisch entlang des Taku Rivers sehen und direkt rechts unter mir in einer Art Halbschale einen kleinen Bergsee.
Es überkam mich einfach. Übermütig trat ich ins rechte Ruder, tauchte wie ein Kampfflieger ab Richtung Bergsee und flog dann entlang der Felsnasen und Gletscher, überwältigt von der Schönheit dieser Natur. Es dauerte, ehe ich am Lake Atlin ankam. Auf dem Hinflug hatte ich am Südende des Sees im Hintergrund zwei versteckte kleinere Seen bemerkt. Dort wollte ich übernachten. Nach meinen üblichen Landerunden flog ich in fünf bis zehn Meter Höhe über den Tannen einer vorgelagerten Insel durch mein „Landefenster“ und setzte trotz des starken Windes butterweich auf dem Ufer auf. Nachdem das Zelt aufgebaut war – auch dies dank des Windes eine reichlich sportliche Angelegenheit – nahm ich Angelrute, Gewehr und Videokamera und marschierte zu den weit im Hintergrund liegenden Seen.
Vorsichtig näherte ich mich im spitzen Winkel einem scharfen Berggrat
Bis plötzlich vor mir in den Büschen ein braunes Knäuel auftauchte. Ein Wurzelhaufen? Nicht ganz, denn er bekam mit einem Mal Ohren. Uhh, ein Grizzlybär! Schnell zückte ich meine Videokamera. Obwohl ich mein Gewehr dabei hatte, war ich doch ziemlich nervös. Dies war zwar nicht meine erste Begegnung mit einem Bären in der Wildnis, aber es ist immer wieder etwas Neues, mit einem großen Raubtier auf Tuchfühlung zu sein, ohne Zaun dazwischen wie im Zoo. Und ich wusste, dass Meister Petz in weniger als vier Sekunden bei mir sein konnte. So standen wir einander einen Moment lang gegenüber, ehe sich der Grizzly fürs Überleben entschied und hinter einer Felsnase verschwand. Erleichtert marschierte ich weiter durch den Busch – und hörte plötzlich ein leises Knacken. Da war der Kerl doch wieder, diesmal allerdings 15 Meter vor mir. Jetzt war meine Anspannung doch zu groß: Ich schrie ihn an.
Mann, hat der einen Schreck bekommen! Wie von der Tarantel gestochen flüchtete er durchs Wasser und dann einen Felshang hoch. Einen Fisch fing ich an diesem Abend nicht mehr. Kurz vor Sonnenaufgang weckte mich der melancholische Ruf eines Loons (Nordischer Prachttaucher). Nach Kaffee, Käsebrot und einigem Getrödel war ich wieder in der Luft. Ziel: nochmal Whitehorse. Dort wollte ich meinen Flugplan aufgeben. Bei der netten Dame vom Flightservice habe ich viel über Flugplanung in Kanada gelernt: Ein Flugplan kann für beliebig viele Tage aufgegeben werden, inklusive vieler Zwischenstopps. Man muss ihn am Ende nicht unbedingt schließen, sondern kann auch eine Verlängerung bekommen. Die Planung sollte sich an einen plus/minus 50 Kilometer breiten Korridor halten. Und man sollte, wo immer möglich, einen Positionsreport abgeben, um den SAR-Leuten im Notfall einen Anhaltspunkt zu geben, wo in diesem riesigen Land dieser verdammte kleine Flieger zu suchen ist.
Bei einem so genannten Flight Itinerary übermittelt man den Flugplan einer vertrauenswürdigen Privatperson. Die kann irgendwo auf der Welt, also auch in Deutschland sein. Ich nächtigte später irgendwo am Tesslin River und flog am nächsten Tag bei bockigem Wind via Carmaks und Minto nach Fort Selkirk. Auf den letzten Kilometern zog der Himmel zu, und kaum war mein Zelt aufgebaut, pladderte es richtig los. Auch der folgende Tag war fliegerisch nicht unbedingt ein Vergnügen. Überall an den Hängen und den Seitentälern hing Steignebel unter der sowieso schon niedrigen Wolkendecke. Mit der Faust im Magen und bereit, mich für den Fall der Fälle von einer Schotterbank zur anderen zu hangeln, kam ich nach zwei Stunden Stochern bei Dawson City an. Ich durfte gleich neben dem Flightservice auf dem Rasen campen und sogar das fließend warme Wasser im Flightservice benutzen – eine echte Wohltat nach diesem nervigen Flug!
Tags drauf machte ich in aller Ruhe die Flugplanung nach Norden. Mein Ziel war die Eismeerküste. Nach Old Crow waren es knapp 350 Nautische Meilen. Die freundliche Lady vom Flightservice hatte mir Wetterbesserung versprochen, und Inuvik würde trotz des vom Pol herunterziehenden arktischen Tiefs machbar sein. Nach Aufgabe meines auf vier Tage ausgelegten Flugplans lag Kurs Nord an, auf die von Stefan in der Karte eingezeichneten Berge zu, die etwa 50 Kilometer nördlich von Dawson jenseits eines weiten Tals lagen. Schon aus der Ferne sah ich in den aufgelockerten Cumuluswolken die drohenden Zinnen. Gespannt, was mich erwarten würde, flog ich weiter, und langsam schälte sich eine steinerne Märchenwelt heraus. Ich flog ganz bewusst nur 500 Fuß über dem Passboden durch eine unwirkliche Schlucht, links und rechts gesäumt von steilen Wänden und Türmen, unter mir hier und da ein kleiner Bergteich.
Gespannt, was mich erwarten würde, flog ich weiter, und langsam schälte sich eine steinerne Märchenwelt heraus
Verstärkt wurde die Unwirklichkeit noch durch die Wolken und den Wind, der hier ganz schön durch das Nadelöhr pfiff. Trotz der Schönheit war ich froh, endlich auf der anderen Seite zu sein und den Dempster Highway vor mir zu sehen, dem ich nach Norden folgte. An einem Highwaydepot kam vom Westen her ein einladender kleiner Zufluss des Ogilvie Rivers mit vielen Gravelbars. Da es Zeit wurde, das Camp aufzubauen, guckte ich mir dort eine passende Schotterbank aus. Es ist nun bei Gott nicht so, dass ich einfach drauflos lande, auch wenn es hier vielleicht danach klingt. Um Risiken, die bei Außenlandungen immer sehr groß sind, zu minimieren, sind die Vorgehensweisen recht umständlich: Zuerst wird bei einem hohen Überflug über die ausgesuchte Landestelle deren Länge gemessen und die Windrichtung festgestellt, dann folgt der erste mittlere Überflug, um Turbulenzen zu ermitteln und nach gröberen Hindernissen, Löchern und sonstigen Fallen Ausschau zu halten.
Im Anschluss mache ich einen seitlich leicht versetzten Tiefüberflug, bei dem ich ein Landefenster eröffne, die Landeschwelle festlege und einen letzten Blick auf die Details der Landefläche werfe. Diese Prozedur kann je nach Schwierigkeitsgrad und der Dringlichkeit, landen zu müssen, zehnmal und öfter nötig sein, nur um unter Umständen dann doch nicht zu landen, weil man immer noch kein gutes Gefühl hat. Hier aber war die Bank sehr schön: lang genug und lediglich mit faust- bis handballgroßen Steinen bedeckt und vom Berghang halb gegen den Wind geschützt. Ich brauchte nur 70 Meter Landestrecke! Camp und Lagerfeuer waren wieder schnell gemacht. Beim Rundgang um die Campinsel sah ich eine ältere Grizzlyfährte. Da war also wieder so ein Zottelbär in der Umgebung. Zudem stellte ich fest, dass das Wasser stieg und ich damit rechnen musste, dass meine Startbahn am nächsten Morgen verschwunden wäre.
Ich stellte also einen Messstein auf und stoppte die Zeit, bis der zwei Zentimeter hohe Stein mit Wasser bedeckt war. So errechnete ich eine ungefähre Wasserhöhe für den nächsten Morgen. Stieg das Wasser gleichmäßig, würden etwa 150 bis 200 Meter nutzbare Fläche übrigbleiben. Genug, um mit meiner Cub in die Luft zu kommen. Am nächsten Morgen sah ich, dass ich richtig gerechnet hatte: Über Nacht war der Fluss gute 50 Zentimeter gestiegen. Nach dem Frühstück rollte ich an die „Startschwelle“ und machte während des Rollens gleichzeitig den Run-up. Dieser rollende Run-up ist ratsam, will man nicht Steine mit dem Propeller aufsaugen. Ich habe bei einigen Buschfliegern Propeller gesehen, die durch solchen Steinschlag nur noch Schrott waren. Am allerletzten Zipfel der Gravelbar wendete ich und richtete den Flieger aus. Ein kurzer Check und Konzentration, dann Knüppel nach vorn und Gas rein.
Nach nicht mal zehn Meter kam das Leitwerk hoch, die Cub beschleunigte jetzt auf den großen weichen Reifen zügig. Um ganz sicher zu sein, dass ich sauber in die Luft kam, setzte ich die (modifizierten) Klappen erst in den letzten Metern auf volle 50 Grad und korrigierte den „Nosedown-Torque“ leicht mit dem Höhenruder. Wupp war ich in der Luft. Sofort drückte ich nach, reduzierte die Klappen auf 15 Grad und beschleunigte im Groundeffekt, denn 200 Meter weiter lauerte um die Ecke der böige Wind. Dort wollte ich mindestens 60 Knoten indicated haben. Am Dempster angekommen, ging es weiter nach Norden durch Berge, Hügel und Rolling-Plains, nur hier und da mit ein paar Bäumen bestanden. Ich war hier schon in der hochalpinen Tundra. Irre! Besonders das tiefe Durchfliegen der Pässe über der Straße machte Spaß.
Sofort drückte ich nach, reduzierte die Klappen auf 15 Grad und beschleunigte im Groundeffekt
Aus Sicherheitsgründen folgte ich weitestgehend dem Highway, aber irgendwann bog der nach Osten ab. Wenn ich querfeldein nach Old Crow gelangen wollte, musste ich von hier nach Westen in das große Niemandsland abbiegen. Und wie immer in solchen Situationen, wenn kein Rettungsring da ist, klingt der Motor automatisch rau … Als ich den von Süden kommenden Old Crow River kreuzte, wurde es böig, und nach Westnordwest sah es etwas zugezogen aus. Ich war weit weg von landefähigen Flussbänken und wollte keinen Umweg nach Süden machen. Also stieg ich auf etwa 3000 Fuß und kam etwas aus den kabbeligen Bodenturbulenzen der Hügel raus. Kurze Zeit später war ich im Regen und hatte kaum Sicht nach vorn, aber zumindest konnte ich den Boden noch gut erkennen. Laut GPS hatte ich 25 Knoten Wind auf der Nase, in Böen sogar bis 35.
Um wieder etwas Sicherheit in dem unbewohnten Land zu bekommen, bog ich nach Norden ab, denn der Old Crow River hat schöne und große Gravelbars. Als ich ihn erreicht hatte, ging es weiter nach Westen, immer den Fluss lang. Die Wettervorhersage von vorgestern stimmte augenscheinlich nicht. Sorgen machte ich mir trotz der Kapriolen meines Bombers nicht. Ich hatte ausreichend Sprit an Bord, war hoch genug, es gab weit und breit keine anderen Flugzeuge, und ich hatte schon härtere Turbulenzen ausreiten müssen. Es war nur sehr ungemütlich. Bei solchen Bedingungen fliege ich langsam mit 65 bis 75 Knoten bei einem Verbrauch von 22 bis 25 Liter pro Stunde. Das hat den Vorteil, dass die Belastung der Struktur durch turbulente Stöße nicht so groß ist und ich länger fliegen kann.
Allerdings dauerte es bei 30 bis 40 Knoten Groundspeed ein Weilchen, bis ich aus dem Dreck kam und in der Ferne den einzelnen Berg bei Old Crow ausmachen konnte. Ein bisschen mulmig war mir schon, als ich an die Landung auf dem Aerodrom im Lee des großen Berges dachte. Doch sie gestaltete sich wie eine „glassy water landing“: Mit Power und einer Sinkrate von 300 bis 400 Fuß tastete ich mich an die Bahn, fühlte den Bodeneffekt, glich die Böen aus und setzte weich mit dem Hauptfahrwerk auf. Ich war noch keine zehn Minuten ausgestiegen, da kam ein Mounty und checkte meinen Ausweis. Der konnte mich einfach nicht einordnen. Eine Novemberregistrierte Maschine und ein deutscher Pilot in einem gottverlassenen Buschnest, dicht an der Grenze. Nun ja, sonst passiert hier ja auch nicht viel.
Ich tankte 145 Liter, bei 2,50 Dollar pro Liter kam ein hübsches Sümmchen zusammen. Bei Sturm und Regen ging ich in in die „City“ von Old Crow. Es war Sonnabend, das einzige Lebensmittelgeschäft hatte zu und war mit einer dicken Eisenstange über der Tür gesichert. Es war spät geworden, ich war erschöpft und wollte irgendwo mein Haupt zur Ruhe legen. Bei dem Wind war ich trotz voller Tanks in weniger als einer Landelichtdistanz airborne. Auf der einen ausgeschauten Gravelbar am Old Crow River im Lee des Berges zu landen, erschien mir nach einigen Anflügen zu gefährlich. Stark turbulenter Seitenwind mit Scherung übelster Art in Baumwipfelhöhe ließen mich in meinem Flieger wie auf einem störrischen Pferd mächtig tanzen. Also flog ich etwas weiter den Porcupine River aufwärts, bis ich eine große Insel im Schatten hoher Steilufer fand, deren gebogenes unteres Ende halb im Wind, weiter oben aber querab dazu lag.
Du willst nur ein paar Fische fangen, da steht der Grizzly vor dir
Dort konnte ich Schutz hinter den hohen Tannen erwarten. Ich bastelte mir mit einigen Überflügen wieder ein Anflugfenster zusammen und zoomte mit rund 55 Knoten rein. Flare, Klappen raus, und auf dem Hauptfahrwerk schepperte ich über das Schotterbett. Ich gönnte mir hier eine Auszeit von zwei Tagen. Das Wetter war einfach zu mies, und ich war ziemlich zerschlagen von dem laufenden Klimawechsel. Am Montag früh lag der Porcupine River unter leichtem Flussnebel, von Sonnenlicht beschienen. Das schlechte Wetter war nach Osten gezogen. Nach Aufgabe eines Flugplans (diesmal für vier Tage) ging es los. Von hier bis zum Eismeer und auch dort gibt es, außer Wildnis, nichts! Über die Old Crow Flats flog ich entlang der alaskanisch-kanadischen Grenze nach Norden zum Firth River, dem ich im Tiefflug bis zum Eismeer folgte.
Zur Sicherheit immer schön den Fluss entlangfliegen
Ich habe in meiner Jugend die Abenteuer-Erzählungen über Walfänger verschlungen, die im 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts im zuziehenden Packeis gefangen waren und in der Bucht im Osten der Herschel Insel Schutz gesucht hatten. Nun lag das Eiland vor mir. Es gab eine Sandpiste, aber beim tiefen Überflug sah ich ein großes Schild ähnlich einem Parkverbotszeichen, nur mit einem Flieger darauf. Landeverbot – Mist! Also zog ich enttäuscht weiter, immer entlang der Küste. Endlich vor Shinglepoint, auf einer Nehrung, sah ich wieder eine Siedlung, fast drei Kilometer lang, spärlich mit Holzhütten bebaut. Ein Inuit-Dorf. 15 Kilometer weiter lag eine gute Schotterpiste, auf der ich landete. Es war schon immer mein Ziel gewesen, einmal meine Hände ins Eismeer zu tauchen. In mir hat das Polarmeer immer verzaubernde, abenteuerliche Gefühle erzeugt.
Jetzt an dem ruhigen Meer mit nur 20 Zentimeter hohen Wellen zu stehen, war relativ ernüchternd: Am Horizont konnte ich das Packeis im Dunst nur erahnen. Mein Respekt kehrte zurück, als ich mit den Leuten sprach, die gerade ihre beiden Boote ins Wasser schoben. Sie waren drei Tage lang „eingewettert“ gewesen. Das gleiche Tief, mit dem ich zu kämpfen gehabt hatte, traf hier mit unverminderter Wucht auf die Küste. Meterhohe Wellen, die zudem noch mit bis zu 40 Meter langen Baumstämmen vom McKenzie durchsetzt waren, donnerten gegen den Sandstrand. Den armen Leuten war nichts anderes übrig geblieben, als ihre schweren Boote auf Stämmen hoch aus der Gefahrenzone zu ziehen und im Schutz des Strandholzes das Wetter auszusitzen. Es war schon spät geworden, und ich brauchte einen Platz zum Übernachten. Statt mein Lager erneut in freier Natur aufzuschlagen, flog ich weiter nach Aklavik.
Ich brauchte noch ein paar Frühstückseier. Und ich bekam sie: Obwohl es bereits 23 Uhr war, konnte ich noch in einem Inuit-Laden einkaufen. Die Postmaschine am nächsten Morgen war mein Wecker, um aufzustehen und zum inzwischen geöffneten Flightservice zu gehen. Nach der Morgenwäsche (warmes Wasser!) ließ ich mir eine Wetterberatung für den kurzen 30-minütigen Hüpfer nach Inuvik geben. War es gestern noch halbwegs schön gewesen, regnete es jetzt ansehnlich Bindfäden, und die Wolkendecke lag quasi auf den Ohren auf. Jedenfalls drückte sie mich auf 100 bis 200 Fuß über Grund runter. Gott sei Dank war die Horizontalsicht gut. Trotzdem, Inuvik zu sehen war nicht einfach. Es lag etwas höher (224 Fuß MSL), als ich wegen der Ceiling flog. Von der Größe des Flughafens war ich überrascht. Eine 3000 Meter lange Asphaltbahn, Terminal und Tower supermodern, dazu ein riesiges Vorfeld.
Und der Sprit war im Gegensatz zu Old Crow mit 1,35 Dollar richtig billig. Wieder ließ ich mir das Wetter geben: Schneeschauer in Shinglepoint. Und das Anfang August! Nach der obligatorischen Aufgabe meines Flugplans flog ich Richtung Fort McPherson am Peel River. Am Horizont unter der Wattedecke konnte man das schöne Wetter als gelben Streifen im Süden sehen. Hinter Fort McPherson wurde es immer schöner, bis der ganze Himmel blau war. Ich schlängelte mich entlang des Peel Rivers bis zu einem atemberaubenden Abschnitt: In einem tiefen Einschnitt, eingequetscht zwischen einer steilen Felswand auf der einen und schroffen Felsen auf der anderen Seite, polterte und schäumte der Fluss in der Tiefe. Das war so irre, dass ich im Tiefflug fast in den engen Canyon tauchte, nicht nur um Aufnahmen zu machen, sondern um dieses faszinierende Bild in mich auf- zusaugen.
Nach zehn Tagen endlich wieder in einem Bett liegen
Oberhalb der Wasserfälle wurde der Fluss wieder ruhiger. Es waren hier so viele und schöne Gravels vorhanden, dass ich beschloss, zu bleiben. Ein vor dem starken Wind geschützter, trockener Altarm war schnell gefunden. Das Camp war wieder in einer Stunde aufgebaut. An diesem Abend jedoch spürte ich mal wieder meine 62 Lebensjahre. Ich war ausgelaugt. Also traf ich die Entscheidung, Schluss zu machen und zurück nach Fairbanks zu fliegen. Dazu musste ich allerdings durch die Ogilvie Range fliegen. Diese Berge waren noch vor nicht mal 50 Jahren ein weißer Fleck auf der Landkarte. Unvermessene Terra Incognita. Und wieder flog ich in einer faszinierenden Landschaft, durch enge Täler, entlang kahler Kliffs und Berghänge und sah keine Menschenseele.
Auftanken in Dawson, dann Zoll in Northway und weiter in der Mitternachtssonne bis Fairbanks. War das ein Gefühl, wieder in einem richtigen, weichen Bett zu liegen! Zehn Tage war ich unterwegs gewesen, über 35 Stunden hatte ich in der Luft verbracht und mehr als 4700 Kilometer zurückgelegt. Ich habe Landschaften in natura gesehen, die ich nur aus Filmen kannte. Es sind so viele extreme Eindrücke auf mich eingestürzt, dass ich selbst heute, ein halbes Jahr später, noch Mühe habe, sie alle zu verarbeiten. Doch ich träume schon wieder davon, im nächsten Jahr erneut die Northwest-Territories zu erforschen.
Text und Fotos: Ingo Brigmann/cls, fliegermagazin 2/2005
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