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Buschfliegen in Namibia: Mit Zlin Savage Cub und Sunwheel durch die Canyons
Tief und langsam über Canyons huschen, wilde Tiere aus der Luft aufspüren, mit Freunden buschfliegen – der Südwesten Afrikas ist dafür die perfekte Arena
Über uns füllt sich das Himmelsgewölbe langsam mit tiefem Blau. Noch funkelt der unendliche Sternenkosmos durch die eiskalte Nacht. Wir fliegen low level über die Namib, die älteste Wüste der Erde. In der afrikanischen Nacht kann man weiter sehen als irgendwo sonst. Der Mond wirft den scharf gezeichneten Schatten unserer Maschine aufs Gras. Wir haben die Tür aufgemacht – bis 120 km/h kein Problem. Das Gras duftet nach Thymian, im Osten kündet der Himmel vom neuen Tag: Am Horizont färbt sich die große dunkle Kuppel zart Gelb-Orange. Die kalte Luft trägt gut, und die Savage Cub fliegt sich sanft, wie in Öl gebettet. Große Kameldornbäume bestimmen unseren Slalomkurs entlang des „Reviers“, wie man die ausgetrockneten Flussläufe hier nennt.
Plötzlich löst sich ein gewaltiger Schatten aus dem Baumwipfel elf Uhr über uns. Aufgeschreckt startet ein Aasgeier mit vielleicht drei Meter Spannweite in den anbrechenden Tag hinein. Wir sind hellwach. Aufpassen! Michael Grzimek, Sohn des berühmten Tierforschers Bernhard Grzimek, wurde eine ähnliche Situation mit seiner Do-27 zum Verhängnis, als er 1959 in der Serengeti mit einem Gänsegeier kollidierte. Kaum merklich fangen die Gipfel der Chuosberge im Norden die ersten Sonnenstrahlen. Je mehr sich die Erde der Sonne zuneigt, überziehen sie die Grasmatten der Tinkas-Ebene mit zartem Gold. „Staub in zwei Uhr! Siehst Du das?“ frage ich Fritz, meinen Co. Im gleißenden Gegenlicht ist aber nicht zu erkennen, wodurch der Staub aufgewirbelt wird – fliegen wir hin.
Als wir näher kommen, scheint die ganze Ebene zu leben, sich zu bewegen. Jetzt löst sich das Rätsel auf: eine riesige Herde Springbockantilopen, die nach Süden stiebt, jedes einzelne Tier eine Staubfahne hinter sich. Wir versuchen die Antilopen zu zählen, teilen die Fläche, die sie einnehmen, in Karrees und rechnen hoch: vielleicht 600, 800 Tiere, vielleicht viel mehr. Durch die offene Tür beobachten wir das Geschehen, wir riechen den Staub und die Antilopen. Kraft, Lebensfreude, Eleganz und Ausgelassenheit begleiten uns – nein: Wir sind mitten drin!
Um die provisorische Buschpiste besser anvisieren zu können, ist unser Landcruiser mit Windsack am Nordende geparkt
Nach einer Weile steigen wir über die ersten Hügel des Swakopreviers und tauchen in eine Berglandschaft ein. Wind, Erosion und das Wasser des Swakop haben diese Landschaft über Jahrmillionen geformt. Wir fliegen durch einen engen Felscanyon, folgen dem trockenen Flusslauf. Erneut öffnet sich vor uns eine weite Grasfläche. „Da, vor uns, Giraffen, zehn Stück mit Jungen!“ rufe ich. Majestätisch schreiten die riesigen Tiere hinaus auf die Ebene. Paradise is half as nice.
Überwältigt und schweigend fliegen Fritz und ich zurück zum Camp an der Spitzkoppe. Um die provisorisch angelegte Buschpiste besser anvisieren zu können, ist unser Landcruiser mit Windsack am Nordende geparkt. Sanft setzen die Ballonreifen auf dem Sandboden auf. Unsere Freunde Artur, Frank und Jan sitzen bei Kaffee ums Lagerfeuer herum. Annabella hat angerichtet – Frühstück in Afrika. Unsere Küchenfee hat uns auf einer Farm, die wir besucht haben, darum gebeten, in die nächste Stadt mitfahren zu dürfen. Warum nicht. Dafür hat sie zugesagt, die Buschküche zu übernehmen. Klappt sehr gut.
Gestern Morgen sind Jan und ich nach ein paar tiefen Überflügen in der Nähe der Spitzkoppe gelandet, direkt am „Affenfelsen“. Mit Schaufel und Hacke ist schnell eine Piste präpariert gewesen, bevor die Hitze uns in den Schatten getrieben hat. Da Warzenschweine und Löffelhunde gern prächtige Löcher hinterlassen, müssen wir die Bahn immer wieder kontrollieren. Hat man die Tiere eine Weile aus dem Auge gelassen, weiß man nie, ob die Piste noch start- oder landbar ist.
Vor 13 Jahren waren wir an dieser Stelle schon mal mit sechs Trikes und zwanzig Freunden. Zum Sundowner saßen alle mit kühlem Bier auf einem großen Felsen hinter der Bahn, seitdem heißt er Affenfelsen. Von dort hat man einen fantastischen Blick auf die Spitzkoppe und die weite Ebene nach Westen. Die Spitzkoppe gilt als das Matterhorn Namibias; mit ihren 1728 Metern Höhe ist sie von weitem zu sehen. Die bizarren Steinformationen sind ein gigantischer Abenteuerspielplatz. Den Gipfel zu erklimmen ist allerdings schwierig – es gelang erst 1946. Im Sommer kann man kaum klettern, da die Felsen zu heiß werden. Jetzt haben wir März; die Regenzeit ist gerade vorbei, da sind die Temperaturen noch erträglich.
Als wir damals mit den Trikes hier flogen, platzierten wir große Handtücher auf der Buschpiste
Als wir damals mit den Trikes hier flogen, platzierten wir große Handtücher auf den Büschen, um die selbst präparierte Buschpiste zu markieren. Einmal war ich als einziger nach Sunset noch in der Luft. Tagsüber konnte man die markierten Büsche gut erkennen, doch dann kam die Dämmerung, und die ist in diesen Breiten viel kürzer als gewohnt. Jedenfalls hatte ich nach Sonnenuntergang keine Chance mehr, die „Bahn“ auszumachen. Alle „Affen“ saßen auf dem Felsen beim Bier und keiner war mehr an der Bodenfunkstation. Es ging noch mal gut. Deshalb jetzt das Auto am Ende der Piste. Was für ein Unterschied zwischen Trike und buschtauglichem Dreiachser!
Auf der AERO 2009 hatten wir die UL-Cub gesehen und waren begeistert. Mit Ballonreifen, hohem Fahrwerk und Zusatztanks erschien sie uns ideal fürs Fliegen in Afrika. Bis zum Kennenlernen dauerte es dann aber ein Dreivierteljahr. Im Januar 2010 trat unser containerverpacktes Flugzeug von Tschechien, wo die Savage gebaut wird, über Rotterdam die Schiffsreise nach Afrika an.
Zu Namibia hatte ich schon immer einen persönlichen Bezug. Vor 100 Jahren war mein Großvater in diesem Land als Missionar mit dem Ochsenwagen unterwegs. Da hieß es noch Deutsch-Südwestafrika. Als ich ein kleiner Junge war, hat er mir in Deutschland immer wieder begeistert von der Weite des Himmels, der Landschaft, von den Menschen und Tieren erzählt. Zusammen mit meinem Vater, der in Namibia geboren ist, lernte ich 1981 das Land kennen und lieben. Hier an der Spitzkoppe war es, wo ich damals am Lagerfeuer behauptet habe: Da oben flieg ich irgendwann mal drüber!
Savage Cub: Mit Ballonreifen, hohem Fahrwerk und Zusatztanks erschien sie uns ideal fürs Fliegen in Afrika
Und dann sind wir 16 Jahre später tatsächlich mit ULs in dieser Gegend geflogen. Seitdem lässt der namibische Fliegervirus auch meine Freunde Fritz Kramer und Frank Siemoneit aus Norddeutschland nicht mehr los. Die beiden haben ihren UL-Doppeldecker des Typs Sunwheel nach Swakopmund verfrachtet; damit sind wir nun schon im zehnten Jahr immer wieder in der Wüste unterwegs (siehe fliegermagazin 02/2009). Heuer ist es uns zum ersten Mal gelungen, unseren oberbayerischen Fliegerfreund Artur Düsterhöft auf drei Wochen Fliegerurlaub in die Wüste zu locken. Franks Sohn Jahn, UL- und Segelflieger, ist zum zweiten Mal dabei. Nach unserem Flug zu Tagesbeginn frühstücken Fritz und ich erstmal mit den anderen gemütlich am Camp.
Artur und Jan lassen sich nicht so viel Zeit. Sie checken den Sunwheel und starten. Während sie um den Gipfel der Spitzkoppe kreisen, planen wir die nächste Etappe unserer Tour. Sie soll morgen zum Kuiseb Canyon führen. Dort hat schon vor Jahren eine Stelle am südlichen Canyonrand unsere Aufmerksamkeit geweckt; sie scheint zum Landen geeignet. Keine Straße führt in die abgelegene Gegend. Der Kuiseb ist ein etwa 500 Kilometer langer Trockenfluss, er trennt die weiten Ebenen der Namib im Norden von der rot-orangefarbenen Sanddünenwüste im Süden. Nur nach sehr starkem Regen in den Bergen Zentralnamibias rauscht das Wasser durch den Canyon bis zum Meer, vielleicht alle zehn Jahre mal. Selbst wenn es dann der Niederschlag 200 Kilometer entfernt runter gekommen ist, kann im Canyon plötzlich eine 20 Meter hohe Riesenwelle Mann und Maus hinwegreißen.
Als Segelflieger bestaunt Jan die Wolkenstraßen und wünscht sich mit einer Superorchidee an die Basis
Die Tour zum Kuiseb Canyon ist für die Morgenstunden geplant. Tagsüber macht man besser etwas anderes als zu fliegen: Um die zehnte Stunde beginnt die Luft sich zu regen, sie flimmert, wogt, spiegelt und verdoppelt alle Gegenstände in großen Fata Morganen. Dustdevils zeigen die beginnende Thermikentwicklung an. Jeden Vormittag setztauch der Nordostwind ein. Siesta im Schatten. Als Segelflieger bestaunt Jan die Wolken-straßen und wünscht sich mit einer Superorchidee an die Basis. Nein, diese Tour bleibt low level, wir sind nicht in Bitterwasser! Eine Viertelstunde vor Sunset landet unser einheimischer Fliegerfreund Detlef Klein mit seiner Technam P2002. Er kommt aus Swakopmund; in seinem Hangar stehen sonst auch die Savage und die Sunwheel.
Für unsere Fliegertouren ist Swakopmund und vor allem Detlefs Zuhause die beste Basis. In der Küstenstadt kann man vor und nach Flügen in die Wüste auftanken und entspannen. Die Restaurants bieten erstklassige Meeresfrüchte an. Da jedoch südlich der Stadt der Swakop in den eiskalten Atlantik mündet, kriecht zuverlässig jeden Abend der kalte Seenebel durch die Straßen. Um zehn Uhr morgens scheint dann wieder die Sonne. Zum Dinner hat Detlef Gemsbockfilet von seiner Farm mitgebracht. Auf dem Lagerfeuer macht das Kameldornholz eine hervorragende Glut. Das Bier ist kalt (der Kühlschrank im Landcruiser hat sich bewährt), und auf dem Affenfelsen könnte die Stimmung besser nicht sein.
Später landet unser einheimischer Fliegerfreund Detlef Klein mit seiner Technam P2002
Es wird hell. Alle drei Flugzeuge und das Begleitauto sind fertig für das 90-Minuten-Leg zum Kuiseb Canyon. Schon gestern haben wir Artur mit Karten, Satellitenfotos, GPS-Koordinaten und gutem Zureden für seinen ersten Streckenflug in Namibia gebrieft. Mit der Sunwheel soll er den bis zu 90 Kilometer breiten Canyon überqueren. Eine Viertelstunde nach Sonnenaufgang sind wir in der kühlen Morgenluft Richtung Süden unterwegs. Vorneweg versucht Artur die Stratosphäre zu erreichen – ohne gute Notlandeplätze ist ihm Höhe über dem Canyon wichtig.
Detlef in der Tecnam und ich in der Savage fliegen anfangs low and slow – was sich lohnt: Im ersten Licht sehen wir vor uns eine Gruppe schief stehender kleiner Vierbeiner, die immer wieder plötzlich im Sand buddeln. Der „Wüstenfuchs“ Detlef klärt uns über Funk auf: Bat-eared Foxes seien das, Löffelhunde, putzige Raubtiere mit riesigen Ohren. Sie ernähren sich hauptsächlich von Termiten. Immer ein Ohr an der Erdoberfläche hören sie die unterirdischen Geräusche der Insekten, fangen urplötzlich hektisch an zu graben, und schon gibt es ein karges Frühstück.
Die Tecnam und die Savage fliegen anfangs low and slow
Wir begleiten noch kurz eine Vogel-Strauß-Familie mit angeschlossenem Kindergarten beim Morningwalk, dann steigen wir der Sunwheel nach. Die Landschaft ändert sich, kleine schiefergraue vegetationslose Hügel markieren die beginnende Canyonregion. Nach einer Stunde überfliegen wir respektvoll den bis zu 200 Meter tiefen Hauptcanyon. Gut, dass der Rotax-Motor nicht weiß, wo wir gerade sind. Heiße, menschenfeindliche, trockene Steinwüste. Im Süden erkennen wir die ersten Sanddünen. Als der Canyon überflogen ist, ruft uns Detlef herunter. Er hat Zebras entdeckt, viele. Sie traben durch den rostroten Sand. Wir folgen dem südlichen Canyonrand nach Westen.
Auf einmal haben wir skurriles Terrain unter den Flügeln: kreisrunde vegetationslose Flächen in den Ebenen und auf den Dünen, hunderte, tausende, soweit das Auge reicht. Nur in Namibia gibt es diese mysteriösen „fairy circles“. Woher sie kommen, weiß bis heute niemand genau. Haben giftige Kakteen den Boden unfruchtbar gemacht? Sind das Einschlagkrater eines Meteoritenschwarms? Oder sammeln kleine Insekten um ihren Bau herum kreisrund alle Grassamen weg? In Zwölf-Uhr-Position fallen die ersten roten Dünen, vom Südwestwind getrieben, in den bizarren, anthrazitfarbenen Canyon hinab. Dahinter muss die Stelle sein, auf der wir runtergehen wollen. Tiefe Überflüge bestätigen unsere Vermutung: landbar!
Tiefe Überflüge hinter dem Canyon bestätigen unsere Vermutung: landbar!
Bei 40 Grad in der Sonne zirpen um uns herum die Zikaden. „In the middle of nowhere“ – das ist genau hier. Wir gehen zum Canyonrand, sehen überall Tierpfade, die in die Tiefe führen, und unten im Revier machen wir tatsächlich Gemsböcke unter großen Schattenbäumen aus. Menschliche Spuren finden wir nicht – was für eine Kulisse. Unsere Getränkerationen verdunsten in kürzester Zeit. Weiter!
Tsondab Valley heißt das nächste Ziel, 120 Kilometer im Südosten. Dort betreiben unsere Freunde Hans und Kristin Schreiber eine Gästefarm mit zwei Landebahnen, 450 und 1000 Meter lang, die kürzere direkt am Haus. Als wir landen, ist die Bodenmannschaft mit dem Landcruiser nach zehnstündiger Geländefahrt gerade eingetroffen. Abends sitzen alle gemütlich beim fürstlichen Braai (Grillparty) ums Lagerfeuer. Fliegerlatein. Artur ist jetzt einer von uns. Jan hat sich mit dem Sunwheel freigeflogen und steigt am liebsten gar nicht mehr aus. Annabella haben wir adoptiert. Irgendwann ruft der Schlafsack.
Windstille, Neumond. Die große Kuppel über uns füllt sich langsam mit Milliarden funkelnder Diamanten. Sie wärmen die Seele derer, die sich die Zeit nehmen, dieses grandiose Lichtspiel zu schauen. Da: eine Sternschnuppe …
Text und Fotos: Gottfried Pönnighaus, fliegermagazin, 12/2010
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