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Bosnien und Herzegowina – ein Hauptstadtbesuch mit der Mooney
Glanz und Zerstörung liegen in dieser Stadt eng beieinander: Wo 1984 die Olympischen Winterspiele stattfanden, tobte in den neunziger Jahren der Bosnienkrieg. Unter Piloten ist Sarajevo auch durch seinen berüchtigten Anflug bekannt.
Hochsommer 1992. Auf dem Balkan toben erbitterte Kämpfe im zerfallenden Vielvölkerstaat Jugoslawien. Die geschichtsträchtige bosnische Metropole Sarajevo wird seit dem Frühjahr von bosnisch-serbischen Truppen belagert und aus den umgebenden Bergen von hunderten Artilleriegeschützen beschossen.
Das Leid in Sarajevo ist entsetzlich, Strom- und Wasserversorgung sind gekappt, und zahlreiche Heckenschützen, die auf Zivilisten schießen, demoralisieren die Bevölkerung. Die Vereinten Nationen beschließen, mit der UNPROFOR (United Nations Protection Force) einzugreifen. Sie etablieren eine Luftbrücke aus dem italienischen Falconara, die länger dauern wird als die Berliner Luftbrücke. Bis 1996 dienen mehr als 11 000 Flüge dazu, überwiegend medizinische Hilfsgüter in das Krisengebiet zu bringen.
Flughafen Sarajevo: Im Talkessel gefangen
Dabei erweist sich der Anflug auf die in einem Talkessel gelegene Stadt als riskant: Mitunter bewegen sich die Transportmaschinen in Reichweite von Handfeuerwaffen. Deshalb gehen die Piloten dazu über, aus großer Höhe mit voll ausgefahrenen Lande- und Bremsklappen ihre Flugzeuge im Leerlauf auf den Kopf zu stellen und extrem steile Anflüge durchzuführen, mit Sinkraten jenseits von 6000 Fuß pro Minute. Und so wird die Art des Anflugs auf Sarajevo mit der Zeit zum „Sarajevo Approach“ – wo auch immer er stattfindet.
Schon lange schwebte es mir vor, gemeinsam mit meinem Vater und unserer Mooney die Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina zu besuchen. Allzu oft scheiterte das Vorhaben an Gewittern, die im Talkessel tobten. Im Rahmen einer Reise durch Südosteuropa hatten wir jedoch Glück.
Sarajevor Approach: Einfacher als damals
Die Vorbereitung des Anflugs auf LQSA ist überschaubar. Auf der Internetseite des internationalen Verkehrsflughafen findet man ein PPR-Formular. Es wird einfach an die darin genannte E-Mail-Adresse geschickt – Bewilligung folgt. Zu beachten ist, dass man vorort kein Avgas bekommt.
Ausgangspunkt für unseren Flug nach Sarajevo ist die kroatische Insel Brač, hier erledigen wir den Zoll und tanken günstigen Sprit. Schwer beladen heben wir mit IFR-Flugplan ab. Gleich nach dem Start müssen wir ordentlich Höhe machen: Erst mal sind die direkt an der Küste gelegenen Berge Kroatiens zu überwinden, und dann verlangt Bosnien/Herzegowina für IFR-Flüge mindestens Flight Level 110 auf dem Weg nach Sarajevo.
Alpine Natur: Für IFR-Flüge nach Sarajevo wird mindestens FL 110 verlangt
Unberührt erscheinende alpine Natur zieht unter uns hinweg, von Seen und Flüssen durchzogen – eine einzigartige Kulisse. Völlig unproblematisch werden wir vom Controller auf das ILS der Piste 11 geführt. Unser Sarajevo Approach beginnt. Wir sinken aber nur mit 500 bis 600 Fuß pro Minute und tauchen tief in das Tal ein, das auf den Flughafen zuführt. Dabei werfe ich einen Blick auf die gewaltigen Berge rings um die knapp 300 000 Einwohner zählende Stadt.
Alpine Flughäfen verlangen häufig besondere Verfahren, so auch Sarajevo: Gelandet wird stets auf der Piste 11, an deren Ende sich das Terrain imposant erhebt. Starts erfolgen in Gegenrichtung. Die Entscheidungshöhe für den ILS-Anflug richtet sich nach der maximalen Steigleistung, um bei einem Missed Approach genügend Luft nach unten zu haben. In unserem Fall liegt das Minimum bei 2090 Fuß, das sind rund 450 Fuß über Grund; die Elevation beträgt 1705 Fuß. So einen Platz, umgeben von Bergen, würde ich mich nie trauen, bei sehr schlechtem Wetter mit keinerlei Erdsicht anzufliegen.
Professionelle Betreuung: Neben Schneepflügen nehmen wir die Parkposition ein
Am Boden werden wir professionell vom Handlingagenten betreut. Zur Parkposition hinter etlichen Schneepflügen schieben wir die Mooney noch ein ordentliches Stück.
Um die Highlights der Umgebung erkunden zu können, nehmen wir einen Mietwagen. Es sind vor allem die Spuren der Olympischen Winterspiele von 1984, die uns interessieren. Im Feierabendverkehr sehen wir überall Polizeikontrollen. Mir ist das nicht unangenehm – eher empfinde ich ein Gefühl der Sicherheit. Tagfahrlicht ist in Bosnien und Herzegowina zwingend vorgeschrieben; wer sich nicht daran hält, wird mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Kontrolle herausgewunken.
Nachdem unsere Unterkunft im Stadtzentrum bezogen ist, stelle ich den Mietwagen in einem dunklen Hinterhof auf einem Parkplatz ab. Dessen Wächter kommen mir nicht so richtig vertrauenserweckend vor. Sogleich werde ich daran erinnert, wo ich bin: in Sarajevo! Die Hauswände des Hofs, auf den ersten Blick ein riesiges Mosaik, sind von Einschusslöchern übersäht. Manche der stillen Zeitzeugen sind nur wenige Zentimeter groß, andere gleichen in ihrem Durchmesser einer Faust.
Multikulturell: Kirchen stehen unmittelbar neben Moscheen
Zu Fuß erkunden wir die Stadt. Sie ist bunt, vielfältig und multikulturell. Kirchen stehen in unmittelbarer Nähe von Moscheen, nach wenigen Minuten sind wir in der der Baščaršija, dem türkischen Viertel. Verwinkelte Gassen, ein Basar und exotische Gerüche lassen uns in eine andere Welt eintauchen. Auf dem Marktplatz der Altstadt befindet sich ein weltbekannter rund 130 Jahre alter Holzbrunnen, umgeben von imposanten Bäumen und einem Minarett. Wir lassen es uns nicht entgehen, die wohl authentischsten Ćevapčići auf dem Balkan zu essen, inmitten eines osmanisch geprägten Ambientes.
Jugoslawien sorgte für internationale Anerkennung, als 1984 die Olympischen Winterspiele nach Sarajevo geholt wurden. Hier tanzte Katarina Witt zu ihrem ersten olympischen Gold, und Jens Weißflog überraschte mit einer Goldmedaille auf der Normalschanze. Bis heute ist die Rede von überaus friedfertigen und hervorragend organisierten Olympischen Spielen. Manche sprechen sogar von einem Wintermärchen vor dem Massensterben. Noch heute lassen sich die Sportstätten jener Tage erkunden – oder das, was von ihnen übriggeblieben ist.
Olympische Spiele: von den alten Sportstätten ist nicht mehr viel übrig
Für mich ist das der spannendste Teil unseres Aufenthalts. Mit dem Mietwagen fahren wir in die Berge, hinauf auf den Igman. Nach einer langen kurvenreichen Strecke erreichen wir das inzwischen völlig verwilderte Hotel Igman. Es liegt schon fast etwas versteckt im Wald. Menschenleer und verlassen liegt das ehemalige Quartier der Spitzenathleten aus aller Welt vor uns. Ohne von irgendeiner Absperrung daran gehindert zu werden, erkunden wir den maroden Bau. Ein Theater, das Schwimmbad, der Speisesaal und die Gästezimmer zeugen vom einstigen Glanz des Igman.
Schwer beeindruckt fahren wir weiter hinein in die Berge. Wir passieren die ehemalige Biathlonstrecke und gelangen tief im Wald an die olympische Skisprungstätte Maljo Polje, wo für das Großereignis extra fünf Schanzen erreichtet wurden. Mitten im Grünen steht verlassen das betonierte Siegertreppchen. Als ich in einem kleinen Restaurant am Fuß der Schanzen zwei Cola bestelle, entgegnet der Kellner: „Sechs Mark!“ Wer weiß schon, dass in Bosnien und Herzegowina unsere alte D-Mark als konvertible Mark weiterlebt. Wir kommen schnell ins Gespräch, es wird Deutsch geredet, und man begegnet uns als Besucher mit fast schon ehrfürchtiger Freundlichkeit.
Zweckentfremdete Betonwände: Während der Belagerung wurde die Bobbahn als Atilleriestützpunkt genutzt
Als letzte olympische Stätte besuchen wir die ehemalige Bobbahn. Sie liegt auf dem Trebević, dem Hausberg Sarajevos. Man erreicht ihn per Seilbahn direkt aus der Stadt. Im ehemaligen Eiskanal nehmen wir zu Fuß Kurve um Kurve der bizarren Sportstätte. In den Achtzigern erlangte die Bobbahn Bekanntheit als eine der weltweit modernsten Anlagen dieser Art. Bedrückend ist die Rolle, die sie während der Belagerung Sarajevos übernahm. Die dicken Betonwände des Eiskanals dienten den Belagerern als Artilleriestützpunkt.
Der Blick von hier oben auf die Stadt ist überwältigend, jedem Besucher sei dieser Ausflug wärmstens empfohlen. Auf dem Rückweg von der Seilbahn-Talstation ins Zentrum freuen sich Bierliebhaber auf einen Besuch der Brauereigaststätte der bekannten Marke „Sarajevsko“. In den historischen Gemäuern kann man frisch gezapftes Bier und die deftigen Speisen des Balkans genießen.
Bleibende Eindrücke: Wir entdecken einen Versorgungstunnel unter dem Flughafen
Am Tag unsere Weiterreise sehen wir uns einen historischen Versorgungstunnel an, der unter der Piste des Flughafens hindurchführt. Im Krieg wurden durch diesen Tunnel Lebensmittel in die Stadt transportiert, damit Hunderttausende eingeschlossene Menschen durchhalten konnten.
Aus der Ferne erkennen wir auf dem Apron das charakteristische Leitwerk unserer Mooney. Mit Eindrücken, die bleiben werden, begeben wir uns auf den Weg zum Flughafen. Für die General Aviation gibt’s einen separaten Eingang; in Windeseile werden wir durch alle Formalitäten gelotst. Die Gebühren für Landung und zwei Übernachtungen betragen gerade mal 70 Euro – völlig akzeptabel für einen internationalen Flughafen mit dem gebotenen Service. Bevor wir ins Cockpit steigen, schießt der Handlingagent noch ein letztes Bild von uns mit einem Fly Bosnia Airbus im Hintergrund.
Schwieriger Abflug: Wir müsse fleißig Höhe gewinnen
Wir starten entgegen der Landerichtung und müssen fleißig Höhe gewinnen. Das IFR-Abflugverfahren führt uns in einem großen Bogen über den Talkessel. Mit Blick auf die uns nun besser bekannten Berge verlassen wir Sarajevo in Richtung Albanien. Meine Gedanken aber kreisen noch lange um dieses kulturelle Juwel mit seiner bewegten Geschichte im Herzen von Bosnien und Herzegowina.
Text & Fotos: Lukas Straubinger, erstmals erschienen in fliegermagazin 04/2021