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100 Jahre Deutschlandflug: Mit 123 Flugzeugen durch die Bundesrepublik
123 Flugzeuge, fünf Stationen, drei Tage: Zum Jubiläum des Deutschlandflugs führten die Routen von Wettbewerbsfliegern und Touringgruppe von Hannover nach Oberschleißheim. Als Nummer 122 ging das fliegermagazin-Team in die Luft
Eine wellende Front, Regenschauer, vereinzelte Gewitter, im Niederschlag „M“-Bedingungen, ansonsten klassifiziert GAFOR das Wetter mit Charlie – machbar, wie die Piloten in Idar-Oberstein beim Wetterbriefing urteilen. Abends zuvor waren noch Sturm und Dauerregen vorhergesagt; früh morgens lag der Platz in Wolken. Doch um zehn heißt die Devise: Schauer umfliegen und in 2500 Fuß unter der Ceiling auf Kurs Bamberg-Breitenau.
Keiner will am Boden bleiben, der Termin steht seit Monaten in den Kalendern. Schließlich ist es der Jubiläums-Deutschlandflug, organisiert und ausgerichtet von der Bundeskommission Motorflug des Deutschen Aero Clubs (DAeC) und hundert Jahre nach dem ersten Deutschen Rundflug. Als wir am 6. Juli, einem Mittwoch, nach Hannover starten, türmen sich dunkle Cumuli über Uetersen, aber wir fliegen ins bessere Wetter. Erst ziemlich allein. Auf der Towerfrequenz von Hannover-Langenhagen ändert sich das: Wir sind eine von insgesamt 123 Maschinen, die in kurzen Abständen eintreffen. D-EOOW können wir für drei Tage vergessen, als „Deutschlandflug 122“ gehört unsere Cessna nun zur Touringgruppe.
Am 11. Juni 1911 waren die Teilnehmer um 5.13 Uhr gestartet. Wir dagegen stehen am Ausgangspunkt Hannover um 6.30 vor dem Sicherheitscheck, wie beim Linienflug müssen immerhin rund 250 Teilnehmer möglichst reibungslos durch die Kontrolle. Nach einer halben Stunde ohne Alarm ist das Sicherheitspersonal beeindruckt. So diszipliniert geht es weiter: Wetterlage, Ausgabe des ersten Streckenabschnitts und der Aufgaben, die uns erwarten. Ab jetzt gehen Wettbewerbs- und Touringgruppe getrennte Wege. Während die erste ostwärts Richtung Dessau und Kamenz aufbricht, fliegt unsere Gruppe nach Marburg und Idar-Oberstein. Im Wettstreit um exakte Überflugzeiten, Navigation und Ziellandungen zählt jede Sekunde. So haben die Wettbewerbspiloten denn auch Vorrang beim Starten. „Die Touringflugzeuge ordnen sich bitte in die Lücken ein“, heißt die allgemeine Anweisung der Luftaufsicht fürs Rollen der Flugzeug-Schlange zur „09“. Ab 9 Uhr hebt minütlich eine Maschine ab – bis alle in der Luft sind, wird es rund eineinhalb Stunden dauern.
Wolfgang Drexel, der Leiter der „Touristen“, hat die Strecke bis Marburg vorgeplant, ein Zickzackkurs mit fünf Wendepunkten, an denen wir Kirchen, Burgen oder andere markante Kennzeichen finden sollen. Wettbewerb light: Es gilt, einen Fragebogen mit landschaftsbezogenen und fliegerischen Infos auszufüllen. Wer am Ende die wenigsten Fehler hat, wird Sieger sein. Es geht nach Süden, an Höxter vorbei: „Die haben heute Kunstflugübungen, der Platz darf nicht überflogen werden“, hat Wolfgang Drexel gewarnt. Das nächste Leg führt mit rund 220 Grad zwischen den Kontrollzonen von Paderborn und Kassel durch. Wer der Route folgt, bleibt außerhalb. Bei Winterberg rufen wir Allendorf Info, um den Platzüberflug anzukündigen – und unser individuelles Passwort zu kriegen. „Schiff“ tragen wir auf dem Fragebogen ein, auch als Beleg dafür, dass wir uns gemeldet haben.
Wir sind eine von insgesamt 123 Maschinen, die in kurzen Abständen eintreffen
Trotz Massenstart: Die unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Ul-traleichtfliegern und Motorseglern, Cessnas und Cirrus, um nur einige zu nennen, hat das Feld der 57 Maschinen auseinandergezogen. Am schnellsten ist eine Cessna 303, als letzter setzt der einzige Gyrocopter auf der Marburger Grasbahn auf. Es gibt Gulaschsuppe und ein herzliches Willkommen von Verein und Bürgermeister. Von Westen kommt eine Regenfront, und wir müssen vorher in Idar-Oberstein sein – das Wetter zwingt zum raschen Weiterflug. Was uns nicht daran hindert, die Landschaft zu genießen. Vorbei an Limburg an der Lahn fliegen wir entlang des Flusses nach Koblenz. Den Rhein hinauf bis Rüdesheim nimmt kaum einer den geraden Kurs – es ist zu verlockend, den Flussschleifen zu folgen. Frankfurt-Hahn bleibt rechter Hand liegen, über den Soonwald eilt eine Perlenkette aus weißen Flugzeugen vor uns nach Idar-Oberstein. Auch wenn man den Platz noch nie angeflogen hat: Die Maschinen voraus ersetzen das GPS.
Tanken oder parken? Ein Schild in der Frontscheibe erleichtert den Helfern, die Hoch- und Tiefdecker dicht an dicht abzustellen oder sie ans Ende der Tankschlange zu winken. Eine C42 hat Pech, ihr Fahrwerk knickt beim Landen ein. Sofort sind Helfer zur Stelle, und Vereinsmitglieder versuchen, die Reparatur zu organisieren. Auch sonst ist alles vorbildlich getaktet, von der Fahrt ins Hotel über die Besichtigung des nahen Edelsteinmuseums bis zum abendlichen Spießbraten-Essen. Die Flugzeuge werden sturmsicher verankert. Doch der Tag verabschiedet sich mit einem wunderbaren Sonnenuntergang.
Abflug in Idar-Oberstein: Leider sind die Ersatzteile für die C42 zu spät angekommen, die Besatzung nimmt auf den Passagiersitzen der C 303 Platz – niemand soll zurückbleiben. Unter der Wolkendecke geht es am Donnersberg vorbei. Grünstadt, ein Segelflugplatz, dient als Wendepunkt hinter dem Rhein. Hier gilt es, ein Zeichen auf dem Boden zu finden – einen Pfeil in Kursrichtung. Im Bogen geht es um Worms; Luftraum C um Frankfurt bleibt nördlich. Wie stets halten wir Ausschau nach den anderen Maschinen und hören die FIS-Frequenzen ab, schließlich sind bei dem Wetter alle in ähnlicher Höhe unterwegs, und unter uns wachsen die Berge des Odenwalds immer höher. Die 57 Flugzeuge müssen wie ein Schwarm Vögel über den Schirm des Controllers ziehen: „There is a bunch of aircraft on the way to Bamberg“ – so die Verkehrsinformation für Nicht-Deutschlandflieger.
Auch Würzburg bleibt rechter Hand liegen: „Für das Gebiet um Giebelstadt gibt es ein NOTAM, der Luftraum ist gesperrt. Wer dort aus Versehen einfliegt, ist seinen Schein los“, hat Wolfgang Drexel gewarnt. Wir finden Schloss Waldleiningen, Schloss Homburg und nehmen Kurs auf eine Kirche in der Mainniederung – der letzte Wendepunkt vor Bamberg-Breitenau. ETEJ, der Code zeigt den Sonderstatus des Platzes. Er wird von der US-Armee betrieben, aber vom ortsansässigen Aeroclub PPR genutzt. Von Norden folgen wir der Autobahn und fädeln uns zur Landung in den Gegenanflug zur „22“ ein. Auch hier klappt die Organisation hervorragend: Ein Motorrad holt uns am Taxiway ab und führt uns erstmal zur Tankstelle.
Eine C42 hat Pech, ihr Fahrwerk knickt beim Landen ein
Im Restaurant gibt es eine „italienische Brotzeit“ zur ersten Stärkung. Am späten Nachmittag steht eine Führung per Bus durch die Altstadt auf dem Programm, der Tag endet wieder mit dem gemeinsamen Abendessen. Beim Briefing um 9 Uhr ist klar: Wir werden erst am Samstagmittag zur letzten Strecke nach Oberschleißheim aufbrechen können.
Da die Wettbewerbsflieger durch ihren genauen Zeitplan bereits gestartet sind, folgen wir später, damit es am Ziel nicht zu eng wird. Wir nutzen die Pause und füllen den heutigen Fragebogen schon vor dem Flug aus – in einer kleinen Gruppe macht das Spaß und es geht schneller. Was ist richtig, was falsch? Lebt tatsächlich eine Edelkrebsart in dem Olympia-Regattabecken? Ja, es stimmt. Welche Stadt steht auf sieben Hügeln? Rom ist nicht unter den Antworten, Marburg und Idar-Oberstein kommen nicht in Frage, richtig ist Bamberg: Viele der Baudenkmäler stehen auf einer leichten Erhebung. Andere Tourenflieger nutzen den Vormittag zum Einkaufen in der Altstadt oder zum Kaffeetrinken auf dem Domplatz.
In weitem Bogen umrunden wir dann die Barockstadt: Überflüge unter 3000 Fuß sind nicht gestattet. Bei vereinzelten Wolken und Sonnenschein geht es gen Südwesten – links sehen wir vereinzelte Regenschauer, aber wir bleiben trocken. Wieder führt die offizielle Route um einige Kontrollzonen herum. Aber man kann auch hindurch oder darüber hinweg, ganz wie man mag. Einige Teams wollen schneller ankommen, schließlich kann man sonst nur selten in Oberschleißheim landen. Den letzten Flugplatz haben Wolfgang Drexel und seine Mitstreiter passend zum Jubiläum ausgewählt: Im nächsten Jahr wird die historische Flugwerft, die ein Teil des Deutschen Museums ist, ebenfalls einhundert Jahre alt.
Das Anflug-Briefing am Morgen war besonders gründlich: Der Platz liegt schon unterhalb des Luftraums C um München. So gilt es, tief genug zu fliegen, um den Luftraum nicht zu verletzen – und sich exakt an die Platzrunde zu halten. Anlaufpunkt ist das südliche Ende der Regattastrecke, wir erkennen das Becken schon von Weitem. Auch der weitere Ablauf ist einfach: Entlang der Autobahn, am Wald in den Queranflug eindrehen – schon liegt die Piste vor uns. Der Tower fragt freundlich an, ob wir gleich tanken möchten – wir sind tatsächlich der letzte Flieger, der gegen 15 Uhr landet, vor uns steht nur noch Wolfgang Drexels DA40 an der Zapfsäule.
Die 57 Flugzeuge müssen wie ein Schwarm Vögel über den Schirm des Controllers ziehen
Auf der Abstellfläche vor der gläsernen Ausstellungshalle sind wieder alle Teilnehmer versammelt, bei Kaffee und Kuchen fragt man die anderen: Und wie war es? Trotz Gemeinschaftsgefühl wird es am Abend dann doch spannend: Wer war der Beste? Während die Begrüßung der Jubiläumsteilnehmer schon läuft, wird im Hintergrund noch geschuftet – die Logger der heutigen Wettbewerbsstrecke müssen noch ausgewertet werden. Es gibt heiße Kandidaten für die ersten Plätze, aber es soll wohl eng werden. Die Touringgruppe sieht das entspannter: Wolfgang Drexel teilt mit, dass man bei Punktgleichheit die bessere Besatzung durch die Quersumme des Piloten-Geburtsdatums ermittle. So kommt tatsächlich der zweite und dritte Platz der Touringgruppe zustande – mit einem Augenzwinkern.
Das Buffet ist eröffnet, als aus einem pechschwarzen Himmel sintflutartiger Starkregen fällt – ganz am Ende des Deutschlandflugs trifft die Wettervorhersage unter Blitz und Donner doch noch zu. Jetzt kann es uns egal sein, wir sind gut gelandet.
Text und Fotos: Judith Preuß, Martin Naß, fliegermagazin, 9/2011
Martin Naß war bis Ende 2021 Redakteur des fliegermagazins und dort auf UL-Themen spezialisiert.
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