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Über die Alpen: Mit der Skylark von Konstanz nach Venedig
Über die Alpen zur Adria – vom Bodensee aus sind das bloß 300 Kilometer. Aber Welten, wenn man in Venedig Lido landet! Die Magie der Lagunenstadt ist schon auf dem Boot zu spüren, das Besucher direkt ins Zentrum bringt
Stabile Hochdrucklagen auf beiden Seiten der Alpen sind eher die Ausnahme, aber im Spätsommer nimmt die Wahrscheinlichkeit zu. Fällt eine solche Wetterlage auf ein Wochenende, wäre es eine Verschwendung, sie nicht für einen Kurztrip nach Italien zu nutzen.
Und tatsächlich: Am dritten September-Wochenende passt alles. Freitagnachmittag wollen wir los. Rechtzeitig haben wir einen Sammelflugplan für unsere drei Skylarks aufgegeben. Zunächst wollen wir nach Al Casale (siehe fliegermagazin 02/2012), zirka zirka 75 Kilometer nordöstlich von Venedig. Am Platz gibt es ein Agriturismo, also einen Bauernhof mit Übernachtungsmöglichkeit – das perfekte Zwischenziel!Unsere Route sieht folgende Stationen vor: von Konstanz über Friedrichshafen und Kempten nach Reutte (Österreich) zum Pflichtmeldepunkt Whiskey 1 von Innsbruck und bei Freigabe weiter bis Sierra, dann über der Brennerautobahn zum Pflichtmeldepunkt Brenner, jenseits der italienischen Grenze entlang der Autobahn bis Bozen, der Straße folgend bis Mezzacorona, von dort nach Osten bis Belluno, bei Freigabe Einflug in die Kontrollzone von Aviano, weiter in südöstlicher Richtung bis zum Tagliamento, nach Süden abdrehen und am Fluss entlang Richtung Al Casale.
Seit 2010 unterscheiden die Italiener ULs in „Basico“ und „Avanzato“. „Basico“ trifft auf Luftsportgeräte ohne Funk und Transponder zu; sie dürfen unter der Woche maximal 500 Fuß über Grund fliegen, am Wochenende 1000 Fuß. „Avanzato“ ist ein UL, wenn es Funk und Transponder an Bord hat. Solche Maschinen sind Echo-Maschinen praktisch gleichgestellt, allerdings müssen die Piloten das BZF 1 haben, also ausreichende Flugfunkkenntnisse in Englisch. Wir sind „Avanzato“ und wollen die Möglichkeiten dieser UL-Kategorie nutzen. Freitag 16.00 Uhr local melden alle drei Skylarks airborne in Konstanz.
Für den Überflug der Kontrollzone Friedrichshafen steigen wir zunächst auf 5000 Fuß. Der Ordnung halber melden wir die Skylark-Formation bei Friedrichshafen Tower und wechseln dann auf München Information. Wir lassen den Bodensee hinter uns und steigen weiter, vorbei an Kempten und Reutte. Fünf Minuten vor Whiskey 1 der Kontrollzone Innsbruck haben wir 9500 Fuß erreicht. Tschüss München Information! Unser Leader meldet die Formation bei Innsbruck Tower. Kein Verkehr. Wir dürfen direkt zum Pflichtmeldepunkt Sierra und weiter zum Brenner, den wir in 10 000 Fuß überqueren. Obwohl die Ladedruckanzeige höhenbedingt im Keller ist, schnurren die Rotaxe brav wie immer.
Seit dem Brenner hat Padova Information das Sagen. Das Funkenglisch hat jetzt einen südländischen Akzent, unser „say again“ wird häufiger. Die Abendsonne taucht die Dolomiten in warmes Licht. Unter uns liegt der Rosengarten, ein wild-zerklüftetes Gebirgsmassiv. Wer auch immer die Idee hatte, diese Felsformation so zu nennen – er hätte keinen passenderen Namen finden können. Vorbei an Bozen biegen wir bei Mezzocorona nach Osten ab. Bei Belluno rufen wir Aviano Approach. Durch die Kontrollzone des Militärflugplatzes verlaufen VFR-Routen, die in 1000 Fuß über Grund geflogen werden müssen. Angesichts unserer Höhe von immer noch 8000 Fuß und der Tatsache, dass am Freitagabend wahrscheinlich kein militärischer Verkehr mehr zu erwarten ist, bitten wir um eine direkte Route nach Al Casale und die Genehmigung zum Sinkflug. Nach einiger Diskussion ist der Controller schließlich einverstanden und erteilt uns die entsprechende Freigabe.
Ultraleicht an die Adria
Nahe am Ufer des Tagliamento gelegen ist Al Casale einfach zu finden. Wir melden „field in sight“ und erhalten die Erlaubnis, auf die Platzfrequenz zu wechseln. Der Anflug sieht zunächst einfach aus, gestaltet sich jedoch wegen einiger Bäume und eines Damms, der direkt vor der Piste 09 liegt, etwas tricky. Aber die Bahn ist topfeben und gepflegt. Wir rollen ab und verzurren unsere Flieger auf dem Abstellplatz, wo bereits einige andere ULs geparkt sind.
„Ein Hoch beidseits der Alpen – das muss man für einen Trip nach Italien einfach nutzen!“
Berndt Stadelhofer
Sandro, der flugbegeisterte Wirt, begrüßt uns herzlich. Al Casale ist ein großes Bauerngut mit allem, was dazugehört, und einer Menagerie, die sich sehen lassen kann: Pferde, Ziegen, Schweine, Gänse, Enten, Puten Hasen, Hunde und zahllose Katzen. Den Willkommensdrink gibt’s unter den Bäumen im lauschigen Innenhof. Die rustikalen Zimmer sind urgemütlich, und der Pool lädt zum Baden ein. Ohne Rücksicht auf unser Abfluggewicht serviert Sandros Mamma im urig ausgestatteten Speisesaal alles, was ihre norditalienische Küche an Köstlichkeiten zu bieten hat, von Antipasti über Pasti und Saltimbocca bis Tiramisu. Der ebenfalls hausgemachte Rotwein bringt die nötige Bettschwere.
Einen Wecker braucht man nicht in Al Casale. Für zeitiges Aufwachen sorgen stimmgewaltige Hähne, deren innere Uhr offensichtlich nach UTC tickt, also zwei Stunden früher. Wie erwartet ist der Samstag wolkenlos und für unseren geplanten Venedigtrip wie geschaffen. Ein kurzes Briefing nach dem Frühstück, dann stehen wir am Rollhalt 27, melden uns und geben Gas. In fünfhundert Fuß Grund geht es entlang des Flusses bis zum Meer und weiter via Jesolo Richtung Venedig. Hier und an anderen Stellen der Adria haben die Germanen in den fünfziger Jahren nicht nur den Italienurlaub entdeckt, sondern auch den Löffel als Hilfsmittel beim Spaghettiessen. Die gigantischen Liegestuhlreihen an den Hotelstränden machen klar, das sich seit damals einiges getan hat.
Bis zum Pflichtmeldepunkt Cáorle stehen wir mit Aviano in Kontakt. Dann wechseln wir auf Venezia Approach. Wichtig: Beim Eingangsanruf fügt unser Leader nach der Kennung den Hinweis „no flightplan“ hinzu – das sollte man bei Flügen mit Start und Landung in Italien nicht vergessen. Die Grasbahn von Venezia Lido ist einfach anzufliegen; dabei bietet der Gegenanflug auf die Piste 06 einen fantastischen Blick auf die Lagunenstadt. Venedig! Stilgerecht werden wir mit einem Kleinbus am Flieger abgeholt und zum 200 Meter entfernten Terminal gebracht. Allerdings ist die Landegebühr von rund 28 Euro nicht gerade ein Schnäppchen. Beim Anblick der schwimmenden Bettenburg, die unmittelbar hinter der Piste vorbeizieht, freuen wir uns, dass ULs nur zweisitzig sind. Direkt vor dem Ausgang des Terminals wartet das Taxiboot. Gegen einen Aufpreis zur Landegebühr von 20 Euro pro Flugzeug bekommt man Tickets zum Markusplatz. Das klingt zunächst teuer, doch allein die fünfzehnminütige Bootsfahrt ist schon ein Erlebnis.
San Marco mit seinen historischen Bauten ist das Highlight des Tages. Unwillkürlich denkt man in diesem Stadtteil an die Bücher von Thomas Mann, Daphne du Maurier oder Donna Leon, und das, obwohl der Tod gerade Urlaub macht, die Gondeln keine Trauer tragen und Commissario Brunetti sich sonst wo rumtreibt. Ersatzweise stehen tausend bildungswütige chinesische Pixeljunkies im knöcheltiefen Lagunenwasser und versuchen – Socken und Schuhe in der einen Hand, mit der anderen die Kamera haltend – den Auslöser zu bedienen. Doch trotz aller Begleiterscheinungen des Massentourismus ist Venedig einzigartig – die Architektur, die Plätze, die Kanäle, das Flair …
Zum Bummeln bevorzugen wir die weniger belebten Seitengassen. In einem kleinen Laden finde ich genau das, wonach ich suche: Außer den allseits bekannten Karnevalsmasken aus Porzellan werden wunderschön gearbeitete und bemalte Tiermasken aus Papmaché angeboten. Zebra, Fuchs, Hase und Katze. Der Ladenbesitzer strahlt, er macht das Geschäft des Tages. In einem Seitenkanal lehnt gelangweilt ein Gondoliere auf seinem Ruder. Wir überzeugen ihn, dass wir die perfekten Fahrgäste seien, sofern sein Preis stimme. Nach einigem Hin und Her sind wir uns einig und steigen ein. Womit er nicht gerechnet hat, ist unsere Absicht, den Karneval in den September und in seine Gondel zu verlegen. Kaum eingestiegen mutieren harmlose Touristen zu Zebra, Fuchs, Hase und Katze, und die Gondel wird zum wiehernden, miauenden, bellenden und kichernden Narrenschiff.
Wir amüsieren uns köstlich, die Leute auf den Brücken reißen ihre Kameras hoch, der Gondoliere schwankt zwischen Entzücken und Entsetzen. Unser Boot gleitet durch stille Seitenkanäle, in denen der morbide Charme einer dem Untergang geweihten Stadt hautnah zu spühren ist. Zurück am Markusplatz rufen wir den Taxibootfahrer an, der kurz darauf anlegt und uns wieder zum Flugplatz bringt. Für die Heimreise wählen wir die gleiche Route. In Al Casale erwartet uns „La Mamma“ mit einer weiteren kulinarischen Attacke auf unser Abfluggewicht. Eigentlich hatten wir geplant, am Sonntag direkt nach Hause zu fliegen, aber Sandros Tip ist zu verlockend: Wir sollten unbedingt einen Abstecher nach Mazarack machen, ans Meer. Schwimmen in der Adria, gegrillter Fisch in der Flugplatzkneipe – wer kann da widerstehen!
Der Hausherr versorgt uns mit Sprit, und mit dem Versprechen, wiederzukommen, fliegen wir Richtung Meer.
VFR von Venedig Richtung Meer
Mazarack liegt zirka 40 Kilometer südlich von Al Casale an der Laguna di Cáorle. In einer Viertelstunde sind wir dort. Nach gutem Essen und zehnminütigem Spaziergang springen wir ins warme Mittelmeer. „Mistäär, sis is Sandeyafternuun Spesialpraiiis“ schreit der pechschwarze Afrikaner unter seinem riesigen Bündel bunter Strandhandtücher hervor. Er kommt uns wie gerufen, denn Handtücher mitzunehmen, daran hatten wir nicht gedacht. „Bay srii, get wan frii, bay foor get wan moor“. Angesichts solch schlagender Argumente sind wir einverstanden und hüllen uns in die frisch erstandenen afrikanischen Badetücher chinesischer Herkunft. Leichte Wolkenbildung über den Bergen mahnt zum Rückflug.
Wir folgen der VFR-Route durch die Kontrollzone von Aviano. Den Flugplan geben wir per Funk bei Aviano Approach auf. Ab Belluno requesten wir 10 000 Fuß, die man uns genehmigt. Erneut nehmen wir die Brennerroute, doch durch den stärker werdenden Wind auf der Nase verlängert sich die Flugzeit. Um die Gipfel bilden sich erste Wolkenfelder. Schließlich kommt im spätsommerlichen Abenddunst konturenhaft der Bodensee in Sicht. Gegen 18 Uhr dann happy landing in Konstanz. Bilder der Reise geistern mir durch den Kopf, und Erasmus von Rotterdamm fällt mir ein: „Die höchste Form des Glücks ist ein Leben mit einem gewissen Grad an Verrücktheit.“
Wie recht er doch hatte.
Text und Fotos: Berndt Stadelhofer, fliegermagazin 12/2012
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