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Mit drei Kleinflugzeugen von Landshut über Schweden und Finnland bis ins Baltikum
Sechs Süddeutsche entdecken in Schweden, Finnland und dem Baltikum die große Fliegerfreiheit – trotz widrigem Wetter
Gleich am ersten Tag, auf dem zweiten Streckenabschnitt, macht unsere Bölkow Monsun Zicken: Spannungsabfall im Bordnetz, die Batterie wird nicht mehr geladen. Was tun? Erstmal den Stromverbrauch reduzieren, also alle unnötigen Geräte ausschalten. Verdammt, das reicht nicht! Also auch den Transponder. Gerade haben wir die schwedische Küste erreicht. Bis Stockholm-Bromma (ESSB) liegen noch knapp drei Stunden Flugzeit vor uns – und die Spannung in der Bordelektrik sinkt weiter. Bis Bromma reicht die Batteriekapazität niemals. Eine Landung auf einem Verkehrsflughafen ohne Funkkontakt? Nein, das ist zu riskant. Seit dem letzten Herbst planen wir mit einigen Freunden aus dem Landshuter Luftsportverein diese Reise rund um die Ostsee – und jetzt soll sie schon am ersten Tag zu Ende sein?
Beim Bier im Clubheim hatten wir uns für den Frühsommer als optimale Reisezeit entschieden. Eigentlich waren wir sicher, dass sich der halbe Verein für die auf acht bis zwölf Tage veranschlagte Reise interessiert. Doch Auslandsreisen sind vielen Piloten offenbar unheimlich: das Wetter zu unsicher, das Vorhaben zu teuer, der Zeitraum zu lang – an Gründen für eine Absage war kein Mangel. Jetzt sind wir mit drei Flugzeugen unterwegs: Viola und Sebastian fliegen in ihrer Socata TB20 Trinidad, Walter und Markus steuern eine Cessna 177 Cardinal, Christian und ich sitzen in unserer Bölkow Bo 209 Monsun.
Am Morgen waren wir in Landshut (EDML) bei niedrigem Stratus, aus dem immer wieder kurze Schauer fielen, kaum losgekommen. Doch schon nördlich der Donau besserte sich das Wetter, und ab der Mitte Deutschlands war CAVOK, wie vorausgesagt. So kamen wir also etwas später als ursprünglich vorgesehen nach Maribo in Dänemark (EKMB), wo wir uns zum Tankstopp verabredet hatten. Den Flugplan für die beiden Flüge des ersten Tages hatten wir bereits zuvor online über die Website der DFS aufgegeben. Sehr hilfreich waren dabei die Informationen der schwedischen Luftfahrtbehörde über das dortige VFR-Fliegen (www.lfv.se/AIP/AIC%20A/A07-10%20VFR%20Flight%20in%20Sweden.pdf).
Zum Beispiel akzeptieren die Schweden im Flugplan keine Flugplätze als Waypoints. In Maribo erlebten wir zum erstenmal das, was auf der Reise zur Regel werden sollte: Einen Flugleiter gab es nicht. Nur in Deutschland kommen die Behörden anscheinend nicht ohne aus. Unsere Landungen kündigten wir jeweils per Blindmeldung an; nach dem Anruf bei einer Bereitschaftsnummer erschien auch ein Tankwart, der uns mit Avgas und Kaffee versorgte. Von Maribo ging’s los nach Bromma – und hinein in unsere Elektrikprobleme.
Vor der Schweden macht die Batterie der Bölkow Zicken
Laut GPS sind wir kurz vor Vellinge (ESTT), einem kleinen Grasplatz direkt an der schwedischen Küste. Der Entschluss fällt, nachdem wir die Anflugkarte auf dem iPad-Display haben: Wir schließen unseren Flugplan bei Sweden Control, rasten die Platzfrequenz, bestimmen die Landerichtung anhand der Windräder und landen auf der 600 Meter langen Piste. Wieder antwortet am Boden kein Mensch. Erst im Hangar entdecken wir einen Piloten, der unsere Landung nicht einmal bemerkt hat.
Den offensichtlichen Defekt am Zündhauptschalter der Monsun können wir rasch beheben. Sebastian hat den Funk mitgehört und uns nicht im Stich gelassen: Er umkreist einige Male den Platz, aber ehe er sich noch für eine Landung auf der Graspiste entscheiden kann, sind wir schon wieder in der Luft – nach nur 15 Minuten! Jetzt lädt die Batterie wieder, wir können funken, und Sweden Control öffnet einen neuen Flugplan mit geändertem Departure Aerodrome und den übrigen bereits vorhandenen Daten. Was für ein Service!
Am Stockholmer Stadtflughafen Bromma wartet die größte navigatorische Herausforderung der gesamten Reise auf uns: Welche Buslinie fährt von wo und wann zum Stadtzentrum und zurück und wie kommt man zur Haltestelle? Nachdem wir dieses Problem mit erheblichem Zeitaufwand gelöst haben, buchen wir uns am Hauptbahnhof in das nächstbeste Hotel ein. Es ist spät geworden, nach rund sieben Stunden Flug aus Süddeutschland hat keiner von uns große Lust, auch nur noch einen Schritt zu laufen. Am nächsten Tag kaufen wir „Hop on hop off“-Schiffstickets für die Hafenfähren. Zehn Euro genügen, und wir können den ganzen Tag lang an jeder beliebigen Anlegestelle ein- und aussteigen. Auf diese Weise besichtigen wir bequem und die Füße schonend die auf 14 Inseln zwischen Mälar-See und Ostsee erbaute, wunderschöne Hauptstadt des schwedischen Königreichs.
Nach diesem „Ruhetag“ wollen wir über die Ostsee nach Finnland fliegen. Der PC im Briefingraum streikt, also geben wir die Flugpläne telefonisch auf. Avgas kann in Bromma nur mit einer von der Tankgesellschaft validierten Kreditkarte bezahlt werden, was jeweils über 20 Minuten dauert. Um Zeit zu sparen, setzen wir alles auf eine Karte: die von Markus. Ein kräftiger Rückenwind schiebt uns fast zu schnell unserem nächsten Ziel Turku (EFTU) entgegen. In nur 2500 Fuss zieht die einmalige Inselwelt des Schärengartens vor Stockholm unter uns durch, dann folgen die vielen kleinen Ålands-Inseln bis hinüber an die finnische Küste.Turku war europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2011, doch statt großstädtischem Flair erwartet uns eine Stadt mit dem eher spröden Charme osteuropäischer Plattenbautrabanten und tausenden jungen Menschen, die mit sehr viel Alkohol das Ende des Schuljahres feiern.
Das Flair des Mittelalters vermischt sich in Tallinn mit modernem Zeitgeist
Immerhin beschert uns die geografische Breite von mehr als 60 Grad Nord einen überlangen Tag, den wir nach spätem Abendessen mit einem ausgedehnten Spaziergang beschließen. Eine Stunde dauert am nächsten Tag der Flug über den Finnischen Meerbusen nach Tallinn (EETN), der estnischen Hauptstadt. Lennart Meri, der internationale Flughafen liegt direkt neben der zauberhaften Stadt mit mittelalterlichem Flair und fortschrittlichem Zeitgeist. Nachdem wir uns in einem Hotel am Rande der historischen Altstadt einquartiert haben, starten wir zum Bummeln. Am Marktplatz empfängt uns die Ungarische Rhapsodie von Franz Liszt, gefolgt von Ravels Bolero. Die Open-Air-Darbietung des regionalen Symphonieorchesters bereitet uns einen stimmungsvollen Abend.
In Tallinn verabschiedet sich die Crew der Cessna 177; Markus und Walter müssen wegen eines geschäftlichen Termins wieder zurück nach Landshut. Wir wollten von hier eigentlich auf die schwedische Insel Gotland hinüber. Doch eine aufziehende Kaltfront hat sich bereits von Nordwesten kommend über die Ostsee gelegt und marginale Sichtflugbedingungen mit Nebelfeldern mitgebracht. Das Risiko eines so langen Flugs über offenes Meer wollen wir unter diesen Bedingungen auf keinen Fall eingehen. Für die baltischen Staaten werden aber weiter gute Sichtflugbedingungen vorhergesagt, sodass wir den Weiterflug über Lettland, Litauen und Polen planen.
Also ist Riga unser nächstes Ziel. Lettlands Hauptstadt ist mit über 700 000 Einwohnern die größte Stadt des Baltikums. Dort gibt es neben dem internationalen Flughafen (EVRA) noch einen zweiten kleineren Platz, Riga-Spilve (EVRS), der ganz nah am Stadtzentrum liegt.
Die historischen Wurzeln des ehemaligen Stadtflughafens reichen bis zum Ersten Weltkrieg zurück. Er wurde 1915 von deutschen Soldaten angelegt und diente während der späteren Besetzung durch die Sowjetunion der Aeroflot als Knotenpunkt. Doch weder Sebastians Flugplanungssoftware noch unser Navigationprogramm findet diesen Platz in der Datenbank. Im Internet finden wir schließlich die Homepage von Riga-Spilve unter www.spilve.org/?en – der Platz ist PPR anfliegbar, ein VFR-Anflugblatt gibt es auf der Homepage. Auch auf der Jeppesen-Anflugkarte für Riga International ist Spilve samt seines Luftraums eingetragen. Denn obwohl der kleine Platz eigentlich in der Kontrollzone des großen liegt, ist an deren Ostrand ein Luftraum G bis in 1000 Fuß ausgespart, der den Anflug ermöglicht. Ein eigener Anflugpunkt namens PARKS findet sich auch im GPS.
Nur eine lettische Luftraum-Spezialität muss beachtet werden: Um Spilve herum liegt eine ATZ – in diesen Zonen sollen Flugzeuge ihre Absichten auf einer gemeinsamen Frequenz dem übrigen Verkehr ankündigen.
Gäste sind jederzeit willkommen, heißt es auf der Homepage, und so freut sich der Platzverantwortliche Janis Maslovskis schon vorab per E-Mail auf unseren Besuch – und auf eine kleine Spende als Landegebühr. Avgas gibt es allerdings nicht. Die Route nach Spilve planen wir von Tallinn aus entlang der Küste, was uns eine Menge schöner Ausblicke beschert. Gut eineinhalb Stunden dauert der Flug – in der Monsun. Die TB20 ist wie immer viel schneller, und so spielen wir unser übliches „Hase-und-Igel“-Spiel: Wir starten zuerst und kommen später an. Deshalb kann uns Sebastian in Spilve per Funk vorwarnen: Die Piste ist in einem schlechten Zustand, wieder gibt es keine Flugleitung.
Doch unsere Blindmeldung wird anscheinend trotzdem gehört, denn nach dem Abrollen weist uns ein freundlicher älterer Herr den Weg zum Vorfeld und organisiert ein Taxi in die Stadt. Wir probieren hier eine neue und sehr empfehlenswerte Methode aus, die Stadt kennenzulernen: eine geführte Tour mit dem Leihfahrrad. Zehn Euro zahlen wir (www.rigabiketours.com) und erkunden dann knapp drei Stunden lang die zahlreichen Sehenswürdigkeiten und die vielen Baustile. Unser junger Guide mit Rastalocken führt uns auch in die sehenswerten Randbezirke der aufstrebenden Hauptstadt. Sieben Tage sind wir jetzt schon unterwegs.
Eine Route weg von der Ostsee ins Inland ist fällig, denn wir müssen die russische Enklave Kaliningrad umfliegen. Außerdem brauchen wir Avgas, also planen wir den Flug nach Kaunas (EYKS) in Litauen. Der rostige Tanklaster dürfte aus Sowjetzeiten stammen, aber aus ihm fließt sensationell günstiger Sprit zum Preis von etwa 1,80 Euro pro Liter. Das freut uns – und den Tankwart die Barzahlung in Euro. Mit randvoll gefülltem Tank steuern wir unser letztes Übernachtungsziel Danzig (EPGD) in Polen an. Dabei bleibt die Grenze der russischen Exklave zwischen Litauen und Polen rechterhand immer in unserer Sichtweite.
Mit dem Fahrrad erkunden wir die sehenswerte Altstadt von Riga
Der Towerlotse von Danzig dirigiert uns zunächst in 1500 Fuß entlang der Küstenlinie zum bekannten Badeort Sopot und von dort zum Meldepunkt November, kürzt diesen Weg aber dann nochmals ab und schickt uns direkt in den Queranflug zur Piste 11. Die Landefreigabe ergänzt er mit der Bitte um einen kurzen Anflug, denn gleich hinter uns folgt die Lufthansa Cityline. Zu viert warten wir vergeblich auf einen Transfer vom Vorfeld, und so müssen wir den Fußweg zum Ausgang schließlich mühsam erfragen.
Die Wetterprognosen von TopMeteo begleiten uns über die ganze Reise und erweisen sich als sehr zuverlässig: Planmäßig zieht die angekündigte Front durch, glücklicherweise fällt der meiste Regen während der Nacht. Aber auch am nächsten Tag zwingen uns Wolkenuntergrenzen um 500 Fuß und tiefer zu einer Pause. Wir nutzen die Zeit für eine ausgedehnte Stadtbesichtigung. Danzig ist ziemlich überlaufen, und nur mit Mühe können wir Hotelzimmer bekommen, die wir dann auch noch im Voraus bezahlen müssen. Der wahrscheinliche Grund: Direkt unter unseren Zimmern findet eine Live-Musikveranstaltung bis zwei Uhr morgens statt. Wenigstens hat die Band gut gespielt.
Genauso zügig wie die Landung ist auch der Start in Gdansk. Die Holding Position B1 wird uns angeboten, wenn wir mit der verbleibenden Pistenlänge von etwas über einem Kilometer klar kommen und innerhalb von zwei Minuten starten. Die Alternative sind zehn Minuten Wartezeit wegen anfliegenden Verkehrs, so die Ansage des Controllers. Wir starten also – bei ruppigen Böen um 25 Knoten. Sebastian und Viola müssen warten, bis die anfliegende Bombardier CRJ700 am Boden ist. Etwas Stress kommt dann nochmals auf, als Gdansk Information uns einen Wegepunkt verordnet, der im GPS nicht verfügbar ist. Wir lassen uns die Koordinaten für die Programmierung geben, nur um dann festzustellen, dass das Drezdenko VOR nicht mehr existiert, aber der verlangte Wegepunkt wohl dieselben Koordinaten hat.
Parallel versorgt uns der Lotse mit Warnungen für Sperrgebiete, die alle aktiv sind und deren Höhenangaben er noch während der Ansage korrigiert. Sie sind nicht besonders groß, wir können sie einfach umfliegen. Nach dem Passieren der deutschen Grenze bei Frankfurt/Oder machen wir nochmals eine kurze Rast in Leipzig-Altenburg (EDAC), bevor wir zum letzten Leg zurück nach Landshut starten. Sieben Länder haben wir bei durchaus passablem VFR-Wetter durchflogen – jetzt durchfliegen wir kurz vor dem Ziel die einzigen Regenschauer auf dieser 2100 NM langen Reise. Sie reichen aber leider nicht aus, um die zahlreichen Mücken von unserer Monsun zu waschen.
Text: Anne-Marie Ring, Fotos: Christian Kramer, Anne-Marie Ring, Sebastian Wirth, fliegermagazin 10/2012
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