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Heimat von oben: München im Winter – fotografiert aus dem Privatflugzeug
Winter, Schnee – raus aufs Land! Warum eigentlich? Städte verwandeln sich eingeweißelt oft spektakulärer als natürliche Landschaften. Man muss nur den richtigen Blick dafür haben: aus der Luft
München – das heißt zunächst mal: Großstadt, Lärm, Verkehr, Touristen. „Hier geht’s zu wie am Stachus“: ein Spruch, den Münchner selbst dann noch benutzen, wenn sie schon lange nicht mehr in der Stadt wohnen. Gemeint ist der Karlsplatz (den niemand so nennt), vor allem aber nervenaufreibende Geschäftigkeit. Großstadt eben.
Und dann das: schneebedeckte Ruhezonen, winterliche Behaglichkeit, Langsamkeit. Der Winter macht aus Bayerns Hauptstadt einen seltsam ruhigen Ort, vor allem aus der Luft. Wenn der Schnee kommt, verschwindet die Farbe. Disparate Flächen verschmelzen zu einheitlichem Weiß. Schwarz hat darin höchstens den Anteil von Schokolade in Stracciatella-Eis. Nur Menschengemachtes wie Häuser und Züge bewahrt etwas Farbe.
Aus dem Flugzeug sichtbar: der Winter macht aus der Großstadt München einen ruhigen Ort
Jetzt treten Strukturen hervor, die ohne Schnee kaum sichtbar wären: parallele Baumreihen, sternförmig angelegte Wege, Schienenverknüpfungen oder die feingliedrigen Schatten kahler Büsche. Manches wird durch Schnee überhaupt erst sichtbar, wie die Spuren von Menschen und Tieren. Schnee nivelliert Oberflächen, dämpft Geräusche und bremst Bewegungen. Schnee reduziert – was für eine Bereicherung! Denn so ist die Stadt gezwungen, ihren Motor runterzufahren, raus aus dem roten Drehzahlbereich. Nicht gerade ein Boxenstopp, aber wenigstens geht’s zur Jahreswende nicht mit Vollgas an Start und Ziel vorbei.
An klaren Wintertagen könnte München aus der Vogelperspektive einem bizarren Traum entstammen: Verkehr, Abgase, Menschenmassen, Enge – der ganze Großstadtwahnsinn ist eskaliert und hat sich schließlich in einer Explosion aufgelöst. Doch deren Fallout besteht bloß aus Schnee, der weder Tod noch Verwüstung bringt, sondern Ruhe und Schönheit. Die Sonne kommt wieder durch, und die Stadt erstrahlt in weißem Glanz. Dabei erscheinen einzelne Stellen, etwa im Schlosspark Nymphenburg, wie eingefrorene Glücksmomente: Menschen beim Eisstockschießen oder auf Schlittschuhen, spielerisch und selbstvergessen, weit weg vom Arbeitsalltag, und die Natur schaut ihnen dabei wohlwollend zu.
Hinfliegen? In Sichtweite erheben sich die Alpen
Als ob sie die Einsicht belegen wolle, dass Glück etwas mit der Wahrnehmung des Ganzen zu tun hat und nicht von Einzelheiten abhängt, lässt sie alles in einem anderen Licht erscheinen. Hebt man an einem klaren Tag als Pilot über München den Blick, schieben sich die offenen, ruhigen, schneebedeckten Flächen zwischen den Häuserreihen zusammen. Dann ist im Stadtgebiet von der Natur nichts mehr zu sehen. Im Süden baut sie sich dafür umso gewaltiger auf: Die Alpen, immerhin 20 Meilen entfernt, wirken so nah, als ob sie gleich am Stadtrand begännen.
Im Gegenlicht der flach stehenden Wintersonne überragen sie München als dunkle Silhouette: kühl, aber auch anziehend, denn selbst auf ihre Konturen reduziert, lassen sie den landschaftlichen Reichtum dieser Gegend erahnen. Hinfliegen? Oder wegbleiben und sich noch eine Weile in die urbane Landschaft vertiefen? Hin und weg – man will beides zugleich.
Fotos: Klaus Leidorf, fliegermagazin 12/2009
Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.
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