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Einmotorische Weltreise in der RV-7: Zum Auftakt von Florida nach Feuerland

Ein bequemes Leben führen – oder einen alten Traum verwirklichen und um 
die Welt fliegen? Ein deutsch-spanisches Paar hat sich für den Lebenstraum 
entschieden. Doch dazu mussten sie erstmal ein eigenes Flugzeug bauen

Von Redaktion

Vier Stunden haben wir gebraucht von der Dominikanischen Republik nach Guadeloupe, jetzt wollen wir in Saint François runter. Doch warum gehen die Klappen nicht raus? Sie werden bei der RV-7 elektrisch gefahren. Schwer beladen brauchen wir sie, wenn wir auf dem kurzen Grasplatz sicher landen wollen, und starten müssen wir ja auch wieder. Also woanders hin. ATC leitet uns zum internationalen Flughafen von Pointe-à-Pitre um. Dort landen wir sicher. 


Mit Unwägbarkeiten wie dieser muss man rechnen auf so einer langen Tour. Um die Welt zu fliegen, mit einem kleinen leichten Flugzeug – diese Idee hatte sich schon vor langer Zeit in unsere Köpfe eingenistet. Neben all den Fragen, die geklärt werden mussten, und Problemen, die zu lösen waren, gab es auch Zweifel, ob so ein Flug überhaupt möglich ist. Die fundamentale Frage aber war: Wollen wir ein komfortables Leben führen oder wollen wir unseren Traum erfüllen und unsere ganze Energie und alle verfügbaren Ressourcen einsetzen, um jeden Breitengrad vom Südpol bis zum Nordpol und jeden Längengrad der Erde zu überfliegen? So ein Flug würde uns seelisch bereichern und Sehnsüchte erfüllen. Jetzt oder nie – darum ging es.

Bahamas: Drei Stundenhat der Flug von Florida übers offene Meer gedauert (Foto: Liliana Tagliamonte)

Es brauchte eine Weile, bis wir das richtige Flugzeug gefunden hatten. Es sollte schnell sein, langstreckentauglich, wenig Sprit verbrauchen und die größtmögliche Zuladung bieten, um Gepäck und Zusatzausrüstung transportieren zu können. Ein Großteil davon war für den Notfall gedacht, etwa Schwimmwesten, Rettungsfloß und Überlebensanzüge. Den übrigen Platz sollten persönliche Dinge füllen, Camping-Ausrüstung sowie Kameras, mit denen wir die Reise dokumentieren wollten. Aber das hieß nicht, dass wir zu einem Flugzeuganbieter gingen und eine nagelneue Maschine erwarben.

Vorbereitungen für eine lange Reise

Es bedeutete vielmehr: Wir kauften einen Bausatz, investierten zwei Jahre harte Arbeit und schufen uns einen Flieger genau für unseren Zweck. Die Vorbereitung des Flugs um die Welt nahm fast jede Minute jedes Tags in Ansruch. Wir waren so sehr mit der Routenplanung beschäftigt, mit der Analyse potenzieller Probleme und der Korrespondenz, die aus neuen Kontakten entstand, dass uns kaum bewusst wurde, welche Dimensionen das Projekt angenommen hatte.

Punta Gorda, Florida, 30. März 2009. Es war früh am Morgen. Freunde kamen zum Flugplatz, um uns zu verabschieden und uns viel Glück zu wünschen. Sie alle zurückzulassen – das war ein trauriger Moment eines glücklichen Tages. So viele von ihnen hatten uns geholfen, das Flugzeug fertigzustellen, nachdem wir mit dem Selbstbauprojekt von Deutschland in die Vereinigten Staaten umgezogen waren.

Ich sah, wie Detlefs Hand den Gashebel nach vorn schob. Ich wollte etwas sagen, brachte aber keinen Ton raus. Wir schauten uns bloß an. Ich bin sicher, dass Detlef auch nicht sprechen konnte. Und dann kam jenes vertraute Gefühl auf, das alle Piloten kennen, wenn man nur noch Luft zwischen sich und der Erde hat. Ich glaube, Astronauten müssen sich ähnlich fühlen, wenn sie der Erdanziehungskraft entkommen. Doch dieses Gefühl hatte keinen physikalischen Auslöser: Was von uns wich, war eine Last, die mit den Reisevorbereitungen zu tun hatte, mit den unendlich vielen Stunden des Flugzeugbaus und mit anderen Problemen, die jetzt verschwanden.

»Bald gab es nur noch das Blau des Atlantiks unter uns und den blauen Himmel über uns«

Liliana Tagliamonte

Es ist ein Riesenunterschied, ob man ein Flugzeug kauft oder ob man es baut. Als ich das Video unseres ersten Starts sah, hatte ich Tränen in den Augen, und es lief mir kalt den Rücken runter. Detlef neben mir sagte kein Wort, aber ich wusste, dass er in diesem Moment der stolzeste Mann auf der Welt war. Die ganze Mühsal war vergessen, und all die schlimmen Phasen waren in der Erinnerung weit weg. Es zählte nur noch, dass wir es geschafft hatten. Damit war der erste Schritt unserer Weltumrundung getan: Wir hatten eine fliegende RV-7.


Wir flogen in Richtung Südwesten, nach Südamerika. Das GPS zeigte nur noch Blau. So viel Wasser hatten wir noch nie auf dem Display, und ein Blick nach draußen bestätigte die Farbe: nichts als Ozeanblau. Es war unser erster Flug übers offene Meer. Dabei war er gar nicht mal besonders lang: drei Stunden bis zu den Bahamas. Exuma hieß unser Ziel. Dort wollten wir nicht einfach zum nächsten Leg starten, ohne den Aufbruch zu dieser Tour um die Welt auf sehr persönliche Weise gefeiert zu haben. Unsere Träume hatten sich so miteinander verflochten, dass es naheliegend war, auf dieser wunderschönen Insel aus unserer Freundschaft und Verbundenheit einen Bund zwischen Mann und Frau zu machen.

Begleitschutz: In der „Domrep“ wird die RV-7 rund um die Uhr bewacht (Foto: Detlef Heun)

Bald nachdem wir in Exuma gestartet waren, entzog sich die Inselkette unserem Blick – jetzt gab es nur noch das Blau des Atlantiks unter uns und den blauen Himmel über uns. Auch wenn die Route bei der Planung ausgedruckt vor einem liegt und egal, wie lange man Luftfahrtkarten betrachtet hat: Du weißt nie, was dich erwartet. Manchmal bleiben nicht viele Optionen, und realistischerweise gehen Abenteuer nicht immer gut aus – sonst würde man kaum von „Abenteuern“ sprechen.

Plötzlich tauchte unter einer mächtigen Cumuluswolke etwas Grünes auf: Land! Hispaniola war in Sicht, die zweitgrößte der Westindischen Inseln, auf der Haiti und die Dominikanische Republik liegen. Die „Domrep“ hat eine große, expandierende Fliegerszene. Um einen Besuch des Inselstaats noch attraktiver zu machen, hat man Landegebühren abgeschafft. Irgendwie ergab es sich dann so, dass unser Aufenthalt immer länger wurde. So viele magische Orte, so viele neue Freunde … Wir lernten unter anderem einen guyanischen Airline-Piloten kennen, der unsere Pläne durcheinanderbrachte, indem er uns nach Guyana einlud. Und ein Argentinier half uns bei unserem Vorhaben, in die Antarktis zu fliegen – wenn wir in der Nähe von Buenos Aires seien, sollten wir uns melden.

Alles Gute hat ein Ende, in diesem Fall bestand es aus einer Abschiedsparty. Die Karibik wartete schon. Auf Guadeloupe war Saint François unser Ziel. Doch dann passierte die Sache mit der Landeklappenbetätigung. Nun saßen wir also an unserem Ausweichplatz Pointe-à-Pitre. Kein Servicebetrieb, keine Ersatzteile. Und jetzt? Ganz einfach: Aus einer alten PA-28 entfernte Detlef eine Sicherung und baute sie in unseren Flieger ein. Fertig. Auf Marie Galante saßen wir tagelang im Regen; ein Hubschrauberpilot konnte uns schließlich mit Wetterinfos für die Weiterreise nach Carriacou versorgen.

Auf entlegenen Flugplätzen ist kein Avgas vorrätig

Wir sahen eine wunderschöne Insel vor uns liegen, als wir den Platz ansteuerten. Doch an der Tankstelle sagte der Typ, der sie bediente: „Sorry, wir haben kein Avgas mehr.“ Für uns ist das eigentlich nie ein Problem, denn wenn möglich, tanken wir Autobenzin – mehr als 91 Oktan brauchen wir nicht. Schon im voraus wussten wir, dass es an entlegenen Flugplätzen schwierig sein würde, Avgas zu bekommen, und wir wollten ja nicht von einem internationalen Flughafen zum nächsten hüpfen und die Weltumrundung in ein paar Wochen hinter uns bringen. Wir wollten die Welt sehen, nicht bloß Flugplätze und das „Hilton“; wir wollten möglichst viele Piloten treffen, auf kleinen Plätzen landen und von jedem Land so viel wie möglich mitbekommen, einen oder zwei Tage bei einer Familie zu Gast sein, die unterschiedlichsten Kulturen kennenlernen und Landschaften erkunden.

Bis Georgetown in Guyana führte die Route 600 Meilen übers Meer. Mike Trim, der Airline-Pilot, den wir in der Dominikanischen Republik kennengelernt hatten, erwartete uns schon. Er hatte alle Genehmigungen erledigt. Sein Land ist von Flüssen durchzogen, weshalb Schiffe die wichtigsten Transportmittel sind. Auf dem Essequibo schauten wir uns die Boote der Goldminen an. Zum ersten Mal begaben wir uns in den Urwald, statt ihn immer nur im Fernsehen zu betrachten. Letzter Höhepunkt in Guyana war eine Einladung des Premierministers, wo wir auch Bharrat Jagdeo trafen, den Staatspräsidenten.

Über der „25“ von Ushuaia: Von hier sind es nur noch 1000 Kilometer bis zur Antarktis (Foto: Liliana Tagliamonte)

Auf dem Weg nach Süden überflogen wir den endlos erscheinenden Regenwald. Die Schönheit des geschlossenen Wipfelmeers war trügerisch – wir mussten wirklich in Alarmbereitschaft sein: Notlandeflächen gab es hier nicht; weder Rettungsfloß noch Überlebensanzug können dich auf dieser grünen See tragen. Vielleicht wird die Notlandestelle mal kurz durch panisch kreischende Aras und Papageien markiert, bevor sich der Wald über dem Geschehen wieder schließt, den Unglücksort verbirgt und das Unglücksflugzeug verschluckt.

Macaba, null Grad Breite – der Äquator! Es ist schon ein Unterschied, ob man ihn in einer Verkehrsmaschine überfliegt oder mit einer selbstgebauten RV-7. In Brasilien hatten wir viele Einladungen. Mit Piloten des Aeroclubs von Catuleve Fortaleza flogen wir über 2000 Meilen weit nach Foz do Igaçu zu den größten Wasserfällen der Welt. Es war eine Reise, auf der die Natur ihre Schönheit immer wieder neu inszenierte: üppige Wälder, einsame Ebenen, wilde Berge und das Pantanal, eines der größten Feuchtgebiete weltweit mit einer ungeheuer großen Artenvielfalt. Unter anderem sind hier Anacondas zu Hause und Capybaras, die größten Nagetiere der Welt, aber auch so exotische Kreaturen wie der Giant Anteater, der mächtige Ameisenbär.

»Es existiert kein Spielraum für Fehler in dieser Region«

Liliana Tagliamonte

Von unserem letzten Stopp in Brasilien, Porto Alegre, flogen wir nach General Rodriguez, einem kleinen Platz bei Buenos Aires. Dort profitierten wir von einem unserer Kontakte aus der Dominikanischen Republik, Gustavo Passamo. Der Argentinier stellte uns einen Hangar mit Apartment zur Verfügung, wo wir unser Flugzeug für den Südpol ausrüsten konnten. Wir montierten Ski, bastelten eine externe Vorheizung für den Motor und erledigten den ganzen Papierkram. Die argentinische Luftwaffe flog unsere Ausrüstung samt Kraftstoff zum Militärstützpunkt Marambio in die Antarktis. Noch eine weitere Basis stand zur Verfügung.

Alles war fertig für den Südpol. Im Rahmen eines routinemäßigen Gesundheitschecks wurde dann bei mir Schilddrüsenkrebs diagnostiziert. Zurück nach Deutschland zur Behandlung. Die Therapie dauerte fünf Monate. Bei der Operation war ein Nerv beschädigt worden – niemand konnte mir sagen, wie lange es dauern würde, bis ich wieder sprechen konnte. Der antarktische Sommer ging dahin, aber es war noch nicht zu spät für den Flug zum Südpol. Mit oder ohne Stimme.

„Das Ende der Welt“: Ushuaia ist der südlichste Flughafen Südamerikas (Foto: Liliana Tagliamonte)

Nachdem an der RV-7 die letzten Vorbereitungen erledigt waren und ich – nach drei Monaten – meine Stimme wieder hatte, starteten wir Mitte Dezember in General Rodriguez. Auf diesem Flug erlebten wir die ganze Bandbreite an Gefühlen, die man in der Luft haben kann: vom geruhsamen Dahinfliegen, bei dem dich Freude und Zufriedenheit erfüllen, über jene beunruhigenden Momente, wenn die Sicht schlecht und der nächste Flugplatz noch weit entfernt ist, bis zu Paniksituationen, wenn der Motor zu überhitzen beginnt und der Öldruck fällt. Genau das ist uns passiert. Wo landen?! Hier unten oder besser dort drüben?!


Nur noch vier Flugstunden bis zur Antarktis

Wir kamen noch bis Azul, ein netter kleiner Flugplatz mit Swimmingpool, Tennisplatz und dem für Argentinien unverzichtbaren Barbecue-Grill. Wichtiger waren dort aber die vielen hilfreichen Leute. Unsere Ölpumpe hatte schlappgemacht – es dauerte drei Wochen, bis das Ersatzteil eintraf. Das Zeitfenster für die Antarktis wurde immer enger. Auf dem Weiterflug nach Süden sahen wir über hunderte von Meilen keine Stadt und nur unwirtliches Gelände. In Rawson und Rio Gallegos noch zwei Stopps, dann erreichten wir das „Ende der Welt“, Ushuaia.

Von hier waren es nur noch vier Flugstunden zur Antarktis, nur vier Stunden bis zu unserem Ziel. Doch das Wetter war einfach zu schlecht, und es existiert kein Spielraum für Fehler in dieser Region. Monatelang in der Antarktis gefangen sein, bis sich das Wetter bessert? Darauf wollten wir uns nicht einlassen. Aber würde es jemals wieder eine Chance geben, zum Südpol zu fliegen? Alles war vorbereitet, wir hatten alle Genehmigungen, Benzin und Ski waren nach Ushuaia verfrachten worden, an dieses im Frost erstarrte Stück Erde. Wir mussten eine Entscheidung treffen. Es wäre viel einfacher gewesen zu sagen: „Lass uns fliegen!“ Aber wir taten es nicht. Hoffentlich können wir den Flug zum Südpol nachholen – als letzten Höhepunkt unserer Weltumrundung.

Text: Liliana Tagliamonte, Fotos: Liliana Tagliamonte, Detlef Heun, fliegermagazin 11/2012

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