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Buschfliegen in Alaska und Kanada: In die Wildnis mit der Piper Super Cub
Glücksgefühl und Gefahr liegen beim Buschfliegen eng beieinander. In Alaska und Kanada findet man die klassischen Reviere für solche Piloten-Träume. Wer hier fliegen und überleben will, braucht nicht nur Angelrute, Flinte und Zelt, sondern auch ein feines Gespür für sein Flugzeug und die Natur
Ein sonderbares Geräusch schreckt mich auf: „Ffffft, Ffffft, Ffffft“ – ein tiefes, weiches Schnaufen. Es kommt von draußen, direkt vor meinem Zelt. Etwas benommen, noch halb im Schlaf, schaue ich durch das Moskitonetz ins Freie. Was ich dort sehe, lässt mich einen Augenblick erstarren: Das breite Gesicht eines Grizzlybären schaut mich an, kaum eineinhalb Meter entfernt. Schneller war ich noch nie wach. Im ersten Schreck brülle ich den Bären an. Der wendet sich mit einem lauten „Wuff“ vom Eingang ab.
Plötzlich bekommt das Zelt einen Schlag und wird kräftig durchgeschüttelt. Verzweifelt suche ich nach meiner Waffe. Die wenigen Sekunden kommen mir vor wie eine Ewigkeit. Ich reiße den Eingang auf und rolle mich hinaus. Den Revolver im Anschlag richte ich mich auf und sehe den etwa zweijährigen Bären gemächlich davontapsen. Jetzt bemerke ich auch das gut einen halben Meter große Loch, das er in mein Zelt gerissen hat. Ein Vorgeschmack auf meine Reise von Alaska zur Eismeerküste, entlang der Hudson Bay bis Labrador und Neufundland. So gesehen ist diese Begegnung, die mir meine Vorbereitungsreise nach Alaska beschert, durchaus vielversprechend.
In Fairbanks fülle ich die 230-Liter-Tanks meiner Piper Super Cub bis zum Rand
Wenig später bin ich wieder in Fairbanks, Alaska. Die Grenzformalitäten für die Einreise nach Kanada sind schnell erledigt. Ich fülle die 230-Liter-Tanks meiner Piper Super Cub bis zum Rand für den bevorstehenden Gebirgsflug über die Rocky Mountains und fliege in die Nacht hinein – allerdings in die arktische Mittsommernacht mit mäßigem Licht. Im Hochgebirge liegen die Wolken auf 6000 bis 7000 Fuß. Schauer machen die Sache nicht besser, die Sicht schrumpft bis auf eine Meile. In den engen Hochtälern verliere ich trotz GPS-Ausrüstung die Orientierung und muss mehrmals um 180 Grad drehen, um den Sackgassen am Ende der Täler zu entkommen.
Gleich an der östlichen Seite der Rockys fließt der Ram River. Hier liegt mein Lieblingsplateau. Ich setzte zur Landung an. Der Touchdown ist etwas ruppig, aber deutlich weicher als beim letzten Mal vor drei Jahren mit den alten 26-Zoll-Reifen. Diesmal habe ich Spezial-Bushwheels mit 31 Zoll. Ich schlage mein Nachtlager auf. Am nächsten Tag bin ich auf dem 4000 Fuß hohen Plateau in den Wolken und muss bis zum Nachmittag darauf warten, dass die Untergrenze ansteigt und ich starten kann. Bei zehn Meilen Sicht, aber einer abenteuerlich niedrigen Basis, stürze ich mich am Ende des Plateaus in die Tiefe, um von der Wolkendecke wegzukommen. Vorbei am malerischen Little Doctor Lake geht es nach Fort Simson.
Geländetauglich: Meine Super Cub ist mit Spezial-Bushwheels ausgestattet
In der folgenden Nacht will ich gleich weiter, schließlich scheint die Mitternachtssonne. In der Einsamkeit unter mir ziehen dunkle Wälder vorbei. Eine eigentümlich romantische Stimmung erfüllt mich über der schier endlosen Taiga. Gleichmäßig brummt der Motor, der Propellerstrahl schlägt in dumpfem Rhythmus monoton gegen den Rumpf. Gegen Mitternacht setze ich die Cub auf das Flugfeld von Wek We Ti, einem kleinen Indianerdorf, das auf meinem Kurs nach Port Radium liegt. Am nächsten Tag fliege ich weiter in die Wildnis hinaus. Die Taiga geht mehr und mehr in die fast baumlose Tundra über. Nichts als Einsamkeit und Leere.
Aber auch die Landemöglichkeiten in Form von Eskerns, Sandmoränen aus der Eiszeit, häufen sich. In der Ferne erscheint der Große Bärensee. Ich will die Nacht am Coppermine River verbringen. Eine Stunde später finde ich eine Sandbank am Fluss. Dort schlage ich mein Camp auf. Meinen nächsten Stopp will ich bei Larry Whittaker, einem alten Freund, einlegen. Nach der Landung feiern wir unser Wiedersehen bis in die Nacht hinein. Am nächsten Morgen ist Nebel aufgezogen, ich sitze erstmal fest. Larrys Frau serviert zum Frühstück herrlich zubereitetes Bannok, kanadisches Buschläuferbrot, mit Karibugulasch.
Mit dem Flieger schwebe ich über den Wasserfall
Endlich – nach zwei Tagen ist der Nebel verschwunden. Vollgetankt bis zum Rand und mit einer eisernen Reserve in den starken faltbaren Polyethylenkanistern geht es jetzt in Richtung Bathurst Inlet zum Burnside River. Die Wassermassen der Burnside-Fälle ziehen mich magisch an. Ein Naturschauspiel voller Kraft und Schönheit. Auch gibt es hier große Forellen zu fangen. Zu Streifen geschnitten und gebraten sind sie eine großartige Stärkung für den Flug zur Kent-Peninsula, mein nächster Stop auf dem Weg nach Cambridge Bay.
Ich will im flachen arktischen Nirgendwo campen. Trotz der weiten Flächen ist es schwieriger als gedacht, ein ebenes und vor allem steinfreies Gelände für die Landung zu finden. Bei 30 Meilen Wind auf die Nase ist die Landung dann aber eine leichte Übung; dafür gerät der Zeltaufbau zum Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner. Am Ende bleibe ich der Sieger und schlage im mäßigen Windschatten der Cub mein Nachtlager auf. Am Ellice River will ich einen Erholungstag einlegen. Aber ein heftiges Gewitter macht mir einen Strich durch die Rechnung. Mit zehn Zeltankern und drei schweren Sandsäcken vertäue ich Zelt und Flieger. Dann durchlebe ich eine Nacht in heulendem Sturm. Am nächsten Morgen ist alles vorbei, und als ob nichts gewesen wäre, scheint die Sonne durch ein paar freundliche Schäfchenwolken.
Arktisches Camping: Ich schlage im mäßigen Windschatten der Cub mein Nachtlager auf
Einige Tage später bin ich am Südufer des Baker Lake gelandet, nicht weit vom Kazan River. Am Morgen sehe ich vier braune Fellberge vor meinem Zelt: Moschusochsen. Sie haben sich ebenfalls an diesem lauschigen Platz schlafen gelegt. Ich gehe zum Fluss hinunter, um ein paar Fische zu fangen. Die Ausbeute nach zwei Stunden kann sich sehen lassen: ein dutzend Forellen, allesamt mächtige Burschen. Einen schlachte ich gleich und verarbeite ihn zu Fischstäbchen.
Vor dem Weiterflug am nächsten Tag telefoniere ich dreimal über mein Satelitentelefon mit Arctic Radio in der Hoffnung, endlich bessere Wetternachrichten für Rankin Inlet zu erhalten. Am späten Nachmittag hat die Sonne den Nebel schließlich vertrieben, aber leider nicht zwischen Baker Lake und Rankin. Kurz vor dem Ziel komme ich dicht an eine Nebelbank heran und muss die Fahrt von 80 auf 60 Meilen drosseln. Zum Glück ist hier alles eben. Wenige Meilen vor Rankin klart es wie angekündigt auf, alles Weitere ist Routine. Ich fliege weiter Richtung Southhampton Island im Norden der Hudson Bay. Von Coral Harbor nehme ich den Sprung über die 160 Kilometer breite See nach Ivujivik in Angriff.
Hudson Bay: Flug über 160 Kilometer breite See
Der Ort 250 Meilen östlich der Nordspitze Quebecs liegt im Nebel. Ich fliege bis zur Südostspitze der Insel und schlage dort mein Zelt auf. Hier ist Eisbären-Land. Ich baue meinen Elektrozaun vor dem Zelt auf und sitze die folgenden 36 Stunden bei pfeifendem Wind das Wetter aus, bis Ivujivik nebelfrei ist. Nach 20 Minuten Flug schwindet die Sicht aber unter eine Meile, die Wolkenbasis liegt auf dem Wasser auf. Angst, im Dunst auf Hindernisse zu treffen, habe ich hier im Norden aber nicht. Schließlich kommen selbst im eisfreien Sommer nur wenige Schiffe vorbei. Trotzdem habe ich beim Flug durch die graue Suppe, nur wenige Meter über dem schäumenden, eiskalten Meerwasser, ein mulmiges Gefühl.
Endlich, nach über zwei Stunden, lande ich auf einem Felsrücken bei Ivujivik. Da das Wetter auf direktem Weg nach Scheffersville keine guten Aussichten bietet, beschließe ich, den sichereren Weg entlang der Küste zu nehmen. Bei 20 Knoten Seitenwind fliege ich wenig später eine Graspiste nahe der kleinen Stadt an. Kurz vor dem Touchdown kommen plötzlich zwei Karibu-Bullen aus einer Senke neben der Bahn gesprungen, zum Durchstarten ist es zu spät. Der erste verschwindet unter meiner Motorhaube, und ich warte auf den Knall. Aus dem Augenwinkel sehe ich ihn links wieder auftauchen, ohne Knall. Ein „near miss“ von maximal 50 Zentimetern. Glück gehabt!
Near miss: Kurz vorm Touch-Down laufen zwei Karibu-Bullen vor meine Cub
Weiter geht’s über Kuujjuaq Richtung Süden. Beim letzten Dämmerlicht lande ich am Rivière Kaniapiskau auf einer weit ausgedehnten Sandbank. Es ist ein herrlicher Sommerabend, die Luft riecht nach Nadelwald. Nach weiteren Nachtlagern am Churchill River, an der Rivière de St. Paul nahe der Atlantikküste und Blac de Sabon mache mich auf den Weg übers Meer nach L’ Anse aux Meadows, einer rekonstruierten Wikingersiedlung, deren originales Vorbild Erich der Rote um 950 nach Christus hier errichtet haben soll.
Auf der Ostseite der St. Anthony-Halbinsel drehe ich nach Süden, erneut auf der Suche nach einem Schlafplatz. Auf einer felsigen Halbinsel entdecke ich einen grünen Bergrücken, wie geschaffen für mein Nachtlager. Nach vier Probeanflügen setze ich mit vollen Klappen auf. Als meine Ballonräder den Boden berühren, fühlt sich alles noch normal an. Beim Ausrollen, als die Landung schon geglückt scheint, passiert es: Ich gehe koppheister über die Nase auf den Rücken. Mein ELT pfeift im Headset, die Kreisel wimmern leise. Ich fluche – laut. Nur gut, dass zwischen Vorder- und Rücksitz ein Gepäcknetz Proviant, Ersatzteile und Werkzeug sicher an ihrem Platz hält. Nachdem ich aus dem Cockpit geklettert bin, schalte ich das ELT aus. Ich will keinen SAR-Stress.
Und so baue ich erstmal mein Zelt auf. Außer meinem verletzten Stolz, einer geknickten Flügelstrebe und einem leicht verschobenen Rumpftank ist aber nichts passiert. Eine ähnliche Stelle wäre 1500 Kilometer weiter nördlich wohl deutlich sicherer gewesen. Hier allerdings – so sagt man mir später – sei der Untergrund aus Torf und Moos immer weich und nass. Das Klima ist eben deutlich milder.
Missglückte Landung – das Flugzeug steht Kopf
Am nächsten Tag, als ich damit beschäftigt bin, meinen Flieger mit Hilfe von Stricken und schweren Holzankern, die ich in den weichen Boden gerammt habe, wieder aufzurichten, kommt unerwartet ein Marinehubschrauber vorbei und nimmt mich gegen meinen Protest einfach mit. Aber nicht zur nächsten, fünf Kilometer entfernten Siedlung, sondern nach St. Anthony am anderen Ende der Insel. Ich brauche zwei Tage, um von dort zurück nach Gander nahe der Unfallstelle zu kommen.
Hier soll mir ein luftfahrttechnischer Betrieb bei der Vorbereitung der Bergung helfen. Ich fliege mit ein paar Männern zur Unfallstelle, um den Flieger wieder aufzurichten und die geknickte Strebe auszubauen. Die Helfer sind leider keine große Hilfe: Sie bringen es fertig, den einzigen Flaschenzug zu zerdeppern, und hauen mir dazu noch ein Loch in die Bespannung. Gott sei Dank hatte ich einige Schotblöcke gekauft. Vier Mann ziehen die Cub schließlich hoch und stellen sie wieder auf die Beine. Dann geht es mit dem Heli zurück in die Zivilisation.
Ungewollte Hilfe: Gegen meinen Willen werde ich von einem Marinehubschrauber mitgenommen
Zwei Tage später fliege ich wieder zu meiner Cub, diesmal aber nur mit dem Hubschrauberpiloten und seinem Co. Ich baue die gerichtete Strebe ein, fülle 60 Liter Sprit in die Tanks, und dann geht’s los: Alles was zum Fliegen nicht notwendig ist, habe ich in den Heli gepackt. Auf einer normalen Piste wäre ich mit diesem Abfluggewicht nach 15 Metern in der Luft. Hier ist die Sache etwas schwieriger: Der Start läuft nach der Devise „one time, one shot“ – entweder es klappt, oder es tut fürchterlich weh. Anhalten ist auf dem weichen Boden nicht drin!
Ich brauche fast 120 Meter, bis die Cub vom Boden weg kommt. Als nach 110 Metern meine Pistenmarkierung aus Toilettpapier unter der Motorhaube verschwindet, muss ich die Maschine durch ruckartiges Setzen der großen Spezial-Klappen auf 50 Grad in die Luft zwingen. Dann hole ich im Bodeneffekt Fahrt auf. Bei angezeigten 30 Meilen pro Stunde nehme ich die Klappen zurück und fliege dicht über den nahen Baumwipfeln aufs Meer hinaus. In kaum zwanzig Metern über Grund, fast in IMC, folge ich einer Bergkette in Richtung Gander. Der Hubschrauber gibt mir für den Fall der Fälle Geleitschutz. In Gander lasse ich die bestellte neue Strebe einbauen und den Flieger durchchecken. Nach zwei weiteren Tagen Zwangspause stehe ich auf dem verlassenen Flugfeld von Bonavista.
Dann geht’s los: Alles was zum Fliegen nicht notwendig ist, habe ich in den Heli gepackt
Hier, am östlichsten Ort meiner Reiseroute über den ganzen Kontinent, zelebriere ich mit dem letzten Tropfen Portwein aus Alaska meinen Point of Return. Meine Stimmung ist jedoch am Tiefpunkt. Nicht nur wegen des miserablen Wetters. Die Strapazen der letzten Tage haben Spuren hinterlassen. Aber es hilft nichts, ich muss noch etwa 6000 Kilometer quer über den Kontinent zurück nach Fairbanks, über eine schier undurchdringliche Wildnis. Süd-Quebec, Ontario und Manitoba ziehen unter mir vorbei. Das schlechte Wetter kostet mich die letzten Kraftreserven. Erst ab Saskatchewan wird es besser.
In der Taiga kann ich wieder auf Sandbänken im Fluss landen. Meine Stimmung hebt sich. Nach neun Wochen und etwa 16 000 Kilometern lande ich in Fairbanks, ausgelaugt, aber reich an Erlebnissen, die mich wohl noch lange beschäftigen werden. Die Erkenntnis, die ich aus diesen entbehrungsvollen, aber auch einzigartigen Tagen über der Arktis und der Hudson Bay mitnehme, ist einfach: Selbst in unserer Hightech-Zeit bietet ein kleines einmotoriges Flugzeug in einem Land voller Wildnis, Freiheit und Einsamkeit noch genügend Abenteuer und Herausforderungen, um einen Piloten glücklich zu machen.
Text und Fotos: Ingo Brigmann, fliegermagazin 12/2009
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