Wie fliegt sich ein Airbus?
Im Simulator möchte ein PPL-Pilot erfahren, wie sehr sich seine Fliegerei von der in einem Airliner unterscheidet. Ein Erfahrungsbericht!
Zwei ganz unterschiedliche Piloten haben sich in einem abgedunkelten Raum verabredet: Andy Lork, frischgebackener PPL-Pilot mit stolzen 80 Stunden Erfahrung und schon Eigner einer Cirrus SR22, und Uli Langenecker, Chef der Flugschule FFL in Essen/Mülheim, Airbus-Kapitän und Ausbilder mit über 13 000 Stunden auf der Uhr. Der A320-Simulator, der hier steht, bildet das Cockpit des Airliners detailgetreu nach, projiziert vor die Fenster eine realistische Außendarstellung, simuliert aber keine Flugbewegungen.
Andy möchte erleben, wie man einen modernen Airliner fliegt, und was da vielleicht ganz anders ist, als er es auf kleinen Flugzeugen bisher gelernt hat. Als Uli den Simulator mit ein paar Handgriffen anschmeißt, ist der Besucher erst mal fasziniert von der technisch anspruchsvollen Optik des Cockpits – und von der brillanten Auflösung der virtuellen Landschaft vor der Frontscheibe. Die Maschine steht auf der „08 Links“ in München.
Wie fliegt sich ein Airbus A320? Ein PPL-Pilot lernt den Airliner im Simulator kennen
Eins ist klar: Alle Knöpfe, Schalter und Instrumente zu erklären wäre im vorgesehen Zeitrahmen unmöglich. Also beschränkt sich Uli auf wesentliche Unterschiede: Sidestick, Leistungsanzeigen und Hebel für Landeklappen und Fahrwerk.
Und da wird’s gleich interessant: Die A320 war das erste zivile Verkehrsflugzeug mit Fly-by-wire-Steuerung. Statt einer direkten Verbindung zwischen Knüppel und Ruderflächen ist hier ein aufwändiges Computersystem zwischengeschaltet. Uli versucht, das Komplexe auf einen einfachen Nenner zu bringen: „Die Stellung des Sidesticks hat nichts mit der Position der Ruder zu tun. Und das System trimmt sich immer automatisch von alleine aus. Das macht die Sache fliegerisch sehr einfach. Mit dem Stick bringt man die Maschine in die richtige Attitude – also in eine bestimmte Längs- und Querneigung. Job erledigt: Diese Attitude wird perfekt gehalten. Damit entfällt mehr oder weniger das gewohnte manuelle Fliegen mit ständigen kleinen Korrekturen am Ruder.“
Trockenübung am Boden: Zum Lenken auf dem Rollfeld dient der „Triller“
Zur Leistungsanzeige erklärt Uli: „Gemessen wird die Drehzahl von N1 als Prozent der maximalen Drehzahl. N1 ist der bei einem Mantelstromtriebwerk außen liegende Fan, der für zirka 80 Prozent des Schubs sorgt.“ Die Klappen erklärt er so: „Es gibt insgesamt vier Stufen, und mit jeder werden auch entsprechend die Slats, also die Vorflügel, gefahren.“
Jetzt wird angelassen: Das geschieht beim Airbus nicht mit Strom, sondern mit Druckluft, die von einer Auxiliary Power Unit (APU), einer kleinen Zusatzturbine im Heck, produziert wird. Obwohl das Flugzeug schon auf der Bahn steht, will Andy gerne wissen, wie man so ein 70 Tonnen schweres Ungetüm rollt. Wie gewohnt lässt sich das mit dem Seitenruder gekoppelte Bugrad mit den Fußpedalen bedienen. Das gilt jedoch nur für Start und Landung. Für langsames Rollen gibt es auf dem äußeren Seiten-Panel für jeden Piloten ein kleines Lenkrad, „Tiller“ genannt. Andy versucht sich bei einer kurzen Runde über den Airport und schafft es nach kurzer Eingewöhnung, fast sauber auf den gelben Linien zu bleiben.
Länger als Gedacht: Beim 90-Grad-Turn muss die Mittellinie im Seitenfenster sein
Als er mit einem 90-Grad-Turn wieder auf die Bahn rollt, muss Uli aber eingreifen und helfen: „Denk daran, dass das Hauptfahrwerk etwa 15 Meter hinter uns liegt. Das ist ein Viertel der 60 Meter breiten Bahn hier. Also musst Du mit dem Cockpit die Mittellinie ordentlich überschießen, bevor Du die Kurve einleitest. Als Orientierung: Mach das, wenn Du die Centerline im Seitenfenster hast.“
Dann schiebt Andy zum Take-off die Gase rein. Nicht ohne vorher ein paar essenzielle Dinge geklärt zu haben: Beim Start wird bei 130 Knoten zunächst die V1 ausgerufen – die Geschwindigkeit, bis zu der der Start noch auf der verbleibenden Bahnlänge abgebrochen werden kann. Kurz danach kommt mit 135 Knoten die Vr – die uns wohlbekannte Rotationsgeschwindigkeit.
V2 gibt die sichere Steiggeschwindigkeit an
Weiter gestiegen wird dann mit V2 – der sicheren Steiggeschwindigkeit, die auch bei einem Triebwerksausfall ausreichende Ruderwirkung gewährleistet. Diese und andere Speeds werden für jeden Flug in Abhängigkeit von Bahnlänge, aktuellem Gewicht und Luftdichte individuell ermittelt. Der Computer hat bei diesem „Flug“ für die V2 142 Knoten errechnet.
Noch ein Hinweis von Uli: „Bei ausreichend langer Bahn wird nicht mit Vollgas gestartet. Moderate 88 Prozent Leistung reichen meist und sorgen für erhebliche Einsparungen bei der Wartung.“ Mit helfenden Kommentaren von Uli gelingt Andy der Start problemlos. Gezogen werden soll so, dass die Längsneigung mit drei Grad pro Sekunde auf 15 bis 18 Grad steigt.
Nicht irritieren lassen: Beim Start meldet der Computer manche Fehler
Bei einer Steigrate von 3000 Fuß pro Minute erreicht das Flugzeug in kürzester Zeit den sogenannten „Acceleration Level“ in 1500 Fuß AGL, ab dem der Pilot die Geschwindigkeit auf 250 Knoten erhöht. Das ist die Höchstgeschwindigkeit unter FL 100. Dabei werden Klappen und Vorflügel stufenweise eingefahren.
Ein weiterer sehr interessanter Kommentar von Uli: „Während des Startvorgangs meldet der Computer manche Fehler, wenn sie auftreten sollten, den Piloten absichtlich nicht, um die Crew nicht zu einem unnötigen oder gar riskanten Startabbruch zu verleiten.“ Im Simulator soll uns heute eine Reiseflughöhe von 10 000 Fuß reichen. Andy nimmt die Nase runter für den Level-off und Uli aktiviert die Autothrust-Funktion, der 250 Knoten vorgegeben werden. Der Computer hat dafür eine Leistung von 58 Prozent errechnet.
Airliner fliegen immer mit positivem Anstellwinkel
Als Andy versucht, die Höhe zu halten, merkt er, dass dies nur mit einer positiven Pitch von etwa zwei Grad gelingt. „Airliner fliegen immer mit einem positiven Anstellwinkel, sehr ausgeprägt im Endanflug“, bemerkt Uli dazu.
Während Andy einige Kurven fliegt, um ein Gefühl fürs Handling mit Sidestick und Computer zu bekommen, erklärt Uli Geschwindigkeiten im Reiseflug: In geringen Höhen wird nach angezeigter Geschwindigkeit (IAS) geflogen, oberhalb von FL 290 aber nach der Machzahl. Sie gibt an, wie nah man der Schallgeschwindigkeit kommt, die auch von der aktuellen Temperatur abhängt. In großen Höhen ist sie als Referenz sinnvoll, da bei einer definierten kritischen Machzahl schon unterhalb der Schallgeschwindigkeit Teile der Strömung in einen schädlichen Überschallbereich kommen können. Eine typische Reisegeschwindigkeit der A320 kann in FL 350 etwa bei 460 Knoten oder Mach 0,8 liegen, also 80 Prozent der Schallgeschwindigkeit.
Geschwindigkeit abbauen: Bei der Landung werden die Klappen sehr früh gesetzt
Nach einigen Manövern und weiteren Erklärungen ist es schon wieder Zeit für die Landung. Da der Chef freundlicherweise CAVOK eingestellt hat, ist der Münchner Airport schon aus 30 Meilen Entfernung zu erkennen. Andy hat genügend Spielraum, um sich für die „26 Links“ auf dem Endanflug zu platzieren und gleichzeitig den Anweisungen von Uli zu folgen. Gemäß der eingegebenen Beladungs- und Wetterdaten wird mit 55 Prozent Leistung und einer Endanfluggeschwindigkeit von 125 bis 130 Knoten angeflogen.
Die erste und zweite Klappenstufe setzt Andy relativ früh, um für den Endanflug nicht zu schnell zu sein. Denn Geschwindigkeit abzubauen kann bei 70 Tonnen und einer guten Aerodynamik im Sinkflug ein Problem werden. Zur Not verfügt die Maschine über zusätzliche Bremsklappen. Andy jedoch bekommt es auch ohne diese Speedbrakes einigermaßen hin, die gewollte Geschwindigkeit zu fliegen und die Schwelle anzupeilen. Bei vier Meilen Abstand zur Schwelle fährt er das Fahrwerk und setzt volle Klappen.
Abfangen nach Ansage: Die Autobreak-Funktion verlangsamt die Maschine nach dem Aufsetzen
Als der Radarhöhenmesser über der Bahn die Höhe runterzählt, nimmt er nach Ulis Ansage die Nase bei 20 Fuß nur leicht hoch, zieht die Leistung raus und setzt einwandfrei auf. Das alles ohne Eingreifen des Lehrers, etwa mit seinem Sidestick oder mit einer Leistungskorrektur. Bei der vier Kilometer langen Bahn in München ist die materialkostende Umkehrschub-Funktion, auf Englisch Reverse Thrust, als Bremshilfe nicht nötig. Und da schon vor der Landung die Funktion Autobrake aktiviert wurde, verlangsamt die Maschine von alleine bis zum Stillstand – magisch-genau auf der Centerline.
Beim entspannten Nachgespräch kommt die Frage auf, was passieren würde, wenn Kapitän und Co den Stick gleichzeitig, aber kontrovers bedienen würden. Die Antwort: Die Rudereingaben würden sich gegenseitig neutralisieren. Das könnte leicht zur Katastrophe führen. Deshalb haben beide Piloten die Möglichkeit, per Knopfdruck ihrem Stick die Priorität zu geben. Eine Frage darf natürlich nicht fehlen: „Wie teuer war die ganze Vorstellung hier?“ Uli sagt schmunzelnd: „Tja, für eine Stunde A320 in der Luft muss man schon mit 15 000 Euro rechnen. Aber heute geht das Kino ausnahmsweise mal aufs Haus – weil Ihr es seid.“
FFL – Fachschule für Luftfahrzeugführer in Essen/Mülheim
Als erste unabhängige Schule für die Ausbildung von Berufspiloten in Deutschland blickt die FFL auf eine sehr lange Tradition zurück. Ihr Vorgängerunternehmen wurde bereits 1963 gegründet. Seitdem hat sie mehr als 6000 Berufs- und Linienpiloten erfolgreich ausgebildet. Das entspricht einem Schnitt von 120 Ausbildungen pro Jahr. So findet man Linienpiloten, die bei FFL ausgebildet wurden, bei fast allen namhaften Airlines.
Der neue Airbus A320-200 Simulator, der als FNPT II zertifiziert ist, wird in der ATPL-Ausbildung für die Schulung der Zusammenarbeit im Cockpit (MCC – Multi Crew Coordination/Cooperation) und für die Vorbereitung auf das Beherrschen von Strahlflugzeugen (JOC, Jet Orientation Course) eingesetzt. Da es sich um einen stationären Simulator handelt, ist er besonders preiswert, ohne das Airbus-Airliner-Feeling vermissen zu lassen. www.ffl-flighttraining.de.
Fly-by-wire
Der erste Airbus A320 wurde 1988 ausgeliefert und war das erste zivile Flugzeug mit vollständiger, digitaler Fly-by-wire-Steuerung: Es gibt keine mechanische Verbindung zwischen den Rudern und dem Sidestick. Mehr noch: Im Grenzfall kann der Computer eine Piloteneingabe übersteuern, wenn sie zu einer Überschreitung des erlaubten Flugbetriebsbereichs führt. Einige frühe Unfälle mit Airbus-Flugzeugen wurden dieser Envelope Protection und der Fly-by-wire-Technik zugeschrieben – fälschlicherweise, sie erwiesen sich später als Pilotenfehler.
Dennoch spaltet die bis heute kontrovers diskutierte Technologie die Pilotenschaft: Airbus-Fans unterstützen die Fly-by-wire-Technologie voll; Boeing-Liebhaber setzen auf die konventionelle Steuerung. Allerdings verzichtet auch Boeing in neueren Modellen wie der 777 weder auf Fly-by-wire noch auf Envelope Protection, allerdings mit einem mechanischen Back-up.
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