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Königin der Atlantiküberflüge
Ferryflug-Tagebuch #2: Mit der TBM 940 von Daher über den Atlantik – wir begleiten Margrit Waltz auf ihrem 900. Ferryflug.
13.00 Uhr in Tarbes, Südfrankreich, am Werk des Flugzeugherstellers Daher. Eine außergewöhnliche Frau an Bord eines außergewöhnlichen Flugzeugs startet zu einem außergewöhnlichen Flug.
Margrit Waltz alias „Maggy“ wird an Bord einer TBM 940 mit der Kennung N64MA ihre 900. Atlantiküberquerung fliegen! Ein Rekord, den wohl selbst Lindbergh anerkannt hätte.
Unser freier Autor und Freund Jean-Marie Urlacher begleitet die Pilotin auf dieser außergewöhnlichen Reise. Seine Tagebucheinträge – darunter auch diesen – veröffentlichen wir gleich nach Eintreffen unter www.fliegermagazin.de/ferryflug. Dort können Sie dem Flug folgen!
„Da Sie zu sehr ein Gentleman sind, um mich nach meinem Alter zu fragen, sollten Sie wissen, dass ich am 10. Februar 1957 in Deutschland geboren wurde“, sagt sie lachend zu Beginn des Interviews. Ihre stechend blauen Augen strahlen froh und offen. Diese Frau hat Charakter. Langsam rührt sie mit einem Löffel in einem großen Milchkaffee. Seit sie auf dem Nordatlantik unterwegs ist, weiß man an jeden Flugplatz dort oben, wie man so einen Kaffee für sie zubereitet. Man kennt sie. In Island nennt man sie „Maga“, in Grönland „Maggy“ und oft rufen sie die Lotsen auf der Frequenz direkt beim Vornamen.
„Ich habe so meine Gewohnheiten, wissen Sie, und ich bin öfter mit diesen Leuten zusammen als mit meiner eigenen Familie. Da sind Robin und Brian in Glasgow, Chris, David oder Jens in Keflavik, Peter und Junia in Grönland. Da fällt mir ein, dass ich Eris, meinem Mechaniker aus Seven Islands in Kanada, zum Geburtstag gratulieren sollte, er wird morgen 81 Jahre alt.“
Margrit ist gesprächig und spricht perfektes amerikanisches Englisch. Sie könnte einen für eine ganze Pazifiküberquerung und vielleicht noch länger mit ihren Erzählungen wach halten. Diese Frau muss so reich sein an Erfahrungen, nach fast 22.000 Stunden in der Luft, allein über einer fremder Umgebung, jedes Mal in einem neuen Flugzeug, egal bei welchem Wetter – da muss man einen ruhigen, sicheren und wachen Geist haben.
Ihre ersten Schritte in der Luftfahrt begannen mit 15 Jahren. Ihr Vater, ein ehemaliger Pilot aus dem Zweiten Weltkrieg, schickte sie auf eine streng katholische Schule in Bonn. „Das war, um meine eher durchschnittlichen Schulergebnisse zu korrigieren.“ Vor Ort verbrachte sie ihre Tage damit, aus dem Internatsfenster auf Segelflugzeuge zu schauen, die über den Rhein flogen. „Meine einzige Möglichkeit, aus diesem Schulgefängnis zu entkommen, zumindest in Gedanken“, sagt sie verschmitzt. Ihr Vater stimmte schließlich zu, dass einmal pro Woche mittags Segelflugstunden nehmen durfte. Im darauf folgenden Jahr wollte sie zum Fliegen übergehen, aber das war teuer. Ihr Vater bot ihr einen Deal an: Du lernst das ganze Jahr hart und wenn deine Ergebnisse gut sind, lernst du im Sommer fliegen.
So wurde ein gewisser Erich Hartmann, genannt „Bubi“, ihr Fluglehrer auf einer Cessna 150. „Ich war 17 Jahre alt und erst später wurde mir klar, dass dieser Mann das größte Ass der Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg war: 1.404 Kampfeinsätze, 350 abgeschossene Flugzeuge – ohne jemals abgeschossen worden zu sein. Er war bescheiden, diskret und liebte enge Kurven, die 3g-Runde“, erinnert sie sich.
Margrit erhielt ihre Fluglizenz an ihrem 18. Geburtstag, ihr Vater bot ihr zwei Stunden Flugzeit pro Monat an, für deren Bezahlung Margrit arbeitete. Sie studierte Theologie und Meteorologie an der Universität, um Lehrerin zu werden. Eine Karriere als Berufspilotin – das war zu jener Zeit undenkbar. Mit 19 Jahren war sie die jüngste Lehrerin in Deutschland, gab auch an den Wochenenden Unterricht und fuhr regelmäßig mit ihren Freunden nach Luxemburg, um sich etwas dazuzuverdienen – und weil dort die Zigaretten billiger waren. Ihre Englischkenntnisse halfen schließlich einem ihrer Schüler, eine Rockwell Commander in den USA zu kaufen. „Ich hatte gerade ‚Ocean Flying‘ von Louise Sacchi gelesen und sagte zu, den Flieger nach Hause zu fliegen. Ich war jung und ahnungslos – außerdem blond“ sagt sie und lacht. „Bei meinem ersten Ferryflug habe ich alle Fehler der Welt gemacht“, gibt sie zu. Sechs Monate später meldete sich wieder jemand bei ihr: Er habe gehört, sie hätte den Atlantik bereits überquert? So begab sie sich auf ihre zweite Transatlantik-Regatta. Sie war inzwischen 20 Jahre alt, hatte die IFR-Berechtigung erworben und lebte ihren Traum vom Fliegen in vollen Zügen.
1979, im Urlaub in den USA mit einer Freundin, kam Margrit an der Mooney-Fabrik vorbei. Während sie das Gelände besichtigten, erhielt ihr Guide einen Anruf: Der Ferrypilot des Hauses war gerade über dem Atlantik abgestürzt. „Ich suche jemanden, der eine Mooney nach Europa überführt, könnten Sie das machen?“ „Kein Problem“, antwortete Margrit, „… ich habe es schon zweimal gemacht!“ Und zwei Tage später hob sie in einer Mooney nach Europa ab.
„Ich war zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Mission erfüllt, weitere Aufträge kamen herein. So wurde ich Überführungspilotin bei Mooney. Die Taktung der Flüge nahm schnell zu, ich lieferte etwa ein Flugzeug pro Woche von den USA nach Europa und manchmal auch umgekehrt.“ Schweiz, Frankreich, Schweden, Australien, Dänemark, Afrika, Japan… die Reisen folgten schnell aufeinander. Margrit brach sogar den Rekord für den längsten einmotorigen Flug von Goose Bay nach Düsseldorf in einem Stück. In den 1980er Jahren flog sie mehr als 45 Flugzeuge pro Jahr. Sie genoss das Leben, fuhr eine 900er Kawasaki und einen Porsche. Sie war sogar für ein paar Monate eines der Wettermädchen im deutschen Fernsehen. Unter ihren Reisen mit dem meisten Rock n‘ Roll muss man eine Kalifornien-Hawaii-Tour in einer Cessna 172 erwähnen, die 21h30 dauerte. „Ich hatte 800 l Benzin an Bord und der kleinste Fehler wäre mir zum Verhängnis geworden.“ Zu weiteren Heldentaten gehören auch eine Überquerung des Südatlantiks in einer Super Cub, Landungen in Grönland bei 70 Knoten Wind mit Hilfe eines Feuerwehrwagens, der dem Flieger Windschatten gibt, damit er auf dem Rollfeld drehen konnte … Es gibt so viel zu erzählen.
An Bord, während der langen Stunden der Flüge, ist Margrit beschäftigt. Sie liest gerne, macht ihre Einkaufslisten, oder plaudert mit den Controllern. Margrit kennt einige. 1983 war ein dunkles Jahr für die unerschrockene Deutsche, dreimal entging sie knapp einem schweren Flugunfall. „Wenn man jung ist, hat man keine Probleme mit dem Ego. Sie denken, Sie sind stark, Sie denken, Sie können jedes Flugzeug bei jedem Wetter fliegen, es wird sogar zu einer Herausforderung. Es sei denn, die Natur ruft Sie eines Tages zur Ordnung.
Ich hatte in diesem Jahr einen totalen Stromausfall, nachts, bei einem höllischem Gewitter. Ich hatte nur noch das tragbare Funkgerät und den Transponder. Der Controller leitete mich, so gut er konnte. Ich war auf 4000 Fuß, als ich durch einen gefrierenden Regenschauer flog. Ich habe den Notfall ausgerufen. Das Flugzeug vereiste mehr und mehr. Ich kam bis auf 500 Meter an die Landebahn heran, doch ich bekam das Flugzeug nicht stabilisiert. Ich sagte mir, wenn ich das Fahrwerk ausfahre, werde ich zu langsam, aber wenn ich ohne lande, werden sie denken, die Blondine hätte es vergessen – ich habe die Räder also erst direkt über der Landebahn ausgefahren. Das Flugzeug setzte sofort auf – hart! Ein Stoß ging durch die Tragflächen, das Eis platzte ab. Die Einsatzkräfte fanden später Eisstücke so groß wie Telefone auf der Landebahn“.
Mit perfekter technischer Präzision erklärt sie, wie sie die Tragflächen einer Mooney nach einem unfreiwilligen Looping infolge eines Vakuumpumpenausfalls so belastete, dass das Metall Falten warf. Und dann ihr Notruf aus einer Cessna 421 nahe Island. Bei schlechtem Wetter, mit ihrer sieben Monate alten Tochter an Bord, verlor sie ein Triebwerk, wurde von zwei Jagdflugzeugen zur Landebahn eskortiert und verlor dann im Endanflug das zweite Triebwerk …
Margrit spricht oft über David, ihren Mann. Sie trafen sich am Flughafen Scranton. Er hatte auf seinen Flug gewartet, sie gerade eine Mooney überführt. Die war als SE-IEI registriert, erinnert sie sich. „Wir wurden Freunde. Ich machte ihm klar, dass ich niemals jemanden heiraten würde, der nicht in der Luftfahrtbranche tätig ist. David nahm Flugstunden und an dem Tag, an dem er seine Lizenz bekam, übergab er sie Margrit und sagte: „Willst du mich jetzt heiraten?“ Nun sind sie 33 Jahre unzertrennlich und arbeiten sogar zusammen. Er bereitet die Reisen seiner Frau vor, bucht ihre Hotels, verwaltet ihre Termine und den Papierkram, sie ist die Pilotin. Im Jahr 1983 gründeten sie Trans Aero International, ein Unternehmen für Ferryflüge.
Seit 1991 fliegt Margrit im Auftrag von Daher-Socata TBMs in der ganzen Welt. Das Unternehmen liegt ihr sehr am Herzen . „Die TBM ist eine unglaubliche Maschine. Zu meinem 50. Geburtstag habe ich mir selbst so ein Geschenk gemacht: Ich fliege nur noch Turbinenflugzeuge.“
Auch wenn die TBMs von Daher-Socata die meiste Zeit in Anspruch nehmen, überführt sie auch Cessna Caravans, Beech 90s, Cheyennes, Conquests, Metroliner, Merlins und Mustangs. Eine lange Liste von Flugzeugen bevölkert ihr Flugbuch . Margrit holt aus ihrer Pilotenmappe einen riesigen Jeppesen-Ordner mit allen Flugplätzen der Welt, sie zieht ein altes Schwarz-Weiß-Foto heraus, das zwischen zwei Anflügen steckt: ihr Vater. „Es ist mein Glücksbringer. In meinem Job reicht es nicht aus, gut zu sein, man muss auch Glück haben.“
Es ist 13 Uhr, als Maggy die Tür der TBM 940 schließt und die Turbine anwirft. Sie startet ihre 900. Atlantiküberquerung. Eine Route, die sie auswendig kennt: es geht über Wick (Schottland), Keflavik (Island), Iqaluit (Nunavut/Kanada) und Bangor (Maine/USA) um die Turboprop mit der Kennung N64MA an ihren neuen Besitzer in Muncie, Indiana, zu übergeben.
Guten Flug, Maggy!
Text: Jean-Marie Urlacher/Übersetzung: Christina Scheunemann
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