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Fliegen bei Gewitter: Flugzeug über dem Meer verschwunden

Mit Unwetter ist nicht zu spaßen. Auch Airliner machen, wenn möglich, um Gewitterzellen einen großen Bogen. Sie zu ignorieren, ist keine gute Option. Das zeigt ein Fall aus dem Jahr 2019.

Von Martin Schenkemeyer
Die Trümmerteile der Cirrus, die aus dem Watt gefischt wurden, sind überschaubar. Auch gründliche Suche führte zu keinen weiteren Funden, die Insassen sind bis heute verschollen.

Nebel, Eis und Gewitter gehören zu den größten meteorologischen Gefahren, denen man als Pilot ausgesetzt sein kann. Und zwar unabhängig davon, ob man im Airliner oder im Ultraleichtflugzeug sitzt, ob man nach VFR oder IFR fliegt. Das lernt man bereits früh in der fliegerischen Ausbildung. Umso verwunderlicher ist es, dass Piloten immer wieder diese Gefahren unterschätzen und trotzdem bei Gewitter fliegen. Im Mai 2019 wurde dies abermals einer Besatzung zum Verhängnis.

Der 44-jährige Pilot plant an einem Sonntag in Begleitung einer weiteren Person mit einer Cirrus SR20 zu fliegen. Geplant ist ein Flug nach Sichtflugregeln von Hannover (EDDV) via Leer-Papenburg (EDWF) nach Wangerooge (EDWG). Nach einem kurzen Aufenthalt auf der friesischen Insel soll es am Abend wieder zurück nach Hannover gehen.

Cirrus SR20 als vermisst gemeldet: Flugunglück?

Der Hinflug verläuft ereignislos, und die Cirrus setzt um 15.11 Uhr Ortszeit bei gutem Wetter auf Wangerooge auf. Der Flugleiter des Verkehrslandeplatzes beobachtet um 17.00 Uhr die Wetterbedingungen. Die Sicht beträgt sieben Kilometer und der Wind weht aus 020 Grad mit acht Knoten. Die Temperatur beträgt 13 Grad Celsius, der Taupunkt 12.

Um 18.20 Uhr startet die Einmot dann auf der Piste 10 wieder zum Rückflug in die niedersächsische Landeshauptstadt. Zunächst steuert der Pilot den Tiefdecker auf südöstlichem Kurs in Richtung Jadebusen, dabei steigt die Cirrus auf 1400 Fuß. Das Flugzeug überfliegt die nordöstliche Spitze des Festlands. Dann sinkt es über dem Wasser bis auf eine Höhe von zirka 600 Fuß. Schließlich korrigiert der Pilot den Kurs in Richtung Osten. Kurz darauf verschwindet die Maschine vom Radar.

Die Skizze zeigt den Flugweg der Cirrus bis zum letzten Sichtkontakt des Augenzeugen.

Absturz über Wattenmeer: Insassen nicht auffindbar

Ein Augenzeuge beobachtet kurz zuvor vom Hafen Hooksiel aus, wie ein Flugzeug direkt in ein Gewitter fliegt. Weitere Angaben zum Flugverlauf kann er nicht machen. Am Folgetag meldet der Halter des vercharterten Flugzeugs die Maschine als vermisst. Nach Aktivierung der Such- und Rettungskette endeckt man noch am selben Tag nahe der letzten Radarposition ein Feld schwimmender Wrackteile. Auch im Watt findet man Bruchstücke der Unfallmaschine. Doch bis heute fand man weder das Hauptwrack noch die beiden Insassen.

Für die Ermittlungen der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) hat der Deutsche Wetterdienst (DWD) das Flugwetter am Unfalltag in einem amtlichen Gutachten aufgearbeitet. Darin heißt es, dass der Flug der Cirrus durch rege Gewittertätigkeit im Bereich der Unfallstelle bei ansonsten »guten bis sehr guten Sichtflugbedingungen« beeinflusst wurde.

Entgegen mehrerer Warnungen: Fliegen bei Gewitter

Das aus Richtung Süden heranziehende Gewitter sorgte innerhalb kürzester Zeit durch starken Niederschlag für eine Verschlechterung der Sicht. Es brachte potenziell sowohl Starkregen als auch Hagel sowie starke Turbulenzen mit sich. Weiterhin resümiert der DWD, dass es sich lediglich um eine lokale Schlechtwettersituation gehandelt habe, die hätte umflogen werden können. Für die geplante Flugstrecke waren zum Unfallzeitpunkt mehrere Warnungen gültig.

Eine telefonische Flugwetterberatung für das Kennzeichen der verunfallten SR20 wurde laut DWD durch den Piloten im Vorfeld des Flugs nicht eingeholt. Der Pilot war im Besitz eines PPL-A mit der Klassenberechtigung für einmotorige Kolbenflugzeuge (SEP). Darüber hinaus besaß er eine Nachtflugqualifikation; eine Instrumentenflugberechtigung war nicht in seiner Lizenz eingetragen.

Das Regenradar zeigt zum Unfallzeitpunkt starke Niederschläge im Zentrum des Gewitters südlich von Wangerooge

Fliegen bei Gewitter: GPS-Geräte sind kein Sichtersatz

In ihrem Untersuchungsbericht verweist die BFU auf insgesamt drei Flugunfallinformationen (V57, V98 und V150) aus den Jahren 1986 bis 1998. Diese setzen sich mit den Gefahren des Fliegens bei Gewitter auseinander. Im Zusammenhang mit dem hier beschriebenen Unfall könnte jedoch die Flugunfallinformation V150 von besonderer Relevanz sein. Diese hat den Titel: »GPS: Kein Ersatz für Sichtwetterbedingungen«.

In dem Dokument aus dem Jahr 1998 wird erläutert, dass bei einer Vielzahl von Schlechtwetter-Unfällen die Nutzung von GPS-Geräten festgestellt wurde. Zum Verständnis: Heute ist das alltäglich, damals war es das noch nicht. Angenommen wurde im Text, dass die Risikobereitschaft, bei schlechten Sichtbedingungen weiterzufliegen, durch die Verwendung von GPS steige.

Sorglosigkeit durch Autopiloten: Fliegen bei Gewitter

Komme ein Autopilot hinzu, der eine zuvor im GPS einprogrammierte Strecke abfliegt, könne das die Sorglosigkeit verstärken, so die Verfasser. Sie weisen in diesem Kontext darauf hin, dass Piloten jederzeit bereit und in der Lage sein müssen, die manuelle Steuerung des Flugzeugs zu übernehmen. Ohne oder mit einem nur schwach ausgeprägten natürlichen Horizont – etwa wegen starken Niederschlags – sei das für VFR-Piloten nur für kurze Zeit möglich.

Ohne IFR-Ausbildung sei dann auch ein Künstlicher Horizont kein Ersatz. Davon unabhängig sei beim Fliegen bei Gewitter oder gar in dessen Kern damit zu rechnen, dass sich ein Autopilot abschaltet. Dann verlieren auch IFR-Piloten die Kontrolle über ihr Flugzeug; von einer Überbeanspruchung der Struktur einmal ganz abgesehen. Daher sei man gut beraten, Gewitter grundsätzlich großräumig zu umfliegen.

Trotz moderner Avionik- Risiken erkennen und umgehen

Cirrus Aircraft hat mit seinen Composite-Tiefdeckern (im Bild eine SR20) neue Maßstäbe gesetzt.

Die Absturzstelle lag ziemlich genau auf der direkten Kurslinie zwischen Wangerooge und Hannover. Beim Absturz der Cirrus kann man dennoch nicht beurteilen, inwieweit die Nutzung von GPS und Autopilot eine Rolle gespielt haben. Möglicherweise war auch der oft auf dem Heimweg einsetzende Tunnelblick ein Faktor. Die Amerikaner bezeichnen diesen gern als »Get-home-itis«, also der unbedingte Wille, zum geplanten Zeitpunkt wieder zu Hause anzukommen.

Fest steht, dass moderne Avionik und sonstige Helferlein nicht dazu führen dürfen, dass die Flugvorbereitung vernachlässigt und Risiken unterschätzt werden. Nur wer gut vorbereitet ist, kennt die potenziellen Gefahren, die ein Flug mit sich bringt. Dann kann man ihnen adäquat begegnen oder vielmehr ausweichen.

Text: Martin Schenkemeyer

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Über den Autor
Martin Schenkemeyer

Martin Schenkemeyer begann im Jahr 2007 mit dem Segelfliegen. Inzwischen ist er ATPL-Inhaber und fliegt beruflich mit Businessjets um die ganze Welt. In seiner Freizeit ist er als Vorstand seines Luftsportvereins tätig und fliegt an seinem Heimatflugplatz Bad Pyrmont Segelflugzeuge, Ultraleichtflugzeuge und Maschinen der E-Klasse. Für das fliegermagazin ist der Fluglehrer seit 2020 als freier Autor tätig und beschäftigt sich hauptsächlich mit Themen rund um die Flugsicherheit.

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