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Die Familie Pascale: 75 Jahre in der Luftfahrt

Der italienische Flugzeugbauer Tecnam hat seine Wurzeln im Jahr 1948 – und feiert als großer Hersteller der Allgemeinen Luftfahrt stolz das 75-jährige Jubiläum.

Von Thomas Borchert
Gründer
Die Anfänge: Die Brüder Luigi und Giovanni Pascale mit ihrem ersten Flugzeug, der P48 Astore. Sie flog 1951 zum ersten Mal. Foto: Tecnam

Leidenschaft: Immer wieder entdeckt man diesen Antrieb, wenn man hinter die Kulissen erfolgreicher Firmen blickt. Bei Tecnam gibt es daran überhaupt keinen Zweifel. Wer das Werk von Tecnam besucht, das mitten zwischen Wiesen auf dem platten Land vor den Toren Neapels liegt, bekommt zudem schnell den Eindruck, dass sich die etwa 560 Mitarbeiter als große Familie begreifen. Auch das hat seinen Grund: Tecnam wird geführt von der Familie Pascale. Und ist bereits in dritter Generation voller Leidenschaft in der Luftfahrt zu Hause – seit genau 75 Jahren.

Zwei Brüder, die seit Anfang der zwanziger Jahre in der Region um Neapel aufwachsen, begeistern sich schon früh für die Luftfahrt: Giovanni und Luigi Pascale. Zuerst bauen sie Modelle, doch dann streben sie nach menschentragenden Flugapparaten. Gleich mit dem ersten Entwurf legen sie fest, wie alle ihre Entwürfe benannt werden sollen: Ein P für Pascale, gefolgt von der Jahreszahl, in dem der Entwurf entstand. Dazu vielleicht noch ein Beiname.

Familie Pascale: Vom Modell zum Flugapparat

1948 ist es so weit: Die P48 Astore entsteht. Fliegen wird sie erst 1951. Ihr folgen eine Reihe von Einzelstücken, mit denen die Brüder viel Erfahrung sammeln. Einige gewinnen Luftrennen, andere sind eher skurril wirkende Wasserflugzeuge.

P64 OscarP64 Oscar
So lernen Italiener fliegen: Die P64 Oscar und ihr Nachfolger P66 waren (und sind) in vielen Clubs verbreitet. Sie hatten drei Türen, wie heute die P2010.

Schließlich wird 1957 eine Firma gegründet, deren Name bis heute bekannt ist: Partenavia. Erstes Flugzeug ist die P57 Fachiro. Das italienische Wort für Fakir wird auch deshalb gewählt, weil Teile der Konstruktion aus vernageltem Holz bestehen. 37 Stück verlassen die damals noch am Flughafen Neapel angesiedelten Werkshallen. Aus der P57 wird die P64 Oscar in Ganzmetallbauweise abgeleitet. Sie ist in Italien ein großer Erfolg: Der abgestrebte Hochdecker und seine Nachfolgeversion P66 begleitet ab 1967 viele Flugschüler in Vereinen und Schulen auf den Weg in den Himmel. 312 Exemplare werden gebaut, etliche fliegen noch heute. Und: Die Oscar hat drei Türen, wie heute die P2010.

Erfolg: Die P68 Victor dient als Schulungsflugzeug

Weltweit erfolgreich wird Partenavia mit einer Zweimot: Die P68 Victor kommt in der Schulung, zum Passsagiertransport und als Beobachtungsmaschine mit einem vollverglasten Bug zum Einsatz. Sie wird in mehr als 430 Exemplaren gebaut. Dieser Erfolg weckt das Interesse des italienischen Staates. Der war damals sehr an der Verstaatlichung von Schlüsselindustrien interessiert und steigt bei den Brüdern Pascale mit ein. Es kommt zu deutlichen Veränderungen des Unternehmens – so stark, dass die Pascales schließlich gehen.

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Von der Luftfahrt können sie nicht lassen: Mit Anfang 60 gründen sie 1986 ein neues Unternehmen, das anfangs vor allem Zulieferer für ATR oder Boeing und auch Partenavia ist: Tecnam, mit Sitz in Capua nördlich von Neapel. Die Idee: Mit dem Management von Partenavia wollen sie nichts mehr zu tun haben, aber Teile liefern sie gern.

Startschuss Tecnam: Zunächst liefert die Firma nur Teile

Paolo, der Sohn von Giovanni, ist die treibende Kraft, die die Pascales dazu bringt, sich wieder den kleinen Flugzeugen zu widmen und doch etwas ganz neues zu versuchen: ein Ultraleichtflugzeug. Anfang der neunziger Jahre sind diese günstigen Luftsportgeräte voll im Trend. Allerdings tun sich manche Konstrukteure schwer, einen dreiachsig aerodynamisch gesteuerten Zweisitzer zu entwickeln, der die strengen Gewichtsgrenzen einhält.

P92P92
Ein neues Zeitalter: Grundstein für den Erfolg von Tecnam war ein UL: die P92, die ultraleicht, aber trotzdem ein „richtiges“ Flugzeug war.

Tecnam gelingt das hervorragend: 1994 präsentieren die Italiener die P92. Der Hochdecker erfüllt offenbar die Wünsche des Markts, denn er wird ein voller Erfolg. Inzwischen wurden mehr als 3000 Exemplare gebaut, das Muster ist als P92 Echo MkII weiter im Angebot – und hat sich als P2008 in der E-Klasse weiterentwickelt.

Mehrere Generationen: Paolo übernimmt die Leitung der Firma

1999 stirbt Giovanni Pascale. Da ist sein Sohn Paolo bereits in die Firma eingestiegen, deren Leitung er übernimmt. In der Konstruktion dagegen bleibt Luigi Pascale weiter fest verankert. Er hat sich auch akademisch um die Luftfahrt verdient gemacht, trägt einen Professoren-Titel und fördert in Zusammenarbeit mit den Universitäten der Region junge Talente. An die gibt er sein Wissen weiter. Bei Tecnam und in der Branche wird er voller Ehrfurcht und Bewunderung nur „Il Professore“ genannt.

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Effiziente Twin: Die P2006T erinnert in ihrer Konfiguration an die P68. Sie wird aber von zwei Rotax angetrieben, was sie sehr sparsam macht – und so auch fürs Militär interessant.

Bis kurz vor seinem Tod 2017 im Alter von 93 Jahren ist er praktisch jeden Tag im Werk anwesend. Immer wieder entstehen neue Entwürfe, deren Wurzeln in früheren Flugzeugen der Brüder Pascale zuweilen unverkennbar sind. So sieht die P2006T der Partenavia P68 sehr ähnlich. Doch die neuere Twin ist viel kleiner, viersitzig und ein Effizienzwunder, weil sie von zwei Rotax 912 angetrieben wird.

Die P2012 Travellar ist die letzte Konstruktion von Luigi Pascale

Gerade für „Il Professore“ war es eine große Freude, dass auch der Sohn von Paolo, Giovanni Pascale, schon mit jungen Jahren bei Tecnam anfing. Er lernte Flugzeugbau von Grund auf und steht inzwischen als Managing Director in der Verantwortung direkt unter seinem Vater Paolo. Auch andere Mitglieder der Pascale-Familie sind im Unternehmen aktiv. Dass bereits die dritte Generation der Pascales ihr Herz an die Luftfahrt verloren haben, bedeutete „Il Professore“ sehr viel, wie er zum Beispiel berichtete, als ihm 2014 der fliegermagazin Ehrenaward verliehen wurde.

Luigi Pascales letzte Konstruktion war nochmal ein richtig großer Wurf – im Wortsinn, denn Tecnam präsentierte mit der P2012 Traveller einen Elfsitzer für den kommerziellen Flugbetrieb. Die Kolbenmotor-Twin ist eine Auftragsarbeit der US-amerikanischen Fluggesellschaft Cape Air, die ein effizientes Flugzeug für den Inselverkehr suchte. Inzwischen ist eine STOL-Version geplant, die auch mit kürzeren Bahnen zurecht kommt, wie sie zum Beispiel auf den deutschen Inseln üblich sind.

Abschied von den Jahreszahlen?

Mit dem für die Schulung optimierten Tiefdecker P-Mentor hat Tecnam nun erstmals die Namenskonvention der Jahreszahlen durchbrochen. Ob es dabei bleibt – diese Frage erntet bei den Pascales nur ein geheimnisvolles Schmunzeln.

Die festliche Gala, die zum Anlass des 75-jährigen Jahrestags des ersten Entwurfs der Gebrüder Pascale und zur Feier der langen Geschichte der Familie in der Luftfahrt Anfang Mai in Capua mit hunderten Gästen aus aller Welt gefeiert wurde – sie hätte „Il Professore“ gefallen.

Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

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