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Boeing: Die Geschichte eines Weltkonzerns

Von Militärflugzeugen über Luftpost bis hin zum meistverkauften Verkehrsflugzeug der Welt. Ein Einblick in die Firmengeschichte von Boeing.

Von Redaktion
Luftpost
Meilenstein: 1919 transportieren Werkspilot Eddie Hubbard und sein Chef Bill Boeing (rechts) die erste Luftpost in Nordamerika. Foto: The Boeing Archiv

Der US-Bundesstaat Washington mit seiner Hauptstadt Seattle ist eine schöne wie raue Gegend, ganz oben an der Westküste der USA; weiter nördlich beginnt schon Kanada. Das deutsche Hohenlimburg im Sauerland liegt einige tausend Flugmeilen östlich davon und ist heute ein Stadtteil von Hagen in Nordrhein-Westfalen. William Boeings Vater stammt von dort.

Wilhelm Boeing ist 22, als er es 1868 von Deutschland nach Detroit schafft. Kaum einen Dollar in der Tasche, wurstelt sich der Kaufmannssohn so durch. In der Holzbranche kann er sich etablieren. Als Boeing mit nur 44 Jahren stirbt, verfügt er über ein Holzimperium und stattlichen Grundbesitz. Da ist sein Sohn Wilhelm Eduard erst neun Jahre alt. Mit 13 schickt man ihn zur weiteren Erziehung in die Schweiz.

Boeing: Die Wurzeln liegen in Hagen in Nordrhein-Westfahlen

Die Universität Yale verlässt der junge Mann im Jahr 1903 vorzeitig, um sich auf eigene Beine zu stellen – in der Holzbranche, versteht sich. Inzwischen nennt er sich William Edward Boeing. 1910 reist er nach Los Angeles, wo sich auf dem Dominguez Flugfeld die internationale Flieger-Elite trifft –
inzwischen giert die westliche Welt nach den neumodischen Flugmaschinen. Fast hätte Boeing in L. A. seine Lufttaufe erlebt.

William Edward BoeingWilliam Edward Boeing
William Edward Boeing – so nennt sich Wilhelm Eduard, der Sohn eines Deutschen.

Der 29-Jährige ist eine auffallend unauffällige Erscheinung: hünenhaft groß, Schnurrbart, Seitenscheitel, randlose Brille, Typ Akademiker oder Chefbuchhalter. Er leistet sich eine Leidenschaft für schnelle Boote. Etwa zur selben Zeit findet auch ein junger amerikanischer Ingenieur erstmals Kontakt zur Fliegerei: George Conrad Westervelt, Navy-Leutnant. Kaum nach Seattle versetzt, freundet er sich mit Boeing an.

Boeing lernt fliegen: Ein Wunsch geht in Erfüllung

Fünf weitere Jahre vergehen, ehe sich Boeing einen lang gehegten Wunsch erfüllt: Er lernt fliegen. In Los Angeles schult er bei Glenn Martin, der einen eigenen Flugzeugbau aufgezogen hat. Boeing, finanziell unabhängig, bestellt ein Martin-Wasserflugzeug des Typs TA für den Eigenbedarf. Als ein anderer Pilot die Maschine beschädigt, will Boeing nicht monatelang auf Ersatzteile warten. Überliefert ist seine Aussage: „Ich denke, wir können etwas Besseres bauen. Und schneller.“

Red BarnRed Barn
„Red Barn“: Am Lake Union in Seattle beginnt 1916 Boeings Karriere als Flugzeughersteller – mit Wasserflugzeugen.

Sein Kumpel Westervelt soll die Idee in die Tat umsetzen. Gute Gründe für so viel Selbstvertrauen gibt es eigentlich nicht. Die beiden verfügen über keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet. Westervelt, immerhin Absolvent des Massachusetts Institute of Technology (MIT), macht sich an die Arbeit. Später wird er ein Modell sogar in den Windkanal des MIT stellen; das vergilbte Blatt mit den ermittelten Daten existiert noch heute. Von Boeing stammt hauptsächlich der Enthusiasmus und, nicht unwichtig, das Geld.

Das erste Boeing-Flugzeug: als Vorlage diente die Martin TA

Vorlage für das erste Boeing-Flugzeug ist unverkennbar die Martin TA. Lediglich das Triebwerk hat mehr Leistung, und die Schwimmer sind sorgfältiger durchgebildet. Nach ihren Schöpfern heißt der Apparat schlicht B & W Seaplane; man nennt ihn auch Model 1 oder „Bluebill“.

Am 15. Juni 1916 dümpelt der Neubau auf dem Lake Union, mitten in Seattle. Als Boeing keine Lust mehr hat, auf den verspäteten Testpiloten zu warten, erledigt er die Sache kurzerhand selbst – mit Erfolg. Doch die zwei je gebauten B & W Seaplanes will niemand haben; eigentlich war die US Navy als Kunde angepeilt. Erst 1918 gelingt es, beide Maschinen an die Regierung von Neuseeland zu verschleudern.

Keine Abnehmer: Erst zwei Jahre später werden die Seaplanes an Neuseeland verkauft

Exakt einen Monat nach dem Erstflug des Model 1 wird William Boeing als Flugzeughersteller aktenkundig. Seine Pacific Aero Products Company residiert in einer ehemaligen Schiffswerft. Stammkapital: 100 000 Dollar. Bald werkeln dort 21 Leute. Die einstöckige rote Scheune, reich verglast, wird als Red Barn berühmt und steht heute komplett im Museum. Ein Jahr nach der Gründung prangt schon „Boeing Airplane Co.“ in großen weißen Lettern unterm Giebel.

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Flugzeug-Reportage: Boeing Stearman

Boeings erster richtiger Ingenieur ist ein gebürtiger Chinese: Wong Tsu. Er zeichnet das Model C, das im November 1916 herauskommt, wieder ein Zweisitzer auf zwei Schwimmern. Diesmal beißt die US Navy an. Sie testet zwei Exemplare und bestellt bald 50 weitere als Schulflugzeug. Inzwischen sind die USA in den Weltkrieg verwickelt und müssen schleunigst ihre läppische Luftwaffe in einsatzfähigen Zustand bringen. Dieser Deal ist der Beginn einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen der Boeing Company und dem US-Militär.

Verkaufsschlager: Die US Navy bestellt das Model C 50 mal

Nach Kriegsende sehen sich Boeing und alle anderen Hersteller mit überflüssigen Militärflugzeugen konfrontiert, die den Markt verstopfen. Das operative Geschäft hat William Boeing bereits in andere Hände gelegt. Man fertigt Möbel und Rennboote. Boeing muss Personal abbauen und Geld aus seinem erfolgreichen Holzhandel in den defizitären Flugzeugbau umschichten. Nebenbei tastet sich der Unternehmer an einen neuen Markt heran: die Luftpost. Begleitet von einem seiner Piloten fliegt er 60 Briefe ins kanadische Vancouver, British Columbia. Bis 1922 fertigt die Firma auch in Lizenz. Ihr erstes eigenes Jagdflugzeug, das Model 15, geht ab 1925 in modifizierter Form sowohl an den US Army Air Service als auch an die US Navy. 1928 arbeiten schon 1000 Leute für Boeing.

Boeing P-12Boeing P-12
Bullig: Die P-12 dient sowohl bei der Army als auch bei der Navy. Hier die Navy-Version F4B mit Schlauchboot an Bord.

Amerikanische Militärpiloten kommen bald um die P-12-Serie von Boeing nicht herum. Die bulligen Sternmotor-Doppeldecker mit ihren etlichen Umrüstungen und Varianten geraten zu den wichtigsten US-Jagdflugzeugen der späten zwanziger und frühen dreißiger Jahre. Eine Model 100 A lässt sich der Air-Race-Enthusiast Howard Hughes für die National Air Races von 1934 umbauen.

Luftpost als Sprungbrett: Das Model 40 fliegt zwischen San Francisco und Chicago

Boeings Schritt in den zivilen Markt wird 1925 durch eine Gesetzesänderung möglicht, die Schwung in die US-Luftfahrt bringt: die Privatisierung der Luftpost, zuerst regional, dann im ganzen Land. Boeing bewirbt sich um eine Lizenz für die Strecke San Francisco–Chicago. Das passende Fluggerät hat er gleich mit im Angebot: die Spezialentwicklung Model 40, welche die alte DH-4 aus Kriegszeiten ersetzt. Im Bauch des weit ausladenden Doppeldeckers ist Platz für über eine halbe Tonne Post. Der Pilot in dem ansonsten konventionellen Einsitzer hat es weniger
bequem; er bekommt nur ein offenes Cockpit.

LuftpostLuftpost
Zuverlässig: Die Model 40 fliegt für Boeing Air Transport die Luftpost- strecke zwischen San Francisco und Chicago.

Boeings Angebot ist das günstigste, und so erhält er den
Zuschlag. Am 1. Juli 1927 nimmt Boeing Air Transport (BAT) den Dienst auf und fliegt sogar Gewinn ein. Ende der Zwanziger verschmilzt der Unternehmer den Flugzeugbau und das Transportgeschäft von Fracht und Passagieren. Mit dem Spruch „Fly with the Air Mail“ bewirbt ein zeitgenössisches Plakat dieses Konzept. Der Konzern wächst und wächst und verleibt sich manch Edelmarke ein, so auch die Motorenschmiede Pratt & Whitney, den Flugzeugbauer Stearman und den Propellerhersteller Hamilton. Aus vier kleineren Boeing-Fluglinien entsteht United Airlines.

Konstruktionstechnischer Sprung: Boeing fertigt nun Flugzeuge aus Metall

Den Behörden wird angesichts von so viel Marktkonzentration unwohl zumute. Auch von Korruption ist die Rede – eine unschöne Geschichte, die hässliche Schlagzeilen produziert. Washington erlässt Gesetze, die Boeing 1934 zur Aufspaltung seines imperialen Firmengeflechts zwingen. Für diesen stolzen Unternehmer, dem jede staatliche Einmischung ins Geschäftliche als schleichender Kommunismus erscheinen muss, ist es ein harter Schlag von unerwarteter Seite. Empört gibt er den Chefsessel im Aufsichtsrat ab, verkauft seine Anteile und widmet sich anderen Leidenschaften. Der Name bleibt.

Model 247Model 247
Ganz aus Metall: Model 247. Gegen DC-2 und DC-3 setzt sich das Muster nicht durch.

Kurz vorher, 1933, hat die Firma den konstruktionstechnischen Sprung vom Holz zum Ganzmetall geschafft: in Form des Model 247 für vierzehn Passagiere. Ein wichtiger Schritt vorwärts, aber kein Verkaufserfolg. Die Zweimot kommt über magere 75 Stück nicht hinaus und wird von den hundertfach gebauten DC-2 und DC-3 überholt. Die Rettung bringt 1934 das viermotorige Model 299, aus dem der legendäre B-17-Bomber hervorgeht. Den martialischen Zusatznamen „Flying Fortress“ prägt beiläufig ein Reporter der Seattle Times.

Branchenriese: Im Krieg ist Boeing kaum noch vom Himmel wegzudenken

Und so vollzieht sich der eigentliche Aufstieg der Boeing Aircraft Company zum Branchenriesen im Windschatten des Zweiten Weltkriegs. Nüchtern betrachtet war William Edward Boeing nur 18 Jahre aktiv in der Luftfahrtbranche tätig. Aber es hat gereicht, um ihr einen mächtigen Stempel aufzudrücken. Im Krieg wird er beratend tätig. Zu dieser Zeit ist die Firma kaum vom Himmel wegzudenken.

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Klassiker: „707“ beim Roll-out. Der Firmengründer erlebt das Ereignis 1954 noch mit.

Boeing-Produkte kämpfen an allen Fronten, auch später im Kalten Krieg. Als bei den Passagierflugzeugen Strahltriebwerke die Propeller ersetzen, ist die Pionierfirma frühzeitig dabei. Der Gründer stirbt am 18. September 1956. Da ist die Boing Company einer der führenden Luftfahrtkonzerne der Welt. Und bleibt es. Am 14. Mai 1954 erlebt Bill Boeing noch als Ehrengast den feierlichen Roll-out der ersten Boeing 707 und somit des ersten Mitglieds einer nicht wegzudenkenden Typenfamilie des Luftverkehrs.

Text: Stefan Bartmann, Fotos: The Boeing Archive

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