Werksbesuch bei Pipistrel
Hocheffiziente ULs und LSA, Siege in Wettbewerben, bei denen innovative Technik zählt, und eine „grüne“ Fabrik – der slowenische Hersteller Pipistrel zeigt, wo’s langgeht
Auf Gebieten, wo sich sogar die Großen der Branche schwer tun, reiht das Unternehmen Erfolg an Erfolg: Zwei Mal hintereinander hat Pipistrel mit seinem Doppelsitzer Virus den prestigeträchtigen NASA Challenge gewonnen, einen Effizienz-Wettbewerb für Leichtflugzeuge. Voriges Jahr schickte der Flugzeugbauer beim CAFE/NASA Green Flight Challenge den Elektro-Viersitzer Taurus G4 ins Rennen und siegte ebenfalls.
Serienflugzeuge aus Ajdovscina zählen zu den wirtschaftlichsten und schnellsten der Welt. Darüber hinaus zeigt das Werk, dass Fortschritt und Ökologie keine Gegensätze sein müssen – produziert wird in einem Gebäude, das sich selbst mit erneuerbarer Energie versorgt und Überschüsse ins lokale Stromnetz einspeist. Wie macht Pipistrel das?
Die Zukunftsfabrik
Blicken wir zurück: Vor 25 Jahren gehört Slowenien zum totalitären Regime Jugoslawiens. Privat zu fliegen oder ein Flugzeug zu bauen ist schlichtweg verboten. Aber es gibt militärische Strukturen, die einen gewissen Spielraum zulassen. Ivo Boscarol nutzt sie, um in den siebziger Jahren Segelflieger zu werden. Er interessiert sich auch für Drachen, baut welche für sich und Freunde und schraubt an ihnen herum. Geflogen wird abends, wenn das Militär sich verzogen hat. Die Einheimischen kriegen allerdings schon was mit. Weil die Piloten im Dunkeln agieren und wegen der Form ihrer Flügel nennt man sie Fledermäuse, Lateinisch pipistrellus. Ivo greift den Namen für seine erste Firma auf; er fertigt ausschließlich Drachen. Über die Jahre entwickelt sich das Unternehmen zum Hersteller von Highend-ULs und -LSA. Der heutige Firmensitz am Flugplatz von Ajdovscina ist 5000 Quadratmeter groß.
Ivo Boscarol: Chef, Visionär und Mastermind
Ivo führt uns in sein Büro. An den Wänden hängen gerahmte Fotos von Personen, die dem 56-jährigen Geschäftsführer und Mastermind von Pipistrel etwas bedeuten: Steve Morse, Gitarrist von Deep Purple, die Königin von England, Larry Page, Mitgründer von Google, dazu Politiker aus der ganzen Welt. Der Gastgeber ist stolz auf seinen Erfolg. Pokale, Trophäen und Auszeichnungen aller Art füllen Vitrinen in den Fluren, und Kunstfotos schmücken die Firma – Ivo war Fotograf und Publizist, bevor er sich der Luftfahrt verschrieb.
Was bleibenden Eindruck hinterlässt, wenn man mit diesem Mann zu tun hat: Er ist groß, charismatisch, selbstbewusst, und er spricht schnell. Er gibt einem das Gefühl, dass er eine Vision für die Luftfahrt hat: „Die Zukunft ist eine Frage der Energie. Wenn die Ölkonzerne in die Entwicklung von Batterien investieren, werden diese besser.“ Kein Zweifel, wer hier den Ton angibt. Seit 1987 führt er sein Unternehmen nun mit starker Hand. Als diplomierter Ökonom kennt er den Markt und weiß, wovon er spricht. Er ist es, der sagt, was im Pflichtenheft seiner Entwicklungsabteilung steht.
Das Konzept von Pipistrel
„Forschung und Entwicklung“, sagt Ivo, „ist wie ein Fußballspiel. Alle bewegen sich, aber man weiß nicht, was und wie viel am Ende dabei rauskommt.“ Von den 57 Angestellten sind 30 ausschließlich mit Forschung und Entwicklung beschäftigt. Sie bilden Teams aus jungen dynamischen Leuten, die in einer entspannten Atmosphäre zusammenarbeiten, ohne hierarchische Struktur, wie in einem kleinen Silicon Valley.
Seit 2008 investiert das Unternehmen jährlich zirka 1,2 Millionen Euro in Forschung und Entwicklung, fast ein Viertel seines Umsatzes. Das hat sich in Dutzenden von Wettbewerbserfolgen und Auszeichnungen niedergeschlagen, etwa dem britischen Innovationspreis UKTI 2010, einer Kategorie der European Business Awards, vor allem aber in ersten Plätzen beim CAFE/NASA Green Flight Challenge 2011 sowie bei den NASA-Effizienz-Wettbewerben 2007 und 2008. „Mit dem Taurus G4“, sagte Ivo voriges Jahr nach dem Triumph in Santa Rosa, „hat Pipistrel gezeigt, dass die Luftfahrtindustrie die Automobilbranche überholt hat. Kein Auto ist heute in der Lage, mehr als 400 Kilometer mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 160 km/h und einem Energieäquivalent von 3,7 Litern pro Passagier zurückzulegen. Wir haben das geschafft, und zwar ohne die Mittel, die der Autoindustrie zur Verfügung stehen.“
Der Entwickler des Elektro-Viersitzers Taurus G4
Dafür hat Ivo Boscarol Mitarbeiter wie Tine Tomazic. Der 28-jährige Ingenieur gilt als genialer Entwickler, der schon mit 22 auf sich aufmerksam machte, als er für eine Arbeit über unbemannte Fluggeräte und deren Steuerung mit der höchsten Auszeichnung geehrt wurde, die ein Student in seinem Land für wissenschaftliche Beitrage erhalten kann. Der Mann spricht vier Sprachen, ist Fluglehrer und Testpilot und schon auf allen sechs Kontinenten geflogen. Tine hatte auch die Idee mit den beiden gekoppelten Taurus, die den G4 bilden.
Der Slowene ist ein typisches Beispiel für den Geist bei Pipistrel: Junge talentierte Leute haben hier die Möglichkeit, ihrer Vorstellungskraft freien Lauf lassen. Bloß das Pflichtenheft gibt Ivo vor, auch beim Panthera: „Es musste ein Viersitzer sein, der 1000 Nautische Meilen mit 200 Knoten zurücklegt und sich für die Ausrüstung mit einem Hybrid-Antrieb eignet“, sagt Tine. Mit dieser Vorgabe hat er das Flugzeug konstruiert, das im April auf der AERO vorgestellt werden soll. „Weil unsere Firma so klein ist“, erklärt er, „kann ich alle Stadien der Entstehung begleiten, von der Konzeption bis zur Fertigstellung.“ Junge motivierte Ingenieure: Was kann einem Besseres passieren, wenn man die Herausforderungen unserer Zeit meistern will?
Pipistrels Philosophie: Umweltschonend, auch beim Firmengebäude
Was Strömungslehre heißt, scheint Pipistrel auch beim Bau des Firmengebäudes begriffen zu haben. Es steht nämlich in einem Tal, durch das die Bora pfeift, ein Wind, der über 200 km/h erreichen kann. Mit Hilfe von Windkanalstudien haben die Werksingenieure die optimale Ausrichtung des Gebäudes errechnet im Hinblick auf die Energieverluste, die seine Umströmung mit sich bringt. Gleichzeitig steht das Bauwerk für Pipistrels Philosophie: „Wenn man umweltschonende Flugzeuge produzieren will, muss man mit einer ökologisch vorbildlichen Fabrik beginnen“, erklärt Ivo.
Das leuchtet ein. Also hat er ein 2400 Quadratmeter großes Gebäude errichten lassen, das 100 Prozent emissionsfrei funktioniert. „Wir sind energietechnisch vollständig autark“, so der Chef, „und wir benutzen nur erneuerbare Energien.“ Als Baumaterial kam Polyurethan zum Einsatz, die Wände bestehen aus mehreren Schichten, die Fenster sind zur Sonne hin ausgerichtet, Erdwärme wird angezapft, es gibt Solarzellen, Wärmetauscher, eine optimierte Be- und Entlüftung, Biomasse zur Energiegewinnung … Kurzum: Pro Jahr werden ungefähr 95 000 Kilowattstunden erzeugt, und zwar ohne 180 Kilo CO2 auszustoßen. Es handelt sich um eines der ökologischsten Gebäude Europas, errichtet für 2,5 Millionen Euro, die zum Teil von der slowenischen Regierung und der Europäischen Union zur Verfügung gestellt wurden. Gelder beschaffen – auch das ist eine Stärke von Pipistrel.
Zum Erfolg des Unternehmens trägt wesentlich bei, dass es Antworten auf Fragen anbietet, um die es heute in der Luftfahrt geht: Lärm, Spritverbrauch, Geschwindigkeit, Sicherheit, Umweltfreundlichkeit. Der Taurus Electro G2 ist das erste zweisitzige Serienflugzeug mit Elektroantrieb.
Die Produktpalette
Obwohl der Klapptriebwerk-Segler und der Panthera, der einen Hybridantrieb erhalten soll, die Stars des Unternehmens sind, kommen auch die übrigen Muster den genannten Anforderungen entgegen. Es sind hocheffiziente Flugzeuge mit den vergleichsweise leisen und sparsamen Rotax-Triebwerken. So verbraucht der Reisemotorsegler Sinus bei 200 km/h lediglich zehn Liter Autobenzin, und durch seine 27er Gleitzahl erreicht man aus Flight Level 65 oder 75 fast überall in Deutschland bei Motorausfall einen Flugplatz. Das Gesamtrettungssystem ist selbstverständlich, die mögliche Zuladung von 200 Kilo für ein UL keineswegs. Zwar wiegt der Virus etwas mehr, dafür fliegt er bis zu 270 km/h schnell und bei 200 genauso sparsam wie der Sinus.
„Anders als unsere Mitbewerber“, erklärt Tine, „konstruieren wir unsere Flugzeuge nicht um den Motor herum. Wir streben die bestmögliche Aerodynamik an, ohne im Langsamflug Sicherheitseinbußen in Kauf zu nehmen.“ Ob so die hochgesteckten Ziele beim Panthera zu schaffen sind: 200 Knoten „cruise“ bei zehn Gallonen Spritverbrauch pro Stunde (mit dem zunächst verwendeten Lycoming IO-390) und einer Reichweite von 1000 Nautischen Meilen? Bereits in eineinhalb Jahren soll die Hybrid-Version des futuristischen Viersitzers abheben. Der Chefentwickler verspricht: „Das Flugzeug wird in der Lage sein, ausschließlich mit Elektroantrieb zu starten und zu landen, das bedeutet eine Lärmminderung um acht Dezibel.“
Effizient auch bei der Entwicklung
Um die Ausgaben seines Unternehmens zu minimieren, setzt Ivo Boscarol auf Flexibilität. Nur die zehn ersten Exemplare eines Musters fertigt Pipistrel selbst. Dabei werden auftauchende Probleme analysiert, Lösungen entwickelt und die Herstellungsverfahren optimiert. Anschließend lagert man die Serienproduktion aus; vier Subunternehmen und 200 Zulieferer sind dafür zuständig. Die Endmontage findet jedoch bei Pipistrel statt. So entstanden bisher mehr als 1000 Flugzeuge – ein System, das die Krisensicherheit des Unternehmens erhöht.
„Wir können ein neues Flugzeug in sechs Monaten entwickeln“, sagt Tine. Das spricht für das hohe technologische Niveau und viel Erfahrung im Composite-Bau. Dennoch: Mit FAR/CS-23, also der Zulassung von Normalflugzeugen nach der EASA-Norm, haben die Slowenen keine Erfahrung. Das kommt bei der Panthera noch auf sie zu.
Derzeit gibt es Pipistrel-Vertriebspartner in über 40 Ländern. In einigen mehr fliegen die Maschinen aus Ajdovscina, 60 Prozent werden nach Europa verkauft. Südafrika, Australien, Frankreich und Deutschland sind die wichtigsten Abnehmer. Die internationale Präsenz schützt vor Umsatzeinbrüchen auf einem Kontinent.
Pipistrel – Ein Unternehmen der Zukunft
Ein gutes Produkt herzustellen ist eine Sache, es bekannt zu machen eine andere. Auch hier punktet Pipistrel: Adrettes Marketing, markantes Design, grünes Image und überzeugende Slogans – da zahlt sich Ivos Medienvergangenheit aus. Er versteht es, Fortschritt und Ökologie zu kombinieren. Zweifellos trifft er mit seiner „Ökolution“ den Geist der Zeit. „Was gestern Science-Fiction war, ist heute Wirklichkeit“, sagt er. Ivo ist ein Typ, der es gewohnt ist, die Hand zum Victory-Zeichen zu heben, statt sie hängen zu lassen.
Versucht man, die Funktionsweise seines Unternehmens zu begreifen, stößt man auf fünf Schlüsselfaktoren, die für den Erfolg verantwortlich sind. Da ist zunächst mal ein Chef, der das Ruder wirklich in die Hand nimmt und den Kurs bestimmt. Dann gibt es eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung, in der die Hälfte der Beschäftigten arbeiten. So entsteht Technologie, die laufend an aktuelle Aufgabenstellungen angepasst wird. Den Rahmen bietet eine Unternehmensstruktur, mit der man flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagieren kann. Und schließlich die gekonnte Kommunikation, sowohl intern als auch beim Auftritt nach außen. Das Ergebnis ist nicht nur eine respektable Position in der Luftfahrtbranche – Pipistrel hat bereits einen Fuß in die Zukunft gesetzt.
Text: Jean-Marie Urlacher, Fotos: Jean-Marie Urlacher, Pipistrel fliegermagazin 03/2012
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