Volksflugzeug: Von der Domiselle zum Volksplane
Die Idee ist etwa so alt wie die Motorfliegerei selbst: Fliegen als Mobilitätsform für alle, mit einem Apparat, den sich jeder leisten kann. Sehr sympathisch!
Hinter dem vieldeutigen Label Volksflugzeug, das sich mit der Eigenbau-Szene überschneidet, gibt es bekannte Namen – wie den Franzosen Henri Mignet. Und weniger bekannte – wie den Deutschen Arthur Deicke. Es gibt populäre Muster – wie den Pietenpol Air Camper. Und schrille Einzelstücke – wie die Avionette.
Das Verdienst, zumindest ideell das erste Volksflugzeug geschaffen zu haben, gebührt Alberto Santos-Dumont. In Frankreich, wo der Brasilianer die längste Zeit lebt, hat ihm die Luftfahrt viel zu verdanken. Seine No. 20 aus dem Jahr 1908, die als Demoiselle berühmt-berüchtigt werden soll, ist ausdrücklich für sportliche Zwecke vorgesehen. Der wohlhabende Konstrukteur verzichtet großzügig auf Patentansprüche und fordert die weniger betuchten Hobby-Piloten zum Nachbau des preiswerten Einfach-Fluggeräts auf.
Kein echtes Volksflugzeug: Mit der Demoiselle kamen nur leichtgewichtige Piloten zurecht
Etliche dieser Winzlinge sind tatsächlich hergestellt worden, doch kaum ein Original ist erhalten geblieben. Das mag mit ihren gemeingefährlichen Flugeigenschaften zu tun haben. Tatsächlich kommen damals nur extrem leichtgewichtige Piloten mit der Demoiselle zurecht, wenn überhaupt. Ein echtes Volksflugzeug wird sie nie – aber ein Symbol für das Fliegen um des Fliegens willen.
Für technisch orginelle Lösungen war Alfred von Pischof immer gut. Sein Autoplan (mit Fernwelle und Druckprop) hat sich schon 1910 in die österreichisch-ungarische Luftfahrtgeschichte eingeschrieben. Nach dem Krieg ist die Fachwelt entzückt von Pischofs Avionette, einem winzigen Doppeldecker, der 1920 herauskommt – eine Art Luftmoped. Der Pilot hockt recht steil auf einem simplen Stahlrohlrahmen, neben sich die fünf Meter langen Flächen, knapp vor sich ein knatternder 16 PS-Clerget-Boxer. Auf 4000 Fuß will der Konstrukteur damit gestiegen sein. Das Ende der Avionette kommt, als Pischof am 12. August 1922 in Villacoublay, auf dem großen Flugplatz bei Paris, tödlich verunglückt. Das Ende der Vision vom Volksflugzeug ist es nicht.
Auch in den USA träumt man davon. Kein Geringerer als Charles Lindbergh dreht 1927 eine Runde mit dem Ford Flivver – aber nur ein Mal, denn sein Urteil fällt vernichtend aus: „eines der schlechtesten Flugzeuge, die ich je flog“. Doch Testpilot Harry Brooks hält viel von dem kleinen Gemischtbau-Einsitzer. Henry Ford mag den begeisterungsfähigen Werkspiloten, der ansonsten die große Ford Trimotor fliegt, und lässt sich von dem 25-Jährigen zu diesem „Model T of the Air“ inspirieren.
Model T of the Air: nur drei Exemplare werden gebaut
Besonders ernst nehmen die Ford-Werke in Detroit das Projekt allerdings nicht. Nur drei Exemplare werden gebaut. Die erste Version (mit Anzani-Dreizylinder) hat keine fünf Meter Spannweite, die letzte immerhin 6,7 Meter. Ein Ford-Zweizylinder treibt sie an. Damit macht sich Brooks im Februar 1928 auf den Rekordflug von Detroit nach Miami. Er kommt nie an. Der Ford Flivver wird an Floridas Ostküste gefunden, halb im Wasser versunken. Der Pilot bleibt verschollen. Henry Ford macht sich persönlich Vorwürfe wegen der Tragödie und lässt das Projekt fallen.
Eine bemerkenswerte Fußnote in Sachen Volksflugzeug verbindet sich mit dem Namen Willy Messerschmitt. Besucher der Deutschen Luftsport-Ausstellung (DELA) 1932 in Berlin stehen kopfschüttelnd vor allerlei futuristischen Aviatik-Entwürfen in der Haupthalle. Noch der vernünftigste dort: die M 33 der Messerschmitt-Flugzeug GmbH auf dem Stand der Bayerischen Flugzeugwerke (BFW). „Das Bausatz-Flugzeug – Die Ideallösung für den Selbstbauer“, wird eine Zeitschrift später dazu schreiben. Die Zeiten sind schlecht; Flugzeughersteller tun alles, um die Durststrecke zu überleben. Vielleicht erklärt sich so der „Idealtyp für den Volksflugsport“. Doch das ausgestellte Gerät ist lediglich eine Attrappe und wird schnell vergessen.
Hans Grade fliegt wieder: Für seine Version des Volksflugzeug erntet Hans Grade positive Kritik
Auch eine andere Größe der deutschen Luftfahrt präsentiert sich 1932 auf der DELA: Hans Grade aus Bork. Sein neuer Typ 1932/33 A ist vom Mund abgespart, dessen Vierzylinder-Zweitakter ebenfalls. Jeder sieht, dass Grades Volksflugzeug (das schon für 2800 Mark zu haben ist) sich nicht wesentlich von seinen Erfolgskonstruktionen der Vorkriegsjahre unterscheidet. Doch der Respekt vor dem verehrten Motorflugpionier ist so groß, dass sich die Berichterstattung mit Kritik
zurückhält. „Hans Grade fliegt wieder!“, schreibt die Berliner Morgenpost freundlich.
Grade und den Westfalen Arthur Deicke zeichnet aus, dass sie sowohl ihre Flugzeuge als auch deren Motoren selbst gebaut haben. Seit 1910 ist Deicke in der Motorluftfahrt aktiv, mit bescheidensten Mitteln. Seine frühen Konstruktionen sind aufs Wesentlichste reduziert. Als Mechanikermeister lebt und arbeitet der Westfale in Regensburg und schließlich in München. Dort entsteht 1933/34 die ADM 11, sein ausgereiftestes Flugzeug.
Volksplane VP-1: Bud Evans erfüllt seinen Kindheitstraum
Der Schulterdecker mit einem Abfluggewicht von 260 Kilo besteht ganz aus Holz. Der durchgehende, freitragende Flügel spannt knapp neun Meter bei nur acht Quadratmetern Fläche. Zuerst muss sich die ADM 11 mit 12 PS
begnügen, später sind es etwa 20 PS. Der NS-Staat weiß wohl nicht so recht, was er mit dem Einsitzer anfangen soll – es bleibt beim Einzelstück. Viele Jahre später kann der Rumpf noch kurz vor seiner Vernichtung gerettet werden; bei Bitz in Augsburg wird die fehlende Tragfläche ergänzt. Arthur Deicke, der Idealist und Pionier, ist heute in Deutschland fast vergessen.
USA, gut drei Jahrzehnte später. Volksplane – da steckt die Idee schon im Namen. Auf ganz wenige Fluggeräte trifft die gängige Metapher von der „fliegenden Kiste“ so gut zu wie auf die Evans VP-1 Volksplane. Der Kalifornier Bud Evans hat als Flugzeugingenieur für Convair, Ryan und General Electric gearbeitet. Erst im Ruhestand findet er Zeit für die Verwirklichung eines alten Jugendtraums: ein Flugzeug, wie er es sich vorstellt! Und so holt Evans 1966 seinen Rechenschieber heraus und beginnt mit der Konstruktion – ein Tiefdecker mit abgestützten Flächen. Flugsicherheit spielt eine Rolle; Eleganz und Performance sind untergeordnet. Wie sich zeigen wird, ist dennoch einfacher Kunstflug möglich. Im September 1969 fliegt Evans sein Volksplane ein. Freunde regen den Konstrukteur zur kommerziellen Verwertung an.
Eigenbau-Szene: Rund 6000 Plansätze wurden verkauft
In den USA mit ihrer quirligen Eigenbau-Szene wird das billige und simple, aber professionell durchkonstruierte Volksplane (mit VW-Käfer-Motor) schnell populär. Im Laufe der Jahrzehnte gelangen rund 6000 Plansätze unters Fliegervolk. Jene, die ihr Projekt vollendet haben, sagen zumeist, der Bau sei mit dem eines gigantischen Flugmodells vergleichbar. Der Rumpf besteht aus Sperrholz mit Innenversteifung, die Tragfläche hat einen Brett-
holm, der Grundriss ist rechteckig und somit eine Rippe wie die andere. Nur eine Handvoll Beschläge sind aus Metall. Mit seinen 200 Kilo Leermasse würde der Einsitzer heute als UL durchgehen.
Nur wenige Jahre nach dem ersten Volksplane werden die erste Ultraleichtflugzeuge, die auch so heißen, den alten Gedanken vom Allerweltsflugzeug aufgreifen – mit bekanntem Ergebnis: bezahlbares Spaßfliegen für jeden, der es mag. Etwas anderers ist der aktuelle Hype um den fliegenden Individualverkehr in großem Stil, der den Luftraum in einen Hexenkessel zu verwandeln imstande ist. Der leibhaftig gewordene Alptraum aller Privatpiloten und Luftsportler. So hatte man sich das Volksflugzeug definitiv nicht vorgestellt.
Text: Stefan Bartmann
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