Ultraleicht Pilot Report: Kiebitz mit UL Power 260i
In puncto Beliebtheit lässt der Nostalgie-Doppeldecker Kiebitz manches Highend-UL alt aussehen. Seit kurzem fliegt ein Exemplar mit exklusivem Antrieb: dem belgischen Motor UL Power 260i. Die Kiebitz-Baunummer 321 hält aber noch weitere Überraschungen parat
Ein sattes Wummern fegt über die Abstellfläche. Nicht aufdringlich, aber doch kernig. Beim Näherkommen sehe ich, wer da eine Klangprobe zum Besten gibt, und stelle fest: Der optische Eindruck steht dem akustischen in Nichts nach. Ein Doppeldecker mit einer Note künstlerischer Individualität. Die strahlende Nachmittagssonne setzt den Flieger dazu ins rechte Licht. Es ist Kiebitz-Wetter. Wir wollen gleich in die Luft gehen.
Axel Bruse und seine Mitstreiter haben mit diesem Maschinchen das geschaffen, wovon viele Piloten träumen: ein Flugzeug, das andere vor Neid erblassen lässt. Die Krönung: Ein Sponsor hat das Projekt mitfinanziert. Herrenmode. Nicht gerade naheliegend, aber durchaus kreativ. Anlass dazu bot die Herren-Kollektion „airborne“ des Modelabels M.E.N.S. Dessen Urheber, das Bückeburger Traditionsunternehmen Heinecke & Klaproth, beauftragte den Künstler Udo Halstenberg, eine passende Lackierung für den Doppeldecker zu entwerfen. Das Ergebnis: Zwei stilisierte Piloten-Körper auf dem Rumpf geben dem Kiebitz ein unverwechselbares Äußeres.
Für die unkonventionelle Werbefläche spendierte der Herrenausstatter den Selbstbauern Motor, Bespannung und Lackierung. Überhaupt – Kreativität und innovative Lösungen gehörten bei diesem Projekt von vornherein zum Konzept. Zusammen mit Bodo Landeck und Jörg Wolter will Bruse einen Kiebitz-Doppeldecker bauen. Es soll kein Nullachtfünfzehn-UL werden. Klar, die Kiebitz-Philosophie muss unangetastet bleiben: ein Frischluft-Flieger, gemütlich und nostalgisch. Aber mit einem modernen Triebwerk, gewissermaßen einem neuen Herzen. Und zwar einem, das konzeptionell klassischen Flugmotoren entspricht und daher jene Nostalgie nicht gleich beim Anlassen zerstört.
Der belgische Vierzylinder-Boxer-Motor UL Power 260i ist modern aber akustisch angemessen
Ein Getriebemotor wie der Rotax scheidet also aus. Die Alternative, modern, aber dennoch akustisch angemessen: der belgische UL Power 260i. Der luftgekühlte Vierzylinder-Boxer mit Direktantrieb gleicht zwar einerseits den altbekannten E-Klasse-Triebwerken von Continental und Lycoming, bietet aber andererseits jene moderne Technik, die bei Autos schon lange Standard ist. Dazu gehört eine Multipoint-Einspritzanlage.
Gleich mehrere Nachteile konventioneller Vergasermotoren sind damit beseitigt: Beim Kaltstart ist der Choke überflüssig, auch die manuelle Gemischanpassung (Leanen) entfällt. Die optimale Gemischmenge wird durch eine Full Authority Digital Engine Control (FADEC) geregelt. Ebenso gehören die Angst vor Vergaservereisung wie auch die Bedienung einer Vergaservorwärmung und nicht zuletzt Leistungsverlust durch erwärmte Ansaugluft der Vergangenheit an. Drosselklappenstellung, Öl- und Saugrohrtemperatur sowie Außendruck werden vom FADEC-System berücksichtigt. Die elektronische Doppelzündung mit variablem Zündzeitpunkt arbeitet ebenfalls vollautomatisch.
Aus 2,6 Litern Hubraum holt der Motor 95 PS bei 3300 Umdrehungen pro Minute heraus, bei 2800 Umdrehungen bleiben immer noch 80 PS. Da der belgische Boxer aufgrund der strengen Lärmanforderungen für ULs deutlich unter Nenndrehzahl betrieben werden muss, sind diese 80 PS für die Praxis maßgeblich. Sein Potenzial kann der Direktantriebler in einem UL also nicht voll entfalten. Die Startdrehzahl im Kiebitz liegt bei 2500 Umdrehungen, der Maximalwert beträgt etwa 3300. Bei moderaten 2200 Umdrehungen im Reiseflug fließen etwa 13 Liter pro Stunde in die Zylinder.
Was das Gewicht angeht, so hat der Belgier im Vergleich zu den Konkurrenten Rotax (zirka 69 Kilo) und Jabiru (zirka 64 Kilo) das Nachsehen: Einschließlich Auspuff bringt er 72,3 Kilo auf die Waage. Aber schließlich macht in diesem Fall eben buchstäblich der Ton die Musik.
Einen Kiebitz mit UL 260i und deutscher Zulassung hat es bislang noch nicht gegeben. Bau und Zulassung sind also mit erhöhtem Aufwand verbunden: Für den modernen Vierzylinder braucht der Kiebitz einen neuen Motorträger. Der muss geprüft werden. Außerdem ist für die erweiterte Musterzulassung eine Lärmmessung vorgeschrieben. Solche Hürden schrecken die drei Selbstbauer allerdings nicht ab.
Mit der Spezialfolie Oratex UL 600 wiegt der Kiebitz zehn bis zwölf Kilo weniger
Auch in Sachen Bespannung und Lackierung gehen sie neue Wege. Oratex UL 600 heißt ihre Lösung. Mit der Spezial-Folie der Firma Oracover aus Leipzig wiege der Kiebitz etwa zehn bis zwölf Kilo weniger als bei der üblichen Bauweise, schätzt Bruse. Das Material sei außerdem einfacher und schneller zu verarbeiten als konventionelle Folien, da Füller/Spannlack und Grundfarbe bereits integriert sind. „Das hat uns viel Zeit und Arbeit erspart“, sagt Bruse. „Im Herbst 2006 haben wir angefangen. Nach 18 Monaten war der Kiebitz fertig.“
Wir rollen zur Piste 05. Check der beiden Zündkreisläufe, Startfreigabe und los. Nach wenigen Augenblicken ist das Heck oben, dann sind wir auch schon in der Luft. Der 260i zieht den Doppeldecker kraftvoll in den Himmel. Wir nehmen Kurs auf das Wiehengebirge, dort wo der alte Kaiser Wilhelm sich im Bergwald ein Denkmal errichten ließ. Kiebitz und Kiebitz-Piloten fühlen sich hier richtig wohl: stille Luft, mildes Abendlicht und eine Landschaft, die Barnstormer-Herzen höher schlagen lässt.
Die Ruder sind leichtgängig, aber nicht zu direkt. Zwar merke ich schnell, dass der Kiebitz auch mit diesem Motor nicht zum wendigen Jäger wird. Aber dadurch ist das Vergnügen, das er bereitet, nicht im Geringsten getrübt.
Warum aber ein Triebwerk, das schwerer und weniger bewährt ist als die Konkurrenten und bei dem der Service nicht gegen die Platzhirsche ankommt? Warum etwas Neues wagen, wenn ein einfacherer, bequemer Weg so nahe liegt? Als wir – erlaubterweise – auf den Queranflug verzichten, aus dem Gegenanflug eng ins Endteil einzirkeln und der Kiebitz kurze Zeit später mit seinem satten Bariton vor der Halle zum Stehen kommt, sind diese Fragen wie weggewischt.
Ein Flugzeug dieser Art entsteht nicht aus rein funktionalen Erwägungen. Wenn es in seiner Gesamtheit, durch seine Erscheinung, seinen Klang, seinen Charakter Freude macht, ist es gelungen. Und die Selbstbauer an der Porta Westfalica haben alles richtig gemacht. Noch ist die Baunummer 321 ein Einzelstück. Aber das soll sich bald ändern: Die Kiebitz-Nummern 265 und 341 stehen schon in Jörg Wolters Werkstatt und bekommen demnächst auch ein belgisches Herz und eine neue Haut aus Leipzig verpasst.
Text: Samuel Pichlmaier; Fotos: Cornelius Braun; fliegermagazin 12/2009
- Leichtflugzeugbau Platzer, Web-Adressen: www.kiebitzflieger.de, www.jw-air.de, www.buegelfolie.de, www.ulpower.com/index.html, www.mens-airborne.de, www.ultralight-concept.be
- 7,60 m
- 18,33 m2
- 6,90 m
- 2,90 m
- 65 cm
- 260 kg
- 450 kg
- 64 l
- UL Power 260i / 95 PS
- Helix, 2-Blatt, CfK, 1,95 m
- 5,5 m/s (einsitzig), 3,5 m/s (mit Passagier)
- 4 h plus 10 l Reserve
- 38 000 Euro (Materialwert)
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