Ultraleicht

UL-Pilot-Report: Aerolite 120

Ein Sitz, ein paar Rohre, ein Einzylindermotor, ein Traum: fliegen – so einfach wie möglich. Die Aerolite 120 macht ihn wahr. Der Pilot dieses „Leichten Luftsportgeräts“ muss nicht mal zum Fliegerarzt

Von Peter Wolter
UL-Pilot-Report: Aerolite 120

Ein Rohr-Tuch-Einsitzer mit Zweitaktmotor – na ja … Gab’s auch schon vor dreißig Jahren. Was soll an dem Gerät interessant sein? Und wie kommt es, dass jemand in Deutschland eine Firma gründet, um so ein UL zu vermarkten? Gäbe es die 120-Kilo-Klasse nicht – wäre die Aerolite dann vollkommen uninteressant? Solche Fragen gehen mir durch den Kopf, als ich in Pasewalk Thilda und Wolfgang Labudde besuche. Die beiden haben die Firma Vierwerk gegründet, Hersteller der Aerolite 120. Wolfgang war mal Kundendienstleiter bei Remos, daher der Standort in der Uckermark. Remos, Composite, hochwertige Bauweise, Einstiegspreis über 100 000 Euro, ein Riesenwerk am Flugplatz – und jetzt dieser kleine Wiesenschleicher? „Es kommen keine neuen Leute zur Fliegerei, wenn alles exorbitant teuer ist“, sagt Thilda. Als Personalmanagerin in ihrem früheren Leben ist sie bei Vierwerk unter anderem für Marketing und Verkauf zuständig.

„Unser UL“, fährt sie fort, „soll die Lust am Fliegen vermitteln, und das muss finanzierbar sein“. Mit 24 500 Euro flugfertig inklusive Steuer ist die Aerolite 120 tatsächlich fast der billigste UL-Dreiachser auf dem deutschen Markt; nur Wellers ULI NG kostet weniger. Wer das Vierwerk-Gerät dann noch für kleines Geld hangariert, etwa unterm Dach einer Halle hängend (wenig Gewicht, kein Spannturm, also geringe Höhe), kommt wirklich günstig in die Luft. Lust am Fliegen, hm. Es ist Februar und kalt. Und die Aerolite offen – nein, sie ist nicht mal offen im Sinne eines offenen Cockpits; sie hat gar keins, sie ist unverkleidet. Gut, die Windschutzscheibe … Worauf habe ich mich da eingelassen! Ja worauf eigentlich? Die Technik des Fliegers ist schlicht; was sich nicht durch Augenschein erschließt, erklärt mir Wolfgang. Weil sein früheres Leben als Flugtriebwerkmechaniker genauso interessant ist wie das seiner Frau, fangen wir beim Motor an.

„Es sind auch jüngere Leute, die sich für unser Gerät begeistern lassen“ – Thilda Labudde, Geschäftsführerin Vierwerk GmbH

Der Hirth F33 AS ist ein membrangesteuerter Einzylinder, dessen 28 PS per 2,5-zu-1-Untersetzung einen großen Holzpropeller bewegen. Er hat eine Doppelzündung und einen Elektrostarter. Am Auspuff fällt ein Zusatzschalldämpfer des Motorschirmherstellers Fresh Breeze auf. Gänzlich unspektakulär ist die Rohr-Tuch-Bauweise. Aber robust. Und simpel – was sich bei Herstellung und Reparaturen auszahlt. Die Struktur besteht weitgehend aus Alurohren der Luftfahrtlegierung T6061-T6, die Textilhülle (keine aufgeklebte Bespannung) aus Dacron, einem geharzten Polyestergewebe. Quer- und Höhenruder sowie die elektrisch betätigten Landeklappen werden von Teleflex-Zügen angesteuert, die auf Zug und Druck arbeiten, zum Seitenruder führen Seile. Mit den Pedalen wird gleichzeitig das Bugrad gelenkt. Dessen Teleskopfahrwerksbein ist mit einer Druckfeder versehen, um Stöße zu schlucken; die Haupträder sind an dickwandigen GfK-Rohren montiert und haben mechanische Trommelbremsen.

Tank und Rettungssystem befinden sich hinterm Sitz. Ursprünglich stammt die Aerolite aus den USA. Dort wurde sie 1997 in Oshkosh vorgestellt, wo sie den Preis „Grand Champion Ultralight“ gewann. 2012 verkaufte Konstrukteur Terry Raber die Rechte an Dennis Carley, dessen Firma U-Fly-It das Gerät nach den US-Regularien als Aerolite 103 baut. Vierwerk ist seit Ende 2013 offizieller Hersteller für Europa, nicht nur Musterbetreuer. Die Geräte kommen teilmontiert von U-Fly-It und werden in Pasewalk fertiggestellt. Bis heute sind insgesamt über 200 Aerolite produziert worden. Um die Anforderungen der deutschen Bauvorschrift LTF-L erfüllen zu können, hat Vierwerk bei der „120“ einige Änderungen gegenüber der US-Version vorgenommen. Zum Beispiel brachte eine modifizierte Struktur des Leitwerksträgers mehr Torsionsstabilität des Höhenleitwerks bei einseitiger Belastung. Ohne Pilot ist die Aerolite 120 ein Taildragger: Dann berührt das kleine Heckrad den Boden.

Die Zwei von Vierwerk: Thilda und Wolfgang Labudde beleben mit ihrem bunten Einsitzer die Klasse der Leichten Luftsportgeräte

Als ich einsteige, kippt sie aufs Bugrad. Gegen die Kälte habe ich mir eine Sturmhaube übergezogen, Helm und Handschuhe können auch nicht schaden. Funk? Gibt’s noch nicht, soll aber bald angeboten werden. Das Cockpit … okay, also das, was man Cockpit nennen würde, wenn die Aerolite eins hätte, ist schön luftig; ein Boden vor dem Sitz würde bloß die Sicht nach unten verschlechtern, die Füße liegen dennoch im windgeschützen Bereich der Frontverkleidung. Allerdings rutschen sie mir am Boden mehrmals von den Pedalen; deren horizontale Auflagen könnten größer sein. Die linke Hand ist für Gas- und Bremsen zuständig, die rechte für das Steuerhorn – und zur Not fürs Rettungssystem. Zieht man dessen Griff, wird automatisch die Zündung des Motors lahmlegt. Zwar schreibt das Notverfahren vor, erst den Motor abzustellen und dann den Fallschirm zu aktivieren, damit die Hauptleinen nicht in den Prop geraten, aber falls der Pilot in Panik nicht daran denkt, stirbt der Motor wenigstens gleichzeitig mit dem Ausschuss ab.

Oberhalb des Rettungsschirmgriffs verrät ein Steigrohr, wie’s um den Kraftstoffvorrat steht, das Panel bietet Rundinstrumente für Geschwindigkeit, Höhe, Steigen/Sinken sowie Zylinderkopf- und Abgastemperatur. Libelle, digitaler Drehzahlmesser und Kompass ergänzen die Instrumentierung. Optional gibt’s ein Kombiinstrument, das sich am zentralen Rumpfrohr vor dem Piloten festkletten lässt. Für Gepäck hat die Vorführmaschine Reißverschlusstaschen aus Cordura, die links und rechts des Sitzes befestigt sind. Sie kosten 200 Euro extra. Überm Kopf des Piloten ist die Schaltzentrale für den Motor: Hauptschalter-Schlüssel drehen, beide Zündschalter ein, mit der rechten Hand den Choke halten (er stellt sich von selbst zurück) und mit der linken den Starterknopf drücken. Der Hirth springt sofort an. Oha! Der Sound ist unerwartet satt, da scheint der Prop den Ton anzugeben und nicht der Zweitakter. Für den Start lasse ich die Landeklappen drin.

Luftig: Der Pilot hat eine grandiose Sicht – er steuert mit einer Kombination aus Knüppel und Horn

Beim Rollen kommt mir die Bugradsteuerung anfangs etwas sensibel vor, doch im Startlauf richtet das zunehmend wirksamer werdende Seitenruder den Flieger geradeaus. Schon in wenigen hundert Metern Höhe nehme ich das Gas zurück. 5800 Umdrehungen pro Minute hat mir Wolfgang für den Reiseflug empfohlen. Dabei lese ich 90 km/h ab. Vollgas rein und schauen, was maximal geht … 110 km/h bei 6500 rpm. Zieht man die Fahrt weg, erreicht die Steigrate bei 75 km/h ihren Höchstwert von gut zwei Metern pro Sekunde. Dass es keine Trimmung gibt, empfinde ich nicht als Mangel – vielleicht hat die geringe Ruderrückstellkraft auch mit den Teleflex-Zügen und deren Eigenreibung zu tun. Dennoch ist der Ruderdruck um die Querachse angenehm gering. Auch die Abstimmung des Seitenruders passt, was bei Geräten dieser Art wichtig ist, denn Richtungsänderungen steuert man primär mit den Pedalen, nicht mit dem Querruder: Langsam und „flach“ geht’s um die Ecke, rechtlich sind zudem nur 45 Grad Querneigung erlaubt, nicht 60 wie bei „normalen“ ULs.

Trotzdem enttäuscht mich die Querruderwirkung. Beim Schräglagenwechsel vergeht sehr viel Zeit, und die Steuerkraft ist unangenehm hoch. Hier gilt der Moyes Dragonfly als Maß der Dinge: Dessen Flaperons (kombinierte Querruder/Landeklappen) reichen über die gesamte Spannweite, brauchen wenig Ruderdruck und wirken selbst im Langsamflug extrem gut. Wenn man in der 120-Kilo-Klasse schon langsam unterwegs ist und nicht besonders weit kommt, weil höchstens 25 Liter Sprit erlaubt sind, will man zum Rumkurven wenigstens ein agiles Gerät. Die Längsachsenträgheit der Aerolite schränkt den Piloten zwar in den wenigsten Flugsituationen ein, etwa im Hinblick auf Kurvenradien, aber es fühlt sich besser an, das Querruder zum Freund zu haben, statt zum Gegner. Ein objektiver Nachteil ist die dürftige Querruderwirkung dann, wenn man von Turbulenzen ausgehebelt wird, besonders in Bodennähe.

Am besten mit Schleppgas:
Die Aerolite lässt sich mit und ohne Klappen landen, der Fahrtunterschied ist gering

Die Quer- und Höhenruderbedienung per Steuerhorn am Knüppel erfordert keinerlei Eingewöhnung – das funktioniert intuitiv. Im Kniebereich muss ich allerdings die Beine etwas spreizen, wenn ich am Rad drehe, sonst stoßen sie an. Zieht man die Aerolite in den Strömungsabriss, setzen leichte Nickbewegungen ein, bevor der Flieger die Nase senkt, mal nach links, mal nach rechts, aber nie heftig. Mit Klappen rutscht die Stallspeed um zwei bis drei km/h nach unten – aber kommt’s darauf an? Eine akurate Messung ist bei meinem Probeflug nicht möglich, schon wegen des hohen Anstellwinkels kurz vor dem Strömungsabriss; deshalb weiß ich nicht, ob die Aerolite auch ohne Flaps die geforderten 55 km/h CAS schaffen würde. Würde sie es, gäbe es kein Argument für Landeklappen. Sinnvollerweise müssten sie dann Querrudern über die gesamte Spannweite weichen. Unabhängig davon ist die Handhabung der Flaps unpraktisch: Der Pilot muss über seinem Kopf hinter den Motorschaltern eine Doppeltaste drücken.

Ohne nach oben zu schauen, habe ich sie im Flug nicht gefunden. Im Landeanflug, umgeben von Verkehr, will man nicht gezwungen sein, die Luftraumbeobachtung zu vernachlässigen, um den Klappenschalter zu finden. Heute ist in Pasewalk außer mir niemand unterwegs. Die luftige Fliegerei macht richtig Spaß. Ich genieße den freien Blick auf die Landschaft, fühle mich aber nicht so ausgesetzt wie auf einem ungemütlichen „Besenstil“-Rumpf à la Hummer. Irgendwann wundere ich mich, dass ich überhaupt nicht friere: Die Frontverkleidung schützt erstaunlich gut, und dank Pusher-Antrieb wirbelt auch kein Propellerstrahl um die Verkleidung herum ins Cockpit (das es nicht gibt). Meine Landung ist allerdings grauenhaft: Ich komme mit 75 km/h rein, wie empfohlen, fange ab, ziehe und … klatsch! Ohne zu springen sitzt die Kiste auf der Bahn – es muss wie eine Flugzeugträgerlandung ausgesehen haben.

Gut gemacht: Hauptfahrwerk aus GfK, Zelle aus Alu. Beides verkraftet extreme Landestöße

Ich hatte vergessen, wie wenig Energie solche Rohr-Tuch-ULs im Sinkflug speichern – und beim Abfangen fehlte sie dann. Schneller anfliegen ist nicht die Lösung, sondern flacher und mit Schleppgas. Es spricht für das Fahrwerk, dass es den Landestoß klaglos weggesteckt hat. Seit November 2014 darf die Aerolite in der 120-Kilo-Klasse fliegen. Für Piloten bedeutet das unter anderem, dass sie kein Medical brauchen. Thilda Labudde kann aber nicht bestätigen, dass sich nur Leute für den Einsitzer interessieren, die kein Medical (mehr) bekommen: „Das Medical interessiert uns überhaupt nicht. Wir wollen mit seriöser Arbeit der 120-Kilo-Klasse zu einem guten Ruf verhelfen.“ Tatsächlich gebe es auch jüngere Interessenten und Privatpiloten, die das ursprüngliche Flugerlebnis suchten – wie etwa ein Katana-Halter, der sich die Aerolite 120 nun als Zweitflugzeug zulegt.

Das Abenteuer kann kommen: 120 Kilo Flugzeug – damit lässt sich der Traum vom Fliegen erfüllen

Nichtfliegern will Vierwerk die Maschine inklusive Pilotenschein für 30 000 Euro anbieten. 30 000 Euro – in der Fliegerei ist das wenig, für ein Hobby aber immer noch viel. Die Bereitschaft, dieses Geld auszugeben, wäre wohl größer, wenn die Aerolite 120 irgendeine suggestive Kraft hätte, die sie begehrenswert machen würde, wie eine „customized“ Harley oder ein kultiger Lotus Seven. Doch dazu fehlt ihr auch wegen des Zweitaktmotors das Charisma. Vielleicht würdeein blubbernder Viertakter helfen, etwa ein „kleiner Harley“-V2 von Briggs & Stratton – sofern er das Gewichtslimit nicht sprengt. So aber bleibt es für Leute, die lieber fliegen, als in ihrer Freizeit andere Spaßfahrzeuge zu bewegen, bei einem gut gemachten Produkt, mit dem sich die Vorzüge der 120-Kilo-Klasse genießen lassen.

fliegermagazin 4/2015

Technische Daten
Aerolite 120
  • Vierwerk, Ausbau 2, 17379 Rothemühl, Telefon: 03977/22 66 88, www.aerolite120.com
  • 8,18 m
  • 10,81 qm
  • 5,02 m
  • 1,98
  • 120 kg
  • 250 kg
  • 19 l
  • Hirth F33 AS (Einzylinder-Zweitakter, luftgekühlt)/28 PS
  • ca. 7,5 l (bei 5800 rpm und 90 km/h)
  • ca. 2 m/sec
  • ca. 2 Std. plus 30 Min. Reserve
  • 24 500 Euro inkl. Mwst.
Über den Autor
Peter Wolter

Peter Wolter kam vom Drachenfliegen zur motorisierten Luftfahrt und von der Soziologie zum Journalismus. Er steuert ULs sowie E-Klasse-Maschinen und hat sein eigenes UL (eine Tulak) gebaut.

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