Flugzeuge

Ruschmeyer R 90-230 RG im Klassiker-Porträt

Composite-Bauweise, effizienter Antrieb, Glascockpit – Horst Ruschmeyer wollte schon in den achtziger Jahren so ein Flugzeug bauen. Am Endeentstanden aber nur 30 Exemplare eines hochinteressanten Musters.

Von Thomas Borchert
Ruschmeyer R 90-230 RG im Klassiker-Porträt
Ihrer Zeit voraus: Das schnittige Kunststoff-Design der Ruschmeyer sorgt für Effizienz und sehr gute Leistungen. Bild: Christina Scheunemann

Was da in Schönhagen vor uns steht, sieht aus wie ein modernes Flugzeug à la Cirrus oder Diamond: geschwungene Linien und glatte Oberflächen, wie sie Kunststoffbauweise möglich macht, Vierblatt-Prop, große Fenster. Nur das Einziehfahrwerk entspricht nicht der derzeitigen Mode – und vielleicht auch das Wurzelholz im Cockpit. Was ist das für ein Flugzeug?

Man muss die Ruschmeyer R 90-230 RG nicht kennen. Schließlich gibt es nur 27 fliegende Exemplare. Aber man sollte. Denn sie ist ein Meilenstein des Flugzeugbaus – zumal des deutschen. Und sie war ihrer Zeit weit voraus: In der Ruschmeyer sind die heute so erfolgreichen Konzepte von Cirrus und Diamond bereits deutlich zu erkennen – obwohl das Flugzeug mehr als ein Jahrzehnt früher entstand.

Ruschmeyer R 90-230 RG: Es gibt nur 27 fliegende Exemplare

Es ist Anfang der achtziger Jahre. Der Boom der Allgemeinen Luftfahrt (AL) ist dabei, sich massiv abzukühlen. Binnen weniger Jahre wird die Produktion von Kolben-Einmots massiv einbrechen. In Deutschland wird intensiv über Fluglärm und Spritkosten diskutiert. Die Allgemeine Luftfahrt rutscht in eine große Krise. Horst Ruschmeyer, Chef eines Luftfahrttechnischen Betriebs in Melle bei Osnabrück, hat genaue Vorstellungen davon, wie ein modernes Flugzeug aussehen sollte, mit dem die AL wieder eine Chance hat: leise und effizient, aus Kunststoff gebaut, mit einem sparsamen Wankelmotor und Bordcomputer sowie Bildschirmanzeigen statt Uhrenladen.

DesignDesign
Gelungen: Wie eine Mischung aus Mooney und Cirrus wirkt die Ruschmeyer mit ihren gefälligen Kunststoff-Kurven und dem niedrigen Fahrwerk. Bemerkenswert sind die nach vorn oben herumgezogenen Seitenfenster, die für gute Sicht sorgen.

MF-85 heißt dieser erste Entwurf – man beachte die Jahreszahl. Ruschmeyer entscheidet sich für die Verwendung von Vinylesterharz statt des üblichen Expoxidharzes und lässt es für die Luftfahrt zu – das Material verspricht bessere Eigenschaften bei höheren Temperaturen, hat aber noch keine Luftfahrtzulassung. Doch dann begegnet er einem Problem, das einmotorige Flugzeuge bis heute plagt: Woher einen modernen Motor mit ausreichender Leistung nehmen? Aus dem Wankel wird nichts – die Entwicklung zieht sich hin. Da erscheint der Porsche-Flugmotor auf dem Markt. Perfekt für das Projekt: elektronische Motorsteuerung, hohe Effizienz, geringe Lärmentwicklung.

Porsche zieht sich aus der Fliegerei zurück

Es bleibt bei der Jahreszahl 85, die Testflüge sind erfolgreich. Dann die Katastrophe: Porsche gibt auf und zieht sich aus der Fliegerei zurück! Ruschmeyer muss zurück zu den Motor-Dinosauriern – und stellt fest, dass auch die sich auf leise und effizient trimmen lassen: Er entscheidet sich für den sechszylindrigen Lycoming IO-540, begrenzt aber die Drehzahl auf 2400 rpm und baut eine spezielle Auspuffanlage sowie einen Vierblatt-Propeller von MT an. 230 PS leistet der IO-540 so – anderswo läuft er mit bis zu 350.

Vierblatt-Prop Vierblatt-Prop
Lärmbewusst: Der Vierblatt-Prop wird mit relativ niedriger Drehzahl betrieben, was das Flugzeug sehr leise macht.

All die Modifikationen ziehen sich hin: Am Ende heißt das Flugzeug R 90, seine Zulassung erhält es 1992 als R 90-230 RG – R für Ruschmeyer, 90 für das Jahr, 230 für die Leistung, RG für Einziehfahrwerk. Denn es gibt weitere Pläne: für gleich zwei Festfahrwerks-Varianten unterschiedlicher Leistung und sogar eine Turboprop. Die fliegt als Prototyp sogar nach Oshkosh. Doch 1995 wird der Hersteller zahlungsunfähig, die Firma ein Jahr später aufgelöst. Bis 2005 entstehen aus dem Teilevorrat inklusive aller Prototypen 30 Exemplare. Nur das, was wir heute Glascockpit nennen würden, hat es nicht ins endgültige Flugzeug geschafft: Die Technik ist damals noch nicht so weit. Doch Avionik kann man nachrüsten!

Die letzte Ruschmeyer mit Glascockpit

In Schönhagen steht die D-EECR, mit Baunummer 30 die letzte Ruschmeyer, die je gebaut wurde. Seit fünf Jahren gehört sie Klemens Klein: „Zum 40. Geburtstag gab es ein eigenes Flugzeug für mich.“ In drei Stufen hat er den Uhrenladen zum Glascockpit gemacht: Erst kam das digitale Motorüberwachungsinstrument EDM-900, dann zwei GPS-Navigatoren IFD540 und IFD440, schließlich noch ein Primary Flight Display von Aspen Avionics. So ist die Vision von Horst Ruschmeyer komplett.

AvionikAvionik
Ordentlich aufgerüstet: Vom Uhrenladen ist die D-EECR mit Aspen PFD, Avidyne-IFR-Navigatoren und der digitalen Motorüberwachung von JPI schon weit entfernt.

Rund 80 Stunden pro Jahr fliegt der Berliner Unternehmer mit seiner R 90: „Wir haben ein Haus in St. Peter Ording. Ich fliege hin, die Familie fährt“, erklärt er lachend. Auch für geschäftliche Reisen setzt er die Ruschmeyer ein – die Werbung am Rumpf bezieht sich auf einen Unternehmenszweig, der sich mit Flugsimulation beschäftigt. Wie kommt man auf so einen Exoten? „Eigentlich wollte ich eine gebrauchte Cirrus kaufen. Aber dann zögerte der Verkäufer, und die R 90 kam auf den Markt. Und ich erinnerte mich, dass ich sie schon 1992 auf einer Messe gesehen hatte“, erklärt Klein. Damals war er als junger Pilot begeistert von dem futuristischen Flugzeug. „Und dann ist da der Stick mit seinen vielen Knöpfen wie im Fighter Jet. Das ist was für Jungs.“

Die Ruschmeyer ist wohl durchdacht

Ein Probeflug, dann war’s um Klein geschehen. Er schätzt die Ergonomie an seiner Ruschmeyer – die Bedienung ist wohl durchdacht. Es gibt Ablagefächer im Gepäckraum für Öl und Verzurrmaterial, ebenso eine Halterung für die Schleppstange. Tankverschlüsse und Gepäckraumtür öffnen sich per Fernverriegelung vom Pilotensitz aus – da wird deutsche Ingenieursdenke spürbar. Die Wartung sei trotz des Exotenstatus kein Problem, versichert Klein: „Das meiste sind Standardteile. Außerdem gibt es in Melle noch die Firma ATC, die spezielle Ersatzteile liefern kann.“

ReisemaschineReisemaschine
Über den Wolken: Die R 90 ist als Reisemaschine konzipiert – und lässt sich dafür gut nutzen. Im Verhältnis zum großzügigen Innenraum sind ihre Abmessungen erstaunlich kompakt. Die Haupträder bleiben im eingefahrenen Zustand unabgedeckt.

Das Flugzeug wirkt erstaunlich kompakt: Es steht recht niedrig auf dem elektrohydraulisch betriebenen Einziehfahrwerk, die Spannweite beträgt nur 9,50 Meter, die Flügelfläche ist mit 13 Quadratmetern eher klein. Das trägt zur Verringerung des Widerstands und damit zur Effizienz bei. Beim Einsteig kann man kaum glauben, dass der Tritt hinter der Fläche anfangs ein optionales Zubehör war: So niedrig ist der Flügel dann doch nicht. Auch hinten sitzen die Passagiere in der R 90 auf getrennten Sitzen – dazwischen ist Zugriff aufs Gepäck möglich. Der Aschenbecher in der Mittelkonsole ist der Design-Ära geschuldet. Es ist viel Platz auch für vier, insbesondere die Deckenhöhe und die Sicht nach draußen beeindrucken. Knapp 400 Kilo Zuladung hat die D-EECR.

Ruhiger Motorlauf

Rollen und Start sind konventionell, tatsächlich bullert der Sechszylinder ruhig vor sich hin. Im Reiseflug mit geschlossenen Kühlluftklappen reduziert Klemens Klein auf 2000 Umdrehungen und magert das Gemisch bis hinter den Peak ab. 61 Prozent Leistung zeigt das Motorinstrument jetzt, 35 Liter pro Stunde genehmigt sich der Sechszylinder. Am Fahrtmesser pendeln sich in 6000 Fuß 140 Knoten ein. Ja, so ist das wirklich effizient und leise! Turnt man ein bisschen, stellt sich der Stick tatsächlich als sehr angenehm heraus: Die R 90 reagiert sehr direkt, besonders um die Längsachse ist sie agil – die Flügel sind eben kurz.

FlügelendenFlügelenden
Handlich: Die Ruschmeyer hat relativ kurze Flügel, was zum ausgezeichneten Handling beiträgt. Hochgezogene Flügelenden verringern den Widerstand.

In den Landeanflug geht es dennoch mit normalen Geschwindigkeiten: 80 Knoten fühlen sich gut an. Werden die elektrischen Klappen voll gesetzt, bewegt sich der Knüppel ein Stück nach hinten, um den Lastigkeitswechsel auszugleichen. Nach dem Flug kommt etwas Wehmut auf: Schade, dass es dieses innovative Flugzeug damals nicht zu wirtschaftlichem Erfolg gebracht hat. Das Potenzial dazu hatte es sicherlich. Immerhin kann Klemens Klein zusammen mit den wenigen anderen Ruschmeyer-Piloten stolz darauf sein, eine echte Rarität zu fliegen.

Text: Thomas Borchert, Fotos: Christina Scheunemann (2018)

Technische Daten
  • 9,50 m
  • 12,94 m2
  • 7,93 m
  • 2,73 m
  • 954 kg
  • 1350 kg
  • 236 l
  • Lycoming IO-540-C4D5 / 234 PS
  • Mühlbauer, 4-Blatt, Composite, constant speed, 1,90 m
  • ca. 45 l/h
  • 255 m
  • 410 m
  • 71 KIAS
  • 60 KIAS
  • 157 KTAS
  • 193 KIAS
  • 157 KIAS
  • 76 KIAS
  • 98 KIAS
Über den Autor
Thomas Borchert

Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.

Schlagwörter
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