Pilot Report: Wie fliegt sich die Extra 330NG?
Unzählige Wettbewerbserfolge haben Extra Aircraft zu einem herausragenden Hersteller musterzugelassener Kunstflugzeuge gemacht. Bei der Extra 330NG ersetzt ein Composite-Rumpf den bisherigen Stahlrohrverbund.
Kunstflugpiloten Heike und Heinrich Sauels sind 2019 die damals noch neue Extra 300NG geflogen. Der Fotograf an iher Seite: Jean-Marie Urlacher. Wir haben die Geschichte aus unserem Archiv hervorgeholt und finden sie sehr lesenswert! Vielleicht können wir auch Sie dafür begeistern …
Gerade zurück von der Kunstflug-Weltmeisterschaft in Frankreich sind wir bestens gerüstet, das neue Muster von Extra Aircraft mit dem Leistungsfähigsten zu vergleichen, was der Hersteller derzeit zu bieten hat, dem Einsitzer 330SC. Nicht weniger als die Zukunft des Kunstflugzeugbaus bei Extra hatte man uns versprochen, als wir eingeladen wurden, die NG in Dinslaken probezufliegen.
Als wir die Halle auf dem Flugplatz Schwarze Heide betreten, fällt als erstes die neue Silhouette der „Next Generation“ auf. Der Rumpf, der jetzt komplett aus Faserverbundwerkstoff gefertigt ist, konnte durch diese Bauweise aerodynamisch wesentlich besser gestaltet werden. Auch das Leitwerk unterscheidet sich gegenüber dem aktuellen Hochleistungsdoppelsitzer 330LX deutlich: Um das Leitwerksvolumen zu vergrößern, hat man den Rudern mehr Fläche spendiert. Zusätzlich wurde die Spannweite des Höhenleitwerks leicht erhöht.
Extra 330NG: Voll-Kunststoff
Die Radverkleidungen erhielten ebenfalls ein neues Design. Es soll den Luftwiderstand reduzieren, darüberhinaus fangen sich Gras und Schmutz nicht mehr in den Schuhen – durch eine große Öffnung am Ende werden Fremdkörper abgesaugt. Oder man holt sie einfach raus. Optisch ist Walter Extra und seinem Team der Schritt zur nächsten Generation also schon mal gelungen. Wie sieht es beim Handling am Boden und in der Luft aus?
Beim Einsteigen fällt als erstes das deutlich größere Raumangebot im Vergleich zu den Stahlrohrmodellen auf. Die blauen Flecken, die man sich sonst beim Kunstflug am Stahlrohr geholt hat, sollten der Vergangenheit angehören. Rückenlehne und Seitenruderpedale des hinteren Sitzes lassen sich stufenlos elektrisch verstellen, sodass schnell eine sehr komfortable Sitzposition gefunden ist. Die vordere Sitzschale ist nicht verstellbar; die Pedale können aber auch hier bequem stufenlos an die Beinlänge angepasst werden.
Ungewöhnlich für Kunstflieger: In der Extra 330NG ist modernste Avionik verbaut
Ein kleines Manko ist die üppige Länge der Sitzschalen: Bei kleineren Piloten drücken sie gegen die Unterschenkel. Das Problem wurde bereits erkannt; da wird zurzeit nachgebessert. Die Kabinenhaube schließt jetzt perfekt – man merkt die Optimierung gegenüber den Stahlrohr-Extras. In deren Cockpits empfiehlt sich bei kühlerem Wetter im Reiseflug ein Schal, darauf kann man bei der NG verzichten.
Hauptschalter an, und das Garmin G3X Touch als zentrales Instrument nimmt seine Tätigkeit auf. Aus dem Kunstfliegeralltag sind wir das nicht gewohnt: modernste Avionik mit allen relevanten Informationen zu Fluglage, Navigation und Motormanagement auf einen Blick. Perfektioniert ist die Avionik im NG-Prototyp durch einen Autopiloten – super für den Reiseflug, aber für den Kunstflug nicht relevant.
Bessere Beschleunigung
Beim Anlassen ist alles wie gewohnt; wie die anderen Extra-Muster wird auch die NG von einem Lycoming AEIO-580 angetrieben. Seine 315 PS übeträgt er auf einen Constant-Speed-Propeller von Mühlbauer. Vollgas auf der „26“ in Dinslaken – nach wenigen Metern ist die NG in der Luft. Die Sicht nach vorn ist besser als in der LX oder SC, bauartbedingt aber nicht so gut wie etwa in einer 172 Cessna.
Wie verhält sich die Extra 330NG nun im Kunstflug? Zuerst fällt auf, dass sie wesentlich besser beschleunigt als die zweisitzige Schwester in bisheriger Bauweise. Die widerstandsärmere Rumpfaerodynamik macht sich hier stark bemerkbar. Wenn man bei senkrechten Linien abwärts nach Bauchgefühl fliegt und den Fahrtmesser nicht im Auge hat, ist der rote Strich rasch erreicht. Doch daran gewöhnt man sich schnell und arbeitet eben mehr mit dem Gashebel, als von der SC oder der LX gewohnt. Die bessere Beschleunigung bringt signifikante Vorteile beim Energiemanagement im Kunstflug, vor allem in komplexen Programmen.
Für den Langsamflug optimiert: Das Höhen- und Seitenruder wurde bei der 330NG überarbeitet
Die Veränderungen, die an Höhen- und Seitenruder vorgenommen wurden, spielt die NG im Langsamflug und bei gerissenen Rollen aus. Im unteren Geschwindigkeitsbereich ist sie noch sehr gut steuerbar. Um bei unseren Flügen, die zu zweit mit vollem Haupttank stattfinden, zum Snappen den nötigen Anstellwinkel zu erreichen, ist im Vergleich zur SC etwas mehr Ruderkraft und auch -weg erforderlich. Nach zwei bis drei Versuchen hat man das Timing aber drauf und kann mit dem großen Seitenruder Snaps oder Trudeln souverän ein- und ausleiten. Die Präzision der Querruder ist ausgezeichnet, die Rollrate vergleichbar mit jener der LX, sie beträgt rund 400 Grad pro Sekunde.
Nach zwei Flügen à 15 Minuten funktionierten alle Figuren, die wir mit der SC fliegen, auch mit der Neuen. Dazu gehören Tailslides und Freestylemanöver wie Torque Rolls und Flachtrudeln. Die NG kann alles, was die LX kann, nur besser. Dabei ist sie im Ausleiten aller Manöver mindestens genauso brav wie ihre Schwestermodelle.
Extra 330NG: Der perfekte Allrounder
Für wen eignet sich die Extra 330NG? Will man ausschließlich Unlimited-Kunstflug auf Wettbewerbsniveau betreiben, ist der Einsitzer SC aus unserer Sicht nach wie vor die beste Maschine, weil Extra sie kompromisslos auf Leistung getrimmt hat. Für alle Anderen, die kunstfliegen wollen – durchaus bis Unlimited-Niveau –, für die aber auch Schulen, Reisen, Spaßfliegen oder Airshow-Auftritte wichtige Einsatzbereiche sind, ist die NG die bessere Wahl.
Im Interview: Walter Extra über die Extra 330NG
„Mit der NG kann man bestimmt einen Unlimited-Wettbewerb gewinnen“
fliegermagazin: Herr Extra, was gab den Anstoß für Ihre Entschei- dung, die 330 zum Voll-Kunststoff-Flugzeug weiterzuentwickeln?
Walter Extra: Ich bin nach wie vor ein Fan von Rohrgestellen, weil die für den unwahrscheinlichen Fall eines Versagens redundante Lastpfade öffnen und eine große Restfestigkeit haben. Das ist eine der guten Eigenschaften von Stahl – der verbiegt sich halt, steht aber in verbogenem Zustand noch zur Verfügung. Bei Carbon ist das anders: Es ist entweder da oder nicht, um im Zweifelsfall sitzt man dann eben im Freien. Das hat mich immer davon abgehalten, CfK bei der Primärstruktur dort einzusetzen, wo die Wandstärken klein sind. Etwas anderes ist das beim Flügel, der hat einen massiven Holm und im Bereich der Torsionsnase üppige Wandstärken.
Warum sind die Wandstärken beim Rumpf heikler?
Da gibt es teilweise nur zweilagige monolithische Strukturen, also allein tragende, ohne beispielsweise einen darunterliegenden Stahlrohrverbund, und die können eben doch versagen, wenn auch jenseits der Lastfälle, für die sie ausgelegt sind. So ein 0,6 oder 0,8 Millimeter starkes Wändchen durchstößt man aus Versehen recht leicht mit einem Schlüsselbund oder Schraubenzieher. Das war für mich bisher das Argument, Composite beim Rumpf nicht tragend zu verwenden. Nun ist uns eine technische Lösung eingefallen, die diese Eigenschaft verbessert. Wir lassen die Idee patentrechtlich schützen, daher kann ich derzeit noch keine Details nennen.
War eigentlich die GB1 Gamebird für Sie der Anstoß, einen neuen Rumpf aus Composite zu fertigen? Philipp Steinbachs viel beachte- ter Akro-Zweisitzer besteht ja vollständig aus Kunststoff.
Nein – unser Projekt ist älter als meine Kenntnis vom Gamebird. Wir haben uns nur relativ viel Zeit gelassen bei der Lösung der genannten Probleme mit dünnwandigen monolithischen Composite-Strukturen.
Leer wiegt die NG 25 Kilogramm weniger als die LX, Ihr Zweisitzer, aus dem die Neue entstand. Ist der Unterschied ausschließlich auf den Kunststoff-Rumpf zurückzuführen?
Ja. Beim Leitwerk und bei den Wingtips gibt es zwar kleine Änderun- gen, aber die haben keinen signifikanten Einfluss aufs Gewicht.
Da Sie jetzt mehr Faserverbund einsetzen – wird das alles bei Ihnen in Dinslaken produziert?
Die Primärstruktur, also die tragenden Teile, fertigen wir ausschließ- lich selbst. Für die Sekundärstruktur haben wir einen Zulieferer, mit dem wir schon lange erfolgreich zusammenarbeiten.
Wie viele Flugzeuge baut Extra eigentlich pro Jahr?
Zwei, drei im Monat – pro Jahr kommen wir auf 25 bis 35 Stück.
Wann ist mit der Zulassung der NG zu rechnen?
Wir gehen davon aus, dass wir die endgültige Zulassung durch die EASA am 11. Oktober bekommen. Da haben wir die EASA-Leute zu ’ner Fete eingeladen (lacht). Mit der EASA verbindet uns eine wirklich zielführende Zusammenarbeit – anders als mit dem Luftfahrt-Bun- desamt (lacht nicht mehr). Gleichzeitig läuft die Validierung bei der amerikanischen FAA mit dem üblichen Anerkennungsverfahren.
Welchen Markt visieren Sie mit dem neuen Flugzeug hauptsächlich an?
Der größte Einzelmarkt sind für uns weiterhin die USA. Etwa 35 bis 40 Prozent der Produktion verkaufen wir dort. Alles andere verteilt sich auf Länder in der ganzen Welt.
Ist die Extra 330NG teurer als die LX?
Die Preise bewegen sich in der gleichen Größenordnung. Bei der NG ist die Instrumentierung etwas kostspieliger, andererseits sind die Herstellungsprozesse ein bisschen einfacher als bei der LX.
Wird es auch einen Einsitzer mit Composite-Rumpf geben?
Für den Augenblick nicht. Wir sind jetzt erst mal mit der NG voll beschäftigt; die Musterzulassung ist ein wichtiges Zwischenziel.
Und das Endziel?
Bei solchen Projekten ist es normal, dass ein Haufen Nacharbeit anfällt. Da geht’s um kleine Verbesserungen, und „klein« bedeutet bei einem Composite-Flieger, dass man gleich an die Formen ran muss – da schweißt man nicht einfach mal einen Hebel woanders fest, wie bei einer Stahlrohrstruktur.
Werden die bisherigen Muster 330LX, 330LT, 300LP und
der Einsitzer 330SC weiter gebaut?
Ja, absolut. Es gibt eine Fangemeinde für diese Flugzeuge, wobei der Einsitzer sich natürlich an eine andere Klientel wendet als die Zweisitzer. Die SC ist für Leute interessant, die Kunstflug wirklich auf einem professionellen Niveau betreiben, die einfach das letzte Quäntchen Leitung wollen. Wobei der Unterschied zur NG nicht besonders groß ist. Mit ihr kann man bestimmt einen Unlimited-Wett- bewerb gewinnen, aber dann dürfen nicht viele sehr gute Piloten mit einer SC dabei sein.
Eine Extra 330, genannt LE, fliegt mit Elektroantrieb. Wird in diese Richtung weitergearbeitet?
Nein – das war ein Entwicklungsprojekt von Siemens. Wir hatten eine Kooperation, die erfolgreich durchgeführt und abgeschlossen wurde. Es ging dabei nicht um Elektroflug, sondern um den Nachweis, dass Elektromotoren als Antriebseinheiten für Flugzeuge möglich sind. Weiter ist Siemens da gar nicht gegangen, und weiter würde ich zurzeit auch nicht gehen.
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