Kitplane

Pilot Report Van’s Aircraft RV-12: Spaß aus der Kiste

Van’s Aircraft ist die Nummer eins unter den Kitplane-Herstellern. Jetzt bringt der Bausatz-König sein erstes Light Sport Aircraft auf den Markt

Von Redaktion

Ganz eindeutig Ikea: Kartons, große und kleine, bis unter die Decke gestapelt. Es sieht genau so aus wie in dem schwedischen Möbelhaus, wo man sich die Schlafzimmerkommode „Björk“ oder eine Bücherbox „Torben“ in Schachtelform aus dem Hochregal zieht, um dann zu Hause mit Inbusschlüssel und Bauanleitung an den Rand der Verzweiflung zu geraten. Und im Grunde ist die Assoziation gar nicht so falsch: In dieser Halle liegen ebenfalls Teile, die zusammengebaut werden müssen. Nur gehören sie nicht zu Torben und Björk, sondern zu RV-Flugzeugen. Ganz genau: zu RV-Leitwerken.

Ein Kitplane made in USA

Die Initialen RV stehen für Richard VanGrunsven, kurz Dick genannt, jedoch besser bekannt als Van. Und so heißt auch das, was er herstellt: Van’s Aircraft. Das Unternehmen mit Sitz in Aurora im US-Bundestaat Oregon ist der erfolgreichste Kitplane-Hersteller der Welt, und einer der ältesten.
Für ein Nischenprodukt – was Selbstbauflugzeuge nun einmal sind – weisen RVs Verkaufszahlen auf, denen selbst Hersteller zertifizierter Flugzeuge Respekt zollen: Mehr als 22 000 Kits wurden seit 1974 ausgeliefert, in nahezu jedes Land der westlichen Welt.

Nun startete Dick VanGrunsven in für ihn bislang unbekannten Luftraum: den der Light Sport Aircraft (LSA). Die RV-12 gehört in diese amerikanische Klasse, die zwischen deutschen ULs und E-Klasse einsortiert werden kann: zweisitzig, mit 600 Kilo Maximalgewicht. Die RV-12 ist ein E-LSA. E steht für Experimental und bezeichnet selbst gebaute LSA. Die Aufgabe des vollständig am Computer entstandenen Tiefdeckers: preiswerte Spaß-Fliegerei. „Sport-Flying“ nennen die Amerikaner das; und während deutsche Piloten jedesmal Pickel kriegen, wenn ein Nicht-Flieger ihre Einmot inkompetent als „Sportflugzeug“ bezeichnet, haben die USA dieser Gattung der Freizeitflieger sogar eine eigene Lizenz verpasst: das Sport Pilot Certificate, mit dem LSA geflogen werden.

Das Selbstbau-LSA gehört zur Klasse der Experimental

Der Markt dafür bringt immer noch gute Absatzzahlen. Denn im Vergleich zur (normal) zertifizierten Fliegerei sind die Light Sport Aircraft preisgünstiger in Anschaffung und Unterhalt, der Erwerb der Lizenz ist unkomplizierter, weil kein medizinisches Tauglichkeitszeugnis erforderlich ist. Da ist es wenig erstaunlich, dass auch die Kitplane-Hersteller in diese Klasse drängen. Van’s hat sich Zeit gelassen mit der RV-12. Als die Jungs aus Oregon den Prototypen fertig hatten, tummelten sich bereits gut 80 in Serie gebaute S-LSAs auf dem Markt – vor allem modifizierte ULs aus Europa, deren Hersteller den neuen Markt beherrschen. Doch VanGrunsvens Gelassenheit hat ihren Grund: Da LSA im Gegensatz zu normalen Bausatz-Flugzeugen ein extrem abgespecktes Zulassungsverfahren haben, könnte Dick VanGrunsven seine RV-12 eines Tages sogar als Fertigflugzeug anbieten; zusätzlich zum Selbstbau-Kit – so wie Mitbewerber RANS Aircraft seine S-19. „Das hängt davon ab, wie sich der Markt entwickelt“, sagt der Van’s- Chef.

Zunächst einmal wird der leichtgewichtige Zweisitzer also in Kartons geliefert – demnächst sogar als so genannter Quickbuild-Kit, als Schnellbausatz also. Von den Blechen bis zur Verkabelung steckt alles Nötige in den insgesamt sechs Päckchen, in denen der Kit peu à peu geliefert wird: Tragflächen-Satz, Zelle, Leitwerk, Firewall-Forward-Kit, Avionik und der Rest: Fahrwerk, Haube und Cowling. Wer Modifikationen will, muss die RV-12 als Experimental zulassen, nicht als LSA. Das wäre in Europa zurzeit ohnehin die einzige Möglichkeit, die Van’s in die Luft zu kriegen, weil es LSA hier nicht gibt.

Sechs Pakete ergeben ein Sportflugzeug

Geringe Betriebskosten, Montage ohne großen Aufwand: Das war die Idee hinter der RV- 12. „Man kann das Flugzeug wirklich mit simplen Werkzeugen bauen, die jeder in der Garage hat“, verspricht Ken Krueger, Chefingenieur bei Van’s Aircraft und Chefdesigner des leichten Zweisitzers. Dennoch soll keiner glauben, so ein Flieger sei quasi über Nacht fertig. 600 bis 900 Stunden Bauzeit gibt Van’s an – ohne Lackierung.

Eines der Designziele war es, das LSA auf einem Anhänger transportieren zu können, mit abnehmbaren Tragflächen wie bei Segelflugzeugen, sodass es in Hänger wie Hangar problemlos verstaut werden kann. Die Flügel-Montage ist eine raffinierte Zwei-Bolzen-Angelegenheit, die mit zwei Mann in fünf bis zehn Minuten erledigt ist. Die beiden Bolzen sind hinter den Sitzen gut erreichbar. Zieht man sie heraus, lassen sich die Flächen einfach abnehmen. Befestigt ist jeder der beiden Flügelholme an der jeweils gegenüberliegenden Zellenwand, wo er in eine entsprechende Aussparung einrastet. Tut er das nicht, blinkt ein rotes Warnlicht im Cockpit, der Motor lässt sich nicht starten. Da beide Holme quer durch die Zelle laufen, erzeugen sie zusätzliche Stabilität.

Der Tiefdecker ist agil, aber nicht giftig

Apropos Stabilität: Die hat die RV-12 auch in der Luft. Richtig ausgetrimmt (elektrisch, per Kippschalter am Panel), fliegt Van’s Nummer zwölf nämlich ganz ruhig. Dabei hilft die großflächige Seitenflosse. Das Leichtgewicht ließe eigentlich weit mehr Arbeit am Knüppel erwarten. Was nicht heißen soll, der Vogel sei träge. Ganz im Gegenteil: Die RV-12 reagiert ausgesprochen direkt. Hektische oder grobe Bewegungen am Stick quittiert sie entsprechend, sanfte Ausschläge ergeben auch eine sanfte Antwort – weit deutlicher als bei vergleichbaren Flugzeugen. Die Maschine ist dank der guten Ruderansprache agil wie jede RV, aber nicht giftig. Der Stall ohne Klappen kommt bei unserem Flug bei 44 Knoten. Obwohl die RV-12 nur leicht nach rechts wegrollt, ehe wir die Nase nach unten nehmen, wirkt das Abkippen die ersten beiden Male unangenehm. Das mag an der hervorragenden Rundumsicht liegen: Die große, ungeteilte Haube, deren unterer Rand bis auf halbe Oberarm-Höhe reicht, verursacht ein Gefühl von „Mitten-im-Himmel-Sitzen“. Das ist gigantisch im Geradeausflug und beim Einfädeln in die Platzrunde; beim Strömungsabriss fehlt aber der visuelle Halt. Wer viel in Tiefdeckern unterwegs ist, wird das wohl ganz anders empfinden.

Was die Avionik angeht, ist die RV-12 mit dem FlightDEK-D180 von Dynon Avionics sehr modern unterwegs – Glascockpit statt Einzelinstrumente spart Gewicht.

Dank Rotax mehr Zuladung

Aus gewichtigen Gründen fiel Van’s Wahl auch auf den Rotax 912 ULS, die nicht zertifizierte Version des 912S. Normalerweise ist Lycoming die Hausmarke des Unternehmens, doch deren Triebwerke sind allesamt schwerer. „Wir hätten den Lycoming einbauen können, doch dann wären wir nie auf die Zuladung gekommen, die wir jetzt erreicht haben“, sagt Ken Krueger. Stolze 263 Kilogramm passen in die RV-12.

Folgsam wie im Flug ist der kleine Tiefdecker übrigens auch am Boden. Die konventionellen Fußspitzen-Bremsen leiten jeden Impuls sofort weiter, das geschleppte Bugrad schwenkt frei um 45 Grad nach beiden Seiten und macht jedes Wendemanöver artig mit. Für den Prototyp war noch ein gesteuertes Bugrad geplant; auch dieses ist der Diät zugunsten der Zuladung zum Opfer gefallen.

Beim Tankdeckel gibt es noch Potential für Verbesserungen

Es gibt allerdings auch Minuspunkte. Der Teufel steckt hier im Detail. Und das ist in diesem Fall der Tankdeckel. Ein echter Krampf ist das Öffnen des Deckels, der etwas unterhalb des rechten hinteren Fensters sitzt, da der Tank hinter den Sitzen eingebaut ist: Zuerst muss ein mickriger Klapphebel herausgefummelt werden. Zum einen ist die Ausbuchtung am Ende des Hebels auch für Mini-Finger viel zu klein, zum anderen ist die Vertiefung dahinter zu flach, als dass man den Finger tief genug hineinbekommt, um den Hebel sicher zu fassen zu kriegen. Zu allem Übel ist auch noch die Spannfeder, die den Entriegelungshebel hält, zu straff.

Obwohl im Oktober letzten Jahres gerade mal der Prototyp fertig und zu diesem Zeitpunkt lediglich das Flügel-Kit lieferbar war, lagen bereits 145 verbindliche Bestellungen für Van’s neues Leichtgewicht vor. Inzwischen sind es knapp 170 – ein deutliches Zeichen dafür, wieviel Vertrauensvorschuss die Homebuilt-Szene Van’s Aircraft gibt.

Oder Dick VanGrunsven persönlich. Obwohl der inzwischen 68-Jährige sich eigentlich offiziell aus dem Tagesgeschäft zurückgezogen hat, kommt er täglich zur Arbeit. Von der Fly-in-Community, in der er lebt, sind es gerade mal 15 Minuten ins Büro – mit dem Flugzeug. Natürlich fliegt Dick eine selbstgebaute RV.

RV-12-PROJEKT IN APPEN BEI HAMBURG

Für das erste RV-12-Selbstbauprojekt in Deutschland haben sich in Appen bei Hamburg vier RV-12-Fans zusammengetan. Drei bauen, einer ist für das Zulassungsverfahren sowie Korrespondenz, Übersetzungen und andere administrative Aufgaben zuständig. Finanziell sind nur Gunter Felshart und Iain Anderson an dem Projekt beteiligt. Manfred Rathke, ehemaliger Metall-Flugzeugbauer bei Lufthansa, und Rolf Wassermann, gelernter Karosseriebauer und Pastor, unterstützen das Projekt aus Spaß an der Sache. Die ersten Bauteile der RV-12 kamen im September 2008 im Hamburger Hafen an. Im Herbst wurden bereits die Tragflächen montiert, Rumpf und Leitwerk sollen in sechs Monaten fertig sein. Für die Innenausstattung sowie Elektrik, Mechanik und das Cockpit rechnen die Selbstbauer optimistisch mit noch einmal so viel Zeit. Der Tiefdecker soll auf dem nahe gelegenen Flugplatz Uetersen stationiert werden, die Zulassung erfolgt als Experimental über die Oskar-Ursinus-Vereinigung (OUV). Ein weiterer Teilhaber für die RV-12 wird noch gesucht. Kontakt: Gunter Felshart, Telefon 04122 / 88 39.

Text und Fotos: Claudia Stock, fliegermagazin 03/2009

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