Pilot Report: Lightwing AC4
Aus der Schweiz kommt ein neues LSA nach europäischen Standards – das vierte in dieser Klasse. Der AC4 stammt aus der Feder von Hans Gygax, der das mit Abstand erfolgreichste UL entworden hat, die C42. Ähnlichkeiten sind unverkennbar
Gleich zu Beginn müssen wir umlernen. Vor uns steht nicht die AC4, sondern der AC4 – Flugzeuge sind in der Schweiz männlich. Und dass wir in der Schweiz sind, ist unverkennbar: Die Werkshalle der Lightwing AG steht am Fuß des hoch aufragenden Bürgenstock – um diesen Berg herum führt sogar die Platzrunde des Werksflugplatzes Buochs (LSZC), denn im Tal, in dem die Bahn liegt, ist nicht allzu viel Platz. Dafür hat man in der „Volte“ (so heißt die Platzrunde hier) einen wunderschönen Blick über den Vierwaldstätter See bis nach Luzern. Hinter uns beginnt das Werksgelände von Pilatus, wo die – nein, der – PC-12 gebaut wird und der neue PC-24 dieser Tage seinen Roll-out hat. Und irgendwo in Hörweite probt sogar ein Alphorn-Orchester. Mehr Schweiz geht nicht.
Pilatus – diesen eidgenössischen Flugzeughersteller kennt natürlich jeder. Aber Lightwing? Die Freunde Marco Trüssel und Alois Amstutz haben schon vor 14 Jahren ihre Firma gegründet, um Leichtflugzeuge für die in den USA aufkommende 600-Kilo-Klasse zu bauen. Und schon damals gab es einen Entwurf von Hans Gygax, dem Vater des heute immer noch meist verkauften ULs, der Comco Ikarus C42. Doch es hat lange gedauert, bis aus den ursprünglichen Plänen ein nach europäischen Normen gebautes Light Sport Aircraft (LSA) mit allen erforderlichen Zulassungen wurde: Seit Juni ist der AC4 nun fertig, zugelassen und erhältlich. Geflogen werden solche Euro-LSA mit PPL oder LAPL. Voller Stolz präsentieren Trüssel und Amstutz das Ergebnis der jahrelangen Arbeit. Beide stammen aus der Gegend um Buochs; Trüssel hat vor Jahrzehnten in der heutigen Werkshalle von Lightwing seine Ausbildung gemacht, als sie noch Lehrwerkstatt des hier ebenfalls ansässigen RUAG-Konzerns war.
Schon beim Einsteigen wird vom Fußboden über die Türen bis zu den Sitzen klar: Dies ist kein UL!
Der AC4 teilt das grundsätzliche Konstruktionsprinzip mit der C42: Ein zentrales Aluminium-Längsrohr im Rumpf trägt alle Komponenten der Maschine. Vorne ist der Motor daran aufgehängt, über weitere Alustreben nach oben die Flügel, ebenso Sitze und Rumpfverkleidung. Letztere besteht beim AC4 ebenso wie die Sitzschalen aus Carbon. Die Flügel dagegen ebenso wie Höhen- und Seitenleitwerk sind, wie bei der C42, Alu-Holme und -Rippen, die bespannt sind – und zwar mit einer Hülle aus Polyestertuch, die nicht verklebt wird und durch Schrumpfung auf Spannung kommt, sondern durch Vorspannung und Verzurren. Das ist eine einfache, aber robuste Bauweise, die sich in Verein und Schulung tausendfach bewährt hat«, sagt Marco Trüssel.
Dennoch mag er den Vergleich zur C42 nicht, zu groß seien die Unterschiede in wichtigen Details: Fahrwerk, Beschläge, Flügel und vieles mehr sind anders gebaut und stärker ausgelegt, weil ein LSA mehr Spielraum beim Leergewicht hat. Ingesamt ist das Flugzeug ohnehin deutlich größer. Auf etwa 360 Kilo Leergewicht kommt der AC4, das erlaubt bei den 600 Kilo MTOM für ein LSA 240 Kilo Zuladung – deutlich mehr als irgendein UL mit seiner Gewichtsgrenze von 472,5 Kilo bieten könnte. Gehen wir mal gedanklich mit zwei 85-Kilo-Herren auf Reisen: Mit 25 Kilo veranschlagen wir reichlich Gepäck – mehr darf ohnehin nicht in das riesige Abteil hinter den Sitzen geladen werden. Unter dessen Boden liegt der 100-Liter-Tank, dessen Füllstand sich sowohl mit einer Anzeige im Panel als auch an einer Skala direkt am Tank ablesen lässt.
Wir tanken gut 60 Liter, das macht 45 Kilo und reicht für knapp drei Stunden Flug inklusive Reserve. Ergibt zusammen 240 Kilo – passt genau! Derzeit gibt es den AC4 nur in einer Ausstattungvariante, weitere sind geplant. Der AC4 ist das erste Euro-LSA mit dem Rotax-Einspritzer 912 iS – am Tag nach unserem Testflug wurde dessen neue Version Sport mit optimiertem Drehmomentverlauf eingebaut. Die Motorwerte zeigt ein elektronisches Display an, auch ein Dynon-Skyview-Glascockpit gehört zur Ausstattung. Noch ist nur ein fester Dreiblatt-Propeller von Neuform zu haben, aber eine verstellbare Variante könnte folgen. Ein Rettungssystem ist auch als Option nicht vorgesehen. Schon beim Einsteigen wird vom Fußboden über die Türen bis zu den Sitzen klar: Dies ist kein UL.
Das ist überhaupt nicht böse oder abfällig gemeint, aber bei vielen ULs kann man nun mal aus Gründen der Gewichtsersparnis nicht überall kraftvoll zupacken oder hintreten. Der AC4 wirkt sehr solide. Etwas irritierend finde ich allein das unverkleidete Steuergestänge an der Decke. Dort lässt sich auch die Stellung der Landeklappen direkt neben deren Elektro-Stellmotor ablesen. Anlassen ist ein Klacks: elektronische Motorsteuerung einschalten, Schlüssel drehen, läuft. Wenn’s nur bei den größeren E-Klasse-Motoren auch so einfach wäre … Die digitale Motorüberwachung zeigt auch beim Test der zwei unabhängig arbeitetenden Steuerungs-Computer klar den Systemstatus an. Zwischen PC-12-Business-Turboprops und Pilatus-Militärtrainern passen wir uns in den intensiven Verkehr an der Buochser Bahn ein. Mit dem gesteuerten Bugrad und der auf beide Haupträder zugleich wirkenden „Fahrradbremse“ am Steuerknüppel lässt sich die Maschine präzise rollen.
Meine erste Landung endet leider etwa einen halben Meter zu hoch – doch das Fahrwerk steckt den Aufprall locker weg
In der Mitte ragt eine Alusäule aus dem Panel nach oben zur Decke – den Blick nach draußen stört sie nicht wirklich. Weil die Frontscheibe weit nach hinten gezogen ist, bietet der AC4 eine ausgezeichnete Sicht. Wir sind zum Start freigegeben, also Gas rein und los. Etwas unglücklich für die Schulung ist die Anbringung des Gashebels ganz links im Panel, auch wenn der Lehrer von rechts bis dorthin greifen kann. Die Steigleistung ist ordentlich, wir klettern in der Platzrunde über dem Vierwaldstätter See. Der AC4 benimmt sich absolut gutmütig, er reagiert auf Rudereingaben nicht unbedingt spritzig, sondern ruhig und harmonisch, wie es sich für ein Flugzeug gehört, das auf Schulung und Anfänger ausgerichtet ist.
Dabei ist der gesamte Flugeindruck weniger nervös als bei einem leichteren UL, die Maschine liegt satter in der Luft. Im Reiseflug erreicht der AC4 wie im Handbuch angekündigt bei etwa 15 Liter pro Stunde Verbrauch knapp 90 Knoten. Dies ist eben keine schnelle Reisemaschine, sondern ein gemütlicher Vereinsflieger, der auch Anfängern gerecht wird. Langsamflug bis zum Überziehen ist absolut problemlos. Mit einem Nicken nimmt der AC4 mit und ohne Klappen einfach wieder Fahrt auf.
Meine erste Landung endet leider etwa einen halben Meter zu hoch – doch das Fahrwerk steckt den Aufprall locker weg. Bei diesem Flugzeug geht wirklich alles ganz einfach. Wieder am Boden stellen wir Marco Trüssel die Frage, an der sich so deutlich zeigt, wie sehr die europäische Luftfahrtbehörde EASA die Umsetzung der eigentlich guten LSA-Idee vergeigt hat: Was kostet der AC4? „180 000 Schweizer Franken, also etwa 150 000 Euro“, lautet seine Antwort – und er fügt selbstbewusst an: „Dafür bekommen Sie ein richtiges Flugzeug, mit ausreichend Zuladung für zwei Personen, bei dem die Stunden für den PPL zählen.“
Dennoch ist das eine Menge Geld. Von der aus den USA stammenden Grundidee, eine günstige zweisitzige Flugzeugklasse mit wesentlich vereinfachter Zulassung zu schaffen, ist bei den LSA-Vorschriften der EASA rein gar nichts übrig geblieben. Zwar dürfen unzertifizierte Motoren, Propeller und Avionik verwendet werden. Doch wo in den USA eine Zusicherung des Herstellers genügt, dass die Bauvorschriften eingehalten wurden, muss bei uns die Firma gegenüber der EASA den Nachweis darüber erbringen – wie bei einem normal zugelassenen Flugzeug. Deshalb ist die Kostenersparnis bei Entwicklung und Fertigung eines Euro-LSA minimal. Und deshalb gibt es immer noch nur vier nach europäischen Standards zugelassene LSA – und wenig Aussicht auf Zuwachs. In den USA sind etwa 100 LSA im Angebot.
Außerdem muss ein europäischer LSA-Hersteller eine Genehmigung als Entwicklungs- und als Produktionsbetrieb erwirken. Welch bürokratischen Überbau das nach sich zieht, sehen wir in der kleinen Fertigungshalle von Lightwing, die jetzt auf die ersten Aufträge wartet: Dort steht ein einzelner Schreibtisch, umrahmt von einer gelb-schwarzen Klebebandmarkierung auf dem Fußboden. „Das ist die EASA-zugelassene Wareneingangsprüfung für luftfahrtzertifizierte Teile“, erklärt Marco Trüssel. Airline-Maßstäbe, die dem Leichtflugzeugbau übergestülpt werden – ohne jeden Gewinn an Sicherheit. Immerhin hört man auch hier noch die Alphörner.
Fotos: Christina Scheunemann, fliegermagazin 8/2014
- Lightwing AG, Riedenmatt 1, 6370 Stans, Schweiz, Telefon: 0041 (41) 611 05 85, www.lightwing.ch
- 9,45 m
- 7,04 m
- 2,67 m
- ca. 360 kg
- 600 kg
- 100 l
- Rotax 912 iS (Sport in Planung)/100 PS
- Neuform, Composite, 3-Blatt, fest
- ca. 14 l
- 180 000 CHF
Thomas Borchert begann 1983 in Uetersen mit dem Segelfliegen. Es folgte eine Motorsegler-Lizenz und schließlich die PPL in den USA, die dann in Deutschland umgeschrieben wurde. 2006 kam die Instrumentenflugberechtigung hinzu. Der 1962 geborene Diplom-Physiker kam Anfang 2009 vom stern zum fliegermagazin. Er fliegt derzeit vor allem Chartermaschinen vom Typ Cirrus SR22T, am liebsten auf längeren Reisen und gerne auch in den USA.
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