Pilot-Report: Kodiak von Quest Aircraft
Die Kodiak der Quest Aircraft Company ist ein echtes Arbeitstier. Jetzt steuert das Flugzeug mit den außergewöhnlichen Go-anywhere-Fähigkeiten das Long Final zur FAA-Zulassung an
Kann man mit einem zehnsitzigen Flugzeug vom eigenen Garten aus starten? Ja. Zumindest, wenn man Tom Hamilton heißt. Zugegeben, mit etwas mehr als 200 Meter Länge hat sein Grundstück nicht unbedingt Durchschnittsgröße. Und ein solcher Take-off erfordert ein Flugzeug mit ausgeprägten STOL-Eigenschaften. Wie die Kodiak der Quest Aircraft Company aus Idaho, USA. Zurzeit bewältigt der „Utility-Vogel“ die Zielgerade zur FAA-Zulassung. Visionen waren es, die Hamilton – technischer Leiter bei Quest und zuständig für Design und Zulassung – und seinen Kollegen Dave L. Voetmann antrieben, eine moderne zehnsitzige Turboprop mit ausgeprägten Offroad-Eigenschaften zu entwickeln. Zudem sollte die Maschine alle Anforderungen an ein Fracht- und Passagierflugzeug erfüllen. Übrigens ist Konstrukteur Hamilton kein Unbekannter: Von ihm stammen die (Stoddard-Hamilton-)Kitplanes Glasair und GlaStar.
Letztere hat OMF später weiterentwickelt und in zertifizierter Form als Symphony 160 auf den Markt gebracht. Der Ideengeber zum „Projekt Kodiak“ lag nahe, sozusagen direkt vor der Haustür: die atemberaubende und raue Natur rund um Sandpoint, Idaho, Heimat von Quest Aircraft. Umgeben von den schroffen Zügen der Selkirk Mountains – einem Gebirgszug der Rocky Mountains – liegt die 8000 Einwohner zählende Stadt rund 100 Kilometer vor der kanadischen Grenze. Die spektakulär verlaufende Küstenlinie des über 70 Kilometer langen Pend Oreille-Sees, die hier und da von tiefen, dunklen Wäldern durchbrochen wird, ist für eine Maschine wie die Kodiak geradezu eine Einladung, ihre außergewöhnlichen Eigenschaften unter Beweis zu stellen. Dort, wo die Zivilisation endet und die Herausforderungen der Wildnis beginnen, holte sich Hamilton im Jahr 2001 seine Inspiration. Heute arbeiten rund 50 Leute für Quest, die mit unerschütterlichem Enthusiasmus „ihre“ Kodiak auf den Weg zur FAA-Zulassung bringen.
Quest Kodiak: M-Klasse mit Flügeln
Doch nicht nur die Landschaft von Idaho stand Pate für den hochbeinigen Offroad-Flieger. Quest entwickelte die Maschine auch in Zusammenarbeit mit Hilfs-Organisationen, die für ihre Aufgaben Flugzeuge benötigen. Seit Jahrzehnten nutzen solche Vereinigungen für ihre Missionseinsätze vorzugsweise de Havilland-Otter und Beaver, um Menschen in Not zu helfen. Doch obwohl einsatzerprobt, haben diese Muster ihre Grenzen bei Nutzlast und Ladekapazität: Maximal sechs Sitze sind halt nicht immer ausreichend, und diese Typen werden schon lang nicht mehr gebaut. Auf diese Lücke zielt Quest Aircraft. Ziel des Unternehmens war es, einen „Master of the backcountry“, einen Meister des so genannten Hinterlands, zu konstruieren – was gelungen scheint. Die STOL-Eigenschaften der Kodiak in Zahlen: Bei MTOM (3058 Kilo) beträgt die Startrollstrecke knapp 214 Meter, für die Landung nimmt die Turboprop 230 Meter in Anspruch. Damit ist das Flugzeug definitiv Wildnis-tauglich.
Rund sieben Monate nach ihrem Erstflug debütierte die Kodiak auf der Alaska State Aviation Trade Show, im Juli zeigte Quest seine robuste Konstruktion im späten Experimental-Stadium auf dem Air-Venture in Oshkosh. Die FAA-Zertifizierung wird für das erste Quartal 2006 erwartet, „30 Tage später können wir schon ausliefern“, so Verkaufsleiter Lynn Thomas. Sobald der FAA-Segen gesprochen ist, will Quest die EASA-Zulassung beantragen; Paul Schaller, Präsident und Vorstandsvorsitzender, sieht im europäischen Markt großes Potenzial für sein fliegendes Sport Utility Vehicle (SUV). „In der Tat sehen wir die Kodiak wie eine M-Klasse von Mercedes“, so Lynn Thomas. „Robust und geländegängig, aber, je nach Ausrüstung, bequem und komfortabel.“ Eine hübsche Idee: ein SUV-Flugzeug – wenn das kein gekonntes Marketing ist.
In Oshkosh hatte Quest Aircraft bereits 14 feste Vorbestellungen für seinen Neuling, rund die Hälfte der Kunden wollen das Flugzeug privat (!) nutzen – als eine Art fliegendes Reisemobil für Betuchte. Auch wenn der Kunde für 1,11 Millionen US-Dollar (Basisversion) ein gutes Preis-Leistungsverhältnis erhält: Man muss schon ein gut sortiertes Sparschwein haben, um solch eine Summe fürs Privatvergnügen auszugeben. Um den Zertifizierungs-Zeitplan einzuhalten, ist die Kodiak seit März dieses Jahres in der Flugerprobung, bislang wurden mehr als 200 Stunden absolviert. Momentan werden Zellen für die Statik-Tests und die Ermüdungsversuche gebaut. In Kürze folgen die Belastungstests. Täglich steigt der mittlerweile serienkonforme Kodiak-Prototyp mindestens zweimal auf, um das Testprogramm fortzusetzen. Laut Hamilton haben die Tests bisher alle Erwartungen erfüllt. Vor kurzem habe die Maschine sogar einige Werte der zuvor errechneten Flugeigenschaften übertroffen, freut sich der Chefdesigner.
Beispielsweise demonstrierte ein Testpilot unlängst das gutmütige Stall-Verhalten des Flugzeugs bei 50 Knoten Power-off: Selbst im Kurvenflug überraschte Quests Neuentwicklung durch seine extrem sanften Überzieh-Eigenschaften. Weiterhin konnten Landeanflüge bei Maximalgewicht mit trödeligen 70 bis 75 Knoten geflogen werden – Grundvoraussetzung für eine kurze Landestrecke. Was die Landung auf Gras betrifft, ist die Quest-Mannschaft besonders stolz: 180 Meter – und das ohne Schubumkehr. Um das Testprogramm und die spätere Produktion nicht zu verzögern, erweitert das Unternehmen kontinuierlich seine Kapazitäten. Seitdem Chefpilot Bruce Barrett die Kodiak im Oktober 2004 zum Erstflug startete, ist die Montagehalle von ur- sprünglich rund 3000 Quadratmeter um das Dreifache gewachsen und mit modernsten CNC-Maschinen ausgestattet. Die Struktur der Kodiak wird nämlich komplett vor Ort hergestellt.
Arbeitsturbine: Unbefestigtes Gelände ist ihr wahres Zuhause
Die Kapazität reicht aus, um 50 Flugzeuge pro Jahr zu produzieren. Die Pratt & Whitney PT6A-34-Turbine bringt die fliegende M-Klasse auf eine maximale Reisespeed von 190 Knoten True Airspeed (TAS), erlaubt ihr eine Steiggeschwindigkeit von 1700 Fuß pro Minute und eine Reichweite von 1250 Nautischen Meilen bei 174 Knoten TAS (in 10 000 Fuß). Was die Zelle betrifft, ist vor allem die Flügelauslegung interessant. Hauptaugenmerk legten Hamilton und sein Team auf die Aerodynamik im Langsamflug – hier besonders auf einen hohen Auftriebsbeiwert bei ausgefahrenen Klappen. Um die Steuerbarkeit des Flugzeugs auch nahe des Stalls zu gewährleisten, wurde am Stoß zwischen Flaps und Querruder eine Abreißkante angebracht. Das kräftige und robuste Fahrwerk erlaubt es selbst in äußerst unebenem Gelände oder an Uferläufen mit weichem Untergrund problemlos aufzusetzen. Aufgrund der hohen Verformung des Stahlfederbeins um mehr als 0,6 Meter punktet die Kodiak auch bei der Fahrwerks-Dämpfung.
Überhaupt ist der robuste Flieger äußerst, sagen wir: umbaufreundlich: In wenigen Minuten kann man zum Beispiel das Hauptfahrwerk abmontieren. Offiziell ist noch nicht entschieden, welcher Hersteller die Avionik liefern wird. Doch in Oshkosh sickerte durch, dass die Kodiak wahrscheinlich mit dem Garmin 1000-Glascockpit unterwegs sein wird. Von Anfang an wurde der Quest-Neuling auch für Floats entwickelt. Daher fällt sofort das scheinbar überdimensionierte Seitenleitwerk ins Auge. Es soll, wenn im nachhinein zusätzlich Floats angebracht werden, die dadurch entstehende Instabilität in der Luft vermeiden. Um zusätzlich Gewicht einzusparen, bestehen die Floats aus Composite. Weiterer Konstruktions-Eckpfeiler des Buschfliegers ist das Gewicht. Zielvorgabe war es, eine möglichst große Differenz zwischen Leer- und Maximalmasse zu schaffen.
Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Bei einer MTOM von 3058 Kilo und einer Nutzlast von 1563 Kilo ist der Zehnsitzer in der Lage, mehr als sein Eigengewicht zu tragen. Auch was das Nutzvolumen betrifft, hat Quest gute Arbeit geleistet: Über die große Ladeluke (1,27 mal 1,27 Meter) hinter der linken Fläche kann man die Kodiak bis unters Dach mit Frachtgut voll packen. Der leicht montierbare – optionale – Frachtbehälter unterm Rumpf fasst zusätzliche 362 Kilo Fracht. Fazit: Das Backcountry ist das Lieblingsterrain der Kodiak. Damit ist Quests Neuentwicklung eine echte Cessna-Caravan-Konkurrenz. Und wenn man bedenkt, dass die Basisversion der etablierten Arbeits-Turbine aus Kansas 1,45 Millionen US-Dollar kostet, könnte man über den Bären (Kodiak) aus Idaho schon etwas gründlicher nachdenken.
Text: Birgit Weißenbach/Claudia Stock; Fotos: C. Stock, Quest Aircraft Company; fliegermagazin 11/2005
- 13,72 m
- 22,30 qm
- 10,18 m
- 4,7 m
- 1517 kg
- 3058 kg
- 1456 l
- Pratt & Whitney PT6A-34, 750 PS
- 205 l/h
- 214 m
- 230 m
- 25 000 ft
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